Aufgepasst! Der Attention Cocktail ist eine Übung in Aufmerksamkeit
Die Originalrezeptur des Attention Cocktail ist relativ einfach. Viele halten sie trotzdem für verunglückt und passen die Mengenangaben an. Dabei zeigt der Drink etwas ganz anderes: Die Wichtigkeit der richtigen Zutaten. Armin Zimmermann mit einer kleinen Hommage an einen vergessenen Cocktail. Für den man Crème de Violette mögen sollte.
Auf der Suche nach verborgenen Köstlichkeiten blättere ich gerne in alten Büchern. Als wahre Schatzkammer erweist sich dabei „Recipes For Mixed Drinks“ von Hugo Richard Ensslin. Darin wurden beispielsweise erstmals der Aviation Cocktail, aber auch der Up-To-Date Cocktail und der Belmont Cocktail veröffentlicht. Dieses kleine, fast verloren gegangene Buch hat es wirklich in sich.
Attention Cocktail
Zutaten
2 cl Dolin Blanc Wermut
2 cl La Pontissalienne Absinth
2 cl Royal Dock Navy Strength Gin
2 cl Bigallet Crème de Violette
Der Attention Cocktail ist ein zweifach schwieriger Drink
Da ich Crème de Violette schätze, bin ich auf den Attention Cocktail gestoßen. Er steht im Buch direkt über dem Aviation Cocktail. Es ist eine jener Rezepturen, bei denen man denkt: „Entweder ist das ein Weltklasse-Drink, oder aber etwas ganz schaurig schlechtes.“ Es mag jeder für sich selbst urteilen, ob er dieselben Gedanken beim Lesen dieser Angaben gehabt hätte: „¼ französischer Wermut, ¼ Absinth, ¼ Gin, ¼ Crème de Violette. In einem Rührglas mit gestoßenem Eis gut schütteln, abseihen und servieren.“
Solche Rezepte sind es, die mich immer wieder dazu auffordern, sich genauer mit ihnen zu beschäftigen. Es ist nicht immer einfach, Zugang zu finden, und manchmal ist man mit einem Urteil zu voreilig. Ich erinnere mich dann an das, was David Wondrich über den El Presidente zu berichten weiß: Trotz zahlreicher Versuche fand er keinen Zugang und der Drink funktionierte einfach nicht. Bis er des Rätsels Lösung fand: Er musste einfach nur den richtigen, originalgetreuen Wermut verwenden, und: „Heureka! El Presidente, wie er sein sollte.“ Er merkt dazu an, dass Rezepturen nicht ohne Grund in die Bücher aufgenommen wurden. Wenn es nicht schmeckt, so machen wir wahrscheinlich irgend etwas falsch.
Keine Abweichung beim Attention
So ist es auch beim Attention Cocktail. Er ist ein ausgesprochen schwieriger Drink. Zunächst einmal natürlich, weil er nicht für alle geeignet ist, denn Absinth und Crème de Violette sind Zutaten, die manche gar nicht mögen. Allerdings – so möchte ich einwerfen – sollte man das so pauschal nicht sagen. Es kommt nämlich durchaus darauf an, welche Marken man verwendet. Es gibt hier große Unterschiede
Und das bringt mich zum zweiten Grund, warum der Attention Cocktail schwierig ist: Man muss nämlich unbedingt die richtigen Produkte miteinander kombinieren. Insbesondere Absinth und Crème de Violette sind hier kniffelig. Wählt man ungeeignete Zutaten, gerät der Drink schnell außer Balance. Auch der Gin ist wichtig: Er muss stark genug sein, um sich behaupten zu können. Doch es gibt auch hier den Heureka-Moment. Hat man die geeigneten Ingredienzien einmal gefunden, so zeigt sich, dass alle Bestandteile zu gleichen Mengen einen hervorragend abgestimmten und sehr köstlichen Drink ergeben, bei dem ein Abweichen von den Mengen keine Verbesserung bringen kann.
Die Wirren des World Wide Web
Wie kritisch die Wahl der Zutaten ist, zeigt ein Blick in die Weiten des Internets. Vielfach wird gesagt, auch von namhaften Persönlichkeiten, die Originalrezeptur sei unbalanciert, sei wie ein verunglücktes Wrack, und um aus den Trümmern noch etwas Brauchbares zu gestalten, müsse man unbedingt die Mengen anpassen. Es kommt vielleicht noch ein Orangenbitter hinzu, obwohl dieser im Original nicht vorhanden ist, und aus 2 cl Absinth werden kurzerhand zwei winzige Dashes. Das mag zwar schmecken, aber ein Attention Cocktail ist das nicht mehr.
Zudem kann ich nur immer wieder darauf hinweisen: lest die alten Meister! Was steht bei Hugo Richard Ensslin? „Gut schütteln“, und zwar nicht ohne Grund. Erst dadurch verschmelzen die Aromen miteinander, sie verändern sich und interagieren auf eine Art und Weise, wie es bei bloßem Rühren nicht der Fall ist. Rühren ist hier fehl am Platze.
Der Attention Cocktail als Fuge
Ich hoffe, man hat mit meiner Mischung eine Freude, und greift öfter danach, auch wenn sie für den ungeübten Trinker vielleicht zunächst etwas zu überwältigend sein sollte. Es ist wie bei einer Fuge von Bach: Zunächst versteht man sie nicht, aber mit etwas Übung hört man sich ein, entdeckt immer neue Nuancen und im Kontrapunkt offenbart sich die Ewigkeit.
Credits
Foto: Sarah Swantje Fischer
