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„Der Neue in den Service!“ Vom Unsinn einer Unsitte

Warum darf der Bar-Lehrling nicht hinter den Tresen, sondern muss in den Service? Weil oft noch falsches Denken vorherrscht. Dabei müsste doch eigentlich klar sein, dass man auf diese Weise einem unerfahrenen Mitarbeiter das wichtigste Gut einer Bar überlässt: den Gast. Ein Kommentar.
Erst ans Tablett, dann an den Shaker. – Noch immer scheint es in einer Vielzahl hochklassiger Bars gang und gäbe zu sein, dass man neue Mitarbeiter ohne hochtrabende vorherige Stationen zunächst in den Barservice schickt, bevor sie an der Bar und zuallerletzt am Mixposten agieren dürfen. Die jungen Barleute sollen sich ihren Platz hinter dem Tresen erst „verdienen“, vielleicht gar „erkämpfen“ – so eine landläufige Meinung.

Bar-Lehrling direkt ins Service? Nein.

So weit, so schlecht – denn so kommen Mitarbeiter mit weniger breitem Fachwissen, zumeist geringerem Selbstvertrauen und ohne das entsprechende Gespür für ihren Arbeitsplatz direkt mit dem wichtigsten Gut der Bar in Berührung: dem Gast.
Nichts diskreditiert eine Bar schneller als Personal, dass den Gästen überfordert, planlos oder – im schlimmsten Fall – mit einer Mischung aus beidem gegenübersteht. Der direkte Gästekontakt ist vielmehr die höchste Schule der Arbeit in der Bar. Ein famoser, charmanter Service kann einen mäßigen Drink in den allermeisten Fällen kaschieren. Andersherum wird ein exzellenter Drink niemals einen lausigen Service wieder wettmachen. Denn wo der Gast sich unwohl fühlt, kann ein noch so guter Drink nicht gut schmecken.
Hochklassiger Service in einem gastronomischen Betrieb bedeutet, dass man mit dem Angebot, der Warenkunde und der gesamten Materie in einem Ausmaß vertraut ist, dass man den Gast durch den Abend geleiten kann und auf mögliche Rückfragen jederzeit eine Antwort parat hat. Ohne jenes archetypische Signal für halbherzige Gastronomie, dieses verdruckste „Da muss ich erst den Koch fragen“.

„Er merkt sich, wer was hasst.“

Zu all diesem fachlichen Handwerkszeug, das, obwohl nicht direkt vollführt, absolut obligatorisch ist für eine exzellente Gästebetreuung, kommt noch hinzu, dass auch Charme und Empathie vonnöten sind, um bestmöglichen Service zu bieten. Der Barkellner muss ein Gefühl für die Bedürfnisse seiner Gäste haben.
Er muss spüren, wann es zu unterhalten gilt und wann man sich zurücknehmen sollte. Wann eine saloppe Anmerkung angebracht ist und wann man lieber professionell distanziert agiert. Um es im übertragenen Sinne mit Concierge „Monsieur Gustave H.“ aus Wes Andersons The Grand Budapest Hotel zu sagen: „Er merkt sich, wer was hasst. Er erahnt das Begehr des Gastes, bevor es begehrt wird.“ Dieses Gespür gilt es zu entwickeln, und zwar nicht von heute auf morgen, sondern über Hunderte und Tausende an Gästen, die man bedient. Dies ausgerechnet von einem Bar-Novizen und Bar-Lehrling zu verlangen, ist schlichtweg unrealistisch – ihn dennoch zunächst direkt an den Gast zu schicken ist wiederum entsprechend unverantwortlich gegenüber dem Qualitätsgedanken. Es ist sogar geradezu dumm.

Die Saftschubse lässt grüßen

Mit Sicherheit spielen oft gänzlich „unromantische“ Gründe, wie Personalknappheit oder Kostensensibilität, in die Entscheidung mit hinein, einem neuen jungen Kollegen erstmal das Tablett in die Hand zu drücken. Der Hotel-Azubi, der in den zwei, drei Monaten sogenannter Lehrzeit an der Bar schlicht als „Saftschubse“ missbraucht wird, lässt grüßen. Allerdings sollte sich der Barchef oder -betreiber dabei bewusst sein, dass er weder seiner Bar noch dem betroffenen Mitarbeiter damit einen Gefallen tut.
Denn die Momente, in denen Vertrautheit mit dem Betrieb und seiner Klientel nötig wären, werden auf ihn zukommen – definitiv. „Was kostet das? Wie schmeckt der Drink? Was genau ist denn Sancho Powder? Ich hab’ da vor ein paar Monaten was getrunken, könnten sie mir auf die Sprünge helfen?“ Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Sicherlich kann man sich bei allen Fragen Hilfe bei seinen Kollegen holen, aber das kostet Zeit und Nerven und unterstützt sicher auch nicht das Agieren auf Augenhöhe mit den Gästen. Das ist nicht so zu verstehen, dass man auf jede Gästefrage umgehend eine Antwort parat haben muss – niemand kann alles wissen –, allerdings sollte man die Häufigkeit derartiger Situationen möglichst gering halten, wenn man eine hohe Servicequalität anstrebt.
Und da gilt es schlicht zu beachten: In einer gut besuchten Bar bedient ein Mitarbeiter am Tresen pro Abend vielleicht 15 oder 20 Gäste im direkten Gespräch. Der, der den „Floor“ macht, spricht mit 50, 100 oder 200 Personen. Es sollte auf der Hand liegen, wo ein Neuling und Bar-Lehrling erstmal besser aufgehoben ist – erst recht, wenn er am Tresen jederzeit Hilfe von einem direkt neben ihm stehenden, erfahrenen Kollegen bekommen kann.

Die Annäherung an die Drink erfolgt hinter dem Tresen

Vielmehr wäre daher der sinnvollste Start für einen Bartender in einem neuen Betrieb hinter dem Tresen – nah dran am Sortiment der Bar, mit Blick auf die Zubereitung und anderen Barleuten direkt an seiner Seite. Die Menge der selbstverständlichen Aufgaben, welche keine enge Vertrautheit mit dem Angebot erfordert, ist dort bedeutend höher: Sei es das Zubereiten von Longdrinks und Ähnlichem oder auch logistische Aufgaben. Auch diese Tätigkeiten als „Commis“ oder „Barback“ schulen ungemein, sie haben nichts Abwertendes.
Darüber hinaus ist eine Annäherung an die Drinks, Rezepturen und Abläufe deutlich näher und greifbarer, womit eine stringente Entwicklung des neuen Barmanns oder der neuen Barfrau in die Abläufe des operativen Geschäfts gewährleistet werden kann. Unterm Strich profitieren dementsprechend der Mitarbeiter sowie auch der Betrieb, wenn man überlegt an die Positionierung neuer Leute im Barbetrieb herangeht – und nicht zuletzt auch die Gäste.

Den Bar-Lehrling nicht ins kalte Service-Wasser werfen

Und während kaum eine Branche in der jüngeren Vergangenheit die Gastgeberrolle derart glorifiziert hat wie die Barszene und immer wieder deren Wichtigkeit betont hat, wird vielerorts immer noch vergessen, dass der Gastgeber nicht nur der Zampano an der Spitze ist, sondern jeder einzelne Mitarbeiter mit Gästekontakt. Die Mitarbeiter genau darauf bestmöglich vorzubereiten und ihnen das entsprechende Rüstzeug mitzugeben, wird oftmals noch unterschätzt und mit Sicherheit nicht erfüllt, wenn man einen neuen Kollegen oder Bar-Lehrling „ins kalte Wasser“ des Gastservices wirft.

Credits

Foto: Shutterstock

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