Tayer + Elementary. Das ist die neue Bar von Monica Berg und Alex Kratena
Wir treffen früh ein, gegen halb fünf nachmittags, als das Tayer + Elementary eigentlich bloß das Elementary ist, weil der hintere Teil erst eine halbe Stunde später öffnet, aber die Londoner Nächte beginnen und enden oft früh, und wir wollen ja von Alex Kratena ein bisschen was erfahren, bevor der große Ansturm einsetzt.
Es ist der vierte Tag, an dem der neue Laden von Monica Berg und Alex Kratena geöffnet hat, und wir finden den Vater des Neugeborenen vor der Tür des Ladens, wie er den Gehsteig fegt. Das ist schon mal sehr sympathisch, und falls sich Kratena nicht mit falscher Identität unter die 187 Insta-Follower des bekanntesten Getränkejournalisten der gesamten südlichen Regensburger Altstadt geschmuggelt hat, dann ist auch davon auszugehen, dass er diesen Auftritt nicht eigens für mich inszeniert hat.
Im Tayer + Elementary kehrt der Chef persönlich
Ordentlich soll es aussehen, und da feudelt auch der Chef persönlich. Die Old Street qualifiziert sich ansonsten nicht gerade als Prachtstraße, außer für Berlin vielleicht, und man kann sich die Umgebung gut schwarzweiß vorstellen, mit einem Heinz-Rühmann-Pater-Brown, der mit seinem Regenschirm entlang watschelt, die spitze Nase in die Luft reckt und kommentiert: „Hübsch hässlich habt ihr’s hier.“
Aber die Stadtverwaltung hat eine Aufwertung des Viertels beschlossen (was auch immer man sich in London darunter vorzustellen hat), und auch das hat bei der Standortwahl eine Rolle gespielt. Südlich befindet sich gleich das Bankenviertel mit seinen dicken Brieftaschen, und nur ein wenig weiter östlich liegt mit Shoreditch ein Ausgeh-Schwerpunkt, auch mit qualitativ sehr ordentlichen Bars (Callooh Callay, Happiness Forgets etwa), aber auch, besonders am Wochenende, mit allen Begleiterscheinungen britischer Pressbetankungskultur, den Schnapsleichen, dem Erbrochenen, den stichsicheren Westen der Türsteher.
Immerhin, und das hat die Gegend sowohl den Marmorpalästen als auch den Touri-Übernachtungszellen rund um Paddington voraus, wohnen hier noch echte Menschen, die sich darauf freuen, in ihrer Nachbarschaft schön essen und trinken gehen zu können. Das Tayer + Elementary befindet sich außerdem recht mittig zwischen Gibson und Nightjar, und das ist gerade für den auswärtigen Gast, der für den Abend noch ein, zwei Alternativen in Gehweite sucht, sehr praktisch.
Einfach, also im Sinne von Kratena-Berg-einfach
Möge also die Aufwertung der Old Street mit großer Findigkeit vonstatten gehen – ein Beispiel dafür fände sich schräg gegenüber im „Look Mum, no Hands!“, das ganz besondere Synergieeffekte schafft, indem es ein Café mit einer Fahrradreparaturwerkstätte kombiniert. Pacht geteilt, einen Hingucker geschaffen. Warum eigentlich nicht.
Die Denke von Monica Berg und Alex Kratena ist da nicht minder kreativ, auch wenn sie jetzt nicht grade einen Schuster in Untermiete genommen haben. Aber der Umstand, dass vielen Bars eine bestimmte Kernzeit eingebrannt scheint, zu der sie frequentiert werden (und die nicht zwangsläufig mit den Wünschen und Möglichkeiten der Betreiber übereinstimmt), könnte ja auch bei anderen Gastronomen die Frage aufkommen lassen, weshalb man denn in seinem Lokal nur ein Lokal betreibt. Und nicht zwei. Oder drei.
Der vordere Teil, das Elementary, ist dem zwanglosen Tagesgeschäft gewidmet, öffnet um 11:30 Uhr, bietet einfache (also, Kratena-Berg-einfache) Drinks und Snacks, und dürfte den Leerlauf der Immobilie schon erheblich eindämmen. Das Tayer dahinter öffnet dann um 17:00 Uhr.
Küche war gestern, heute heißt es Lab
Festlegen lassen sich die Schöpfer eh nicht gerne. Cocktailbar? Langweile mich nicht, Sterblicher! „Tayer“ ist spanisch für Werkstatt, und auch wenn diese Werkstatt völlig ohne Motoröl und Sägespäne daherkommt und überhaupt ganz unwerkstättig sauber ist, so symbolisiert der Name doch den gnadenlosen Unwillen, sich auch nur den Anschein von Stillstand zu geben.
Die Einrichtung ist minimalistisch (schon klar, spricht der ennuyierte Edelgast, minimalistisch, schon recht, und die Decke hängen wir auch nicht ab, damit man all die lässigen Leitungen gut sehen kann, und welche Art von Waschbeton darf’s denn hier bitteschön sein?), aber der Laden besitzt dennoch ein hohes Maß an Gemütlichkeit. Die wunderschönen, hölzernen Stühle und Hocker tragen dazu genauso bei wie die Schränke, in denen abends das Hightech-Equipment verschwindet, dessentwegen man in diesen Kreisen nicht mehr von Küchen spricht, sondern nur noch von „Labs“.
Aber auch da ist eine Menge Bodenständigkeit zu spüren, die alles scheinbar Unnahbare sofort umkuschelt. Die Gäste auf den Thekenplätzen werden dazu eingeladen, ihre Mäntel und Taschen einfach dahinter ins Regal zu stopfen, wo sie dann auch noch die Ergebnisse vorheriger Prep-Arbeit vorfinden: Da liegt da ein vakuumiertes Tütchen mit eingelegtem Zitronengras, eins mit Rhabarber und eins, das auch das Gulasch von gestern sein könnte. Und am Boden steht ganz unschuldig ein großer Plastikeimer, in dem irgendwas vor sich hin fermentiert.
Tayer + Elementary
Die Drinks werden schlicht nach dem Leitgeschmack benannt
So ist es halt in der Werkstatt. Die inmitten der U-förmigen Theke gelegene Cocktailstation mit ihren wabenförmigen, flexiblen System-Einsätzen treiben dann dem Gastro-Kollegen schon ein paar Tränen des Neids in die Augen. Die Karte wechselt dauernd, die Drinks halten sich nicht mit mehr oder minder phantasievollen Bezeichnungen auf, sondern werden schlicht nach dem Leitgeschmack benannt. Folgendermaßen sieht das dann aus: Maker’s Mark Bourbon, SPROUTED RYE, Minus 8 Verjus + Noilly Prat Dry Vermouth. Mit 15£ der teuerste Drink auf der Karte, aber sein Geld gerne wert. Neroli, VANILLA, Everleaf & London Essence Tonic gibt’s schon für 7£, und dafür bekommt man ein paar Meter weiter südlich die Hälfte eines schlechten Whisky Sour mit Kunstzitrone.
Zwei Konzepte im Doppelnamen ansprechend zum Ausdruck gebracht – wir haben es geahnt, Kramp-Karrenbauer kann nicht das Ende der Fahnenstange sein. Und das mit den zwei Konzepten ist ja sogar noch untertrieben. Es gibt ja auch noch das Outthink, das als eine Art Brainstorming-Planschbecken für alle möglichen Ideen und Konzepte gedacht ist. Und wenn man dabei hungrig wird, kommt das wirklich großartige Essen von der TaTa Eatery, einem mobilen und gefeierten Restaurantkonzept, dessen Verbindung aus Qualität und Unberechenbarkeit genau auf der Kratena-Berg-Linie liegt. Und wieder ist London um mehr als eine Facette reicher geworden.
Zugänglicher, flexibler, weniger elitär
Da haben nun also mit Erik Lorincz und Alex Kratena die ehemaligen Kapitäne zweier der profiliertesten Cocktail-Dickschiffe innerhalb weniger Tage ihre ersten komplett eigenen Läden eröffnet, und natürlich schaut man da schon ganz genau hin, wie sich das da so gestaltet. Auf den ersten Blick ist im Tayer + Elementary weniger Artesian erkennbar als American Bar im Kwãnt, aber der Ansatz beider ist ähnlich: ein flexibleres, zugänglicheres, weniger elitäres Konzept zu fahren, und beide erreichen ihr Ziel, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise.
Die Motivation ist klar: mag auch das Prestige auf der Brücke der großen Traumschiffe größer sein – es ist halt schon bedeutend sportlicher, eine schlanke Rennyacht per gewagter Halse in den Wind zu werfen, als darauf zu warten, dass einem das Seitenstrahlruder den Hintern wieder aus den Wellen schiebt.
Credits
Foto: Tayer + Elementary | Bernard Zeija
Fabio
Toll geschrieben.