Bourbon Milk Punch: Saulecker und alles andere als klarifiziert
„If all you have is a hammer, everything looks like a nail.” Dieser Satz, der das sogenannte Law of the instrument erläutern soll, geht auf den Psychologen Abraham Maslow zurück und wurde deshalb auch als Maslows Hammer bekannt. Ihm liegt die Beobachtung zugrunde, dass Menschen, die mit einem Werkzeug (oder einer Vorgehensweise) gut vertraut sind, dazu neigen, dieses Werkzeug selbst dann zu benutzen, wenn ein anderes Werkzeug besser geeignet wäre.
Dieses Phänomen war in den vergangenen Jahren auch an der Bar mehr als einmal wahrzunehmen. Sous-Vide zum Beispiel. Etwa um 2015 herum wurde alles, was nicht bei Drei auf dem Baum war, vakuumiert und anschließend in einem Thermalisierer gebadet. Zuletzt war es nun der Milk Punch – genauer gesagt: der mit Hilfe von Milch klarifizierte Punch –, der, um es vorsichtig auszudrücken, etwas überstrapaziert wurde.
Heute soll es wieder einmal um einen Milk Punch gehen, aber um einen, bei dem die Milch in ihrer Gänze, quasi nicht im Stealth-Modus, sondern als einer der Stars der Show zum Einsatz kommt. Ganz easy. Und lecker.
Bourbon Milk Punch
Zutaten
4 cl Bourbon (nicht zu kräftiger Natur, sprich keine Bonded-Qualitäten)
7,5 cl Vollmilch
2,5 cl Marshmallow syrup*
Morgens halb Zehn in Louisiana
Hach! Ein Milk Punch! Ein wunderbarer Frühstücks- oder Brunch-Drink, in jedem Fall zumindest, wenn man sich gerade in New Orleans befindet. Der letzte Sazerac liegt einige Stunden zurück, man ist ausgeschlafen, sitzt, während man frisch gebackene, großzügig mit Puderzucker bestäubte Beignets frühstückt, auf einer Veranda, die Sonne scheint, vom Lake Pontchartrain weht eine warme Brise herüber, man hat heute keine Termine und der Tag liegt in seiner ganzen Pracht noch vor einem. In solch einem Moment wäre es angemessen, einen Bourbon Milk Punch zu bestellen.
Drunken Cows and other foolish things
Bereits bei Jerry Thomas finden sich mehrere Milk-Punch-Rezepte: ein heißer und ein kalter Milk Punch (die sich mehr oder weniger nur durch ihre Serviertemperatur unterscheiden), ein Egg Milk Punch (bei dem es sich um nichts anderes als einen Eggnog handelt) sowie einige mit Milch geklärte Punches.
Dabei ist es wichtig zu verstehen: Es handelt sich bei den drei erstgenannten trotz des Wortes „Punch“ nicht um Communal Drinks, die in höherer Quantität hergestellt und/oder in einer Punchbowl serviert werden, sondern um Drinks für jeweils eine Person, die unmittelbar nach ihrer Zubereitung getrunken werden sollten. Im Fokus unseres Interesses steht der kalte Milk Punch (ohne Ei).
Thomas‘ Rezept (noch ohne Bourbon) lautet:
Milk Punch.
(Use large bar-glass.)
Take 1 table-spoonful of fine white sugar.
2 table-spoonfuls of water.
1 wine-glass of brandy.
½ wine-glass of Santa Cruz rum.
⅓ tumblerful of shaved ice.
Fill with milk, shake the ingredients well together,
and grate a little nutmeg on top
Jerry Thomas, Bartenders Guide (1862)
Strammes Rezept, Herr Professor! Je nach Größe des Glases kann die Spirituosenmenge ohne schlechtes Gewissen angepasst – sprich etwas reduziert – werden. Wäre sogar vernünftig und deshalb ratsam, denn wir haben es mit einem Wolf im Schafspelz zu tun. Holzauge sei wachsam! Das legte die Tageszeitung Brooklyn Eagle bereits schon vor 150 Jahren ihren Lesern nahe. Über den Milk Punch war dort 1873 zu lesen: „the surest thing in the world to get drunk on, and so fearfully drunk, that you won’t know whether you are a cow, yourself, or some other foolish thing.”
Nicht nur bei Jerry Thomas wurde der Milk Punch zunächst mit den im 19. Jahrhundert populären Spirituosen Brandy (gemeint ist natürlich Cognac) und Rum zubereitet. Erst im beginnenden 20. Jahrhundert löste Bourbon Cognac und Rum als favorisierte Zutat allmählich ab. Harry Johnson bringt Whiskey dennoch bereits 1882 zumindest als denkbare Zutat ins Spiel:
MILK PUNCH.
(Use a large bar glass.)
¾ tablespoonful sugar;
⅓ glass of fine ice;
1 wine glass of brandy; Martel;
½ wine glass of St. Croix rum;
Fill the glass with rich milk, shake the ingredients
together, strain into a fancy bar glass, grate a little
nutmeg on top and serve.
Bartenders must understand that these prescriptions for mixed drinks are strictly and exclusively first-class; therefore, if a bartender works in a place which is not first-class, and is not getting a high price for his drinks, he must use his own judgement about the ingredients, in order not to sell his drinks without profit. For instance where I say brandy in this mixed drink, whiskey would have to be taken in place of it, and where the prescription calls for St. Croix rum, take Medford rum, etc. These would be proper ingredients where a low price is charged for a milk punch.
This illustration will answer for all other drinks.
Harry Johnson, Bartenders’ Manual (1882)
Nicht nur als wohlfeiler Ersatz, sondern als ebenbürtige Option wird Whiskey dann erstmals im The Picayune’s Creole Cook Book von 1906, einem Kochbuch aus New Orleans, genannt. Dort findet sich folgendes Rezept für einen Ponche au Lait:
A Glass of Good, Rich Milk.
1 Tablespoonful of Sugar.
1 Tablespoonful of Brandy or Whisky. [sic]
A Small Quantity of Crushed Ice.
Dissolve the whisky or brandy and sugar together, mix well, and pour over the milk. Add a small quantity of crushed ice and serve.
Bei Jaques Straub tauchen schließlich Bourbon, Cognac und Rum zusammen in einem Milk-Punch-Rezept auf – und zwar bereits mit einer klaren Gewichtung auf dem Bourbon.
Milk Punch
1 barspoonful sugar.
2/3 jigger bourbon.
1/3 jigger French brandy.
1 dash rum.
Fill mixing glass with fresh, rich milk. Shake
well. Strain in lemonade glass and serve
little nutmeg on top.
Jaques Straub, Drinks (1914)
Bourbon Milk Punch geht nur mit Vollmilch
Eine Frage, die sich mir beim Studium obiger Rezepte aufdrängte, lautete: „Wieviel Milch denn genau?“ – „Fill up“ ist keine sonderlich präzise Mengenangabe! Eine probate Regel, die ich für mich ermittelt habe und die sich nach eigenem Gusto anpassen lässt, lautet: etwa doppelt so viel Milch wie Spirituose.
Wie immer gilt dabei natürlich: Man bediene sich nur allerbester Qualität! Das bedeutet: Milch von glücklichen Kühen, die ein schönes Leben haben und natürlich heißt das: Vollmilch! Ordentlich Fett sollte sie haben, 3,8 % mindestens! Keine wässrigen Diät-Faxen, sondern cremiger, vollmundiger Eutersaft allererster Güte!
Keine Sahne allerdings, das wäre zu viel des Guten, erzeugt viel zu schnell Bauchweh und macht es unmöglich, an einem langen, von süßer Unvernunft geprägtem Vormittag etwas mehr davon zu trinken.
Und nein, keine Soja-, Mandel- oder sonst eine pflanzliche Milch! Tut mir leid! Für all jene, denen Laktose-Konsum leider nicht vergönnt ist, die es aber dennoch cremig mögen, widmen wir uns irgendwann einmal vielleicht dem Atholl Brose.
Das Ziel des Bourbon Milk Punch ist eine zarte Textur
In modernen Milk-Punch-Rezepten findet sich fast immer Vanille-Extrakt als weitere Zutat. Dem liegt vermutlich zugrunde, dass es sich bei dem von Thomas und Johnson genannten Santa Cruz (bzw. St. Croix) Rum um ein Destillat der Jungferninseln handelt, das recht deutliche Vanillenoten aufwies.
Und tatsächlich leistet Vanille als Aroma in dem Drink einen wunderbaren Beitrag, komplettiert ihn auf gewisse Weise sogar erst! Dennoch gefällt mir die Idee der Zugabe eines konzentrierten Extrakts irgendwie nicht so gut – warum keine frische Vanilleschote?
Statt eines neutralen Zuckersirups (der die Zubereitung des Drinks verglichen mit dem im 19. und frühen 20. Jahrhundert verwendeten Streuzucker ohnehin viel angenehmer macht) möchte ich deshalb als zusätzliches Upgrade einen Marshmallow-Sirup empfehlen, der mit Eibischwurzel und Vanilleschote aromatisiert wurde.
Der Eibisch, die ursprüngliche amerikanische Zutat für Marshmallows (daher der Name, mallow ist das englische Wort für Eibisch), bringt erdige, holzige und cremige Aromen in den Sirup mit ein, die wunderbar mit der Vanille, aber auch mit dem Bourbon und der Milch harmonieren, dabei aber angenehm subtil bleiben.
Kräftig shaken, denn das Ziel ist eine zarte Textur, mit welcher der Drink durch den dadurch entstehenden, feinporigen Schaum weich über die Zunge dahingeht und dabei einerseits leicht und mit klaren, milden Tönen, andererseits aber auch mit einem leise vibrierenden Bass, den der Bourbon beisteuert, daherkommt.
Als zeitgemäßes Rezept würde ich deshalb vorschlagen:
Bourbon Milk Punch
4 cl Bourbon (nicht zu kräftiger Natur, sprich keine bonded-Qualitäten, es handelt sich um einen Brunch-Drink)
7,5 cl Vollmilch
2,5 cl Marshmallow syrup*
Auf Eis shaken und in ein Glas ohne Eis abseihen, mit Muskatnuss garnieren
*Marshmallow-Sirup
½ Vanilleschote, das Mark ausgekratzt
15 g Eibischwurzel
200 g gefiltertes Wasser
200 g Zucker
Sous-Vide*, 30 Min 60 °C im Thermalisierer oder 48 h bei Zimmertemperatur
superbag strain; ergibt etwa 300 ml Sirup, im Kühlschrank lagern und innerhalb von einer Woche verbrauchen.
*Ja, ich weiß, vorhin habe ich mich noch darüber lustig gemacht und jetzt doch wieder sous vide. Macht an dieser Stelle aber tatsächlich Sinn und ist – um im Bild zu bleiben – in diesem Fall eher ein Schraubenzieher als ein Hammer.
Bourbon Milk Punch für das späte Frühstück
Zwei schöne, mögliche Variationen sind erstens auch heute noch die Zugabe von etwas dunklem Rum und zweitens die Verwendung von Ahornsirup als alterative Zuckerquelle – oder beides: Die Melasse-Töne sowohl im Rum als auch im Ahornsirup machen den Drink etwas herbstlicher.
Beides würde ich empfehlen, wenn der Drink vor dem Schlafengehen degustiert werden soll – das ist nämlich seine geheime Superpower: Er vermag den Tag famos zu eröffnen (wie oft hat man aber dazu schon die Gelegenheit!?), er ist aber durchaus auch in der Lage, ihn zu beschließen. Je später der Abend, desto mehr darf sich die Spirituosen-Milch-Ratio zugunsten der Spirituose(n) verschieben. Letztes Rezept deshalb für heute von mir:
Nightcap Milk Punch
3 cl Bourbon
0,75 cl gelagerter Rum (ein süßerer Spanish Style-Rum funktioniert bestens)
6 cl Vollmilch
1,5 cl Ahornsirup
Shake & strain, sprinkle some nutmeg on top, no ice
Ohne jemanden anstiften zu wollen: Wer dem Reiz eines leichten Vormittagsglimmers nicht völlig abhold ist, dem sei ein Bourbon Milk Punch für das nächste späte Sonntagsfrühstück ans Herz gelegt. Denn Bourbon Milk Punches schmecken nicht nur am Golf von Mexiko. Ein Hammer-Drink! Auch ohne Hammer.
Credits
Foto: Sarah Swantje Fischer