„Ich bin kein Mensch, der flüchtet.” Swetlana Holz im Porträt
„Ich bin niemand, die vorprescht und ruft: Folgt mir! Aber ich bin jemand, die sagt: Ich bin dabei.” Swetlana Holz, Bar-Managerin im Le Lion in Hamburg, nippt an ihrem Glas Champagner. Eigentlich ist Alkohol für Mitarbeiter am Arbeitsplatz streng verboten. Aber Ausnahmezeiten verlangen Ausnahmen von Regeln. Gerade hat Swetlana mit ihrem Bartender-Team zusammengesessen, um ihnen die Entscheidung der Chefetage, sie in Kurzarbeit zu schicken, zu verkünden. Corona sei Dank. Da saß man dann gemeinsam in dem leeren, eleganten Raum mit der Löwen-Statue im Rückbuffet und stieß mit hoffnungsvoller, fast bockiger Trauer auf unsichere Zeiten an. Der Löwe brüllt. Leise, aber er brüllt.
Frühe Erfahrung in der Gastronomie
Seit acht Jahren ist Swetlana Holz jetzt schon dabei, so lange ist sie bereits Teil des Joerg-Meyer-Kosmos. Das ist ein Kosmos, dessen Ruf weit über die Landesgrenze hinaus strahlt. Ihre Karriere aber begann in der Boilerman Bar, wo sie 2012 anheuerte.
„Ich hatte gerade mein Studium als Textil – und Produktdesignerin an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften abgeschlossen, als eine gute Freundin mir vorschlug, mich in der Boilerman Bar zu bewerben.“ Die Gastronomie hatte sie bereits das gesamte Studium über begleitet; sie war erfahren in der Arbeit hinter dem Tresen. „Ich habe viel in Winterhuder Bars gearbeitet, auch kurz in einem Club, aber das liegt mir nicht. Da geht es nur ums Feiern, um das Sich-abschießen.“
Alkohol ist für sie ein bewusster Genuss, den man in Maßen trinkt und nicht in Massen. Letzteres schätzt sie nicht, das liegt auch an ihrer Herkunft. Die 36-Jährige ist in der ehemaligen Sowjetunion aufgewachsen, nahe Wladiwostok. Ihr Vater ist Russlanddeutscher, ihre Mutter kommt aus der Ukraine. „Die Kultur, aus der ich stamme, ist stark geprägt vom Alkohol und dem wenig verantwortungsvollen Umgang mit diesem.“
Die Suche als Teil des Wesens der Swetlana Holz
Swetlana Holz ist ein Mensch, der viel reflektiert, analysiert, auch sich selbst. „Ich suche mich noch“, sagt sie. Und ahnt, dass sie zu jenen Menschen gehört, die vielleicht nie vollends ankommen. Weil das Suchen Teil ihres Wesens ist.
Das hat auch mit ihren Wurzeln zu tun. Als Swetlana acht Jahre alt war, verließen ihre Eltern Russland und landeten schließlich in Schleswig-Holstein, in Hollmühle, einem kleinen Dorf bei Böklund. Ihre Erziehung war streng. „Ich habe meine Freunde beneidet, die deutsche Erziehung war so locker.“ Meinungsvielfalt und Diskussionskultur wurden in ihrem Elternhaus eher weniger gelebt. In dem festgesteckten Rahmen auf dem beschaulichen Land zwischen Nord- und Ostsee fühlte sich die junge Swetlana eingeengt, nach dem Abitur folgte sie ihrer älteren Schwester nach Hamburg. Ihr Studium beendete sie mit der Note 1,0. Sie mag Perfektion.
Der Wechsel ins Le Lion
„Warum habe ich mich nach dem Studium für die Gastronomie entschieden? Ich habe mich das auch schon gefragt. Es passte wohl einfach.“ Die Etikette bewahren, das Zurücknehmen der eigenen Persönlichkeit bei der Arbeit, das kommt ihrer Erziehung entgegen. Sie fand im Boilerman Strukturen und einen Chef, der ihr viel Input und gleichzeitig die Freiräume gab, sich ihren Weg zu suchen. „Was ich hier genieße, ist, dass ich stets ein sehr ehrliches Gespräch mit meinem Vorgesetzten führen kann. Auch damals, als ich nach zwei Jahren im Boilerman sagte: ‘Ich muss hier raus, mein Geist sitzt stark auf dem Trockenen.’ Joerg Meyer gab mir die Zeit. Er ließ mich nicht einfach gehen.“
Swetlana Holz wechselte stattdessen ins Le Lion, arbeitete dort zwei- bis dreimal die Woche als Bartenderin und unterstützte Joerg Meyer bei Tastings. „Es war ein neuer Raum, der damals entstand. Meine Funktion hier war für Mitarbeiter schwer zu greifen, sie war noch nicht definiert. Ich durfte mich bei ein bis zwei Projekten austoben, fotografieren, das Logo des Knete Gins kreieren.“ Inzwischen hat sie mehrere Logos entworfen, beispielsweise für The Art of Hospitality in Kooperation mit Campari, für die Rum Reise, eine Tasting-Reihe für die Boilerman Bar Hafenamt, sowie weitere Pop-up-Projekte. Sie erarbeitet sich stetig neue kreative Räume. Inzwischen ist sie Managerin eine der angesagtesten Bars der Welt.
Diesen Job teilt sie sich mit Marian Gadzewski; sie arbeitet eher am Tag, Marian eher am Abend. Bis zu zweimal in der Woche steht auch Swetlana noch am Tresen. Das sei wichtig, um das Ohr an den Gleisen zu haben. Zu wissen, was den Leuten schmeckt, und um nicht aus der Übung zu kommen. „Ich bin langsam geworden beim Shaken“, lächelt sie.
Le Lion - Bar de Paris
Die Suche nach Perfektion
Sie ist auch milder geworden – im Umgang mit sich und anderen. Noch vor zwei Jahren wäre sie „viel unhaltsamer“ gewesen, viel impulsiver. Aber Swetlana wäre nicht Swetlana, wenn ihr analytischer Verstand und ihre Suche nach Perfektion nicht weiter in ihr arbeiten würden. Wer ihr gegenüber sitzt, erlebt eine bedachtsame, überlegt sprechende und in sich ruhende Persönlichkeit. Aber Vorsicht, in diesem Job trägt man seine Emotionen nicht nach außen. Sie ist alles andere als konfliktscheu; sie benennt Dinge, die sie stören, besteht auf Ordnung und Disziplin an der Bar. „Ich finde, das gehört zum guten Handwerk dazu. Dass man seine Fläche sauber, seine Pinsel, seine Farben in Ordnung hält. In der Gastronomie sollte Sauberkeit immer erstes Gebot sein, ansonsten fühle ich mich nicht wohl.“ Verstößt jemand im Team gegen dieses Gebot, kann Swetlana sehr streng sein. Die Barmanagerin ist ein gradliniger Charakter, Ehrlichkeit ist ihr wichtig. Und wenn sie ehrlich ist, fühlt sie sich jetzt gerade im Le Lion sehr wohl.
„Im Moment spüre ich, dass ich aus der jetzigen Situation für mich viel herausholen kann. Und: Ich bin kein Mensch, der flüchtet. Ich bleibe gerne an einem Ort.“ Es ist die Mischung aus „am-Gast-sein“, aus organisatorischen und kreativen Aufgaben, die ihr liegt. „Ich sehe mich inzwischen nicht mehr nur als Bartenderin. Ich denke, es gibt wenige in diesem Job, besonders unter den Frauen, die mit Mitte 30 noch jeden Abend bis fünf Uhr morgens hinterm Tresen stehen möchten.“
Das Thema Kinder ist in ihrer Planung durchaus vorhanden. Ihr Freund ist Deutsch- und Englisch-Lehrer, die beiden leben zusammen in Hamburg Altona. „Eine ernsthafte Beziehung mit einem Barkeeper wollte ich nie.“ Das Barleben kann eine Blase sein, Swetlana bewegt sich in und außerhalb dieses Konstrukts. Sie ist die elegante Barmanagerin und die Frau, die irgendwann Hühner im eigenen Garten halten will. „So fantastische Tiere“, sagt sie. Sie ist überzeugte Anhängerin des Bourbon – „eine ehrliche Spirituose“ – und spielt in der Bezirksliga Volleyball. „Am Ende des Tages ist alles kreatives Denken. Fühlen. Machen. Ausprobieren.“
Swetlana Holz bleibt noch eine Weile im Le Lion
Das hört sich zufrieden, nahezu angekommen an. Dem Le Lion wird die Hamburgerin noch eine Weile erhalten bleiben. „Es ist ein toller Ort, der sehr viele Menschen glücklich macht.” Mit ihm verbindet Swetlana Holz viel, die derzeitige Schließung macht sie traurig. Aber in der Krise zeigt sich, wie kreativ Menschen sein können. Oder, um es mit ihren Worten zu sagen: „Ich habe zwei Nähmaschinen zuhause. Und sehr viel Löcher zu stopfen.“
bosch
❤️❤️❤️
Weinhaus Bücker
Wow – passion gelebt! Weiter so: Bin gespannt