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Rémy Savage im Interview

„Ich möchte so viele Projekte verwirklichen wie nur möglich.“ Rémy Savage tüftelt weiter

Vor knapp drei Jahren hat Rémy Savage mit dem „A Bar with Shapes for a Name“ in London seine erste eigene Bar eröffnet, nun sind mit der „Bar Nouveau“ in Paris und dem „Abstract“ in Lyon zwei weitere gefolgt. Im Zentrum steht dabei immer die Auseinandersetzung mit einer Kunstrichtung, progressives Weiterdenken von Drinks und Techniken sind Grundvoraussetzungen im Hause Savage. Wie er das macht – und warum das noch lange nicht alles ist – verrät er im Interview.

MIXOLOGY: Lieber Rémy, wenn man das Entstehen des „A Bar with Shapes for a Name“, der sogenannten Bauhaus-Bar, von Anfang an beobachtet hat, von den Eröffnungsplänen, die durch Covid zunichte gemacht wurden, bis hin zur tatsächlichen Eröffnung, kann man sagen, das Ding geht jetzt durch die Decke. Die Bar hat nun zusätzlich einen Keller bekommen, und neben der Expansion in die Tiefe geht es auch in die Breite: Es geht weiter in Europa, also zumindest in Frankreich?

Rémy Savage: Na ja, wir sind eben Menschen, die gerne etwas zu tun haben und auch kreativ bleiben wollen. Ansonsten hätte man auch die gleiche Bar immer und immer wieder eröffnen können. Das finden wir aber nicht besonders interessant. Wir wollen eigentlich die Leute dazu bringen, mehr über Kunst zu sprechen, und nehmen als Vorwand dafür den Alkohol. Nachdem das mit London ganz gut funktioniert hat und wir auch sehr stolz auf die Beziehung sind, die die Menschen zum Bauhaus entwickelt haben, war für uns klar, dass wir auch einen Schritt weiter gehen wollen.

Die A Bar with Shapes for a Name orientiert sich in ihrer Farbsprache an Wassily Kandinsky
Die A Bar with Shapes for a Name orientiert sich in ihrer Farbsprache an Wassily Kandinsky

A Bar with Shapes for a Name

232 Kingsland Road
E2 8AX London

MIXOLOGY: Dieser nächste Schritt war dann die Bar Noveau in Paris, die unlängst eröffnet wurde.

Rémy Savage: Das Projekt dafür hatte ich schon lange, und es ist wirklich außergewöhnlich geworden. Das ist für uns jetzt ein halbes Jahr lang die beste Bar der Welt, dann kommen die Leute mit ihren Erwartungshaltungen, und das war’s dann eben.

MIXOLOGY: Die Bar Noveau ist sehr klein, und sie sieht auch ganz „noveau“ und neu aus, aber sie wirkt andererseits auch, als wäre sie schon immer da gewesen – und dann geht man nach unten und erlebt eine ganz andere Erfahrung.

Rémy Savage: Das war eine ziemliche Herausforderung, schon allein aufgrund der Größe. Was mir daran gefällt ist, dass wir zwei verschiedene Antworten auf dieselbe Frage erhalten: Weshalb berührt uns die Kunst der Renaissance immer noch, oder die des Kubismus? Weil es immer um die Frage geht, ob Kunst für die Gesellschaft hilfreich sein kann, denn die gesellschaftlichen Probleme wiederholen sich immer wieder, sie tragen nur andere Masken. Was berührt uns momentan am meisten, ob es die drohende Depression ist oder das, was mit der Natur vor sich geht – es ist die perfekte Zeit für dieses Projekt, weil es auch die Fragen stellt, die wir selbst vielleicht nicht genug stellen, bis es zu spät ist.

Der neue Keller des „Shapes“ in London dient auch als Gastraum
Der neue Keller des „Shapes“ in London dient auch als Gastraum
Die Savage'sche Hanschrift ist minimalistisch im Stil und maximalistisch im Detail
Die Savage'sche Hanschrift ist minimalistisch im Stil und maximalistisch im Detail

MIXOLOGY: Die Art Noveau, bei uns eher als Jugendstil bekannt, war ja auch eine Gegenbewegung zur Industrialisierung. Dabei hätte die Kunst auch andere Antworten angeboten: Du hättest nach Deutschland kommen und eine Bar Biedermeier eröffnen können. Angenehme Atmosphäre, bisschen plüschig, gemütlich …

Rémy Savage: Ach nein, damit kenne ich mich nicht aus.

MIXOLOGY: Stattdessen gibt es nach der Bar Noveau jetzt auch die Bar Abstract…

Rémy Savage: Ich komme aus Lyon, und ursprünglich sollte das keine Bar werden, sondern eine Destillerie, aber dann haben wir uns in den Ort verliebt. Ein bisschen wie das Flatiron Building in New York, mit unglaublichem Lichteinfall in jedem Winkel, wahnsinnig schön, surreal, ein Ort wie aus einem Film noir. Dann haben wir überlegt, ob wir neben der Destillerie auch ein paar Plätze zum Verkosten anbieten, wie es das in anderen Brennereien ja auch gibt. Und dann haben wir gesagt, machen wir doch gleich Nägel mit Köpfen und bauen mit dieser retro-futuristischen Atmosphäre etwas im Geist der abstrakten Kunst, eine Bar, ein Restaurant … es ist ein Bistro geworden, genau, ein Bistro. Es ist so ein kraftvoller Ort geworden, so wunderschön… du würdest es lieben.

MIXOLOGY: Aber so wie ich dich verstehe, wird auch das nicht das Ende sein für dich. Du bist immer so voller Tatendrang, hast immer Pläne, bist immer beschäftigt, und funktionierst offenbar auch unabhängig von Schlaf und anderen menschlichen Bedürfnissen.

Rémy Savage: Ach was. Man muss es bloß schaffen, dass die anderen die ganze Arbeit machen und man selbst den Ruhm erntet.

»Ich habe ein Riesenglück, weil ich ganz genau weiß, was ich machen will. Ich will Bars auf der Grundlage von Kunst eröffnen, und ich will, dass die Leute dazu eine Beziehung aufbauen, die anders ist als in der Schule.«

— Rémy Savage

Die Bar Nouveau ist namentlich wie inhaltlich an die Art Nouveau angelehnt, den Jugendstil
Die Bar Nouveau ist namentlich wie inhaltlich an die Art Nouveau angelehnt, den Jugendstil

Bar Nouveau

5 Rue des Haudriettes
75003 Paris

MIXOLOGY: Großartiger Ratschlag! Aber ich habe auch einen Instagram-Post von dir gesehen, wo du noch weitere Kunstrichtungen erwähnt hast, die eine eigene Bar verdient hätten – Impressionismus, Kubismus, Fauvismus, Expressionismus … und ich dachte bei mir, dass du das vielleicht sogar ernst meinst! Du könntest all das noch machen wollen!

Rémy Savage: Aber natürlich! Ganz klar, dass ich das mache! Ich habe das gefunden, was ich gerne mache! Schau mal, wenn ich meine kleine Schwester nehme, die ist in ihren Zwanzigern, und es ist eben manchmal gar nicht leicht, das zu finden, was man denn eigentlich machen will. Ich habe ein Riesenglück, weil ich ganz genau weiß, was ich machen will. Ich will Bars auf der Grundlage von Kunst eröffnen, und ich will, dass die Leute dazu eine Beziehung aufbauen, die anders ist als in der Schule. Ich will, dass die Leute begreifen, dass Kunst cool ist. Also bin ich in einer sehr glücklichen Lage, und ich werde so viel von diesen Projekten verwirklichen, wie nur irgend möglich ist.

MIXOLOGY: Was ich unglaublich gerne von dir sehen würde, wäre eine „Brutalist Bar“ in London, also eine Bar im Sinne des Brutalismus.

Rémy Savage: Weißt du, dass wir genau deswegen ganz viel diskutiert haben, weil das die Bar wäre, die Paul (Lougrat, Geschäftspartner von Rémy Savage, Anm. des Verf.) gerne hätte? Es ist sehr gut möglich, dass das noch passieren wird.

Paul Lougrat und Rémy Savage: Powerduo mit Soft Skills
Paul Lougrat und Rémy Savage: Powerduo mit Soft Skills
Die Bar Nouveau sorgt seit dem 1. Juni 2023 für eine neue Formensprache in Paris
Die Bar Nouveau sorgt seit dem 1. Juni 2023 für eine neue Formensprache in Paris

MIXOLOGY: Tatsächlich?

Rémy Savage: Im Grunde erweitern wir die Idee der Bauhaus-Schule, eine kleine Spielwiese, aber eine Brutalism Bar, im Barbican Centre – stell dir mal vor, wie toll das wäre. Keiner mochte den Brutalismus, dabei ist es doch eine so faszinierende Richtung und auf seine Weise auch wunderschön – und andererseits öffnet man in dem Augenblick, in dem man nur auf allgemeine Zustimmung und gesellschaftliche Akzeptanz setzt, allen möglichen anderen Dingen Tür und Tor. Ich habe einfach Spaß an meinem Beruf, weil ich viel dabei lerne und ausprobieren kann. Ich komme eigentlich aus der Philosophie, und ich würde nicht von mir behaupten, ein besonders geschulter Kunstkenner zu sein. Von der Philosophie aus aber zu fragen, weshalb man im Brutalismus so vorgeht, nämlich weil ein gesellschaftliches Problem besteht, weil ein Bedarf da ist, weil die Menschen wohnen müssen, dass dann die Form der Funktion folgt … Es ist auch witzig zu sehen, dass im Ergebnis der sowjetische Konstruktivismus ganz ähnlich aussieht, obwohl der Anspruch und auch der Raum, der dem Individuum eingeräumt wird, ganz unterschiedlich sind, also, das ist einfach so was von cool.

»Wir haben jetzt an drei Wochenenden in Folge unser jeweils bestes Ergebnis getoppt. Vor zwei Wochen hatten wir den ersten Abend mit über 1000 verkauften Cocktails – also, das Shapes läuft.«

— Rémy Savage

„Mit unglaublichem Lichteinfall, schön, surreal, ein Ort wie aus einem Film noir.“ Rémy Savage über das Abstract

Abstract

2 Rue Duroc
69001 Lyon Frankreich

MIXOLOGY: Und die Wahrnehmung der Menschen ändert sich auch. Der Trellick Tower in London war immer ein abschreckendes Beispiel, und mittlerweile reißen sich die Menschen darum, da leben zu dürfen. Der Anblick wächst einem ans Herz, und irgendwie ist er so hässlich, dass er schon wieder schön ist.

Rémy Savage: Genau darum geht es: Ist er wirklich hässlich oder schön, oder ist er einfach nur die Antwort auf eine Frage? Natürlich ist der Mailänder Dom hübscher, aber darauf kommt es im Grunde nicht an. Wer definiert schon Schönheit. Darum geht es nicht.

MIXOLOGY: Möglicherweise findet man den Mailänder Dom irgendwann sogar ein bisschen kitschig. Kommt vermutlich aufs Alter an.

Rémy Savage: Genau. Und dann wiederum ist die Frage gar nicht so wichtig, was da gebaut wurde, sondern warum es gebaut wurde. Das ist der Spielraum für uns. Wir werden in London eine weitere Bar eröffnen, aber die wird noch nichts mit Brutalismus zu tun haben.

Das Abstract in Lyon ist ein Cocktailbistro geworden
Das Abstract in Lyon ist ein Cocktailbistro geworden

MIXOLOGY: Dann sind wir mal auf das Weitere gespannt. Bar Abstract ist offen, ebenso Bar Noveau, das Shapes hat in den Keller expandiert. Musstest du dir für diese Unternehmungen neue Partner suchen?

Rémy Savage: Nein. Das ist tatsächlich eine große Sache für uns: mit niemandem zusammenarbeiten zu müssen außer mit uns selbst. Wir benötigen kein fremdes Geld. Das Shapes wollten wir ja auch wegen der damit verbundenen Spätlizenz haben, und ich habe immer gesagt, und das nur halb im Scherz: um da Erfolg zu haben, muss man nicht mal gut sein, es reicht, wenn man offen hat. Wir haben bis vier Uhr früh geöffnet, und da ist es recht einfach für uns, zweimal ein volles Haus zu haben. Es ist schon schön, dass das sofort ein Erfolg war, und momentan ist bei uns mehr los denn je. Wir haben jetzt an drei Wochenenden in Folge unser jeweils bestes Ergebnis getoppt. Vor zwei Wochen hatten wir den ersten Abend mit über 1000 verkauften Cocktails – also, das Shapes läuft. Wir haben ein Lagerhaus, aus dem unser Eis kommt, und da haben wir uns soeben entschieden, das der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um auch dort einige Dinge zu hinterfragen: Wie teuer muss ein Cocktail sein, was kann man einsparen, wenn man auf alles verzichtet, das mit Service zu tun hat, welche Geschmacksstrukturen funktionieren ohne Eis, beinahe im Stil eines Automatenrestaurants – das könnte schon ziemlich witzig sein. Es wäre also eine neue Erfahrung, aber wir entwickeln ohnehin ständig neue Drinks, warum also nicht auch in dieser Richtung.

MIXOLOGY: Wann ist die Eröffnung geplant?

Rémy Savage: Das könnte schon im Dezember so weit sein. Ich lass es dich wissen!

Früher gab es hier Brot und Tabak, heute die besten Cocktails von Lyon
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Wie der Drink heißt, wissen wir nicht, aber man sollte ihn definitiv probieren
Wie der Drink heißt, wissen wir nicht, aber wir wissen, dass man ihn definitiv probieren sollte

MIXOLOGY: Dezember ist ja auch wieder von der Konkurrenz her ruhiger; im Augenblick ist ja auch alle paar Tage etwas anderes: Bar Convent Berlin, World’50 Best-Verleihung in Singapur, London Cocktail Week, andere Messen, dann die Athens Bar Show…

Rémy Savage: Ja, ich halte mich da gerade etwas zurück. Momentan habe ich das Gefühl, dass ich vor Ort mehr gebraucht werde, als mir woanders das Ego streicheln zu lassen. Ich habe hier einfach Dinge zu erledigen, und das kostet zu viel Zeit. Dafür ist das jetzt eine schöne Gelegenheit für das Team, für die Jugend, das alles einmal zu sehen.

MIXOLOGY: Der BCB war 2021 in gewisser Hinsicht auch für die Geschichte der Bauhaus Bar ein damaliger Meilenstein: die Nachwehen von Covid, der Umzug der Messe, vielfach Zurückhaltung unter den Ausstellern – und ihr habt das alles ganz allein bespielt und konntet glänzen.

Rémy Savage: Ja, das war toll, und wir denken daran gerne zurück. Wir haben seit Jahren eine gute Beziehung zum BCB und uns da auch schon etliche Male präsentiert, aber einen ganzen Bereich allein bespielen zu dürfen, auch mit dem passenden Mobiliar aus dieser Epoche, das war schon etwas Besonderes.

MIXOLOGY: Aber jetzt arbeitest du weiter fleißig an der Weltherrschaft. Vielen Dank für das Interview, und bis bald in London – oder in Paris, Lyon oder sonst wo!

Credits

Foto: Rémy Savage

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