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Michelada: Der mexikanische Kult aus Bier, Gewürzen und Verwegenheit

Die Michelada ist in Mexiko oft das erste Getränk an einem Sommertag – oder besser: nach einer Sommernacht. Denn viele sehen in ihr vor allem ein Heilmittel, eine Medizin. Niemand kann sich diesem Phänomen besser nähern als Airen. Der Autor und Exilbayer erinnert sich an seine erste Begegnung mit der mexikanischen Verwandten der Bloody Mary.

Dieser Text erschien ursprünglich in der Ausgabe MIXOLOGY 4/2016. Für diese Wiederveröffentlichung haben den Beitrag mit einem neuen Bild versehen, aber inhaltlich nichts verändert. Lediglich der obige Vorspann wurde erneuert.

Vor ein paar Jahren lag ich mit zwei mexikanischen Freunden schwer verkatert in einer Strandbar in Puerto Escondido. Meine Ankunft in Mexiko lag gerade eine Woche zurück und Ricardo und Pepe hatten mich direkt an die Pazifikküste von Oaxaca gefahren. Relaxen, schwimmen und – nun ja: saufen. Es war Mai, in Mexiko also Hochsommer, brütend heiße Wochen, in denen jedes Grün verdorrt und sich alles im Schatten verkriecht, was Beine hat. Wer kann, flüchtet ins Hochland. Wir aber lagen in Puerto Escondido, direkt am Strand, null Meter über dem Meer, und die Sonne sengte mit nie gekannter Bösartigkeit auf uns hinab. Schon die einfachste Tätigkeit führte zu sofortiger Erschöpfung. Wir hatten einen kleinen Bungalow hinter dem Hafen gemietet und verbrachten die Tage am Strand, wo wir den Surfern zusahen, die über die Wellen glitten.

Es war Vormittag, die Sonne brannte bereits seit den frühesten Morgenstunden, und wir hatten unter einem Sonnenschirm auf der Terrasse einer Bar Deckung gesucht und blinzelten nun halb bewusstlos durch unsere Sonnenbrillen. Möwen schrien über dem Rauschen der Brandung. Es roch nach Sonnencreme.
„Una Michelada“, stöhnte Pepe, und Ricardo wurde sofort wach.

Eine Michelada, eine Michelada, hieß es auf einmal. Unbedingt müsse nun eine Michelada her. Der Kellner wurde herangewunken. „Drei Micheladas“, bestellte Pepe, „y bien muertas.“ Drei tote Micheladas? Während ich mich noch fragte, um was für ein verstorbenes Wundermittel es sich da wohl handle, kam der Kellner mit drei Bierkrügen über den Sand geeilt.

Bei der Michelada, erklärte mir Pepe, handele es sich um einen beliebten mexikanischen Biercocktail. Einen Cocktail aus Bier? Nichts schien mir abwegiger. Denn Bier ist ja nicht nur (zumindest für mich als Deutschen) der Reinheit seiner drei Zutaten Hopfen, Wasser und Malz unterworfen, sondern einem noch viel unverrückbareren Gebot: Bier mischt man nicht. Nur Heranwachsende, Bergwanderer und Frauen mischen Bier mit Limo, nur Proleten werfen Eiswürfel hinein. Cocktail ist Cocktail, und Bier ist Bier. Steht geschrieben. Äh, bitte, wo nochmal genau?

Michelada

Zutaten

3 Limetten
2 Dashes Worcestershire Sauce
1 Dash Tabasco
1 Dash Sojasauce (oder Maggiwürze)
33 cl mexikanisches Bier

Michelada: Vom Sakrileg zum Sakrament

Es gibt sie in jedem Land dieser Erde, die unverzeihlichen Todsünden, Sakrilege gegen den „guten Geschmack“. Briten stopfen Innereien in Schweinemägen, Chinesen kredenzen in Streifen geschnittene Quallen, Amerikaner lassen Zitroneneis in den Colabecher gleiten. Und die Mexikaner schütten allerlei seltsame Gewürze in ihr Bier. Wie bei all diesen vermeintlichen Geschmacklosigkeiten ist das Ergebnis überraschend schmackhaft, bisweilen sogar sagenhaft köstlich. Denn dann und wann gelingt bei der Kombination scheinbar unvereinbarer Ingredienzien ein Glückswurf – eine Kombination, die so abseitig ist, dass sie schon wieder genial erscheint. Irgendein Verrückter hatte sich in einer Art kulinarischem Wahnzustand ein Herz genommen und gegen die geschriebenen und unausgesprochenen Regeln der Küche und der Bar verstoßen und sich getraut: Heureka!

Was sich nun an unserem Tisch abspielte, hatte Ähnlichkeit mit einem alchemistischen Ritual: Zutaten, die so gar nicht zueinander passen wollten, Kombinationen, die sich von selbst verboten. Und dennoch war das, was am Ende dabei herauskam, reines, frisches, spritziges Gold.

Der quirlige Cousin der Bloody Mary

Der Kellner schnitt frische Limetten entzwei und presste ihren Saft zwei Finger hoch in jedes Glas. Aus einer Glasflasche mit dem Etikett „Salsa Valentina“ schüttete er einige Schuss einer giftig funkelnden, rötlichen Substanz hinein, die sofort verklumpte. Ein Spritzer Maggi. Worcestershire Sauce. Tabasco. Umrühren. Erst dann holte er die „Caguamas“ aus dem Kühlschrank, unterarmhohe Bierflaschen der Marke Corona mit 1,2 Litern, die nördlich des Río Grande als „Tallboy“ verkäuflich sind. Es schäumte und brodelte wie in einem Hexenlabor, die Ingredienzen schienen miteinander zu kämpfen. Als sich der Schlachtenlärm gelegt hatte, kam ein gefährlich schäumendes, rötliches Gebräu zum Vorschein, prickelnd, gefährlich, die Schaumkrone von feinen rötlichen Spuren durchzogen. Und das sollten wir nun trinken?

Nach den ersten vorsichtigen Schlucken waren meine Vorbehalte weggeblasen. Das schmeckte großartig! So lebendig, so erfrischend, so… mexikanisch! Und süffig dazu – ein verschwitztes Blinzeln, und schon standen unsere Gläser bei der Hälfte. Dies war der quirlige Cousin der Bloody Mary, Bloody Beer sozusagen, und so stimulierend wie ein Sprung in die Brandung.

Der totlebendige Begleiter für den Tag danach

Die Michelada, so erfuhr ich, sei eines der beliebtesten Getränke Mexikos. Eine bunt angezogene und festlich geschmückte Variante des herkömmlichen Gerstensafts, ein Strandgetränk, ideal gegen Kater und fürs „Daydrinking“, zur Poolparty oder als Aperitif. Ein Stück Folklore, das in Acapulco genauso genossen wird wie in Cancún oder Ixtapa-Zihuatanejo. Wieso aber „muertas“? „Wer tot ist, ist kalt, oder?“, fragte Pepe und zeigte auf seinen Krug. „Und wenn eine Michelada so kalt ist wie diese hier, an der das Kondenswasser herunterläuft, dann ist sie eben so kalt wie der Tod!“

Dabei ist der herzhafte Biercocktail keine 50 Jahre alt. Der Legende nach entstand das Rezept Ende der 1970er in der Bar des noblen Club Deportivo Potosino, einem Sportclub im zentralmexikanischen San Luis Potosí. Michel Ésper, ein Mitglied der ehrenwerten Einrichtung, pflegte sein Bier stets mit Limettensaft, Salz und Strohhalm zu bestellen. Andere Besucher, auf den Geschmack gekommen, begannen bald ein Bier à la Michel zu ordern – der Begriff „Michelada“ war geboren. Andere leiten den Begriff etymologisch ab: „Mi chela helada“ heißt so viel wie „mein eiskaltes Bier“.

Im Laufe der Zeit kamen verschiedene Saucen und Salsas hinzu, heute ist die Michelada zum Standardgetränk geworden. Ob in den Cantinas von Mexico City oder den Strandhütten von Oaxaca: Die Michelada gehört zum Inventar wie Tequila oder Mezcal.

Wer sich ein Stückchen mexikanisches Lebensgefühl nach Hause holen möchte, verwendet am besten ein leichtes Helles oder Pilsener. Besonders geeignet sind mexikanische Biere: Corona, Dos Equis Lager, Bohemia Oscura oder Negra Modelo. Von Bier der Marke „Sol”, das die Mexikaner gerne als „agua tipo cerveza“ – „Wasser nach Bierart” – verspotten, sollte man eher die Finger lassen. Mittlerweile haben einige Großbrauereien wie Miller oder Budweiser fertig gemischte Micheladas aus der Dose auf den Markt geworfen. Für sie ist ein ganz spezieller Platz in der Hölle reserviert.

Oyster Stout ist nicht genug

Die klassische Michelada ist dabei längst nur die Ausgangsbasis für weit gewagtere Experimente. Ist der Damm einmal gebrochen, gibt es kein Halten mehr. Michelada-Fans mixen Bier mit Mangostückchen („Mangochelada“) oder Gummibärchen („Gomichela“). Aus einer herkömmlichen Michelada wird eine „Chamoyada“, wenn man ein Stäbchen mit einer süß-sauren Tamarindenmasse (Chamoy) in das Glas einlegt. Beliebt sind auch die „Frutichelas“, die dem Mix einen Schuss konzentrierten Fruchtsaft hinzufügen – besonders geeignet sind saure Früchte wie Ananas oder Mango. Gern wird die „Miche“ mit einem Schuss Clamato verfeinert, einem Tomatensaft mit Muschelextrakt, den es in Mexiko in jedem Supermarkt gibt.

Wer alle Konventionen sprengen möchte, bereitet die „Marinera“ zu – eine klassische Michelada, veredelt mit Scampis und Austern. Feierfreudige Strandbesucher schwören auf die Marinera als das ultimative Katergetränk.

In der Tat ist die Michelada oft das erste Getränk an einem Sommertag – oder besser: nach einer Sommernacht. Denn viele sehen in ihr vor allem ein Heilmittel, eine Medizin. Das macht durchaus Sinn: Während der frische Alkohol die Kopfschmerz verursachenden Abbauprodukte der vergangenen Nacht aus dem Gehirn treibt, geben die enthaltenen Elektrolyte dem Körper, wonach er dürstet. Die Michelada ist Flüssignahrung für vom Exzess Gezeichnete. Und ein Geschenk Gottes in der brütenden Hitze der Subtropen.

„Der schönste Rausch“, schrieb einst der deutsche Literat Rainald Goetz, „ist der aufgewärmte Rausch.“ Und so gibt es kein erhabeneres Gefühl, als nach einer langen Nacht unter einem Sonnenschirm zu liegen und mit Blick aufs Meer dabei zuzusehen, wie die Michelada ihre Arbeit tut. Wie sich ihr Prickeln vom Hals über den Magen bis in den ganzen Körper hinein ausbreitet, wie der Blick milder wird und die Nervenenden sich glätten und der Kater sich zu einem leichten Schweben verflüchtigt, in dem Nacht und Tag, Nüchternheit und Rausch, Schlafen und Wachen unmerklich ineinander übergehen.

Wo eine Michelada ist, ist auch Frische

Und so lagen wir da, in der brutal drückenden Morgenhitze, und in die lebensfeindliche Dörre der Maisonne mischte sich auf einmal so etwas wie Zuversicht. Noch immer ächzte die Vegetation unter dem wüstenartigen Klima der Trockenzeit. Aber nun sah ich das Grün der Kokos- und Bananenpalmen, die entlang der Küste wuchsen. Weiße Möwen segelten anmutig über die Köpfe der Surfer hinweg. Schon bald würden Gewitterwolken über dem Meer aufziehen und die Regenzeit ankündigen. Der Strand würde unter den Regenschauern erbeben und das Hinterland in frischem Grün erblühen. Wo eine Michelada ist – wurde mir auf einmal klar! –, da ist auch im tiefsten Sommer ein kleines Stückchen Frische.

Chamoyada con Mango

2 Limetten
1 reife Mango
1 Chamoy-Stick
2 Dashes Worcestershire Sauce
1 Dash Tabasco
1 Dash Sojasauce (oder Maggiwürze)
1 Gurkenscheibe zum Garnieren
33 cl mexikanisches Bier

Bierkrug mit Meersalz-Rand

Zunächst den Rand des Glases mit Limettensaft einreiben und ins Salz tunken. Limettensaft und Eiswürfel einfüllen, Gewürzsaucen und Bier hinzufügen. Mango schälen, in mundgerechte Stücke schneiden und mit einem Löffel ins Glas geben. Den Chamoy-Stick hineinlegen und eine eingeritzte Gurkenscheibe auf den Glasrand stecken.

Marinera

80g kleine Shrimps
5 Austern
2 Limetten
10 cl Tomatensaft
2 Dashes Worcestershire Sauce
1 Dash Tabasco
1 Dash Soyjsauce (oder Maggiwürze)
33 cl mexikanisches Bier

Bierkrug mit Meersalz-Rand

Zunächst den Rand des Glases mit Limettensaft einreiben und ins Salz tunken. Limettensaft, Tomatensaft und Gewürzsaucen mit Eiswürfeln ins Glas geben, vorsichtig mit Bier auffüllen. Die Austern aus ihrer Schale lösen und ins Getränk geben. Die Shrimps schälen, ausputzen und um den Glasrand drapieren.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

Comments (1)

  • Britta Wisniewski

    Eine wunderbare Seite! Hätte ich sie früher entdeckt, hätte mir vermutlich der Mut gefehlt, unser Kursprojekt https://vertondilecocktailwelt.wordpress.com/ auch nur zu starten! Dafür werdet ihr jetzt unser absolutes Vorbild in Sachen Seitenaufbau! Weiter so!

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