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Contra Barkarte: Mach’s Maul auf!

Zum ersten Mal veranstalten wir bei MIXOLOGY ONLINE eine virtuelle Debatte über Pro & Contra. Zwei Texte, zwei Meinungen, ein Sachverhalt aus zwei Blickwinkeln, durch verschiedene Augen. Den Anfang machen Markus Orschiedt und Nils Wrage: Braucht die Bar eigentlich eine Barkarte? Ein klares „Nein“ von Markus Orschiedt.

Barkarten nerven mich. Warum? Weil die meisten nichts taugen. Entweder viel zu umfangreich, oder zu minimalistisch. Ist sie zu umfangreich, verliert sich der Gast darin und wählt dann ohnehin wieder das, was er schon kennt. Er stimmt damit seinen Drink nicht auf das ab, was er bisher schon getrunken hat, was nach dem Essen oder für den weiteren Abend passen könnte. Was zum Beispiel vor einem Restaurantbesuch eine schöne Einstimmung wäre. Vor oder nach dem Sex die Sinne zu Ende entwickelt. Oder, dies trifft dann eher auf den unbedarften Bargänger zu, er fühlt sich nicht inspiriert. Zudem sind viele Karten einfallslos gestaltet. Aber auch das Gegenteil trifft zu: vor lauter Designelementen verliert sich der Inhalt hinter allerlei Ziselierungen. Es sprechen aber noch weitere Gründe für den Verzicht auf eine Barkarte und das ist gar nicht negativ assoziiert.

Das erste Mal

Jedes Contra schließt natürlich auch ein Pro ein. Es ist völlig klar, dass dieses Diktum gegen die Karte nur für gewisse Betriebe und unter ganz speziellen Bedingungen gelten kann. Auch mögen es manche sich erst einmal in einer Karte zu orientieren, um dann der folgenden Beratung zu lauschen. Dennoch: Wann immer es geht, ist auf den Einsatz einer Barkarte zu verzichten.

Ich weiß noch, wie ich als Bub einmal mit meinem Vater im Italienurlaub in ein kleines, eher einfaches Lokal ging. Wir warteten. Plötzlich tauchte der Besitzer auf, setzte sich zu uns an den Tisch und begann das Menü zu besprechen. Er und mein Vater sprachen italienisch – ich verstand kaum ein Wort. Dennoch malte er die verschiedenen Gerichte mit den kräftigsten lautmalerischen Tönen und schwungvollen Gesten aus, dass ich vor meinem geistigen Auge die leckersten Spezereien vorbeifliegen sah. Schnappte ein paar mir bekannte Begriffe auf und mir lief das Wasser im Munde zusammen. Ich war tief beeindruckt.

Später war ich jedes mal enttäuscht, wenn ich wieder nur einen papiernen Abklatsch dessen in Händen hielt, zu welchen Leistungen die Küche in der Lage war und was später auf meinem Teller zu landen gedachte. Hier kam dann der Appetit eher mit dem Essen, um dem bekannten Sprichwort seine Berechtigung zu konstatieren.

Blinde Date mit der Bar

Wenn ich eine Bar betrete, genieße ich es, mich zunächst umzusehen, vielleicht einen Platz an der Bar zu ergattern und, bei einem ersten Schluck aus dem Wasserservice, die Atmosphäre auf mich wirken zu lassen. Vielleicht auch mit meiner Begleitung oder einem Freund ein erstes Gespräch zu beginnen, statt mich bei Funzellicht durch Myriaden von Drinks zu wälzen. Ich will überrascht werden, wie bei einem Blinde Date. Die Bar ist meine Verabredung. Ich bin mit ihr und ihrer Einzigartigkeit intim und möchte nicht vor dem ersten Drink ihr ganzes Leben erzählt bekommen. Währenddessen hat mich der Barmann oder der Service wissen lassen, dass er sich gleich Zeit für mich nimmt. Angekommen!

Dann fängt mein Blind Date an zu sprechen. Vorsichtig erkundigt es sich nach meiner Stimmung, meinen Vorlieben, meinen weiteren Plänen. Es lenkt den Blick auf die Schönheiten und Vorzüge, die es zu bieten hat. Erkundet mit mir sein persönliches Angebot, wägt ab, rät zu, verweist auf weitere Varianten und Qualitäten bis Übereinstimmung gefunden ist. Ein Drink will versuchen, will versucht werden.

Gastgeber und schweigende Nerds  

Ein Barmann, der derartiges schafft, hat zugleich eine immer wieder gerne behauptete, aber leider nicht immer in die Tat umgesetzte Kernkompetenz umgesetzt. Er ist ein wahrer und eleganter Gastgeber. Welch ein Unterschied zu der oft angetroffenen Mechanik: Hallo! Die Karte? Was darf´s sein? Gerne. Es kracht, Ausgießer gurgeln, Rührlöffel klirren, Shaker toben, Gläser atmen – Bitteschön. Mit wortloser Freundlichkeit wird ein nerdgekühlter Drink vor den Gast geächzt.

Ich werde das nie verstehen und es passiert leider häufig, wenn der Gast nicht von sich aus die Initiative ergreift: Da werden mit Liebe allerlei Preziosen an der Bar zusammen getragen, individuelle Gläser auf dem Flohmarkt besorgt, Eis geschnitzt, gebarrelaged, infusioniert und sousvidiert, gefoodpaired und dergleichen mehr, die dann vom Personal halbstumm und nur mit Unterstützung der Barkarte dem Abverkauf entgegenstarren. Die Gelegenheit den Gast gezielt auf das eigenen kreative Schaffen hinzuweisen wird nicht ausreichend genutzt, Potenziale bleiben verschüttet. Interessante Gäste und Bartender bleiben sich fremd. Verschenkte Gastgeberschaft. Dies gilt auch für weniger anspruchsvolle Bars, das gilt für alle Mundschenken.

Inzwischen hat mit mich meine neue Bekanntschaft, die Bar, gefragt, ob sie meine Fantasie befriedigen konnte und ob wir noch etwas Neues aus dem Fundus ihrer Schätzen ausprobieren wollen? Ich bin bei ihr zu Hause. Das Blind Date kann weiter gehen. Dem Nerd kann man nur zurufen: „Weg mit der Karte und mach’s Maul auf!“

Die Antwort von Nils Wrage finden Sie hier.

Credits

Foto: Theatermasken via Shutterstock

Comments (1)

  • Markus

    Endlich wird es mal ausgesprochen, was ich schon vor Jahren zelebriert und propagiert habe. Der Barbesuch sollte ein Erlebnis sein, wo auch Kommunikation nicht unter den Teppich gekehrt werden darf. Je nach Konzept braucht man keine Karte. Vielleicht hilft es aber unschlüssigen Gäste dennoch eine vorlegen zu können. Es soll ja Gäste geben, die unbedingt einen Blick riskieren möchten. Somit sollte dann jedem Genüge getan sein…

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