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Der Nogroni ist ein alkoholfreier Negroni und könnte der erste Neo-Klassiker dieser Kategorie werden

Der Nogroni: der erste alkoholfreie Neo-Klassiker? Ein Test.

Der Nogroni, also ein Negroni ohne Alkohol, könnte zum ersten alkoholfreien Referenzcocktail werden. Produkte für seine Zubereitung gibt es inzwischen reichlich. Die MIXOLOGY-Redaktion hat sich durch eine Auswahl der bestehenden Möglichkeiten getestet.

Auch jeder konservative Skeptiker wird sich damit arrangieren müssen: Die sogenannten alkoholfreien Spirituosen oder alkoholfreien Destillate werden bleiben. Der Markt für sie mag noch immer viel kleiner sein als die mediale Aufmerksamkeit vermuten lässt – aber die Produkte sind auf dem Tableau der öffentlichen Wahrnehmung angekommen, sie haben Fans und Zielgruppen, sie werden sich dauerhaft etablieren.

Für Bars und Bartender:innen bedeutet das, dass man – wenn man mit fertig gekauften alkoholfreien Destillaten arbeiten möchte – sich immer mehr und detailliert mit der Mixability alkoholfreier Alternativprodukte wird befassen müssen. Nachdem die erste Runde der alkoholfreien Destillate sich immens ins Fahrwasser des Gin & Tonic-Trends gesetzt hat, dürften beim Publikum schnell erste Langeweile-Erscheinungen eintreten. Denn wenn man sich irgendwann dran gewöhnt hat, wird der alkoholfreie Gin & Tonic schnell genauso öde wie die Saftcocktails, denen man mit ihm entfliehen wollte.

Der Nogroni: ein alkoholfreier Negroni als neue Referenz?

Es wird also neue alkoholfreie Drinks geben müssen, neue Standards. Und auch sie, so viel Zukunftsschau kann man sich erlauben, werden sich immer an alkoholischen Vorbildern orientieren. Insofern hatte das Punch Magazine vor einigen Wochen mit hoher Wahrscheinlichkeit recht, als dort prophezeiht worden ist, dass der »Nogroni«, also ein alkoholfreier Negroni, vielleicht der erste wirklich kanonisierte alkoholfreie Cocktail werden könnte. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Der Negroni genießt ohnehin seit Jahren eine regelrechte Wiedergeburt. Gin hat noch immer einen Heyday. Außerdem boomt das Geschäft mit bitteren Aperitivi ganz allgemein. Der Negroni passt in unsere Zeit. Und: Die nötigen Zutaten gibt es wirklich überall.

Nogroni

Zutaten

3 cl alkoholfreie Gin-Alternative
3 cl alkoholfreie Wermut-Alternative
3 cl alkoholfreie Bitterlikör-Alternative

Der Nogroni ist ebenfalls so einfach herzustellen wie der Negroni
Für den Nogroni gibt es wie auch für den Negroni zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten

Zutaten für den Nogroni gibt es mittlerweile vielfach

Das alles trifft inzwischen auch auf den Nogroni zu. Denn längst gibt es nicht mehr nur alkoholfreie Gin-Imitate, sondern auch ganz spezifisch Produkte, die Bitterlikör und Wermut replizieren. Zeit und Anlass also für die Redaktion, eine kleine Mix-Session durchzuführen mit einigen der aktuell in Deutschland erhältlichen Produkte. Dabei waren (in Klammern jeweils die substituierte Kategorie):

  • Lyre’s Apéritif Rosso (Wermut)
  • Berliner Brandstifter Alkoholfrei (Gin)
  • Laori Juniper No.1 (Gin)
  • Lyre’s Dry London Spirit (Gin)
  • Siegfried Wonderleaf (Gin)
  • Beneventi Red Bitter (Bitterlikör)
  • Lyre’s Italian Orange (Bitterlikör)
  • Schladerer Vincent Aperitif Alkoholfrei (Bitterlikör)
  • Undone No.7 Italian Bitter Type (Bitterlikör)

Gemischt wurden die Zutaten analog zum klassischen Negroni jeweils zu gleichen Teilen, auf Eis gerührt und anschließend ohne Eis und Garnitur verkostet. Auf der Basis eines einzigen Wermut-Ersatzes und jeweils vier Gin- und Bitter-Substituten ergibt das insgesamt 16 Varianten, von denen hier nicht alle einzeln beschrieben, sondern der Gesamteindruck sowie einige positive Beispiele beschrieben werden sollen.

Welche Kombination ergibt den besten Nogroni?

Alle vier Nogronis mit dem „Italian Orange“ von Lyre’s sind (analog zum Namen) sehr orangig geprägt, insbesondere die Variante mit dem „London Dry“ von der gleichen Marke, der von allen vieren auch am ehesten eine Bindung im Sinne des alkoholischen Vorbilds mitbringt. Spannend ist ebenfalls die Mischung mit dem deutschen Marktführer bei alkoholfreien Spirituosen, Siegfried Wonderleaf, die den Kern-Aromen des Wonderleaf viel Platz einräumt und überraschend deutlich in Richtung Vanille und Zimt gleitet – zwar weniger typisch für einen Negroni, aber durchaus interessant.

Schwierige Süße. Hilft Soda?

Grundsätzlich problematisch sind die Ansätze mit dem Beneventi Red Bitter, der aus dem Hause Herzberger kommt und deutlich länger als alle anderen hier beschriebenen Produkte am Markt verfügbar ist. Der Grund für die Problematik: Beneventi ist aufgrund seines sehr hohen Zuckergehalts eher als Sirup bzw. Konzentrat zu verstehen. Dennoch sollte er im Test nicht ausgeklammert werden. Die sehr hohe Süße aller vier entstehenden Nogronis ist also nicht als Mangel des Grundproduktes zu verstehen, sondern liegt im Einsatzgebiet begründet. Abgesehen von der Süße stellen die Drinks mit Beneventi jedoch von ihrer aromatischen Grundanlage her durchaus interessante Fälle dar: Der holzig-rotfruchtige Duft kommt in allen vier Nogronis gut durch, insbesondere die Mischung mit Laori wartet mit viel Wacholder, Pinie und einer Spur Heu auf und ist von allen vier Versuchen der am meisten „erwachsene“ Cocktail. Ein Spritzer Soda könnte bei den Beneventi-Nogronis helfen, um die Süße etwas abzumildern, ohne dabei an Spannung zu verlieren.

Der zarte Vincent

Die kraftvollen Wacholder- und Moos-Töne von Laori zeigen sich ebenfalls sehr deutlich in der Reihe mit Schladerers alkoholfreier „Vincent“-Variante. Dort dominiert der Laori den Drink jedoch bereits sehr stark, so dass die im puren Produkt vorhandenen Nuancen von Papier recht stark in den Drink übergehen. Insgesamt ist der Schladerer-Aperitif sehr leicht und filigran, so dass er extrem milde, zugängliche Nogronis ergibt – im Verbund mit Siegfried oder Berliner Brandstifter sehr stark auf der beerig-fruchtigen Seite mit viel Johannisbeere, Kirsche und Eukalyptus. Gleichzeitig bringt das Produkt mit allen vier Gin-Alternativen die trockensten Cocktails hervor.

Undone und Lyre’s überzeugen gemeinsam

Wenn es so etwas wie einen Testsieger gibt (es wurden keinerlei Punkte vergeben), dann war es auf jeden Fall der Nogroni aus Lyre’s „London Dry Spirit“ und dem „No.7 Italian Bitter Type“ der Hamburger Marke Undone. Von allen zubereiten alkoholfreien Negronis hatte er am meisten Ähnlichkeit mit dem alkoholischen Vorbild: Angenehm kraftvolle Noten von Orange, Rhabarber und Johannisbeere in der Nase, eine schöne Bitterkeit mit gutem Ausgleich durch die Süße, dazu ein immerhin leichter Schmelz und wiederum viel Orangen-Nachklang. Das liegt größtenteils am Undone selbst, der auf diese Kern-Mixability hin entwickelt zu sein scheint, was aber wiederum nicht immer von Vorteil ist: Während Undone nämlich zusammen mit Lyre’s ein gutes Duo bildet, ist der „No.7“ für die drei anderen Gin-Alternativen offenbar eine Spur zu derb und dominant. Sie alle gehen beinahe unter und lassen im fertigen Drink eher den Eindruck einer bitteren Limonade entstehen.

Ein zentrales Problem beim Nogroni: Süße, Bittere und Säure allein genügen nicht

Insgesamt fällt das Urteil nach der Mix-Runde ein wenig durchwachsen aus. Das liegt nicht daran, dass die erzeugten Nogronis nicht in den meisten Fällen zumindest passabel schmecken. Doch es fehlt schlicht an der vom Negroni gewohnten Brillanz und Dichte. Ganz generell muss dementsprechend eine der zentralen Beobachtungen aus dem Text der Kollegen von Punch bestätigt werden: So sehr viele der Mischungen grundsätzlich eine oft interessante, vielfach tatsächlich an den Negroni erinnernde Aromatik mitbringen, fehlt es den Drinks doch durchweg an einer der gewissen Intensität.

Das gilt primär für den Geschmack und das Mundgefühl, während der Duft häufig weniger Kraft vermissen lässt. Das sensorische Grundgerüst aus Süße, Bitterkeit und Säure genügt eben nicht, um dem Drink auch geschmacklich eine Spannung – im englischen Kontext oft als bite bezeichnet – zu verleihen, die einem alkoholischen Negroni nahekommt. In einem alkoholfreien Gin & Tonic kann die Kohlensäure ihren Teil dazu beitragen, dass diese Leerstelle (teilweise) gefüllt wird – bei einem Nogroni muss dies anders gelöst werden. An dieser Stelle wird man künftig vielleicht eine gute Bar von einer sehr guten unterscheiden können. Wie wird für die wirkliche Spannung gesorgt, wenn der Alkohol als Verstärker von textureller und geschmacklicher Fülle abwesend ist? Denkbar ist die Arbeit mit konzentrierten Ölen (etwa Zitrus) oder aber ein Balancieren und Verstärken mit kaltgebrühten Extrakten aus Tee oder ähnlichen Zutaten. Ebenso möglich ist ein Nachjustieren mit Lösungen aus Salz oder individuell dosierten Säurelösungen (Weinsäure, Apfelsäure), ferner wären Experimente mit Ergänzungen um Verjus sicherlich eine interessante Option. In jedem Fall ist eine großzügige Garnierung mit Orangen- oder Grapefruitzeste beim Nogroni noch viel mehr Pflicht als bei seinem alkoholischen Vorbild.

Der Test bleibt eine Momentaufnahme

Die Ergebnisse der Mix-Ansätze müssen selbstverständlich als eine Momentaufnahme angesehen werden, für alles andere ist die Kategorie viel zu dynamisch. So war z.B. die aktuell sehr populäre alkoholfreie Sorte „Vibrante“ von Martini kurzfristig nicht verfügbar. Ebenso bleibt abzuwarten, ob weitere Produkte, die aktuell nicht auf dem deutschen Markt erhältlich sind (wie z.B. die Seedlip-Untermarke „Æcorn“). Zudem ist überdies klar, dass viele der bereits vorhandenen Hersteller an ihren Produkten arbeiten und sie weiterentwickeln werden. Bei einer Getränkekategorie, die noch kein ganzes Jahrzehnt alt ist, stimmt das definitiv optimistisch. Damit es in nicht allzu ferner Zeit in immer mehr Bars möglich ist, einfach an den Tresen zu spazieren und ohne einen Blick in die Karte schlicht einen Nogroni zu bestellen.

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Anmerkung: Für den Mix-Flight hat die MIXOLOGY-Redaktion bei den im Text erwähnten Herstellern Musterware angefordert und diese kostenlos erhalten. Die Auswahl der getesteten Produkte erfolgte unabhängig, redaktionell und ohne Gegenleistung durch die Hersteller.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

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