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Straßenbräu statt Wegbier

Berlin-Friedrichshain entwickelt sich zunehmend zum Paradies für Bierenthusiasten. Und damit ist nicht das berühmte Wegbier in den Händen der Nachtschwärmer oder Nachmittagsflaneure auf der Warschauer Brücke oder rings um den „Boxi“ gemeint.

Die Auswahl an Orten des Gerstenglücks und der Hopfen-Happiness wächst beinahe wöchentlich. Getränkefeinkost, Hops & Barley, Bierlieb oder Home Bierbar, um nur einige zu nennen. Seit Dezember 2015 gesellt sich unmittelbar am Ostkreuz eine weitere Adresse hinzu, die bereits bei Gesundbrewing nachhaltig den Gaumen beeindruckte. Zeit, einen Besuch abzustatten.

Für die Straße

Der Blick durch die große Glasfront wirkt einladend. Angenehmes Licht von exklusiven Leuchtelementen, moderne und edle Holzausstattung und im Mittelpunkt der illuminierte Tresenblock, dahinter die glänzende Aufreihung der 10 Zapfhähne. Die schwarze Wand ist mit weißen Zeichnungen und weißer Schrift verziert und zeigt Motive vom Brauen sowie von Berlin. Und natürlich die aktuelle Belegung der Zapfhähne mit Bierstil, Alkoholgehalt, Bittereinheiten in IBU und den verwendeten Hopfensorten. Traditionelle Elemente stehen für Brauhandwerk, moderne Form- und Materialiensprache hingegen verkörpern die aktuelle Dynamik der Craft Beer Szene zeitgemäß.

Der vordere Gastraum ist gar nicht wirklich groß, aber mit den Hochtischen und Barhockern optimal ausgestattet, sodass sich auch einmal eine Zehner-Gruppe um sie scharen kann. An der Wand mit den Backsteinen bieten intimere Nischen einen angenehmen Rückzugsraum, ein halbes Dutzend Plätze am Tresen gibt den besten Blick auf das gepflegte Handling der Zapfanlage frei.

Für die Weide

Die größere der beiden Brauanlagen füllt vorne das Fenster zur Straße, die kleinere – eine 20-Liter-Anlage – steht im hinteren Raumbereich und dient den Experimentalsuden des kreativen Teams. Und experimentierfreudig ist das Team um Betreiber Timo Thoennissen und Braumeister Sebastian Pfister wahrlich. Ausdrückliches Ziel ist es, den Gästen jeden Montag ein neues Bier vorsetzen zu können und die Neugierde auf das Schaffen der Straßenbrauer wach zu halten. Das sollte gelingen.

Das aktuellste Bier auf der Liste ist das „Caramuh“. Das Blonde ist der Kuh gewidmet und wurde mit Karamellmalzen, Kokosblütenzucker, indischem Schwarzzucker und Milchzucker gebraut. Die komplexe Süße verlangt beinahe umgehend nach einem asiatischen Speisebegleiter, wie einem Thai-Curry. Ein faszinierendes Bier.

Augenzwinkernd verrät der Betreiber ein weiteres Zukunftskonzept: „Wir möchten eine Milk-Stout-Variante einbrauen, bei der kein Wasser im Brauprozess verwendet wird, sondern ausschließlich Milch.“ Klingt aufregend und appetitanregend. Für Hungrige liegen auf dem Tresen übrigens die Speisekarten der umliegenden Imbisse bereit, so kann dem Flüssigen im Bedarfsfall auch etwas Festes zur Seite gestellt werden.

Ohne India Pale Ale kommt eine moderne Biergastronomie in diesen Tagen nicht aus. Umso spannender das Verkostungsset aus drei Gläsern mit unterschiedlichen IPAs, die jeweils mit anderen Hopfensorten kaltgehopft wurden. Besser kann auch der Laie die Kraft und die Vielfalt des Hopfens nicht kennenlernen. Jeder Hahn enthält das gleiche Basis-Bier, welches dann im Lagertank mit unterschiedlichen Hopfenvarianten vermählt wurde.

Für die Halbinsel

Der Bestseller ist am Abend des Besuchs wieder einmal ausverkauft: „Stralauer Blond“ heißt die Stammarke, die als süffiges, geselliges und unkompliziertes Bier auch die Nicht-Nerds erfreuen soll. Schließlich soll die Bar auch ein Feierabend-Wohnzimmer für Anwohner sein. „Die Nachbarschaft ist mir sehr wichtig“, erklärt Thoennissen und fährt fort: „Hier soll jeder Willkommen sein, egal ob er sich für unsere Brauexperimente begeistert oder einfach nur für einen entspannten Schluck mit Freunden kommt.“ Die benachbarte Halbinsel Stralau gibt dem süffigen Alltagsgebräu den Namen.

Brauer Sebastian Pfister stammt aus einer Winzerfamilie und verkörpert ein umfassendes Verständnis von flüssigen Köstlichkeiten und Methoden, die er mit Freude und Energie in die Braukessel überträgt. Der Valentinstag steht bevor, und so hat er speziell dafür ein Bier kreiert, bei dem er Rosenblüten mit einbindet und das im Glas natürlich auch die Farbe der Liebe aufweisen wird.

Vielfalt und Kurioses für die Hauptstadt

Weitere Experimente sind geplant. Kuriose Mischhefen, Anwendung von Holzchips oder gar Fässern, Hagebutten, Erdbeere und Vanille – Berlin darf gespannt sein. Wer Berlin kennt, kennt die berühmten Boulevards, wie Kurfürstendamm und Unter den Linden. Nun kommt eine prachtvolle neue Straße als Adresse für Bierenthusiasten hinzu. Der Weg zum Ostkreuz lohnt sich. Lebensfreude und Experimentierfreude. Ja, das klingt nach Friedrichshain. Und einige der handwerklich und kreativ ausgereiftesten und aufregendesten Biere der aktuellen Craft-Beer-Szene der Hauptstadt lohnen den Weg, auch wenn man am Westkreuz wohnt.

Credits

Foto: Alle Fotos via Peter Eichhorn.

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