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Wie viel Gin steckt im alkoholfreien Gin? Unser großes Dossier zur Kategorie

Rund ein halbes Jahrzehnt ist die Kategorie der „alkoholfreien Spirituosen“ inzwischen alt, allen voran der „alkoholfreie Gin“. Wobei diese Bezeichnungen nach wie vor behelfsmäßig bleiben, denn Spirituosen oder Gin müssen qua Gesetz Alkohol enthalten. Über eine Kategorie und einen Markt, die gerade erst entstehen.

Sieben Jahre können in der Spirituosenbranche eine sehr unterschiedliche Länge darstellen. Für einen Whiskybrenner sind sieben Jahre eine mäßig kurze Zeit, nicht wirklich der Rede wert. Man plant in Dekaden. Noch immer sind sieben Jahre deutlich weniger als die niedrigste Altersstufe praktisch aller gängigen Single Malts. Eine Zeit, die langsam und gedehnt verstreicht, ohne besondere revolutionäre Einkerbungen.

In sieben Jahre kann aber auch eine rasante Explosion passieren, eine dynamische Verkettung von Ereignissen. So war es in den vergangenen Jahren beim Gin, dem schon vor sieben Jahren von vielen Barleuten attestiert wurde, sein Boom sei vorüber. Und so ist es seit 2014, seit sieben Jahren also, beim alkoholfreien Gin.

Seedlip erkennt als erstes die Zeichen der Zeit

2014 war das Geburtsjahr des alkoholfreien Gins. Es war das Jahr, in dem der britische Designer Ben Branson die Marke Seedlip entwickelte – von Beginn an mit Beteiligung durch die Firma „Distill Ventures“, der Risikokapital-Tochter von Diageo, dem größten Spirituosenhersteller weltweit. Es war also kein Zufall, dass die schlichte, oval-zylindrische Flasche mit dem Label in Naturton-Optik schnell rund um den Globus bekannt wurde. Man hatte die Zeichen der Zeit erkannt: Die Menschen in den Industrienationen – noch immer die zentralen Märkte – tranken und trinken immer weniger Alkohol. Sie tranken alkoholfreie Cocktails. Sie tranken aber auch mehr Gin & Tonic als je zuvor. Sie würden also irgendwann auch nach alkoholfreien Spirituosen fragen. Und da es alkoholfreien Vodka nun wirklich nicht geben kann, lag nichts näher als Gin.

Diageo sah diese Frage als erster kommen, sogar sehr früh, wie wir heute wissen. Und ließ sie nicht unbeantwortet. 2019 übernahm der britische Konzern die Marke Seedlip, die in der Zwischenzeit zum globalen Referenzprodukt der dynamischen Kategorie avanciert war, schließlich komplett. Seedlip hat mit der Brand Æcorn sogar bereits eine Schwestermarke dazubekommen, die prinzipiell nichts anderes tut, als klassische Mixprodukte wie Bitterliköre und Wermut alkoholfrei nachzubilden – den vollständig alkoholfreien Negroni bietet Seedlip sozusagen bereits aus einer Hand an.

Im Sommer 2020 stieg Diageo bei den deutschen Rheinland Distillers (Siegfried Gin) ein, die mit ihrer Marke Siegfried Wonderleaf den deutschen Marktführer (nach eigener Aussage) produzieren. Und unlängst gaben Branchenportale bekannt, dass sogar Diageos Gin-Flaggschiff Tanqueray mit einer 0,0%-Variante lanciert wird. Da wirkt es schon beinahe kleinlaut, dass der französische Spirituosenriese Pernod Ricard – hinter Diageo die globale Nummer zwei – Anfang 2021 ebenfalls die Mehrheits-Option bei der von ihm unterstützten Marke Ceders zog.

Alkoholfreie Spirituosen in Deutschland

Und das sind, wohlgemerkt, nur die ganz großen Meilensteine nahezu ausschließlich einer Firma innerhalb einer Kategorie und eines Marktes, der primär in den westlichen Industriestaaten seit sieben Jahren mit einer ungeheuren Geschwindigkeit entsteht – und wächst. Schauen wir daher auf die Geschehnisse speziell hierzulande.

Obschon das Initial für alkoholfreien Gin bzw. alkoholfreie Spirituosen auch in Deutschland durch Seedlip erfolgte, hat auch der hiesige Markt sehr dynamisch und vital reagiert. So vital, dass sich erste Produkte offenbar schon wieder aus dem Rennen zurückgezogen haben, etwa die Marke „Guilty“, Ende 2019 produziert von der Destillerie Lantenhammer.

Bekannte alkoholfreie Gins

Inzwischen ist das Angebot umfänglich geworden. Seedlip bekam Gesellschaft, und zwar aus zweierlei Richtung. Einerseits entwickelten bestehende Spirituosenhersteller ihrerseits alkoholfreie Alternativen. Dazu gehören neben dem bereits erwähnten Siegfried Wonderleaf beispielsweise Humboldt „Freigeist“ (von Humboldt Gin), Windspiel alkoholfrei, Berliner Brandstifter „No Gin“ oder der wortspielerische „Social Virgin“ als alkoholfreier Kompagnon des Quarantini Social Dry Gin (hergestellt von der Destille Kaltenthaler).

Andererseits kamen auch alkoholfreie Gins hinzu, die aus neu gegründeten Firmen heraus lanciert wurden und rasch Fuß fassen konnten. In Deutschland ist diese Gruppe aktuell prominent vertreten z.B. durch das Berliner Start-Up Laøri oder die junge Hamburger Marke Undone mit ihrem „No. 2 Juniper Type“.

So weit, so gut mit dem Blick auf diese relative Erfolgsgeschichte einer Kategorie in den Kinderschuhen. Doch freilich gibt es – auch unter Leuten, die einen mäßigen und bewussteren Alkoholkonsum befürworten – durchaus viele, die der neuen Gattung skeptisch gegenüberstehen. Das hat unterschiedliche Gründe, die meist vor allem in den verwendeten Begrifflichkeiten und angeblicher Intransparenz zu liegen scheinen, aber auch in der Unterstellung, dass die neuen alkoholfreien Gins zwar einen sober Genuss anpreisen, sich dabei jedoch in Dingen wie Design und Vermarktung quasi ausnahmslos an den Mechanismen der Spirituose orientieren.

Woran liegt das und ist das zutreffend? Wir haben mit den aktuell führenden Herstellern gesprochen.

»„Im Prinzip ist es der klassischen Destillation sehr ähnlich, nur dass wir wesentlich größere Mengen an Botanicals brauchen.“«

Felix Kaltenthaler

Das Berliner Start-Up „Laøri“ ging 2019 an den Start und konnte sich mit seiner Basis für einen alkoholfreien Gin & Tonic schnell etablieren
Die junge Hamburger Marke „Undone“ bietet seit 2019 ein ganzes Sortiment alkoholfreier Alternativen. Der „No. 2 Juniper Type“ übernimmt dabei die Gin-Rolle

Ist alkoholfreier Gin nur ein Kind des Gin-Booms?

Unter allen Spirituosen gilt Gin landläufig als vergleichsweise am leichtesten herstellbar – mitunter eine Erklärung für den exponentiellen Anstieg der Marken in den letzten Jahren. Ein Gin-Boom kann schneller wachsen als ein Whisky- oder Weinbrand-Boom. Interessant ist also zunächst die Frage, ob die neuen Marken von ihren Schöpfern gezielt mit Blick auf den vorherrschenden Trend als Gin-Alternative entwickelt wurden oder in einem ergebnisoffenen Prozess, der generell ein alkoholfreies Resultat hervorbringen sollte.

Für die beiden Gründer von Siegfried Gin, Raphael Vollmar und Gerald Koenen, war die Intention bei der Entwicklung von Wonderleaf weniger eine alkoholfreie 1:1-Variante ihres Siegfried Gins, sondern „das Ziel war klar: Es muss ein wertiges Destillat aus echten, natürlichen Zutaten sein. Irgendwelche Aromen, wie sie bei der Limonadenherstellung zum Einsatz kommen, waren und sind ein absolutes Tabu.“ Nach eineinhalb Jahren Entwicklung kam Wonderleaf schließlich als erstes deutsches Produkt der Kategorie auf den Markt. Inzwischen geben Koenen und Vollmar an, dass „2020 auf zwei Flaschen verkauften Gin je drei Flaschen Wonderleaf“ kämen – in knapp zwei Jahren wurde die alkoholfreie Variante also bereits der Topseller des Hauses.

Ähnlich rasant ist es beim Quarantini Social Virgin, wie Destillateur Felix Kaltenthaler und Mitentwickler Boris Markic angeben: 40 Prozent der über den Quarantini-Onlineshop abgesetzten Flaschen seien mittlerweile mit der bleifreien Gin-Version befüllt, die auch ausdrücklich von Anfang an als solche entwickelt worden ist: „Wir wurden von vielen unserer Kunden explizit nach einer alkoholfreien Alternative gefragt. Zu Anfang haben wir uns nicht wirklich mit der Thematik beschäftigt, als sich die Fragen aber gehäuft haben, haben wir uns die Kategorie angeschaut und die Ärmel hochgekrempelt.“

Noch deutlicher bestätigt Stella-Orania Strüfing, Mitgründerin und Geschäftsführerin von Laøri, die klare Absicht, speziell Gin- bzw. Gin & Tonic-Genießern eine alkoholfreie Lösung anbieten zu können: „Der Wunsch war, eine anständige Alternative zum Gin & Tonic zu erschaffen.“

Was ist alkoholfreier Gin eigentlich?

Das ist letztlich die Frage aller Fragen: Was ist alkoholfreier Gin eigentlich? Denn zumindest aus legislativer Sicht ist EU-weit eindeutig geregelt: Gin ist eine Spirituose und muss mindestens 37,5% Vol. Alkohol enthalten. Insofern ist klar, dass keiner der genannten Produzenten den Begriff „Gin“ (oder „Spirituose“) auf seine Flasche schreiben darf – außer Undone mit dem augenzwinkernden „this is not Gin“ tut das auch keiner.

Die Tatsache, dass wir es hier also sozusagen mit Gin ohne Alkohol zu tun haben, stellt die Produzenten somit vor folgendes Dilemma: Der sehr effektive, etablierte Herstellungsprozess von Gin kann nicht angewendet werden. Zusätzlich bedeutet der Entzug von Alkohol automatisch einen Verlust von sowohl aromatischer als auch textureller Intensität – und zwar in hohem Maße. Wie begegnen die unterschiedlichen Hersteller diesem Umstand?

Relativ bedeckt halten sich Vollmar und Koenen von Wonderleaf, angesprochen auf den Produktionsprozess: „Wir mussten umdenken, denn statt Alkohol kann man für die Extraktion der Aromen nicht einfach Wasser verwenden – das funktioniert nicht. Das genaue Verfahren können wir natürlich nicht verraten, aber soviel sei gesagt: Wir extrahieren die Aromen anders und stärker als bei einem normalen Gin.“

Strüfing hingegen wird präziser: „Unsere Kräuter und Gewürzen destillieren wir einzeln auf Wasserdampfbasis. So können wir besser auf die einzelnen Bedürfnisse der Botanicals eingehen und das Maximum an Aromen gewinnen.“ Während manche Hersteller mit alkoholischen Ansätzen arbeiten, die später extrem rückverdünnt werden, stellt sie außerdem klar: „Alkohol setzten wir in dem Prozess nicht ein.“ Laøri ist also ein komplettes 0,0-Produkt. Einen vergleichbaren, aber noch traditionelleren Weg gehen die Macher von Quarantini, wie Felix Kaltenthaler erläutert: „Im Prinzip ist es der klassischen Destillation sehr ähnlich, nur dass wir wesentlich größere Mengen an Botanicals brauchen.“

So naturbelassen und handwerklich allerdings die Aromengewinnung vonstattengehen mag, darf man nicht vergessen: Soll das Produkt auch nach Anbruch der Flasche noch einen gewissen Zeitraum haltbar sein (und das muss es ja, wenn es in für Spirituosen üblichen Portionen konsumiert wird), sind Zusatzstoffe unentbehrlich – erst recht, wenn evtl. Verdickungsmittel wie Pektin (im Falle von Laøri) oder Zellulose beigemischt werden, die das Mundgefühl von Ethanol nachstellen sollen. Hier sind tatsächlich alle befragten Hersteller auf einer Linie: Als Stabilisator wird das gängige Kaliumsorbat verwendet, das zur Wirksamkeit außerdem mit Säure flankiert werden muss (z.B. Apfel- oder Zitronensäure).

Was aber dennoch als großer Unterschied zum echten Gin bleibt: Ein Gin ohne Alkohol, letztlich nichts anderes als ein stark aromatisiertes Wasser mit teilweisen weiteren Zusätzen, ist verderblich. Eine Spirituose hingegen verdirbt nicht. Sie kann monatelang oder gar für Jahre im Schrank stehen. Vielleicht flacht sie ab, wird irgendwann langweilig. Aber verderben kann sie nicht.

2018 lancierten die Macher von Siegfried Gin den alkoholfreien „Siegfried Wonderleaf“. Heute ist das Produkt klarer Marktführer in Deutschland
Ende 2020 präsentierte die Destille Kaltenthaler die alkoholfreie Variante ihres Corona-Charity-Projekts zugunsten der Barszene: den „Quarantini Social Virgin“

Warum kostet alkoholfreier Gin so viel Geld?

Das ist die Frage, die seit dem Launch von Seedlip wie ein Geier über der gesamten Kategorie von Gin ohne Alkohol und allen anderen „alkoholfreien Destillaten“ kreist. Denn von Tag 1 an, das muss man ganz klar konstatieren, orientieren sich die Produzenten und Marken dieses entstehenden Segments in Sachen Preisgestaltung deutlich an den hochprozentigen Vorbildern. Und zwar nicht an der Bückware, die für wenige Euro unten im Regal steht. Sondern an den Premiumvertretern: So hat Wonderleaf im eigenen Onlineshop einen Literpreis von knapp € 38, Vorreiter Seedlip rund € 42, Laøri und Quarantini kommen auf rund € 49, Undone gewinnt hier in Sachen Preis-Leistung mit ca. € 28,50 pro Liter.

Das lässt im Diskurs der Barszene die oft als Vorwurf formulierte Frage auftauchen, woher diese hohen Preise stammen, die doch schon bei echten Spirituosen oft genug nicht wirklich verständlich oder transparent wirken. Tatsächlich kann die Mehrheit der befragten Hersteller diese Unterstellungen aber recht nachvollziehbar in ihre Schranken verweisen. So begegnet Stella-Orania Strüfing dem Vorwurf, dass ein alkoholfreies Produkt eine deutlich geringere Steuerlast erzeuge, ziemlich souverän: „Das Steuer-Argument lasse ich nicht gelten. Wäre Laøri ein alkoholischer Gin, würden wir € 2,50 pro Flasche an Steuern abführen.“

Womit eher im Umkehrschluss deutlich wird, dass es nicht die Steuern sind, die einen Premium-Gin für € 39 pro halbem Liter so teuer machen. André Stork, Mitgründer von Undone, sieht das vergleichbar und merkt an: „Ein gutes Produkt verursacht Kosten, die gedeckt werden müssen. Gleichzeitig fragen bei einer Cola nur sehr wenige Verbraucher skeptisch nach dem Literpreis von € 1,39 oder sogar mehr, während die Herstellungskosten bei drei oder vier Cent liegen.“

Mit Blick auf den konkreten Herstellungsprozesses sind sich alle Produzenten einig, dass Gin ohne Alkohol sowohl in Sachen Aufwand als auch finanziell stärker ins Kontor schlägt. Felix Kaltenthaler, durch die Arbeit seiner Destille Kaltenthaler auch erfahrener Gin-Destillateur, kennt den direkten Vergleich und meint dazu: „Einerseits haben wir für die Herstellung bestimmte Modifikationen an unseren Geräten vornehmen müssen. Vor allem aber ist der Wareneinsatz an Botanicals einfach viel höher – der Geschmacksträger Alkohol fehlt halt.“

Die beiden Wonderleaf-Gründer machen zudem klar: „Nicht alle Botanicals sind in gleicher Weise für eine rein alkoholfreie Extraktion geeignet. Das erfordert ein Umdenken bei Rezepturen und Verfahren und bringt einen hohen zeitlichen Aufwand für fortwährende Optimierung mit sich – eine steile Lernkurve inklusive!“ Laøri-Chefin Strüfing bestätigt das: „Da wir jedes Botanical einzeln destillieren, sind es also acht Vorgänge. Außerdem muss die Produktion hygienisch auf einem höheren Niveau sein als es bei der Produktion und Abfüllung von Alkohol der Fall ist – das kostet wieder Zeit.“ Und auch Seedlip-Gründer Ben Branson gibt an, dass es vor allem Zeit und Mehrstufigkeit sind, die als Kostenfaktor stehen: Sechs Wochen dauert die Herstellung einer Charge mittels aufwendiger Kaltmazeration und Destillation; im Gegensatz zu den anderen genannten setzt Seedlip auch auf Extraktion in Alkohol und trennt diesen dann später ab. Der genau Vorgang bleibt allerdings ein Geheimnis.

»„Ich rechne daher damit, dass die alkoholfreien in Zukunft eher von den echten Spirituosen abrücken müssen. Und zwar in der Bezeichnung wie auch in der Aufmachung.“«

Dr. Christofer Eggers, Jurist

Wie viel Gin ist in Gin ohne Alkohol? Und darf das irgendwann Gin heißen?

Obwohl alle Hersteller potentielle Zweifel in Bezug auf ihre Preispolitik vergleichsweise gut ausräumen können, bleibt eine Frage noch im Raum hängen, und die betrifft den Auftritt der Kategorie sowie damit automatisch ihre langfristige strategische Perspektivierung. Denn während Marken wie Laøri, Undone, Wonderleaf oder Quarantini Social Virgin für einen alkoholfreien Genuss stehen wollen, bedienen sie sich doch durchweg eines Marken-Designs und anderen Kommunikationsstrategien, die quasi zu 100 Prozent an die Spirituose angelehnt sind.

Stella-Orania Strüfing von Laøri sieht es pragmatisch: „Wir wollen explizit den Geschmack von Gin imitieren und dies klar für den Endkunden sichtbar machen. Warum sollen wir das nicht zeigen? Alkoholfreies Bier sieht ja auch aus wie Bier und wir haben uns daran gewöhnt. Warum sollte das bei alkoholfreien Alternativen anders sein?“ Interessant ist wiederum die Ansicht der Wonderleaf-Macher, die es aus einer emotionalen Perspektive betrachten: „Einerseits eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten in Sachen Zubereitung und Sensorik, andererseits ist der Umgang mit dem Produkt (noch) schwieriger, da eine gelernte Referenz fehlt. Abgewandelte Rezepturen alkoholischer Drinks sind also eine Art Einstieg in die Zero- und Low-ABV-Welt.“

Für Felix Kaltenthaler und Boris Markic steht im Vordergrund, dass das Produkt nie für den Purgenuss gedacht ist, sondern stets eine alkoholische Zutat im Drink substituieren soll: „Unser Virgin ist ja eine Abkopplung von unserem klassischen Quarantini Gin. Da liegt es auf der Hand, dass die Mixability stark im Fokus steht. Gleichzeitig sind die alkoholfreien Spirituosen in unseren Augen auch eher als eine Art Modifier zu sehen, um Tonics oder Limonaden in ihrem Geschmack verändern zu können“ – die schnöde Limonade, die eben allgegenwärtig als jenes Getränk ins Feld geführt wird, das dem mindful Trinker nicht mehr ausreicht, soll also durch eine Art alkoholfreien Gin aufgewertet werden.

Aber ist es das Wert? Zumindest Strüfings Aussage, „eine Wahl zu schaffen, wo keine ist“, wird bei solch einer Sichtweise teilweise negiert, wo doch jeder gute Bartender und sogar jeder halbwegs versierte Heimanwender sein Tonic auch selbst mit einem Cold-Brew-Tee oder ähnlichem aufwerten kann.

Neue EU-Leitlinien sind auf dem Weg

Interessant dürften die nächsten Monate und Jahren für die junge Kategorie und ihre Akteure auch aus rechtlicher Sicht werden, denn an den entsprechenden Schaltstellen, wo die EU-weiten Richtlinien und Verordnungen gemacht werden, beschäftigt man sich bereits mit dem Thema. Dazu sagt Dr. Christofer Eggers, einer der führenden deutschen Fachjuristen für Lebensmittelrecht: „Ich höre aus Brüssel, dass die neuen Leitlinien klarstellen sollen, dass es Bezeichnungen wie alkoholfreien Gin nicht geben wird.“ Die aktuelle Rechtslage sei dazu in der bisherigen Formulierung noch unklar.

Ferner weist Eggers außerdem darauf hin, dass auch sprachliche Bezugnahmen wie „not Gin“ – also Verweise auf eine bereits bestehende, definierte Gattung – durch die Überarbeitung der Regeln weiter beschränkt werden sollen. Ein alkoholfreies Destillat werde derlei Bezugnahmen künftig wohl nur noch führen dürfen, wenn es auch wirklich auf echtem, alkoholischem Gin basiere, so der Frankfurter Jurist. „Wenn diese Änderung kommt, wird es sicher den einen oder anderen Rechtsstreit und die Aufmachung der ‚Spirituosen-Alternativen‘ geben“, meint Eggers und schließt mit der generellen Einschätzung ab: „Ich rechne daher damit, dass die alkoholfreien in Zukunft eher von den echten Spirituosen abrücken müssen. Und zwar in der Bezeichnung wie auch in der Aufmachung.“

Während also alle befragten Hersteller die kritischen Betrachtungen der Preisgestaltung ihrer alkoholfreien Gin-Alternativen recht schlüssig darstellen können, zeigt der Blick in die Zukunft, dass Fragen von Vermarktung und Inszenierung demnächst wichtiger werden könnten. Denn einer Sache müssen sich alle Hersteller sogenannter alkoholfreier Spirituosen klar sein: Eine dauerhafte ideelle Etablierung ihrer berechtigten Produkte kann nicht auf ewig fast ausschließlich darauf aufbauen, dass sie sich als Alternative zu einem anderen Bereich darstellen, dessen Mechanismen sie aber ansonsten komplett übernehmen.

Hinweis: Dieser Artikel wird fortlaufend aktualisiert. 

Credits

Foto: Editienne

Comments (1)

  • Peter Schütte

    Wieder sehr informativ, kompakt und aufschlussreich.
    Dankeschön.

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