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Tequila Añejo im Mixology Taste Forum

Tequila Añejo im Mixology Taste Forum: Das Fassreife-Paradoxon

Tequila boomt. In diesem Fahrwasser gewinnt auch die Unterkategorie Añejo an Profil. Aber auch an Geschmack? Das MIXOLOGY Taste Forum widmet sich jener Tequila-Kategorie, die bei vielen Herstellern auch die rarste und teuerste ist. Am Ende gewinnt ein Produkt aus kleinem Haus.

Añejo Tequila darf sich Tequila nennen, der mindestens eins und höchstens drei Jahre im Fass lagert. Lagert er länger, darf er sich Extra Añejo nennen, lagert er mindestens zwei Monate bis zu einem Jahr, darf er sich Reposado nennen. Alles, was kürzer oder gar nicht lagert, ist Tequila Blanco. Aus Blanco wird also Reposado, aus Reposado wird Añejo, aus Añejo wird Extra Añejo. Und all das wird – natürlich – aus Blauen Weber-Agaven im Bundesstaat Jalisco in der östlichen Mitte von Mexiko hergestellt.

So weit, so logisch. Wenn auch nicht ganz: Denn obwohl für Reposado weniger Reifezeit benötigt wird, ist Añejo die ältere, schon länger festgeschriebene Kategorie. José Cuervo rühmt sich, den ersten Añejo um die Wende zum 19. Jahrhundert erfunden zu haben, inspiriert von den fassgelagerten Whiskeys und Brandys, die die mexikanische Oberschicht zu jenem Zeitpunkt genoss. Tequila war, wie so viele indigen tradierte Spirituosen, zu Beginn eher ein Getränk der armen Leute ohne Prestige. Reposado hingegen taucht erst 1974 als Kategorie auf, hier bezeichnet sich die Marke Herradura als Erfinder. Ihr Reposado sei die Antwort gewesen auf – so schreibt Chantal Martineau in ihrem Buch How the Gringos Stole Tequila – ein Produkt von Cuervo, das für den damaligen US-Markt einen Blanco Tequila mit Karamell-Färbung versehen wollte. Herradura wollte da nicht mitmachen und natürliche Färbung ins Spiel bringen. Heute, knapp fünfzig Jahre später, sind etwa 80% des in Mexiko getrunkenen Tequilas Reposados.

Terralta Añejo ist ein komplexer und zugleich köstlicher Tequila
Terralta Añejo ist ein komplexer und zugleich köstlicher Tequila. Der Duft ist intensiv floral mit einer Spur Bergamotte, Estragon und weißem Rauch. Am Gaumen sehr dynamisch mit einer Mezcal-artigen Würze, präsentem Holz, laktischen Noten und etwas Kakao. Es folgt ein langer, stimmiger Nachhall. Absolute Kaufempfehlung! Alkoholgehalt: 40% Vol. - Preis: ca. € 78,90 - Hersteller: Felipe Camerena / Destilería el Pandillo - Vertrieb: Tequila Kontor
Herradura schmeckt nahezu archetypisch für einen Añejo und bietet einen guten Einstieg in die Kategorie
Herradura schmeckt nahezu archetypisch für einen Añejo und bietet einen guten Einstieg in die Kategorie. In der Nase gekochte Agave und feine Vanille, Mineralität, Zeder und etwas Sandelholz. Am Gaumen salin und würzig mit etwas Williams und deutlichen Tanninen. Im langen Finish setzt sich die Vanille durch. Alkoholgehalt: 40% Vol. - Preis: ca. € 51,99 - Hersteller: Casa Herradura - Vertrieb: Brown-Forman Deutschland
Der Fortaleza Añejo riecht nach gekochter Agave, Honig, weißen Blüten, Pastel de Nata, Apfelschale und Vanille
Der Añejo riecht nach gekochter Agave, Honig, weißen Blüten, Pastel de Nata, Apfelschale und Vanille. Beim Antrunk stehen die Tannine im Vordergrund. Die Textur ist ölig, man schmeckt Bienenwachs, Birne und vegetale Noten. Das Finish ist elegant und lang, etwas Säure und Gewürznoten sind präsent. Alkoholgehalt: 40% Vol. - Preis: ca. € 99,95 - Hersteller: Tequila Fortaleza - Vertrieb: Barrel Brothers

Eine Frage der Reife

Die Gretchenfrage der Añejo -Kategorie ist jedoch: Ist lange gereifter Tequila wirklich besser als nicht oder nur kurz gereifter Tequila? Braucht die Agave, diese grandiose Frucht, denn überhaupt Holz, oder verhält es sich nicht eher wie beim Obstbrand, wo das Endprodukt so stark wie möglich den Ausgangsrohstoff abbilden soll? Stimmt also eher der Industrie-Spruch »Tequila reift auf dem Feld« in Anspielung auf die Agave, die allerfrühestens nach sechs Jahren Wachstumszeit zu ernten ist und zum Aufsaugen von Sonne, Wetter und Terroir einen Zeitraum zur Verfügung hat, in dem viele Bartender:innen in drei verschiedenen Bars arbeiten?

Das MIXOLOGY Taste Forum, in dieser Blind-Verkostung aus Arnd Henning Heissen, Ruben Neideck (Velvet), Florian Drucks-Jacobsen (Kink), Manos Sintichakis (Fabelei), Nils Lutterbach (Lovis), Alex Kulick und Maria Gorbatschova (beide Green Door Bar) besteht, scheint eher Anhänger der letztgenannten Theorie zu sein: »Man bezahlt für die sieben, acht Jahre, die die Agave auf dem Feld wächst«, meint Heissen, »nicht für den Alterungsprozess im Fass.«

Añejo in der Bar

Die Runde zeigt sich allgemein als ein Fan der Agave in ihrer fruchtigen Form, die die typischen Noten von Karamell und Vanille, die die Fasslagerung mit sich bringt, nicht unbedingt als ein großes Plus erachtet. »Vanille ist bereits in den meisten Tequilas vorhanden, auch in Reposados. Der Alterungsprozess ist dem nicht unbedingt förderlich«, so Florian Drucks-Jabosen, der angibt, dass man im Kink lediglich eine einzige Flasche Añejo gelistet hat.

Damit ist er in der Runde nicht allein. Der Grund: Die Kombination aus hohem Preis und mangelnder Nachfrage. Der Gästewunsch nach gereiftem Tequila ist in unseren Breiten, in denen Verkaufsregale im Einzelhandel immer noch mit zahlreichen Mixtos bestückt sind (zur Erinnerung: Mixtos sind Tequilas, die nur zu 51 % aus Agaven bestehen müssen, während die restlichen 49% auf Fremdzucker basieren dürfen) nicht so hoch, und bei der Preisrange der meisten Añejos kommen sie aus wirtschaftlichen Gründen für ein Vermixen in Cocktails kaum in Frage. »Ich würde beim Mixen einen Blanco bevorzugen«, gesteht Ruben Neideck, »in einem Rezept mit drei oder vier verschiedenen Basisspirituosen kann ich Fassnoten auch auf einem anderen Weg in den Drink bringen. Die Eiche muss nicht unbedingt in der Agave stecken.«

Generell werden weniger die Produkte in ihrer Qualität als eher die Preise skeptisch betrachtet, die für die meisten Añejos aufgerufen werden. Für 60 Euro, so ein Verkoster, bekomme man eben einen hervorragenden Scotch, in dem mehr aus der Fassreifung rührende Komplexität stecke. Eine Ausnahme bildet hier in der Verkostung der Tequila 30-30, der als günstigster Vertreter der Runde auf Platz 4 landet.

Añejo in der Balance

Die perfekte Balance bot der Gewinner, Terralta, produziert von Felipe Camarena, ein Tequila aus 100 Prozent Agaven (so wie alle Produkte im Tasting) und ohne Zusatzstoffe (in diesem Taste Forum noch Fortaleza, Pasote, Patron und Arte NOM Selection). Camarena, der auch den ebenfalls getesteten Pasote herstellt, produziert seinen Tequila mit Tiefbrunnenwasser aus 140 Metern Tiefe und gilt nicht von ungefähr als ausgewiesener Könner seines Fachs. Er lässt seinen Añejo gerade mal ein Jahr im Fass reifen. Auf Platz 2 landen ex aequo Herradura, dem Archetypizität und eine tolle Rolle als Einsteiger in die Añejo-Kategorie attestiert werden, sowie mit Fortaleza eine gerade bei Bartender:innen bekannte und beliebte Marke.

Hinter Fortaleza steckt wiederum Guillermo Erickson Sauza, ein Abkömmling der bekannten Sauza-Familie und Ur-Ur-Enkel von Cenobio Sauza, der um das Jahr 1870 die La Perseverancia Destillerie gründetete, wo er Tequila Sauza ins Leben rief – nachdem er als Teenager in der Stadt Tequila gelandet und eine Stelle auf einer Tequila-Hacienda des Gouverneurs ergattert hatte. Der Name des Gouverneurs: José Antonio Gómez Cuervo. Sauza wurde 1976 verkauft und gehört heute zur Beam-Suntory-Gruppe. Das ist kein Einzelfall, denn alle großen internationalen Konzerne mischen heute auf dem Agavenspielfeld mit.

Aber auch das ist eben Tequila: eine epische Geschichte von großen und kleinen Familien, von Aufstieg und Tragödien, von Mythen und Macheten, von Jimadores und Revolution und von der Entwicklung einer Spirituose der ärmeren Schicht hin zu einem Premium-Produkt, dessen Preise heute weit in den dreistelligen Bereich hinein reichen.

Die Beliebtheit von Tequila scheint jedenfalls nicht aufhaltbar. Añejo wird seinen Teil dazu beitragen. Das passt zu dieser einzigartigen Spirituose, die aus einer einzigartigen Pflanze gewonnen wird, die von gnadenlos scharfen Blättern bewacht wird und die nach langer Reifezeit nur einmal in ihrem Leben ihr Herz öffnet, was ihr den Tod bringt – aber für viele das Leben symbolisiert. Mit Fass oder ohne.

Dieser Beitrag erschien erstmals in der MIXOLOGY Print-Ausgabe 2-2023. Für diese Wiederveröffentlichung wurde er stark gekürzt und formal angepasst. Informationen zur Bestellung einer Einzelausgabe findet sich hier, Information zu einem Abonnement hier.

Credits

Foto: Editienne

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