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Das 1939 erschienene Bar-o-Scope ordnet Cocktails nach Sternzeichen. Über ein Werk, das skurilles Plagiat und mutiger Re-Import in einem

Das 1939 erschienene Bar-o-Scope ordnet Cocktails nach Sternzeichen. Über ein Werk, das skurilles Plagiat und mutiger Re-Import in einem ist

Neumond, Aszendent Anisette: Das kurz nach der Prohibition erschienene Bar-o-Scope eines heute anonymen Verfassers verbindet Cocktails mit Sternzeichen, bedient sich vor allem aber am Fundus zweier sehr bekannter Bartender seiner Zeit. Und muss auch mit dem Auge der Historie betrachtet werden.

Die Geschichte des Alkoholkonsums wird bekanntermaßen vermehrt von Amateuren, Stümpern und Hochstaplern dominiert. Wie beim Sex. Von den verkehrten Menschen wird zum verkehrten Anlass im verkehrten Maß das verkehrte Getränk getrunken. Das zarte Pflänzlein Qualität wird unter Eiswürfeln begraben, durch Cola ermordet oder mit Tonic ersäuft. Das Treiben um das gefüllte Glas herum ist derart fehlerbehaftet, dass man sich hin und wieder fast wundern muss, wenn der Konsument damit überhaupt die richtige Öffnung findet. Auch wie beim Sex.

Zu beiden Themenbereichen gäbe es an sich genug Ratgeber, um in der Praxis das Schlimmste zu verhindern, und dennoch ist das, was dabei letztlich herauskommt, in den seltensten Fällen lehrfilmtauglich.

Trinken nach Sternzeichen

Am Tresen wird nach wie vor stupide hineingelitert, was die Leber aushält, ungeachtet aller Fuselöle und Harnsäurewerte. Furchtbar. Und so unnötig! Wenn man sich alleine an die Grundregeln eines einzigen Werks halten würde, das vor nunmehr 80 Jahren erschienen ist – um wieviel besser könnte alles sein!

Das Bar-O-Scope von 1939 bietet alles, was man als Grundlage für vernünftiges Trinken braucht, und damit ist nicht die blöde Schulbuchvernunft gemeint, sondern die gute, ganzheitliche, gefühlte Vernunft: das Bar-O-Scope offeriert Trinken nach Sternzeichen. Denn schließlich wird unser aller Dasein ja durch die Sterne determiniert, und wer weiß, wieviele abendliche Prügeleien sich leicht hätten vermeiden lassen, wenn dem Raufbold vom morgendlichen Horoskop mitgeteilt worden wäre, dass dieser Tag eher nach einem Bellini verlangte anstatt der zwölften Jacky Cola.

Das 1939 erschienene Bar-o-Scope ordnet Cocktails nach Sternzeichen. Über ein Werk, das skurilles Plagiat und mutiger Re-Import in einem

Ganzheitlichkeit der Botschaft

Schön aufgemacht ist das Buch, quasi anthroposophisch zusammengeklöppelt werden die hektographierten Seiten von zwei hölzernen Buchdeckeln eingefasst. Da fühlt man sich gleich viel naturverbundener, während man das nächste Besäufnis plant.

Überhaupt ist die Ganzheitlichkeit der Botschaft bewundernswert; da kann sich mancher Brand Ambassador heute noch eine Scheibe abschneiden. Schnaps ist da eben nicht gleich Schnaps, sondern die gebotenen Rezepte werden poetisch als „246 Happy Influences in your Life“ angepriesen. Großartige, positive Genussmittelwerbung; so ein bisschen Bob Ross goes Marlboromann. Man sollte sofort seine Barkarten umgestalten. Und eventuelle Ausfallerscheinungen werden dann flugs zu „Happy Accidents“ umerklärt.

Das 1939 erschienene Bar-o-Scope ordnet Cocktails nach Sternzeichen. Über ein Werk, das skurilles Plagiat und mutiger Re-Import in einem
Das 1939 erschienene Bar-o-Scope ordnet Cocktails nach Sternzeichen. Über ein Werk, das skurilles Plagiat und mutiger Re-Import in einem

Wie immer bei Sternzeichen bleibt die Praxis nebulös

Jedoch: Wer sich konkrete, sternzeichenbezogene Hilfestellungen für den flüssigen Genuss erwartet, der wird etwas enttäuscht. Keine Auskunft darüber, ob der Stier nun eher jägermeisteraffin ist oder ob die Jungfrau zur Margarita tendiert.

Die Rezepte sind ganz klassisch alphabetisch sortiert, und zwischendrin wird dann mal eine gereimte, mehr oder minder sinnhafte und themenbezogene Kurzcharakteristik zu einem Sternzeichen eingestreut. „Das Zwillingskind ist Meister in vielerlei Dingen – ihm sollte schon mehr als bloß Limonade gelingen.“ „Das Idealistenherz prägt einen Schützen – und wird im Verein bei jeder Feier nützen.“ Natürlich auf Englisch, aber auch im Original ähnlich holprig. Sehr erbaulich. Und wie alle großen Mystizismen eigentlich nebulös genug, um grundsätzliche Weltgeltung zu erlangen.

Neumond, Aszendent Anisette

Nun blieb das Bar-O-Scope davon dennoch noch ein, zwei Schritte entfernt, und das liegt möglicherweise daran, dass das Sternzeichen-Feigenblatt am Ende ein wenig arg klein geraten ist, um das massige alkoholische Gemächt vollständig zu bedecken. Das Motto des Werks gibt Aufschluss: Wenn’s um die Gründe geht, warum man trinken sollte, ist eigentlich alles erlaubt, was einem so in den Sinn kommt. Frei nach dem Motto „Besondere Anlässe für einen ausgiebigen Umtrunk: es ist Dienstag.“ Oder eben Neumond, Aszendent Anisette.

Die Rezepte allerdings sind sehr ordentlich, völlig auf der Höhe der Zeit und bieten eine umfassende Grundbildung fürs Cocktailgeschäft. Kein Wunder, sie sind ja auch, wenig verwunderlich, von fremden Federn entlehnt, kopiert, abgeschrieben (aber, ganz ehrlich, gibt es denn im kosmischen Kontext Urheberrecht?), aber das immerhin nicht von irgendwem: Als Steinbruch scheinen hauptsächlich zwei der wichtigsten Harrys der Cocktailhistorie gedient zu haben, nämlich Harry McElhone und Harry Craddock. Wenn man schon klaut, dann sollte man das von den Besten tun.

Kopist mit Ahnung vom Metier

Der unbekannte Kopist war wohl auch kein Ahnungsloser: Die Auswahl zeugt schon von einer gewissen Fachkenntnis. So ist zum Beispiel die White Lady schon in der 2.0-Variante enthalten, ohne Crème de Menthe, wie es noch bis Ende der 1920er von McElhone propagiert worden war.

Überhaupt ist eines ganz bemerkenswert: Beide Harrys waren ja Briten. Craddock hatte die Prohibition aus den USA wieder zurück in sein Heimatland vertrieben, McElhone hatte seine Karriere in London und Paris begründet. Beide stehen auch für den Aderlass, den die Cocktailszene der USA hinzunehmen hatte und der über Jahrzehnte hinweg nicht wieder kompensiert werden konnte. So lebendig und pittoresk die Speakeasys der Prohibitionszeit auch gewesen sein mögen – der qualitative und innovative Zenit stand nicht mehr über dem Mutterland des Mischgetränks.

Wenn nun, gerade einmal sechs Jahre nach dem Ende (und Scheitern) des „Noble Experiments“ jemand in den USA wieder ein Cocktailbuch veröffentlichen wollte, das einen gewissen Qualitätsanspruch hatte (auch wenn es in einem Astrologenumhang daherkam), dann musste er fast zwangsläufig auf ausländische Quellen zurückgreifen.

Bar-o-Scope ist der Re-Import von ausgelagertem Wissen

Vorerst sind es in den USA noch die Neuauflagen von Jerry Thomas, Harry Johnson und William Boothby, auf die man zurückgreifen muss, sowie die meist eher unspektakulären Beilagenheftchen der Spirituosenhersteller.

Viel zu lange spielte eben die Musik jenseits des Teichs, und so ist dieses etwas skurrile Sternzeichen-Barbuch auch nichts weniger als das eindrucksvolle Beispiel, wie der Re-Import von ausgelagertem Wissen funktionieren kann. Hätte man nur ein halbwegs witziges Schnapsbuch mit dem Untertitel „Sterne sehen mal anders“ herausbringen wollen, dann wäre das auch leichter, mit Auge fürs Detail möglich gewesen – auch bei Plagiaten kann man sich viel weniger bemühen.

Dem Komponisten der Sternerezepte war bei aller moralischen Zweifelhaftigkeit seiner Wilderertätigkeit offensichtlich doch inhaltlich wichtig, was er da so schön in Holz binden ließ. Vielleicht waren seine „Happy In-fluences“ also doch mehr als nur eine Marketingmasche. Wichtig ist, was im Glas ist, ob es nun von einem Wassermann oder einem Skorpion getrunken wird. Es gibt keinen richtigen Rausch im falschen.

Credits

Foto: Martin Stein / Annie Spratt on Unsplash

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