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Zwei Währungen, Zwei Staaten, Zwei Mojitos

Alle berichten aus Panama, weil es dort viele Briefkästen gibt. Dabei kann man aus „Briefkasten“ nicht einmal Verben bilden. Anders mit Kuba und Rum! Rumarbeiten, rumfahren und Rum-Trinken. Über ein Land am rumrevolutionieren.

Letzten März besuchte US-Präsident Obama Kuba. Das war noch vor Fidel Castros Tod. Dieser Besuch wurde nicht nur wohlwollend beäugt – ein Aufenthalt in Kiew wäre ungleich nötiger gewesen, so kommentiert man seine Unfähigkeit, „kraftvolle außenpolitische Prioritäten zu setzen“ im Deutschlandradio Kultur. Weshalb diese Zeit allerdings ausgezeichnet dafür ist, sich mit dem Castro-Regime auf einen Cuba Libre zu treffen, ist einfach zu beantworten. Seit dem letzten Besuch eines US-Präsidenten auf Kuba, nämlich Calvin Coolidge im Jahr 1928, waren sage und schreibe 88 Jahre vergangen.

Es sind Bilder von Raúl Castro und Barack Obama, wie sie schwere, ja staatstragende Cohiba-Schwaden nach sich ziehend, am Malecon spazieren gehen, bevor sie mit einem Chevrolet abgeholt werden und „Chan Chan“ singend in den Sonnenuntergang gen Playa Coco fahren, wo sie durch ein kristallklares Meer von Flamingos gehen, Havana Club trinken und über die Frisur von Donald Trum, der damals noch nichts Obamas designierter Nachfolger war, lachen. Es könnte alles so schön sein. Ist es aber nicht.

Andersdenken verboten

Der Wunsch nach Freiheit und Vielfalt, nach Konfrontation und Kommunikation scheint vor allem imperativer Natur zu sein. Ob die Mehrheit der kubanischen Bevölkerung will, was die Welt von ihr will, dass sie es wolle, bleibt vage. So hatte Raúl Castro kurz vor Obamas Ankunft direkt 200 Dissidenten festgenommen. Vielleicht, um direkt eines vorweg zu nehmen. Etwa: „Es bleibt schwierig zwischen uns.“ Vielleicht aber auch, weil das politische Andersdenken eine der häufigsten Straftaten ist, für die man in Kuba verhaftet und verurteilt wird. Lebenslänglich. Oder gar zum Tode, wenn es schlecht läuft. Amnesty International berichtet von einer Gefangennahme von knapp 550 Dissidenten im August 2013. Die Dunkelziffer allerdings dürfte ungleich höher sein, da auch „asoziales Verhalten“ genügt, um weggesperrt zu werden. Gemäß des „Ley de Peligrosidad“ läuft im Grunde jeder Bewohner Kubas, der „eine Bedrohung für den Sozialismus“ darstellt, Gefahr, inhaftiert zu werden – mindestens. Natürlich müssen sich die USA, in denen nach China, dem Iran, Sauri-Arabien und dem Irak die meisten Hinrichtungen verhängt werden, nicht über Zustände kubanischer Couleur echauffieren. Grund für Anstöße gibt es dennoch.

So haben die USA seit der Öffnung des Embargos beispielsweise den kubanischen Zugang für Internet- sowie Telekommunikationsanbieter ausgebaut. Und ja, das Problem, einer Bevölkerung Strukturen zu etablieren, nach denen sie nicht gefragt hat, ist seit den Kreuzzügen problematisch – gelinde gesagt. Allerdings besteht ein gewaltiger Unterschied darin, entweder eine bestimmte Denkweise aufgezwungen zu bekommen oder doch das Selberdenken. Man kann die Sache mit dieser ständigen Verfügbarkeit von Informationen nun finden, wie man will – weil es aber so viele Meinungen dazu gibt, ist es gut, wenn sich jeder seine eigene bildet. Zur Meinungsbildung wiederum sind Informationen hilfreich. Ob man diese nun in Anspruch nimmt oder nicht, ist eine andere Sache. Sie allerdings gestellt zu bekommen, ist objektiv gut.

Der Ruf der medizinischen Fakultät der Universität von Havanna macht allerdings nicht den Eindruck, als hielte sie nichts von wissenschaftlicher Information. Die „Escuela Latinoamericana de Medicina“ ist ein in eine Hochschule umgewandeltes Militärobjekt, das nicht nur mit Medizinunis weltweit mithalten kann, sondern sich in der Qualität der Ausbildung in führender Position befindet. Und das trotz aller Umstände – so sollte man meinen, stellt man sich heute vor, das eigene Studium ohne Google und den digitalen Universitätskatalog bestritten haben zu müssen. Internet gibt es nur im Keller der Geschichtsfakultät, meist ist der Server kaputt und Seiten von Regimekritikern, Facebook oder Twitter sind sowieso gesperrt. Mindestens so schwierig ist es als Tourist, an Internet zu kommen. Auf öffentliche Netzwerke braucht man nicht zu hoffen. In Hostels – die in der Regel maximal halblegal geführt werden – sowieso nicht und an Internetcafés braucht man überhaupt nicht erst zu denken. Eher könnte man versuchen, mit einer Papaya, derer es deutlich mehr gibt als PCs, ins Internet zu gehen. Eines der größten Hotels Havannas schließlich besitzt Internetzugang. Es wird geraucht wie in einem Neuköllner Spätkauf, das Laden der Seite erfordert die nervliche Beruhigung durch ein Glas Rum und eine halbe Stunde kostet 15 CUC – das sind umgerechnet  etwa 12,50 Euro und somit zwei relativ teure Auskünfte über einen Zug und die nächste Unterkunft.

Reisen ohne App

Na toll, so hat man sich das aber nicht vorgestellt mit der kubanischen Gelassenheit! Wenn man doch alles vorher planen muss und spontan überhaupt nichts geht – außer dem Ventilator, der im kubanischen Wohnzimmer den Router ersetzt. Ein Irrtum, dem einige Touristen in und um Havanna anheimfallen: Reisen aus dem Augenblick heraus ist nicht nur mit der passenden App möglich. Diese gaukelt uns nur vor, dass die totale Sicherheit eines Übernachtungsplatzes mit dem ungestümen Unterwegssein kompatibel ist. Das ist aber falsch, ja, schließt einander sogar aus. Wer Kuba erleben will, braucht kein Internet. Zumindest wer das Kuba erleben will, das er sich in einer exotischen Nostalgie zwischen Che und „Chan Chan“ vorgestellt hatte. Und das braucht er schon seit 1994 nicht mehr, denn spätestens seit der Einführung einer zweiten Währung ist der Illusion, man mischte sich für eine bestimmte Zeit unter die Lorbeerträger der Lebensfreude und assimilierte Königsteile der Royal Family von Ruhe und Rumkultur, nicht mehr haltbar. Eine eigene Währung für Touristen macht die Aufteilung, wer fremd ist und wer nicht, leicht und auch aus dem Eintrittspreis zur nächtlichen Salsa-Feier einen Unterschied. Während der Kubaner am Aufgang zu einer Dachterrasse, wie man sie sich in einem Video des kubanischen Fremdenverkehrsamts vorstellen würde, umgerechnet läppische drei Euro bezahlt, sind es für den Touristen fast neun. Weil man sie sich etwas kosten lässt, die kubanische Authentizität – wenngleich dafür Einheimische eingekauft werden müssen, die sehr frei an ihrem Cuba Libre schlürfen und ihrer übergewichtigen Tanzpartnerin ab und an auf den Hintern hauen sollen.

Tagsüber für den Staat, nachts in der Garage

Und Nostalgie kann ja sehr schön sein! Nicht allerdings, wenn man sie mit der Realität verwechselt. Etwa Havannas von Oldtimern geprägtes Stadtbild und eine romantische Fahrt in die Tabakfelder von Viñales verwechselt mit dem Fakt, dass all die Oldtimer des Landes nicht mehr produziert werden und so selbstverständlich die Reparaturteile fehlen. Das hat Konsequenzen für den kubanischen Schwarzmarkt. Neue Autos gibt es kaum, also haben sich vor allem Männer der Hauptstadt „Nebenberufe” besorgt. Tagsüber arbeitet man für 16 Euro im Monat in einem staatlichen Betrieb, nachts in der Garage – für einen sehr viel lukrativeren Lohn. Und das Geschäft läuft nicht schlecht. Die häufig aus LKWs ausgeschnittenen Gummiteile werden gefräst und geschliffen, bis das entsprechende Ersatzteil hergestellt ist. Die Angst vor einer Grenzöffnung seitens der Regierung gibt es – bislang kommen nur ein paar neue Autos aus China, aber da sind die Gummiteile auch schlecht genug, als dass deren Import die Schwarzarbeiter nicht bedroht.

Nun klingt „Schwarzarbeiter” immer gleich so nach Delikt. Bei näherem Hinsehen ist jedoch festzustellen, auf wessen Seite jener Delikt begangen wird, nicht mehr allzu leicht. Nun ist die so genannte Schwarzarbeit nämlich keine Seltenheit auf Kuba. Das legitimiert sie zunächst zwar noch nicht, lässt jedoch tief blicken. Nämlich auf jene seitens des Staats erbrachten Leistungen für seine Bevölkerung.

So bringt das schwarz vermietete Hostelzimmer einer ehemaligen Sportlehrerin ihr doppelt so viel Geld ein wie ihr alter Job. Den sie seit einer Verletzung nicht mehr ausführen kann, weil es keine für sie hilfreiche Versicherungsleistung gibt, die Lebensmittel immer teuerer würden und die Leistung der Lebensmittelheftchen nicht ausreiche.

Von Gefängnisessen und Eis-Milizen

Das sieht außerhalb der Kapitale nicht anders aus. Der goldene Weg des Umgangs mit dem Sozialismus führt entlang des Tourismus. In Havanna ist man spezialisiert auf Unterkünfte und Ersatzteile für Oldtimer, je spärlicher die öffentlichen Verbindungen werden, desto kreativer wird an Transportsystemen überlegt. Dass man als Lehrer in der Nacht Touristen mit der Rikscha am Malecón entlang fährt, ist keine Ausnahme mehr. In Pinar del Río führt man Touristen auf Pferden über die Tabakfelder und im Osten der Küste, beispielsweise an dem beschaulichen Hafenstädtchen Baracoa, floriert die schwarze Gastronomie. Im Grunde halten „Paladares“, privat geführte kleine Restaurants, genau dort Einzug, wo zunächst auch viele staatlich geführte Betriebe waren. Was an schönen Orten der Fall ist – schließlich kennt auch ein Diktator sein Land gut.

Allerdings hatte dieser vergessen, seine Arbeiter einem Motivationscoaching zu unterziehen. Im Falle der staatlich betriebenen Restaurants kann es nämlich durchaus passieren, dass der braune Matsch, den man von einer schlecht gelaunten Señora in eine Schüssel geklatscht wird, große Überschneidung hat mit dem, was man sich unter Gefängnisessen vorstellt. Und zu viel Rum, wie Zahnbestand und Augenglanz verraten – der nicht dazu beigetragen hat, aus einem Ort, dessen Wände dieselbe Farbe hat wie der Inhalt der Schüsseln, die seine Tische tragen, eine kulinarische Kreativwerkstatt zu zaubern.

A propos Gefängnis und Nebenverdienst. In Havannas Innenstadt wird mit dem relativ rigorosen Außenbild der kubanischen Polizei kokettiert: ein als Mitglied der Fuerzas Armadas Revolucuionarias verkleideter Eisverkäufer mit Schlagstock macht doppelt Spaß: einmal dem Staat, dem er noch immer Aushängeschild einer bis in die Gegenwart reichenden Vergangenheit ist. Und seinem Geldbeutel – vermutlich zahlt der Eis-Miliz keine Abgaben.

Rum, Mango und Ché-Holzschnitt

Daher haben die Besitzer der Paladares es nicht ganz leicht. Denn um an alle Zutaten zu kommen, die sie benötigen, brauchen sie „Pesos Convertibles“, es handelt sich schließlich um Importware. Zudem erhebt der Staat horrende Abgaben von Privatunternehmen. Beides ist ein Grund, schwarz zu arbeiten – so ist man näher am Handel mit dem CUC und behält alle Einnahmen. Außerdem braucht man nicht für jede Innovation eine Lizenz, wie beispielsweise für den Ausbau einer Terrasse. Wird man allerdings erwischt, wird es teuer und man läuft Gefahr, seinen komplettes Hab und Gut abzugeben.

Nun kann man sich überlegen, wann der Begriff des „Unternehmens“ überhaupt greifen soll. Ist das erst mit einem Ort ab der Quadratmetergröße von 20 wie beim La Bodeguita del Medio der Fall? In jedem Falle erst, wenn es geschafft ist, für den Staat gewinnbringend zu sein. Schließlich ist hier einer der Entstehungsorte des Mojitos – hier trank auch Hemmingway ihn am liebsten. Oder ist das auch schon der mit einem Tischtuch überworfene Baumstumpf auf dem Weg zur Puerto Esperanza im Nordwesten der Insel – sobald eine Flasche Rum, eine Mango und ein Ché-Holzschnitt verkauft werden? Auch ob der alte Mann ohne Zähne, dafür mit Zigarre im Mundwinkel, der in seinem kleinen Garten am Fuße eines tiefblauen Flusses, inmitten von Guaven-, Mango- und Zitronenbäumen, Drinks verkauft, Staatsabgaben bezahlt, ist zweifelhaft. Dafür finden sich die handgepflückten Früchte dann in seinem Mojito, der stark genug ist, einen Gorilla einzuschläfern, jedoch schmeckt, als würde man sich als ein solcher durch die Tropen hangeln, dabei „Dont’t worry, be happy“ pfeifen und all dies mit Ches Baskenmütze auf dem sommerhaarigen Köpfchen.

In Bierflaschen abgefülltes Tomatenpürree

Für das Rumtrinken auf Kuba ist diese so freundliche Form der Kleinkriminalität jedenfalls zuträglich. Und sie kommt allen zugute! Am ehesten möglicherweise sogar dem Staat, der sich aufgrund all der kreativen Erwerbsformen an einem Tourismus erfreuen kann, der von genau diesem Kubabild lebt. In diesem Bild kommen weder Plattenbauten noch Penner mit Rum-Problemen vor. In Kuba werden von großbusigen und gut gelaunten karibischen Schönheiten kreolisch marinierte Shrimps mit Yuccapalme gereicht. Weil im kubanischen Klima doch auch immer alles wächst! Und das tut es, allerdings fehlt es an allem anderen, um mit diesem Essen ökonomisch umzugehen. Der Riesenhaufen frischer Tomaten, der auf der Terrasse einer Finca in Artemisa liegt, muss schleunigst verarbeitet werden, damit er nicht verdirbt. Also werden die Tomaten passiert und abgefüllt – in gesammelte Bierflaschen. Andere Gerätschaften gibt es nicht – von Traktoren, Pflügern oder Kühltransportern gar nicht zu sprechen. Es gibt seit dem Embargo nichts Neues in Kuba. Auch keine Konkurrenz. Die gibt es erst wieder seit dem Schwarzmarkt. Das kann sich auch darin auswirken, dass die beiden Nachbarsdamen sich darum streiten, bei wem im Garten die Touristen ihren Mojito serviert bekommen. Mango-Mojito, die beiden haben ihre Hütten direkt an einen Hügel voller Mangobäumen gebaut und die Süße liegt in der Luft. Die Verliererin wartet einen Mojito ab und setzt sich auf einen weiteren selbst dazu. Um den Touristen unter dem Tisch ihre Zigarren anzubieten und mit der Konkurrentin USA-Witze zu machen. Unmöglich, dass Obama sich über dieses Szenario bei seinem Besuch im März nicht dennoch gefreut hätte.

So kommt es also, dass trotz florierender Landwirtschaft 80 Prozent der kubanischen Nahrung eben doch importiert werden müssen. Was vorbei am Staat und im nahen Austausch mit dem Peso Convertible ungleich einfacher ist und der Kubaner dem Staat so zurückgibt, was er ihm selbst genommen hat: Selbständigkeit und eine Siesta zur rechten Zeit – auch von Regeln.

 

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe der MIXOLOGY 3/2016.   

Credits

Foto: "Colors of Havana" via Flickr/Anton Novoselov

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