Die Barkarte in Zeiten von Corona: Zwischen Kreativität und Verschlankung
Die Corona-Verordnungen dringen ins Innere jeder Bar vor und wirken sich auch auf die Barkarten aus. Deren Qualität soll nicht beeinträchtigt werden, gleichzeitig ist Anpassung an die nach wie vor schwierigen Bedingungen gefragt. Es ist nicht die Zeit für große Experimente, aber Kreativität sowie nachhaltiges Arbeiten haben weiterhin oberste Priorität.
Vernetzung, Kreativität und Fantasie haben Bars während des Corona-Lockdowns am Leben erhalten. Mit Lieferdiensten, Gutscheinverkäufen, Außer-Haus-Theken, Buchprojekten, Online-Workshops und -Tastings sowie Slushee-Variationen.
Und jetzt? Lieferdienste, zum Beispiel, werden bereits weniger. „Logistisch zu aufwändig, es würde das Geschäft zerreißen, und Stammkunden bzw. Gäste aus der Gegend sind wieder hier“, sagt Sammy Walfisch von der Wiener Bar Moby Dick. Allen aber bleibt die Kreativität ihr verlässlichste Begleiter. Im leidenschaftlichen Handwerk, in der Fortführung des Betriebes, im Einkaufsverhalten sowie bei der Barkarte. Corona-Konsequenzen wie erhöhter Arbeitsaufwand durch Hygieneregeln, Platzmangel durch Abstandsregeln und einige leere Lager bei gleichbleibenden Fix- und meist Personalkosten sowie verkürzte Öffnungszeiten haben auch Einfluss auf das Menü eines Hauses.
Bestellungen per QR-Code
Die meisten Bars sind wieder geöffnet, unter betriebserschwerenden Bedingungen. Neben verschlankten Karten oder QR-Codes für Barkarten sind Informationen auf den Bartischen ausgelegt. Meist „herzlich …“, heißt ein Gästeprotokoll nach §2 Absatz 3 der Corona-Verordnung Besucher willkommen.
Vor Corona wurde eine gedruckte Barkarte in der Wormser Einraum Bar quartalsmäßig von einer Grafikerin mit Zeichnungen gestaltet. Seit Corona wechselt die nun verschlankte Karte wöchentlich und ist per QR-Code nur online einsehbar. „Vorher ging es um die Optik und das Erlebnis für den Gast. Jetzt, im Prozess des Überlebens, hat sie Funktion“, sagt Barbetreiber Michael „Myk“ Meyer. Bei den durch die Corona-Regeln gestiegenen Arbeitsschritten sei eine digitale Karte mit fünf Cocktails, einem alkoholfreien Drink und zwei Slushee-Varianten ein Schritt weniger. „Es ist zwar anstrengend, jede Woche innovativ zu sein, aber wir können schnell auf Angebote reagieren, den Wareneinsatz überschaubar halten und gezielt mit einer Rezeptänderung durch den Austausch von Produkten reagieren.“
Barkarten durch Corona: Noch regionaler werden
Gibt es wie neulich frisch geerntete Kirschen, werden sie zu Marmelade für Drinks und mit Zwiebeln für Käse-Sandwiches verarbeitet. Einwegkarten wollte Meyer im Sinne von Low Waste vermeiden. Durch die auferlegten Papierhandtücher entstehe genug Müll und höhere Papierentsorgungskosten. Das wegen der Lockdown-Aktivitäten wie Cocktail-Fenster oder Online-Cocktail-Kurse fast leere Lager kann Meyer nicht sofort wieder auffüllen. Von 22 Weinqualitäten gibt es nur noch sieben, von acht Flaschenbieren nur noch vier. „Wir fangen lieber mit wenigen Weinen an und wechseln durch“, so Meyer.
Dafür beschreitet der Barbetreiber regionale Pfade nun noch intensiver. Produkte aus naheliegenden, kleinen Craft-Beer-Brauereien, regionale Seccos oder Limos, persönlicher Herstellerbezug und gegenseitige Unterstützung erlangen in dieser Zeit noch mehr Bedeutung. Und Kreativität, „denn ohne sie hätte ich schon längst Insolvenz angemeldet“. In Zusammenarbeit mit Schaustellern schickt Meyer in Kürze Riesenrad-Gäste bei einem Cocktail- und Fingerfood-Abend in luftigen Trinkgenuss.
Auch die Getränkeindustrie und die (Marketing-)Budgets großer Konzerne sind angeschlagen. Der Weg zu regionalen Herstellern und Produkten ist gerade durch Corona effektiver, leichter und vor allem nachhaltiger. Das findet auch Sammy Walfisch: „Es ist eine bewusste und wirtschaftliche Entscheidung, die wir nun intensivieren, sowie eine Fortführung von dem, was wir schon gemacht haben. Ich würde mich freuen, wenn das in der gesamten Bar-Szene ankommt“. Der Barbetreiber, der sich auch aufgrund eines großen Gastgartens über regen Geschäftsgang und die Weiterführung des Kartenkonzeptes mit Food- und Cocktail-Pairing freuen darf, möchte nun verstärkt regionale Edelbitter, Wermuts oder Edelbrände in prominente Cocktail-Positionen rücken.
Im Petit Punch wird viel geredet
Eine überlebenswichtige Lockdown-Phase mit Gutscheinverkauf und Slushees-to-go hat auch das Petit Punch in Düsseldorf hinter sich. Mit einer vergrößerten Terrasse darf sich das dreiköpfige Team nun wieder über ein ausgehwütiges Düsseldorf freuen. Trotz Auflagen und Abständen sei es an den Wochenenden brechend voll.
Die reguläre Karte gibt es derzeit wegen der Hygienemaßnahmen trotzdem nicht. Sechs Signature Drinks werden in Edelstahl-Tisch-Aufstellern mit Verglasung anstatt der bisher rund 20 verschiedenen Drinks auf Kärtchen an einer Holzkarte präsentiert. „Alle anderen Drinks, Highballs, Shots, die Spirituosenkarte, Punches, Biere und Weine geben wir mündlich an die Gäste weiter. Man redet definitiv mehr“, so Mit-Betreiber Marcel Dalbeck.
Wirtschaftliches und nachhaltiges Arbeiten stünden im Petit Punch immer und auch in Corona-Zeiten auf der Agenda. „Wir kaufen frische Produkte nach Marktangebot, solange wir sie schnell verwerten können. An der Qualität der Drinks darf es auch jetzt nicht mangeln“, findet der Barbetreiber. Bar-Snacks wie frische Oliven oder Parmesan jedoch bleiben aus, und auf experimentelle Freuden wie hausgemachtes Bananen-Kardamom-Curd wird verzichtet. „Das rentiert sich nicht. Die Gäste wären zwar da, aber noch ist angesichts wiederholter Lockdowns in Dörfern und Städten eine Bremse im Kopf“.
Zurückhaltung bei Experimenten
Auch in der Bar des Berliner Luxushotels Das Stue genießt das Experimentelle gerade nicht oberste Priorität. „Mein Gefühl ist, dass weniger Experimentierfreudigkeit herrscht. Auch bei den Gästen. Man hält sich an Altvertrautes, das immer gerne getrunken wird, wie etwa Aperol Spritz oder Gin & Tonic zum Beispiel“, findet Bar-Manager Konrad Friedemann, der sich wie viele andere noch in Kurzarbeit befindet.
In der Betriebsführung habe man den Kostenapparat strenger im Blick und greife auf vorrätige Produkte zurück, ohne dass es die Qualität und den Gast beeinträchtige. „Es lohnt aber, auch teure Produkte und Spezialitäten im Lager zu haben“, so Friedemann. 25-jährige „Schotten“, Champagner oder teure Rotweine kamen in dem sogar während des Lockdowns für Business-Gäste geöffneten Luxushotel wie auch jetzt auf das Tablett. Weit entfernt aber ist die Bar davon, damit einen Umsatzeinbruch oder die Abwesenheit des florierenden Wochenendgeschäft wettmachen zu können.
Noch fehlt die Leichtigkeit
In den Gazetten ist von einer Rückkehr zur Normalität die Rede, in sozialen Medien ergänzen Gäste ihre Instagram-Stories mit Sundowner-Bildern. Doch wie normal der Aufenthalt in einer Bar mit Corona im Hintergrund ist, lässt auch der Protokollbegriff „Besuchszeitraum“ auf der Eintritts- anstatt Barkarte für Gäste erahnen. Es fehlen spontane Einkehr, Leichtigkeit, das Miteinander und Atmosphäre. Natürlich gibt es auch Krisen-Gewinner, aber Bars spielen nicht in dieser Liga.
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Foto: Jakub Dziubak via Unsplash