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Schatz, ich geh fischen: Der Philadelphia Fish House Punch

Drei Spirituosen, eine davon Pfirsichbrand: Der Philadelphia Fish House Punch führt nicht nur einen der gelungensten Cocktail-Namen, sondern hat auch eine ungewöhnliche Rezeptur. Gleichzeitig ist er einer der wenigen Ur-Punches, die sich auch als modernes Einzelgetränk etablieren konnten. Eine Hommage an einen verführerischen wie gefährlichen Drink.

Es ist wie im echten Leben: Wenn die Skinny Bitch das Size-Zero-Model ist, das als anorektischer Ausdruck des Zeitgeistes über die Tresen der Republik stakt, dann sehnen sich Getränkefossilien wie ich nach der Opulenz alter Tage zurück, als die Barhocker noch gepolstert und die Drinks nicht durchsichtig waren. Und weil man sich in Bayern bei der stolzen Rückbesinnung auf große historische Momente aus praktischen Gründen von jeher nicht durch die engen Schranken des eigenen Lebens einengen ließ, so vermisse ich eben pränatal den berühmten Philadelphia Fish House Punch.

Philadelphia Fish House Punch

Zutaten

3 cl Cognac
1,5 cl Jamaikanischer Rum
1,5 cl Pfirsich Eau de Vie
3 cl Zitronensaft
2 cl Demerara-Zuckersirup

The State of Schuylkill

Philadelphia Fish House Punch – was für ein Name. So nennt man doch eigentlich nur Dinge, von denen man will, dass sie keiner probiert. Eigentlich keine schlechte Idee bei Getränken, aber um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert war es den Erfindern aus dem Kreis der sogenannten Schuylkill Fishing Company vermutlich einfach egal, und der Gedanke, dass Produktnamenerfinder einmal ein Beruf werden könnte, war weiter entfernt als der Mond.

Die Schuylkill Fishing Company wurde als Angelverein und Herrenclub 1732 in Pennsylvania gegründet, existiert auch heute noch und ist damit möglicherweise (und selbsterklärt) der älteste seiner Art. Außerdem steht er für zwei zutiefst männliche Traditionen: zum Einen dafür, seinen Freizeitspaß in ein möglichst würdiges Gewand zu kleiden – obwohl (oder gerade weil) der Club älter ist als die Vereinigten Staaten selbst, gab er sich sehr staatsmännische Strukturen, mit Gouverneur,Vizegouverneur und Ministern; sogar der Name wurde später in „State of Schuylkill“ geändert. Es gibt eben nichts Ernsthafteres als Männer beim Spielen.

Zum Anderen beweist dieser Verein, wie lange der Angelsport bereits als Deckmäntelchen für möglicherweise deutlich weniger harmlose Aktivitäten herhalten muss. Some things never change. Wenn man dann noch bedenkt, wie viele bedeutende Zeitgenossen bei der Schuylkill Fishing Company einen Angelschein hatten – selbst der spätere US-Präsident George Washington war Ehrenmitglied – dann ist es eigentlich lange überfällig, den Satz „Schatz, ich geh Fischen“ in die Gründungsmythen der Vereinigten Staaten mit aufzunehmen.

Über die exakten Ursprünge des Fish House Punches ist wenig bekannt

Der Punch aus dieser Zeit ist auch noch ein Sinnbild eines sozialen (wenn auch elitären) Miteinanders, als eine Schüssel davon zum gemeinsamen Genuss angesetzt wurde – bevor die USA als das Land der Gehetzten und Selbstoptimierer den Cocktail erfanden, dieses zeitsparende Ein-Personen-Mischgetränk. Da saßen nun also die einflussreichen Männer der neuen Welt über der Punchbowl zusammen und formten über diesem Getränk der alten Welt die Einheit, um sich von letzterer zu lösen.

Diese Legende sollte Roland Emmerich verfilmen, nach einem Skript von David Wondrich.
Doch weg vom Fabulösen: Die Geschichte der Schuylkill Fishing Company ist so umfassend und ausufernd, dass andererseits über die exakten Ursprünge des Punches wenig bekannt ist. Vielleicht rücken die alten Pseudotempler aber auch bloß nicht damit heraus; man weiß es nicht. Wondrich jedenfalls datiert die erste schriftliche Erwähnung des Philadelphia Fish House Punch auf 1795, und dieses Rezept ist tatsächlich auch jenem ganz ähnlich, das dann 1862 im ersten Cocktailbuch der Welt bei Jerry Thomas auftaucht. Kein Wunder: Thomas schreibt das Rezept einem „Charles G. Leland, Esquire“ zu, und dieser Herr Leland war Mitglied des State of Schuylkill, beziehungsweise natürlich „Bürger“.

Zur Zeit von Thomas’ Erstausgabe war die Zeit des Punches dann auch eigentlich schon lange vorbei; bemerkenswert ist ja dabei, dass das erste Cocktailbuch im Grunde kaum Cocktails enthält (13 an der Zahl), dafür aber umso mehr Punches (79), vermutlich auf Betreiben des Verlages, der beim Absatz auf Nummer Sicher gehen wollte. Aber auch in der letzten Ausgabe des Bartender’s Guide von 1887, also zwei Jahre nach Thomas’ Tod, die von einem ebenso kenntnisreichen wie unbekannten Fachmann überarbeitet wurde, ist der Philadelphia Fish House Punch immer noch vertreten. Was nun wirklich deutlich für ihn spricht.

Der Philadelphia Fish House Punch ist verführerisch wie gefährlich

Der Drink ist aber auch so verführerisch wie gefährlich, und das unscheinbare Fischweib wird für den ahnungslosen Matrosen schnell zur bedrohlichen Sirene; während der Pfirsichgeist scheinbar das Sternbild für die Navigation bietet, bieten Rum und Cognac als Stellschrauben die nötige Flexibilität, um aus einer steifen Brise einen ordentlichen Sturm zu machen. Insofern variieren gerade in dem Punkt die zahlreichen Rezepte für den Philadelphia Fish House Punch ein wenig, aber man kann da ja gerne mal herumprobieren.

Apropos probieren: Man merkt sehr schnell, was für ein amerikanisches Fabrikat dieses Ding ist. Auch im Punch, der heiligen Fünffaltigkeit des Mischgetränks, ist mehr als eine Basisspirituose eine Seltenheit, geschweige denn derer drei. Typisch USA. Der gleiche Entdeckergeist bescherte uns auch Triple-Chocolate-Eis und Turducken, also Truthahn gefüllt mit Ente gefüllt mit Huhn. Und von Philadelphia nach Long Island sind es ja auch grade mal 150 Meilen.

Bezeichnenderweise bietet auch Harry Johnson einen Anglerpunch an: den Old Delaware Fishing Punch. Umgekehrte Proportionen bei Rum und Cognac, kein Pfirsich, Zitrone plus Limette, nicht wirklich Philadelphia, aber schon ähnlich. Ob da der ebenso begabte wie missgunstgeplagte Johnson nicht wieder einmal fremde Federn an seinen Bürzel stecken wollte? Gut möglich. Als würde der gutmütige Fish House Punch nicht in seiner Grundform schon genug Spielraum für Varianten lassen.

Er ist eben wirklich amerikanisch: Hat seinen Ursprung eigentlich woanders, entwickelt und entfaltet sich aber dann in seiner neuen Umgebung zu ungeahnter Pracht. Weswegen es David Wondrich der Ehre auch nicht genug sein kann; man solle ihn gesetzlich schützen, in der Schule lehren und zum verbindlichen Bestandteil jeder Nationalfeiertagsfestivität machen. Diese Art des Patriotismus kann doch kaum schädlich sein.

The Age of the Fishermen

Vor allem, weil es nur um die inneren Werte des Punches geht; nach außen hin tritt er ganz bescheiden auf. Das Getränk ist ein altehrwürdiges, ohne Firlefanz. Wondrich ist da ganz deutlich: „Keine Früchte, keine Kräuter, kein Gemüse. Und auch kein Schirmchen.“

So mag man das. Ein stilles, tiefes Wasser voller Potenz. Auch wenn dieses Wasser in aller Regel nicht mehr in großer Runde aus einer Schüssel ins Glas geschöpft wird. Schade eigentlich. Aber muss man jetzt das Herunterbrechen dieses Gemeinschaftsgetränks auf ein Einzelrezept als symptomatisch ansehen für so vieles, was grade passiert? Wenn schon trinken, dann bitte schön auf Distanz?

Ach was. Bisschen Optimismus. „Winter is coming“ war gestern. Es wird wieder wärmer. This is the dawning of the Age of the Fisherman.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

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