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„Drink Kong, Think Kong, Be Kong!“

Mit dem Drink Kong in Rom ist Patrick Pistolesi ein großer Wurf gelungen. Die erst 2019 eröffnete Bar war aufgrund der Coronapandemie zwar länger geschlossen als geöffnet – aber ihre Mischung aus japanischer Eleganz, Neonästhethik und italienischer Gastfreundschaft ist Pflichtprogramm in der italienischen Hauptstadt. Unser Autor Martin Stein hat sich in den großen Pranken des Kong sichtlich wohl gefühlt.

Wie allgemein bekannt, starb Ennio Morricone hochbetagt und viel zu früh. Es steht nämlich völlig außer Zweifel, dass er noch einen Soundtrack zum Drink Kong in Rom geliefert hätte, ob nun im Rahmen eines Tarantino-Films oder auch nicht. Kaum irgendwo wäre die Opulenz seiner Klänge angebrachter als bei der aktuellen Nr. 45 der World’s 50 Best Bars, und kaum ein Bartender würde sich besser in die Reihe der von Morricone bemelodeiten Helden (und Schurken) einfügen als Patrick Pistolesi, der ja gewissermaßen schon mit einem Künstlernamen zur Welt kam und als Italo-Ire auch prädestiniert dafür ist, interkulturelle Trinkwelten miteinander zu verbinden.

Im Drink Kong trifft Neonästhetik auf japanischen Minimalismus

Laser in den Kopf gepflanzt

Nun präsentiert sich das Drink Kong weder italienisch noch irisch, sondern ausgerechnet japanisch, wenn auch in speziell Pistolesischer Ausprägung: Neon, Arcade, Blade Runner und „all das Zeug, das mir Laser in den Kopf gepflanzt hat“, kombiniert mit Shoji-Türen, ergeben einen besonderen, etwas ungewöhnlichen, jedenfalls aber stimmigen Mix. Wie die Drinks. Die optischen Akzente, die im Drink Kong gesetzt werden, sind nicht besonders zahlreich und jedenfalls nicht überladen, wirken aber eindrucksvoll und auf den Punkt. Ebenfalls wie die Drinks.

„Japan übt eine eigentümliche Faszination auf mich aus. Einerseits ist da diese unglaubliche Präzision, andererseits kauft man sich gebrauchte Damenhöschen zum Schnüffeln und betrinkt sich nachts maßlos.“ Die Brüche sind das Spannende, und auch die Bar steckt voller Brüche, nur sind diese so geschickt gesetzt, dass sie wirken wie die Fugen eines Mosaiks, durch die das Bild erst zusammengehalten wird.

Es ist schon eindrucksvoll, wie stimmig die zahlreichen Räder der vollendeten Produktpräsentation ineinandergreifen. Von einem „ganzheitlichen Ansatz“ möchte man sprechen, wäre der Begriff nicht in einem Meer aus Rooibos-Tee ersäuft worden. Das Besondere dabei ist, dass all die Exzellenz des Drink Kong von Humor getragen wird, weshalb man die schöne Erfahrung machen darf, dass eine High-End-Bar auch saugemütlich sein kann. Da kann man richtig verhocken, im Drink Kong. Muss an der irischen Seite des Betreibers liegen. Oder doch an der italienischen. Oder die Fusion von beidem ergibt die Mutter allen Sitzfleisches. Das muss es sein.

Das Drink Kong setzt optische Akzente, wirkt aber niemals überladen
Patrick Pistolesi, King of the Kong

Im Drink Kong lauert überall das Abenteuer

Weil die sanitären Einrichtungen für all jene, die länger sitzengeblieben sind als gedacht, gezwungenermaßen ein wenig sparsam geraten sind, kann man vor dem Austreten ein wenig am Spielautomaten daddeln, um der Blase Ablenkung zu verschaffen; nach erledigtem Geschäft empfiehlt sich, des entspannten Gesichts wegen, dringend ein Selfie vor dem endlosen Laserspiegel. Oder man spielt ein wenig Gitarre im Längszimmer, dem Little Kong. Im Drink Kong lauert eben überall das Abenteuer.

Dazu zählt auch der klassische Raum gegenüber der Wand mit den alten Fotos böse blickender Yakuza: Der „geheime Bauch“ des Lokals, ein in schlichter Schönheit gehaltenes Séparée für bis zu zehn Gäste genau im Rücken der Bar, bietet die perfekte Atmosphäre für ein Tasting, ein Geschäftsessen oder das traditionelle Abtrennen eines Fingers als Loyalitätsbeweis seinem Boss gegenüber. Als Reminiszenz an eine verloren geglaubte Form der Gastlichkeit kann man sich dort (ausreichend Würde vorausgesetzt) seine Privatflasche in einem Fach einschließen lassen. Privatflasche im Drink Kong. Da hat die persönliche Bucket List wohl gerade ein Postscriptum erhalten.

Der „geheime Bauch“ des Lokals ist ein Séparée

Drink Kong

Piazza di S. Martino Ai Monti, 8
00154 Rom

„Drink Kong, Think Kong, Be Kong!“

Wie schon angedeutet, sind all diese Äußerlichkeiten nicht mehr und nicht weniger als das adäquate Gefäß für die servierten Köstlichkeiten, natürlich vor allem für die flüssigen. „Drink Kong, Think Kong, Be Kong!“ lautet das liebenswert anmaßende Motto, und, wie heutzutage üblich, steht hinter der Getränkekarte ein ganz furchtbar ausgeklügeltes Konzept, das auch irgendwie intuitiv und ganzheitlich ist, oder sagen wir lieber holistisch, weil sich das besser anhört, und mit Symbolen arbeitet, aber auch für Teilzeitholistiker wie mich letztlich doch halbwegs einsichtlich ist, weil man über Ausrichtung und Grundcharakteristik des Drinks schon Bescheid kriegt.

Gut ist eh alles. Unbedingte Empfehlung: der „Savoy C“ mit Mezcal, auf der eher komplexen Schiene heranrollend. Das Drink Kong beherrscht die Kunst, auch aus kräftigen Aromen perfekt ausbalancierte Drinks zu schaffen. Ein Drink wie die Einrichtung – komponiert, nicht dekoriert. Morricone-Style. Ein Drink wie ein Katana von Hattori Hanzo.

Patrick Pistolesi herrscht über die Bar, macht aber mittlerweile mehr und mehr den Charles – und treibt sich in seiner Küche herum. Das Drink Kong bietet nämlich auch Essen an, das in seiner Qualität mit dem Klischee von Barfood soviel zu tun hat wie ein Wagyu-Rind mit einer Tönnies-Wurst. Tatar von Brasse, Rind oder Shrimp, Tacos, Baos oder Yakitori: Man kann tatsächlich den Auftrag ignorieren, der im Titel des Drink Kong liegt, und da einfach zum Essen hingehen; was da geboten wird, muss sich hinter keiner Sterneküche verstecken.

Der Red Light Cocktail
Der Savoy C Cocktail

Drink Kong ist Pflichtprogramm in Rom

Natürlich aber hat das Drink Kong bei aller Anerkennung, die ihm weltweit zuteil wird, raue Zeiten hinter sich, wobei das „hinter sich“ natürlich auch noch in Anführungszeichen steht. Die ambitionierte Bar eröffnete 2019, also rechtzeitig, bevor der Corona-Godzilla durch die Stadt, das Land, den Kontinent und die ganze Welt trampelte, und war damit seit der Eröffnung länger geschlossen als nicht.

Das durchzustehen bedarf es schon eines echten Kong, und man kann berechtigte Hoffnung haben, dass Pistolesi auch die restliche Wegstrecke noch im Kreuz hat, mag sie auch noch so steinig sein. Die Römer haben das (nicht gerade unsichtbare) Speakeasy mit seinem Konzept-Tatar als kosmopolitisch bedeutende Nachbarschaftsbar mit offenen Armen angenommen – auch wenn das Pistolesis Vater noch nicht so ganz begreifen mag: „Echt? Die Leute kommen zu dir?“ –, und sobald der Tourismus wieder ins Rollen kommt, wird das Drink Kong für den Cocktail-Afficionado genauso zum Pflichtprogramm gehören wie das Kolosseum für alle anderen. Möge das der Bar, dem Betreiber und der Belegschaft zuliebe bald geschehen.

In den großen Pranken des Drink Kong gebettet

Derweil kann man ganz egoistisch auch das Drink Kong so genießen wie das restliche Rom gerade: nicht überlaufen, fast ein wenig privat, intim. Man darf sich dann, nach einigen Drinks natürlich, auch als fetter Mitteleuropäer fühlen wie die anmutige Fay Wray, die trotz anfänglicher Scheu begreift, dass sie in den großen Pranken des Kong sicher und sanft gebettet liegt. Und dort sogar noch ordentlich zu Essen und zu Trinken bekommt. Kann man mal liegen bleiben, so.

Credits

Foto: Alberto Blasetti

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