„Wie lange kann man Menschen in Angst halten?“ Monica Berg und ihr Kampf für die Barszene
Ein Ranking kürte Monica Berg 2020 zur einflussreichsten Person der Barszene. Ihr Gefühl dazu? „Ich habe mich noch nie zuvor so machtlos gefühlt.“ Trotzdem ist die Betreiberin des Tayēr + Elementary mit ihrem Partner Alex Kratena zu einer der wichtigsten Stimme der Kritik geworden. Denn in Großbritannien kämpft die Gastronomie mit den gleichen Problemen wir hier.
Ehrungen sind was Schönes, so grundsätzlich. Alle finden einen gut, es gibt Applaus, man bekommt darüber hinaus oft noch was Feines zu essen und einen schönen Pokal oder zumindest eine Urkunde. „The Industry’s Most Influential Figures 2020“, veröffentlicht vom Magazin Drinks International, kommt zwar ohne großes Verleihungszeremoniell aus, aber wer da drin steht, tut das auch nicht grundlos.
In Deutlichkeit Stellung beziehen
Weltweit haben etwas mehr als 100 sorgfältig ausgewählte Menschen entschieden, dass die einflußreichste Gestalt im Bargeschäft 2020 Monica Berg ist, die zusammen mit ihrem Partner Alex Kratena (der ihr auf der Liste auf Platz zwei nachfolgt) seit Mitte 2019 in London das Tayēr + Elementary betreibt. Aber deren Freude über die Ehre ist dann doch eher begrenzt. „Ich bin da schon dankbar, bitte versteh mich nicht falsch. Aber… ich habe mich noch nie zuvor so machtlos gefühlt“, sagt sie dazu.
Hat sich was mit „most influential“, wenn gerade die gesamte Industrie kollabiert. Nun ist Monica Berg tatsächlich eine extrem kluge, reflektierte und wortgewandte Person, die sich natürlich auch in dieser Zeit nicht scheut, in extremer Deutlichkeit Stellung zu beziehen, und die in jeder Hinsicht ein ideales Sprachrohr für den gesamten Berufszweig darstellen würde. Wenn, ja wenn denn irgendwo irgendjemand zuhören würde.
Man kann sich vielleicht die Frage stellen, weshalb man gerade jetzt, wo im Grunde jeder kleine Eckkneipenbetreiber vor den Trümmern seiner Existenz steht, den Blick auf eine Londoner High-End-Bar richten sollte. Nun, weil Vergleiche zum einen nie schaden, über den Tellerrand und über Landesgrenzen hinaus sowieso nicht. Und zum anderen – auch wenn das keine der brillantesten menschlichen Charaktereigenschaften ist – tut es manchem vielleicht tatsächlich auch gut zu wissen, dass er zusammen mit den besten seiner Zunft in der Scheiße sitzt.
Gastronomie als Ziel von Symbolpolitik
Die Pandemie ist der große Gleichmacher, zumindest in der Gastronomie: Da trifft es die Jungen und Starken genauso wie die Alten und Schwachen; das Gelsenkirchener Barock neben der Nirosta-Spüle verstaubt genauso wie die maßangefertigte Edelstahl-Mittelinsel unter dem Waschbeton.
Es ist aufschlussreich, nach England zu schauen, und dort dasselbe zu sehen wie bei uns: Auch die Briten haben zum Beispiel eigene Studien zu den Covid-Ansteckungen, und auch deren Studien gelangen zu den gleichen Ergebnissen; nämlich, dass nur ein sehr geringer Teil der Ansteckungen in der Gastronomie stattfindet. Und genau wie bei uns scheint es eine unwiderstehliche politische Verlockung zu sein, die Gastronomen als üblichen Verdächtigen zum Ziel von Symbolpolitik zu machen. „Wir sind es ja gewohnt, als schwarzes Schaf herzuhalten,“ meint Monica Berg bitter.
Genau wie bei uns haben nur wenige Gastronomen eine Versicherung gegen eine Betriebsschließung abgeschlossen, und genau wie bei uns schauen diejenigen, die es getan haben, trotzdem in die Röhre, weil sich die Versicherungen weigern, zu zahlen – schließlich steht ja in den Policen nichts von Covid.
Und ebenfalls genau wie bei uns gibt es keine Anstalten der Politik, doch endlich auch einmal die Verpächter mit an der Krise zu beteiligen. Gott bewahre, da könnte es ja die Reichsten treffen! Wer will denn sowas. Und so erhält man, auch wenn man zur Weltspitze seiner Profession zählt und erst wenige Monate zuvor mit einem riesigen Aufwand die eigene Bar aufgesperrt hat, womöglich nur ein Achselzucken seitens des Besitzers. So sorry. Tough luck. Pay up. Hübsche Dinge haben Sie hier rumstehen, nicht wahr? Was ist denn in dem Schrank da? Mancherorts, hier wie da, kreisen schon die Geier. Ein weiterer ekelhafter Aspekt einer hässlichen Geschichte.
Tayer + Elementary
Monica Berg sieht das große Ganze
Ein Teil des Problems von Monica Berg und Alex Kratena ist, dass sie sich Sorgen um ihre Mitarbeiter machen. Wie unzeitgemäß. Während im Savoy Hotel mal kurz die gesamte Belegschaft rausgeschmissen wird, um bei der Wiedereröffnung mit einem Rumpfteam anzutreten, das zu schlechteren Konditionen wieder angeheuert wurde, hat man im Tayēr + Elementary niemanden rausgeworfen. Keinen. Ob das auch noch weiterhin möglich ist, wenn die momentanen Kurzarbeiterregelungen auslaufen, kann keiner sagen.
Aber unabhängig davon, dass in einem Laden wie dem Tayēr + Elementary ein ausgefallener Mitarbeiter nicht so ohne weiteres zu ersetzen ist, sieht Monica Berg auch hier das große Ganze: Hier wie auf der ganzen Welt ist die Gastronomie auch ein Auffangbecken für nach herkömmlichen Maßstäben gering Qualifizierte. So gut diese auch sein mögen, oft genug schlägt sich das nicht in Papierform nieder – und wird deshalb auch weniger geschätzt. Kreative, hart arbeitende Quereinsteiger, die aber durch jedes soziale Netz zu fallen drohen. Der knochenharte Londoner Wohnungsmarkt reagiert schon prophylaktisch: an Bartenderinnen und Bartender wird nur noch ungern vermietet, wenn überhaupt. Zu riskant, bei dem Beruf …
Die Arbeitslosenunterstützung ist kaum der Rede wert. Trinkgeld wird zwar besteuert, aber bei der Berechnungsgrundlage nicht als Einkommen anerkannt. Monica Berg sieht das explosive Potential: „Wie lange kann man Menschen in Angst halten? Und was macht das am Ende mit denen, die sowieso ganz unten stehen?“
Hilfe vor allem für Pub-mit-Küche-Systemgastronomie
Recht viel besser stehen natürlich auch die Arbeitgeber nicht da. Für die Staatshilfen, die doch eigentlich den Betreibern helfen sollen, ihre Objekte über diese Zeit zu retten, gilt: Der Teufel steckt im Detail der Regularien. So wird zum Beispiel der Wert eines Objekts vom örtlichen Business Council festgesetzt; auf dieser Grundlage werden auch die Steuern festgesetzt. Im zweiten Schritt wird deswegen dann aber auch die Unterstützung verweigert: Auf Basis der vorherigen Wertbestimmung ist nun nämlich das Risiko für eine staatliche Unterstützung zu hoch. Pech gehabt.
Viele, wenn nicht die meisten Barbetreiber fallen durch dieses Raster. Zugeschnitten scheint die Form der Hilfe vor allem auf eine bestimmte Form der Pub-mit-Küche-Systemgastronomie zu sein, die, nun ja, was soll man sagen … jedenfalls ist Tim Martin, Betreiber der Wetherspoon-Kette mit ihren beinahe 900 Lokalen, ein glühender Verfechter des Brexit und hat seinen Pandemie-Wunschzettel recht lautstark publiziert. Damit ihn das Christkind auch ja hört.
Im Tayēr + Elementary kämpft man halt mit Bordmitteln gegen das Absaufen. Immerhin hat man die Speiselizenz, Bottled Cocktails gibt es natürlich auch, und auf den Tischen stehen Desinfektionsspender im Design des Lokals. „Wenn wir so grade bei Null rauskommen, sind wir schon zufrieden. Aber das ist schon schwer genug. Hier in unserem Einzugsbereich sind etwa 30.000 Arbeitsplätze ins Home Office verlagert worden. Das ist nicht aufzufangen. Von den Touristen mal ganz zu schweigen.“
Monica Berg ist die Stimme der Kritik
Und auch bei diesem Punkt sieht Monica Berg mehr als nur ihren Ausschnitt des Bildes: „Wenn dann die Firmen irgendwann merken, dass es keinen Unterschied macht, ob ihr Angestellter jetzt in einem Vorort von London oder in Indien vor dem Bildschirm sitzt? Was dann?“ Ja, was dann. Monica Berg macht halt weiter. „Ich verschwende meine Zeit nicht damit, mich zu ärgern.“
Trotzdem waren die vergangenen Monate kräftezehrend, und es sieht nicht so aus, als würden die kommenden leichter. „Wir haben alle viel zu tun. Aber man muss doch trotzdem den Mund aufmachen!“ Sie sieht dabei aber auch die Probleme ihrer Zunft: die Verbände sind zahnlos und konfliktscheu, und generell ist das Bargewerbe eben leider auch eine Petrischale für Alphatiere, mit denen schwer ein gemeinsamer Auftritt zu schaffen ist: „Da will halt jeder gerne Anführer sein.“
Monica Berg hätte in jeder Hinsicht das Zeug dazu. Es bleibt fraglich, wie lange sie ihre Kraft an Spiegelfechtereien verschwenden muss. In England haben die Menschen jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit Sperrzeiten, und im Grunde weiß jeder, dass die rigide Gängelung nicht viel mehr ist als eine Destillationsmethode für hochprozentigen Exzess. Bereits jetzt zeigen sich weltweit die Folgen davon, wenn man das Feiern in den Untergrund abdrängt; Alex Kratena erzählt von einer illegalen Party in Oslo, nach der ein kaputter Dieselgenerator 25 Gäste ins Krankenhaus befördert hat. Ganz ohne Virus.
Alles wie bei uns
Wie bei uns versucht Monica Berg, die Gastronomie als Teil der Lösung des Problems zu präsentieren. Und ganz wie bei uns wird das komplett ignoriert. Die Engländer haben einen grauenhaften Euphemismus dafür, wenn ein Mensch seinen Job verliert. He is „made redundant“. Er wird überflüssig gemacht. Der Begriff ist so tief in den Alltagsgebrauch eingedrungen, dass seine Brutalität dem Muttersprachler kaum mehr auffällt. Gerade aber trifft er die Lebenswirklichkeit vieler haargenau: niemand braucht euch. Seht zu, wo ihr bleibt.
Derjenige Cocktail-Aficionado, der nun nicht gerade auf die Neue Sachlichkeit im Glas steht, kann sich für gut 20 Euro bei verschiedenen Quellen ein opulentes Trinkgefäß in Form einer goldenen Ananas besorgen. Sowas würde sich doch in diesen Zeiten als Trophäe anbieten.
Credits
Foto: Martin Stein (Aufmacher); Bernard Zieja