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Sous Pression: Die Gefriertechnik, die das Zeug zum Game Changer hat

Sous Pression: Die Gefriertechnik, die das Zeug zum Game Changer hat

Mit Sous Pression kommt erneut eine neue Arbeitstechnik aufs Tableau, die das Zeug zum Game Changer hat. Erneut geht es dabei um die Arbeit mit Tiefkühlung, erneut wurde sie maßgeblich von Iain McPherson aus Edinburgh entwickelt. Wir haben mit ihm gesprochen und geben eine Einführung in eine Methode, die schnell Schule machen könnte.

Temperatur ist eine heiße Sache, wenn es um wohlschmeckende Getränke am Tresen geht. In vielerlei Hinsicht. Wärme und Kälte eines Genussmittels üben starken Einfluss sowohl auf orthonasale wie retronasale Perzeption aus. Steigt der Wert am Thermometer nämlich, so werden mehr volatile Komponenten freigesetzt, die Geruchsintensität nimmt zu. Auch am Gaumen ist ein markanter Unterschied zwischen heiß und kalt zu bemerken. Dabei schwimmt der idealtypische Cocktail immer noch klirrend kalt in einer gefrosteten Glasschale, das Gros der servierten Weine ist von Frostbeulen gebeutelt. Einzig die ewig vernachlässigten (oder missverstandenen) verstärkten und versetzten Weine müssen bei 22 Grad Raumtemperatur am Rückbuffet ihrem Oxidations-Tod entgegendünsten.

Andererseits gilt es die Temperaturfrage zu berücksichtigen, wenn man einzelne Zutaten bewusst zu veredeln sucht. Jede Infusion, also der Auszug eines Feststoffes – Kräuter, Wurzeln, Rinden und Co – in Alkohol, ist vornehmlich bedingt durch folgende Variablen: Menge und Mengenverhältnis, Alkoholgrad, Zeit, Druck und eben Temperatur. Oft spielt hierbei insbesondere das Erwärmen eine entscheidende Rolle, zumindest scheint es bei oberflächlicher Betrachtung für viele Anwender die am einfachsten zu justierende Stellschraube, wenn man die Infusion zu intensivieren versucht. Dabei verändert die Applikation von Hitze die Rohstoffe teils massiv. Besonders filigrane Lebensmittel weisen durch Erwärmung, insbesondere in Richtung Siedepunkt, gravierende Unterschiede in Textur, Duft und Geschmack auf.

Kühlen Kopf bewahren

Durch die Popularisierung von Sous Vide, also Auszügen unter Vakuum, begann die Bar-Community ihren mixologischen Werkzeugkasten wieder abzukühlen. Gerade da setzt ein radikal neues Konzept an, dass Sous Vide auf den Kopf stellt und in ein frostiges Alternativszenario setzt: Sous Pression. Der kreative Geist dahinter – sowie hinter Edinburghs führenden Bar-Konzepten wie dem Panda & Sons: Iain McPherson. Behutsam und stetig hat der Schotte sich selbst und seine Betriebe über die letzten Jahre international zu Bekanntheit geführt, mit viel harter Arbeit und innovativen Ideen. Letztere sind vornehmlich von McPhersons Ungeduld, Unzufriedenheit mit dem Status Quo und unaufhörlichem Erfindergeist befeuert. Ergänzend sei erwähnt, dass es dem Barunternehmer besonders die eisigen Tiefen der Unter-Null-Temperaturwelt angetan haben. Wenig verwunderlich, war sein Vater doch im Eiscreme-Business tätig. So inskribierte sich auch der Sohn für den weltbekannten Science of Ice Cream-Kurs an der University of Reading, um in weiterer Folge an der nicht minder legendären Bologna Carpigiani Gelato University seine Fertigkeiten feinzuschleifen: Post-Graduate für Tiefkühlfetischisten. Die vielfältigen Eindrücke der Eiscreme verwebt McPherson mit dem Repertoire des kontemporären Bartending. In seinem Cocktail-Labor als iterativem Nährboden entstand bereits 2019 die Technik Switching. Dabei wird der Wassergehalt einer alkoholischen Flüssigkeit gefroren um sie als festes Eis abscheiden zu können. Der Schwund wird mit einer anderen liquiden Ingredienz ersetzt, beispielsweise einem geklärten Saft.

Doch zurück zu Sous Pression. Im bekannten Sous-Vide-Verfahren ist das Vakuum für die intensive Extraktion der Aromen und Geschmäcker aus einem Feststoff verantwortlich. Bei Sous Pression macht man sich ebenfalls den Druck zunutze, um diese Qualitäten aus Kräutern, Früchten oder Wurzeln sprichwörtlich auszuwaschen.

Der Kern von Sous Pression ist bestechend simpel: Man nutzt die Kraft, die durch die Ausdehnung von gefrierendem Wasser entsteht
Der Kern von Sous Pression ist bestechend simpel: Man nutzt die Kraft, die durch die Ausdehnung von gefrierendem Wasser entsteht
Durch Sous Pression dringt die zu aromatisierende Spirituose tief in die Zellstruktur des Aromats ein
Durch Sous Pression dringt die zu aromatisierende Spirituose tief in die Zellstruktur des Aromats ein

Bei Sous Pression heißt es Druck aufbauen!

Mit einem Funkeln in den Augen beschreibt McPherson die entscheidenden Prozessschritte: »Unsere umfangreiche Forschung hat zu dieser aufregenden neuen Technik geführt: Es ist eine Alternative zum Vakuum- respektive Sous-Vide-Verfahren. Man stelle sich die zerstörerische Kraft einer geplatzten Wasserleitung vor. Genau diese Kraft machen wir uns zunutze, um den Geschmack frischer Produkte zu extrahieren und sie mit den anderen Zutaten zu verschmelzen. Bei Sous Pression kann die Gefrierkraft gar bis zu 20-fach stärker sein als die, die für das Platzen einer Haushaltswasserleitung erforderlich ist! Das Ergebnis ist seidig, weich und rund.«

Der grobe Ablauf ist indessen schlicht skizziert: Zunächst wird eine genau definierte Menge eines Cocktails zubereitet und in ein kleines Bierfass aus Edelstahl gefüllt. Dazu gesellen sich frische Früchte, Kräuter oder andere Aromaten, so dass das Fass »spundvoll« ist. McPherson empfiehlt weichere oder tendenziell poröse Zutaten, die einen leichteren Austausch zwischen Flüssigkeit und Feststoff erlauben. Der verschlossene Edelstahlbehälter wird bei rund minus 30 Grad Celsius tiefgefroren, ein Vorgang der rund 36 bis 48 Stunden beanspruchen kann. Die benötigte Temperatur ist abhängig vom Alkoholgehalt der Basismischung. Der Druck, der während des Gefrierprozesses entsteht, zwingt die Zutaten miteinander zu interagieren und zu verschmelzen.

»Gäbe es zu Beginn des Prozesses noch Luftraum in dem Behältnis, würde sich das Volumen der Flüssigkeit um durchschnittlich neun Prozent ausdehnen. Wir lassen nicht zu, dass sich der Drink um diese neun Prozent ausdehnt, schließlich kann er nirgendwo anders hin, als in die Frucht oder Kräuter einzudringen und dort jede mögliche Luftblase zu finden – ähnlich, wie es eine Vakuumkammer tun würde«, erklärt McPherson weiter. Anschließend lässt man den Cocktail wieder auftauen.
Um auf Nummer sicher zu gehen und mögliche Explosionen zu vermeiden, öffnet McPherson den Verschluss erst, wenn sich der Inhalt vollständig verflüssigt hat. Dann seiht er die Aromaten mit einem feinen Siebtuch ab. Die mit Alkohol getränkten Früchte können als Garnitur verwendet werden. Sie bilden nicht nur eine köstliche, wenngleich potente Drink-Beigabe, sondern versinnbildlichen dem Genießer gleichsam die Entwicklung des Drinks mittels Sous Pression. Die jeweiligen Portionen des infundierten Cocktails werden final wie ganz reguläre vorgebatchte Drinks geschüttelt oder gerührt und serviert.

McPherson nennt neben der eigentlichen Überführung von Aromen noch einen weiteren Vorzug der Methode: »Nicht nur bringt diese Infusion den Duft und Geschmack der Zutaten wunderbar zur Geltung, der Drink bekommt auch eine angenehm runde und weiche Textur«, zeigt sich der Erfinder begeistert von den wohlschmeckenden Resultaten. Dieser abmildernde Verwandlungsprozess war ihm bereits im Zuge des Swichtings positiv aufgefallen. Mit Sous Pression beschreitet McPherson zwar einen gänzlich anderen Pfad, findet jedoch stets Parallelen und Analogien zu anderen Anwendungsbereichen.

Ohne finanziellen Druck

Eine Besonderheit von Sous Pression ist die Zugänglichkeit und Einfachheit in der Handhabung, so der Schotte. Anders als bei vielen heute populären Techniken wie Gefriertrocknung, Switching oder Vakuumdestillation benötigen Bartender lediglich ein kleines Edelstahlbehältnis und eine handelsübliche Gefriertruhe – denn freilich muss niemand gleich mit einem ganzen Bierfass anfangen. Statt finanzielle Eintrittshürden bewältigen zu müssen, bedarf es nur einer gewissen Erfahrung und Grundverständnisses für die Technik selbst. Entsprechend bediene sich bereits eine große Zahl der in der World’s 50 Best Bars-Liste vertretenen Betrieben dieses Verfahrens, plaudert McPherson mit Stolz aus dem Nähkästchen.

Kevin Kos, dessen internationale Plattform Cocktail Time with Kevin Kos zu einem regelrechten Internet- und Social-Media-Phänomen angewachsen ist, experimentiert gerne mit neuen Techniken. So hat er sich recht früh des aufkeimenden Sous-Pression-Microtrends angenommen und detailliert seine Experimente und Eindrücke geschildert. »Nehmen wir an, Sie haben einen Gefrierschrank zu Hause, dann brauchen Sie nur noch eine weitere Utensilie: irgendetwas, das dem Druck der sich ausdehnenden Flüssigkeit im Inneren standhält«, freut sich auch Kos über die massentaugliche Applikation ohne schmerzende Anschaffungskosten. Statt eines speziellen Bierfasses schlägt er gar den altbewährten iSi-Siphon als Alternative vor. »Entscheidend ist, dass man das Gesamtvolumen genau kennt, sodass bei der Zugabe des Cocktails – und beispielsweise der in Scheiben geschnittenen Weintrauben für die Infusion – wirklich kein Raum für die Ausdehnung der gefrierenden Flüssigkeit bleibt.« Auf diese Weise gehe die ganze Kraft nach innen, und kann sich nur in den Früchte entfalten, ähnlich wie bei einer Schnellinfusion oder in einer Vakuumkammer. »Sobald der Cocktail aufgetaut ist, kann man verkosten, wie die Komponenten miteinander verschmolzen sind. Mich fasziniert der weichere Geschmack«, umschreibt Kevin Kos seine sensorischen Empfindungen.

Zur Veranschaulichung der zahlreichen Sous-Pression-Versuche stellt Kos seine Interpretation von McPhersons Drink Sability vor. »Zunächst müssen wir das genaue Volumen unseres Behältnisses messen. Am einfachsten ist es, das kleine Edelstahl-Bierfass auf eine Waage zu stellen und es bis zum Rand mit Wasser zu füllen. In unserem Fall fasst das spezielle Fass ein Volumen von zwei Litern, aber ich gehe sicherheitshalber von 2,1 Litern aus. Mit dieser Zahl berechne ich dann die Gesamtmenge der Zutaten, um das Fass vollständig zu füllen. McPhersons Cocktailrezeptur verlangt ein Verhältnis von 45 ml Gin, 25 ml Wermut, 20 ml Sherry und 2,5 ml Maraschino. Dazu kommen für jede Portion 17,5 Gramm ›Sabel‹-Weintrauben oder andere süße, rote Trauben. Zudem rechne ich mit einer Verdünnung von zwanzig Prozent, also 18,5 ml, damit unser Cocktail leichter frieren kann. All dies ergibt ein Gesamtvolumen von 128 ml. Wenn wir also das Volumen unseres Fasses durch das Gesamtvolumen des Cocktails teilen, erhalten wir den Faktor, mit der wir die einzelnen Zutaten multiplizieren: 16,4«.

Basierend auf dieser Berechnung füllt Kos das Fass, verschließt den Deckel und stellt es für 48 Stunden in den Gefrierschrank. Um die Flüssigkeit vollständig auftauen zu lassen und der Infusion extra Zeit zur aromatischen Entwicklung zu geben, lässt sich Kos einen weiteren Tag Zeit, bevor das Fass geöffnet und der Drink filtriert wird. Durch die bereits miteinberechnete Verdünnung wird der Sability nur noch gekühlt direkt ins Gästeglas eingegossen. Auch die Abrundung eines Cocktails ohne Zugabe weiterer Aromaten haben Iain McPherson und Kevin Kos mittels Sous-Pression ausführlich getestet: »Der Alkohol und die Säure kommen dann viel harmonischer und runder daher«, stellt der schottische Cocktailerfinder fest.

Sous Pressed Manhattan
● 326 ml Maker’s Mark Bourbon
● 163 ml 9diDante Inferno vermouth
● 9 ml Angostura Aromatic Bitters
● 222 mlWasser

Kos verwendet die Maßeinheiten für die Gesamtmenge eines gekühlten und verdünnten Manhattans aus Dave Arnolds Buch Liquid Intelligence. Dies ergibt etwas mehr als 132 Milliliter bei einem finalen Alkoholgehalt von 24,6 Volumenprozent. Entsprechend sollte die Mischung bei etwa -15,5 Grad Celsius gefrieren. Ein handelsüblicher Haushalts-Gefrierschrank ist somit völlig ausreichend. Dazu misst er das Volumen eines iSi-Siphons mit 720 Milliliter, und teilt dies durch das Gesamtvolumen einer einzelnen Portion. 5,42 Manhattans passen in den Siphon. Mit dieser Zahl werden folglich alle Zutaten multipliziert.

Nach dem Vermengen der Zutaten werden sie in den Siphon gefüllt, fest verschlossen (freilich ohne eine Kartusche aufzuschrauben) und für 48 Stunden gefroren. Nach dem Auftauen und Abseihen wird der Drink erneut gekühlt, diesmal auf Serviertemperatur. Möchte man dem Manhattan noch eine zusätzliche Kirschnote verleihen, ganz im Sinne der traditionellen Garnitur, kann man die Früchte freilich auch unter Anwendung der Sous-Pression-Technik infundieren und anschließend als Beigabe zum finalen Cocktail servieren. Es versteht sich beinahe von selbst, dass es eine solche Manhattan-Variante ebenfalls bereits auf die Cocktailkarte des Panda & Sons geschafft hat.

Köche sollen auf die Bar schauen

Womit wir wieder am Anfang und beim kreativen Geist des Erfinders wären. Mit seiner Vorzeige-Bar in Edinburgh will Iain McPherson einen eiskalten Vorzeigebetrieb etablieren, in dem sämtliche Küchentechniken und Wärmeanwendungen eine entsprechende Alternative unter Verwendung von Unter-Null-Temperaturen finden. Sous Pression ist eine von vier gefrierbasierten Techniken, die in der Transcend-Getränkekarte des Panda & Sons zum Einsatz kommen. Sie ist das Ergebnis von jahrelanger Forschungsarbeit unter null Grad Celsius. Die Getränke auf der Karte sind in prozessgesteuerte Kapitel unterteilt, wobei die hauseigene Switching-Technik, Gefriertrocknung und »Kryokonzentration« die übrigen drei Rubriken bilden.

Gerade der Blick in die Sterneküchen der Welt ist fortwährende Inspirationsquelle für neue Applikationen am Tresen. Laut dem Chef-Panda findet sich am Herd eine Vielzahl spannender Techniken, jedoch größtenteils unter Hitzeeinwirkung. Dem gegenüber sieht er in der Bar einen stärkeren Fokus auf Gefriertechniken und reichlich Vorerfahrung mit Eis. »Bartender schauen sich immer die besten Köche der Welt an und fragen sich wie sie diese Techniken bei der Zubereitung von Drinks einsetzen können«, so McPherson, »wir haben so viele Arbeitsschritte aus der Küche übernommen.« Statt wie üblich Anleihen bei Spitzenköchen zu nehmen, sollen durch seine Gefrierkonzepte eben Bartender eine Vorreiterrolle einnehmen: »Wir können als Vorbild für die so bunte kulinarische Landschaft auftreten. Mein Traum, meine Motivation ist, dass eines Tages ein Spitzenrestaurant oder ein Spitzenkoch eine Bartechnik übernimmt und sie für seine Gerichte adaptiert.«

Ein ambitioniertes Ziel, aber die Herausforderung nimmt Iain McPherson gerne an. Mit einem kühlen Lächeln.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Print-Ausgabe 6-2023 von MIIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur. Für diese Wiederveröffentlichung wurde er formal adaptiert, aber inhaltlich nicht verändert. Information zur Bestellung einer Einzelausgabe findet sich hier, alles zu einem Abonnement hier

Credits

Foto: Tim Klöcker & Katharina Klanke

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