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Birra Bar: La deutsche Vita

Die neu eröffnete Birra Bar im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg versorgt die Hauptstadt mit italienischem Bier abseits von Peroni und Moretti. MIXOLOGY ONLINE mit einem Lokalaugenschein der vielversprechenden Craft Beer-Bar, in der Rom, Mailand und Berlin zusammen wachsen.

Das nach der Partyzeit mit Massenbier und Litercocktails in den Neunzigern babyberuhigte Nachtleben des Prenzlauer Bergs ist auch dank Craft Beer wieder im Aufwind. Biertechnisch hat der Kiez jedenfalls enorme Sprünge nach vorne gemacht. Die Kulturbrauerei richtet ein Craft Beer-Festival aus, eine alte, verrauchte Rockerkneipe wie die Monterey Bar wird plötzlich zum Bier-Mekka, und eher teure Gastrokonzepte wie das Salt n Bone funktionieren dank hohem Durchschnittseinkommen der Anwohner. Selbst eine für Trans&Burlesque-Shows bekannte Bar wie das Zum Starken August begeistert mit einer durchdachten Bierauswahl.

Deutsche Kneipe mit italienischem Inhalt

Das Birra ist also der Neuling in dieser vibrierenden Bierwelt. Es ist nur einen Bierhumpenweitwurf von der bereits erwähnten Monterey Bar entfernt: Einmal die Danziger  Straße runter bis zur Kreuzung, über die Prenzlauer Allee stadteinwärts und schon steht man vor … einer deutschen Kneipe.

Klar, das Holzdekor weist auf gewisse Hipstereinflüsse hin, aber “Italia!” schreit hier erstmal nichts. Nach dem Durchschreiten der Pforte steht man direkt im Schankraum, rechts zieht sich ein Schlauch mit Sitzgelegenheiten nach hinten. Dunkles Weinrot bestimmt die Atmosphäre, allenthalben sieht man historische Bierseidel. Die ersten Gläser, die ins Auge stechen, sind halbe Liter für Weizenbier. Die Tische haben definitiv schon einigen Generationen von Biergläsern als Abstellfläche gedient, und der grauhaarige Herr mit dem Pferdeschwanz links am Fenster ist bestimmt ein Prenzlberg-Original.

Dann jedoch dreht der Herr sich um, ruft etwas auf italienisch in Richtung Bar, und plötzlich ist man in einer anderen Welt. Das gesamte Personal ist, abgesehen von einer Deutschen (der in der Berliner Bierwelt schon recht bekannten Mena Koller), aus Italien, die Biere an den 16 Zapfhähnen sind zu diesem Zeitpunkt fast vollständig belegt, mit 13 Lambrate-Bieren. Dies wird auch so bleiben, sagt der Herr mit dem Pferdeschwanz. Bei ihm handelt es sich um Manuele Colonna, Brauer & Gründer der Römer Bier- und Fußballbar “Ma Che Siete Venuti A Fa’”. Den Namen, der einem Fangesang entspringt, vereinfachen auch die Italiener gern zu “Macche”. Colonna gibt sich enorm respektvoll: “Wir sind nicht gekommen, um euch zu zeigen, wie man richtig braut, sondern um die Berliner und die deutsche Bierkultur um unsere Perspektive zu bereichern.”

Triumvirat della Birra


Komplettiert wird Colonna von Alfonso Strianese, seines Zeichens Gründer der Bir&Fud-Bar und quasi ein Nachbar des “Macche”, sowie Giampaolo Sangiorgi, Gründer von Birrificio Lambrate selbst. Das römisch-mailändische Triumvirat bringt also genügend Gastroerfahrung mit, um zu wissen, worauf sie sich im schnelllebigen Berliner Gastronomiegewerbe einlassen. Essenstechnisch werden sie zudem unterstützt von Marco d’Amato, welcher sich um die Antipasti und Cicchetti, Vor- und Zwischenspeisen nach italienischem Vorbild, kümmert. Diese kommen extra aus dem Piemont und der Lombardei, und wenn die Qualität der Vorverkostung im täglichen Betrieb gehalten werden kann, sind sie für sich schon fast einen Besuch wert. Fast, denn eigentlich geht es ja ums Bier.

Session Doppelbock

Ein Wortspiel für “La Dolce Vita” als Titel für einen Artikel über ein italienisches Genussmittel zeugt nicht gerade von überbordender Originalität, mag sich mancher Leser eingangs gedacht haben. Wer dennoch weitergelesen hat, dem sei versichert: Im Bezug auf die Biere von Lambrate zeigt sich das süße Leben ganz klar. Die meisten fallen runder, weicher und eben süßlicher aus als man es von den Geschossen aus den Craft-Kanonen gewohnt ist. Zudem werden einige nach englischem Vorbild per Hand aus dem Fass gepumpt. Das bedeutet weniger Kohlensäure und dadurch nochmals erhöhte Trinkbarkeit. Was bei einem leichten Golden Ale wie dem “Ortiga” durchaus gewünscht ist, kann beim Bockbier “Lambrate”, übrigens wie die Brauerei selbst nach einem Mailänder Stadtteil benannt, schnell den ungeübten Zecher Bekanntschaft mit dem Boden machen lassen.

In Zukunft werden auch einige Gastbiere ihren Weg an den Hahn finden, jedoch nicht im großen Stil, verrät Colonna: “Wir möchten die Vielfalt von Lambrate darstellen. Natürlich werden wir auch andere Biere von befreundeten Brauereien an den Hahn nehmen, das Standardsortiment wird aber von Lambrate kommen. Da bietet sich schon einiges an Auswahl an.” Da hat er sicherlich recht, denn von Pilsener über Rauchbock bis Imperial IPA findet sich alles. Eine Veranstaltung mit italienischen Sauerbieren soll Ende Juli diesen hier noch unbekannten Teil der italienischen Bierkultur eröffnen, und die zahllosen Etikettenplakate, die eine Wand des Birra verzieren, zeigen, dass auch bei Lambrate das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist.

Der nächste Schritt – Craft Beer mit Fokus

In einer Stadt, in der momentan monatlich ein Unternehmen mit Craft Beer-Bezug gegründet wird, monatlich eine neue Brauerei oder eine neue Craft-Kneipe eröffnet, ist die Versuchung groß, Birra einfach nur als das nächste Craft-Ding zu sehen, dass sich kurzer Popularität erfreuen und dann in den Schlund der Vergessenheit abrutschen wird. Doch auch wenn das Birra vor diesem Schicksal keineswegs gefeit ist, so steht es doch für eine neue Evolutionsstufe in der Biergastronomie. Was sich beim Kaschk mit seinen skandinavischen Tendenzen bereits andeutete, vollzieht das Birra nun vollständig: Craft Beer mit Spezialisierung, nicht mehr Craft Beer allgemein. Inzwischen ist die Szene so groß, so vielversprechend, dass erfahrene Gastronomen es für möglich halten, sich selbst im Segment Craft Beer noch zu beschränken, vielleicht gerade das zu einer Stärke auszubauen und sich so eine einzigartige Atmosphäre irgendwo zwischen deutscher Kneipe und italienischer Lebensfreude zu verschaffen, der sich der Berliner nicht entziehen kann. La notte porta consiglio – Die Nacht bringt Rat.

Credits

Foto: Brandenburger Tor & Ital. Flagge & Flasche via Shutterstock. Postproduktion: Tim Klöcker.

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