Will der nur spielen? Der Alabama Slammer
Es gibt diese nicht näher definierte Riege an Drinks, die zumindest namentlich jedem, aber wirklich jedem Menschen bekannt sind, der irgendwann irgendwie mal eine gewisse Zeit lang beruflich mit der Bar zu tun hatte. Ein paar Monate als Barback in irgendeiner Provinzbar reichen aus, und man kennt sie. Ob man sie je gemixt hat, ist da zweitrangig. Aber man hat von ihrer Existenz gehört, und sei es nur, weil Gäste nach diesem oder jenem ominösen Cocktail fragen, der nicht auf der Karte steht, den sie genau hier aber vor 17 Jahren mal bestellt haben. Von so einem Drink wollen wir heute sprechen. Vom Alabama Slammer.
Der Begriff „Cocktail“ ist für den Alabama Slammer vielleicht schon zu weit gegriffen, zumindest, wenn man einen strengen definitorischen Rahmen anlegt. Immerhin sprechen wir von einem Getränk, das sich in seiner bekanntesten Version aus Southern Comfort, Sloe Gin, Amaretto und Orangensaft zusammensetzt. Mixologische Realness klingt anders. Auch der Output, den YouTube unter dem Suchbegriff anbietet, ist nur bedingt wertig. (Zumindest lernt man durch den Suchvorgang, dass der aus Alabama stammende, ehemalige Boxweltmeister Deontay Wilder scheinbar manchmal so genannt wurde.)
Vor allem aber ist der Alabama Slammer – ob das nun Fluch oder Segen sei – ein Drink, den die meisten Menschen primär mit der so lächerlichen wie epochalen Hollywood-Bar-Schnulze Cocktail aus dem Jahr 1988 verbinden. Denn Barmann Brian Flanagan, gespielt von Tom Cruise, inkorporiert in diesem Film den Alamaba Slammer in sein berühmt gewordenes Last Barman Poem, das möglichst viele Drinknamen gereimt miteinander verbindet. So weit, so gut, denkt man sich und geht einen Negroni rühren. Oder zumindest einen Amaretto Sour schütteln.
Alabama Slammer
Zutaten
4,5 cl Whiskeylikör
1,5 cl Amaretto
1,5 cl Sloe Gin
1,5 cl frischer Zitronensaft
4 cl frischer Orangensaft
Der Alabama Slammer weckt Beschützer-Instinkt
Doch ist es nicht unfair, in Herrenmenschenweise auf einen Drink hinabzublicken, der – so fair muss man sein – wahrscheinlich bis heute von mehr Leuten getrunken wird als alle Sazeracs, Manhattans und Vieux Carrés zusammen? Nein, eigentlich nicht. Das ist durchaus fair. Sonst kann man auch zum Frühstück wieder getrost Schmelzkäse aufs Weißbrot schmieren, eine Scheibe Cervelatwurst drauflegen und Froot Loops als Nachtisch anbieten. Immerhin sprechen wir von einem Getränk, das mutmaßlich während der frühen 1970er in einer Bar nahe der University of Alabama in Tuscaloosa (da, wo Forest Gump einst einer farbigen Studentin ein heruntergefallenes Buch gereicht hat) als astreiner Saufdrink erdacht worden ist. Einem Getränk, das traditionell gern pitcherweise gemixt und dann von Gruppen shotweise gesoffen wird, so wie etwa in der berüchtigten Franchise-Kette TGIF.
Aber auch der dogmatischste Bartender oder Cocktail-Journalist hat manchmal Tage, an denen ein bestimmter Beschützer-Instinkt in ihm erwacht. Ein Instinkt, der sagt: Dieser Drink ist eigentlich gar kein Schrott, sondern er leidet seit Jahrzehnten darunter, dass er mit den falschen Zutaten gemixt und im falschen Kontext getrunken wird. Stichwort nochmal: Amaretto Sour.
Ein Drink mit drei Likören
Natürlich: Denkt man an die Sloe Gins, Whiskyliköre und Amaretti zurück, die in der absoluten Talsohle des dunklen Cocktailzeitalters um 1970 herum so in den Bars gestanden haben dürften, könnte dieser Artikel hier dann auch aufhören. Dazu ein Fruchtsaftgetränk (offizielle Verkehrsbezeichnung!) mit Orangengeschmack aus dem Gallonenkanister, und man hat genug gehört. Prädikat „stets bemüht“ und gut ist. Doch so einfach wollen wir es uns nicht machen.
Denn der Alabama Slammer, er kann mehr. Oder? Muss er! Und das Gute an dieser künstlich aufgeblähten Debatte ist: Wenn wir es mit einem Drink zu tun haben, der ohnehin alles andere als ein Heiligtum ist und auch in seiner Urform tatsächlich keine einzige Zutat enthält, die wirklich aus Alabama kommt – dann haben wir die Freiheit des Experimentierens auf unserer Seite. Also los!
Grundsätzlich gilt: Von den vielen kursierenden Rezepten, die ausschließlich auf Orangensaft als Säurequelle setzten, sollte man Abstand nehmen. Immerhin haben wir es mit einem Drink zu tun, der auf Spirituosenseite von drei Likören bespielt wird. Orangensaft allein, selbst wenn man eine eher säuerliche Sorte nimmt, kann da nicht gegenhalten. Es empfiehlt sich also eher jene Grundrezeptur, wie sie u.a. beim Diffordsguide vorgeschlagen wird, nämlich mit einem Anteil Zitronensaft.
Es darf probiert werden
Für unsere Testreihe reduzieren wir aber den frischen Orangensaft auf 4 cl und fügen 1,5 cl frische Zitrone hinzu. Beim Sloe Gin kam jener von Elephant Gin zum Einsatz, ein sehr harmonischer und würziger Typus, als Amaretto der wahrscheinlich aktuell einzigartige Adriatico, der seit einiger Zeit auch hierzulande erhältlich ist. Von beiden wurden jeweils 1,5 cl pro Drink vermixt. Als Hauptlikör standen folgende Qualitäten auf dem Tisch, die mit 4,5 cl in die unterschiedlichen Alabama Slammer kamen: Southern Comfort Black (die würzigere Variante mit höherem Alkoholgehalt), der bayerische Slyrs Vanilla & Honey sowie der moderne schottische „Whisky Amaro“ von Sweetdram. In einem letzten Versuch wurde der Likör dann schließlich noch durch einen milden Bourbon ersetzt und der Drink somit eher in Richtung eines klassisch erweiterten Sours gerückt.
Die Version mit „SoCo“ lässt aromatisch dem Ameretto sehr viel Raum und duftet voll nach Marzipan, aber auch viel Brioche sowie etwas Pfirsich und Pflaume. Er ist angenehm säuerlich, mit schöner, fruchtiger Bitterkeit und überhaupt insgesamt sehr saftig. Zunächst eher dominiert durch die Orange, schieben sich nach einiger Zeit ergänzende Nuancen von Kirsche und Eukalyptus hinzu. Ein zwar leichter, aber alles andere als beliebiger Drink mit tollem Schmelz.
Der „Bavarian Slammer“ mit Slyrs hingegen mutet in der Tat ein wenig an wie ein fast weihnachtlicher Scotch Sour: Sehr viel süße Gebäcknoten von Mandel, Zimt, Vanille und Buttercreme zeigen sich, wozu der zestige Orangenton toll passt. Auch er ist im Mund sehr saftig-süffig, fast ein wenig schlank und flüchtig. Eingefleischten Sour-Trinkern wird er etwas zu schwach und eindimensional sein. Dadurch, dass sich der Sloe Gin rasch besser in den Vordergrund schiebt, wird der Drink aber durch die Kombination mit den adventlichen Noten zu einem wirklich gut geeigneten Einstiegsdrink vor dem Weihnachtsdinner. Oder danach.
Ein unglaublich interessante, aber hochgradig spezielle Variante
Das Rezept mit dem Sweetdram Whisky Amaro aus Edinburgh scheidet definitiv die Geister. Aufgrund seiner extrem satten Würzigkeit und vielen deftigen, teils leicht vegetabilen Anklängen dürfte schon das Produkt selbst nur geübten Genießern mit entsprechenden Vorlieben zusagen. Gleiches gilt für die Slammer-Variante mit ihm. Der Duft ist medizinal und erdig-würzig, schon leicht an einen Fernet erinnernd. Dazu gesellen sich die erwähnten vegetalen Töne und mit der Zeit Spuren von gerösteten Nüssen. Auf der Zunge extrem komplex und kraftvoll bitter, aber eben mit den sehr spezifischen, erwähnten Tönen, die nun um etwas Rauch ergänzt werden. Großzügiges Abzesten mit Orange gibt ihm einen Hauch mehr Leichtigkeit. Ein unglaublich interessanter, aber hochgradig spezieller Drink, der sich in etwa so anfühlt wie der allererste Last Word damals vor elf oder zwölf Jahren.
Zu guter Letzt noch der etwas vom Original abschweifende Test mit einem milden Bourbon, also einer Basisspirituose im klassischen Sinne. Was soll man sagen? Natürlich hat dieser Drink von allen vieren am ehesten den charakteristischen Schwung und die aromatische Crispness eines Sours. Amaretto, Sloe Gin und Whiskey vereinigen sich zu einem sehr dichten Duft von buttrigem Karamell, Vanille, Konfitüre, etwas hard spice, Toastbrot und sogar einem Hauch Fliederbeere. Diese Intensität zeigt sich auch am Gaumen, wo die Spannung aus der eleganten orangigen Säure und dem Whiskey sehr schön durch den Amaretto überbrückt wird. Natürlich mit Blick auf die DNA nur noch bedingt ein Alamaba Slammer, aber eben dennoch ein Cocktail, der mit dessen Kernzutaten arbeitet.
Ein Alabama Slammer, wie er Brian Flanagan gefallen würde
Ein Säulenheiliger des ernsthaft-hochgestochenen Bar-Handwerks wird der Alabama Slammer sicherlich nie werden. Das will er aber wahrscheinlich auch gar nicht. Er will eher nur spielen, aber das kann durchaus auch auf einem anderen Niveau als bei seiner Entstehung ablaufen. Damit er auch künftig ab und an auf einer Cocktailkarte auftaucht und Gäste wie Barleute seinen Namen nicht vergessen. Das würde auch Brian Flanagan überhaupt nicht gefallen.
Credits
Foto: Sarah Swantje Fischer