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Eine Ode an die weiße Barjacke

Qualitäts-Garant, Schutzmantel, Selbstwert-Geber: Eine Ode an die weiße Barjacke

„So lange ich Bartender bin, werde ich Weiß tragen.“ – Erik Lorincz gibt am Tresen die Komplementär-Version von Johnny Cash („’Til things are brighter, I’m the Man in Black“). Er ist nicht der Einzige, der an einem Kleidungsstück den gesamten Beruf festmacht. MIXOLOGY Online war vor Ort im slowakischen Nitra, wo sich ein kleines Symposium der Barjacke widmete.

Niemand in Nitra zitierte Nietzsche. Und doch drängte sich der Philosophen-Satz „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken“ beim Bartender-Symposium in der slowakischen Stadt auf. Gastgeber Luboš Rácz wollte einmal keine neuen Shake-Techniken besprechen oder Cocktail-Dia-Vorträge kuratieren. Laaaaaaaaaaangweilig!

Er stellte dafür ein simples Kleidungsstück in den Mittelpunkt der Gedankenflüge: „Tribute to the White Jackets“. Das klingt vordergründig zwar poetischer, aber auch nicht unbedingt spannungsgeladen. Dass sich aus dieser Phänomenologie der Barjacke eine Standortbestimmung des gesamten Bartender-Ethos entwickeln sollte, war dabei nicht absehbar. Doch es wurden inspirierende Stunden beim diesjährigen „Barmanské Vianoce“-Treffen in Nitra.

Nur Jacken-Träger:innen dürfen Strafe zahlen

Zumal die Beiträge dieser gesprochenen Festschrift für ein Textil nicht nur sehr unterschiedlich ausfielen, sondern auch ungewöhnlich persönlich wurden. Tschechiens international vielleicht bekanntester Bartender, Vítězslav Cirok („Grand Hotel Pupp, Karlovy Vary), zog etwa einen populärkulturellen Vergleich: „Es ist die Uniform, die dem Superhelden seinen Status gibt. Die Barjacke ist unsere Uniform, das Mixen die Superkraft.“ Für ihn selbst hatte das Anlegen der Jacke einst sogar finanzielle Folgen: „Bei meiner ersten Arbeitsstelle musste man sich für drei Jahre verpflichten, dafür bekam man alles gelehrt. Wer früher ging, zahlte eine Pönale. Diese drei Jahre wurden aber erst ab dem Zeitpunkt gerechnet, wo man die Jacke tragen durfte. Da wollte ich ganz schnell meine eigene haben!“

Es war vor allem Erik Lorincz, der in einer knappen Viertelstunde – seinem jung verstorbenen Mitarbeiter Leo Lien gewidmet – die Rolle des „white jacket“ voller Leidenschaft würdigte. „Du hast meinen Tag gerettet, indem Du so über unseren Beruf gesprochen hast“, applaudierte der älteste Gast in Nitra spontan.

Es war Charles Schumann. Der hat diese Dienstkleidung in Deutschland ikonisch werden lassen. „Erfunden“ hat er die Jacke mit den rot eingestickten Vornamen aber nicht, auch wenn sie bereits auf die Tage an der alten Adresse Maximilianstraße ab 1982 zurückgeht. Und wenn deren gelegentlicher Tausch heute längst Teil der „Schumann’s“-Folklore ist. „Es war eines der wenigen Dinge, die ich aus Harry’s New York Bar mitgenommen habe“, erinnert sich der 82-Jährige an seine eigenen Anfänge.

Dressed for intimacy – und doch auf Distanz

Das Bestehen auf makellosem Weiß habe auch seinen Preis: „Mitunter wechseln wir sie zwei Mal am Tag, das kommt uns teuer“, so Charles Schumann. Doch für ihn ist die Tatsache wesentlich, „dass die Jacke weiß ist; weiß bedeutet für mich sauber“. Das Stichwort für den seit 1974 in Weiß arbeitenden Münchener ist dabei „Respekt“. Den sollte man dem Arbeitsplatz und den Dingen, mit denen man an der Bar arbeitet, erweisen: dem Essen und den Getränken. „Außerdem erweisen wir unseren Kunden Respekt, wenn wir diese Kleidung tragen.“ Mit einem simplen Vergleich historischer Aufnahmen unterstrich auch Maroš Potůček („Bar Termini“, London) in seinem Vortrag diesen Aspekt der Intimität mit dem Gast: „Es hat einen Grund, dass auch Barbiere seit jeher Weiß tragen.“

Tatsächlich hat sich die globale „Uniform der Gastlichkeit“ erstaunlich gut etabliert. Allen Lederschürzen, Tattoos und Basecaps zum Trotz! „Ungeachtet des Alters halten nur 23 Prozent der Barleute die Jacke für antiquiert, 40 Prozent können sich aber vorstellen, persönlich in ‘Weiß’ zu arbeiten“. Dieses Fazit zog George Nemec, der im Rahmen des „Tribute to the White Jackets“-Tages die Zahlen lieferte. Nicht streng wissenschaftlich, doch basierend auf den langjährigen Kontakten nach London, Shanghai und Sydney. 27 Bars weltweit schickten dem heute als Bar-Consultant in Prag tätigen Veteranen ihre Antworten für seine Enquête zum Nimbus der Weißjacken.

Eine Uniform, die wie Befreiung wirkt

Geradezu als Erlösung vom damaligen Bar-Dresscode empfand Erik Lorincz seinen Wechsel in die Arbeitskleidung der „American Bar“ des Hotels Savoy. „In meinen Anfangstagen in London war die Kleidungsordnung überall dieselbe: Schwarze Hose, schwarze Socken, schwarzes Hemd…. Begrabe ich jetzt Leichen oder bin ich Bartender?“ Der Gründer des Kwānt betont drei Aspekte, die für ihn die weiße Jacke repräsentieren: „Sie schützt Dich, gibt Dir einen Stellenwert und Selbstvertrauen. Das ist besonders bei den Bars in Fünf-Stern-Hotels wichtig, wo Gäste auch mal mit ihrem Privat-Jet anreisen; die kannst Du nicht im T-Shirt bewirten!“ Zum Glück wird jedoch seit den Tagen Harry Craddocks in den 1930ern am „The Strand“ frei nach Roy Black gemixt: „Ganz in Weiß“. Denn die Jacke stellt das professionelle Verhältnis zwischen Milliardären und „Buben vom Land“ (Lorincz über Lorincz) her.

Der textile Härte-Test des Erik Lorincz

Doch zurück zu Nietzsche und dem Stil-prägenden Werkzeug. Denn Erik Lorincz trainierte sein Team im Savoy ab 2010 mit zwei Hilfsmitteln: Ein weißes Tuch am Tresen – „kein Speedrack und eigentlich unverändert, wie ihn Peter Dorelli 1974 designed hat“ – musste ebenso blütenweiß bleiben wie die Barjacke. „Am stolzesten war ich, als unsere Bartender selbst bei der Speed Challenge der ‘World Class’ begannen, das weiße Tuch auszubreiten. „Who are these guys?“, wunderte sich die Jury. Well, das Weißjacken-Geschwader vom „Strand“!

Am Ende seiner Zeit in der „American Bar“ gestaltete Lorincz sogar die Team-Jacken nach seiner Fasson. Zuletzt bestand allerdings nur ein italienischer Schneider den ultimativen Material-Test des Slowaken: „Schütte einen frischen Espresso auf den Stoff, lass ihn zwei Tage einwirken und warte dann, wie die Jacke aus der Trockenreinigung kommt.“ Robust müsse die Arbeitskleidung sein, dann reichen auch die zwei Kwānt-Jacken, die Erik Lorincz besitzt.

Doch bevor jetzt die Ode auf die Uniform nun als Schwanengesang der Silberrücken am Shaker fehlinterpretiert wird: Wie motivierend die persönlichen Geschichten auf die slowakischen Gastgewerbeschüler unter 18 wirkten, war in Nitra unmittelbar spürbar. „Jetzt bin ich sicher, dass ich Barmann werden will“, erklärte einer von ihnen, nachdem er die „White Jacket-All Stars“ abends in der Bar Zahir auch in Aktion gesehen hatte. Unsere Kleidung arbeitet auch 2024 mit an unseren Drinks!

Credits

Foto: Roland Graf

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