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Nachbericht über die Einhundert Prozent Champagne

Das war die Messe „Einhundert Prozent Champagne“ – durch das Cocktailglas betrachtet

Champagner positioniert sich zunehmend am extratrockenen Ende der Skala. Unser Autor Robert Schröter hat die Messe „Einhundert Prozent Champagne“ in München besucht. Die Idee: die Champagner mit Pre-Batches von French 75 und Seelbach zu verkosten und dem neu erwachenden Interesse an Schaumweincocktails nachzugehen.

Die Avantgarde entdeckt und genießt zunehmend die Freuden der halbtrockenen Weine, beispielsweise die Spitzenqualitäten des Kabinett-Rieslings. Tonangebende Podcasts wie „Terroir & Adiletten“ verbreiten den Gospel des Restzuckers.

Im Bereich des schäumenden Weins hingegen gewinnen Abfüllungen à la extratrocken, brut nature oder zéro dosage immer mehr Aufmerksamkeit. Sehr gut zu beobachten ist dies auf der Messe Einhundert Prozent Champagne in München: Kaum ein maison, welches nicht eine dieser überaus trockenen Abfüllungen anbietet. Zumindest von den Ernst zu nehmenden, vorwiegend kleinen Häusern, die im Gegensatz zu den Bubbly-Luxusmarken aus dem Kaufhallenregal stehen.

Wir blicken daher primär auf diese Marktteilnehmer. Um deren Produkte im Kontext von Champagner-Cocktails bewerten zu können, richteten wir einen French 75– und einen Seelbach-Premix an, mit dem wir die Einhundert Prozent Champagne besuchen. Die Messe ist zwar von außen schwer zu finden, doch von innen eine erfrischend zielführende, unaufgeregte Präsentationsfläche ohne Popanz. Das Setup ist angenehm produktfokussiert, und keiner Marke wird es ermöglicht, die anderen zu überstrahlen. So bekommen die kleinsten Familienhäuser eine gleichberechtigte Chance neben, beispielsweise, Bollinger oder dem verkaufsstärksten Champagner Frankreichs, Nicolas Feuillatte. Insgesamt werden laut Pressemitteilung über 200 Abfüllungen zum Verkosten angeboten.

Der 100% Pinot Noir von André Clouet gibt dem French 75 Kraft, die dezenten Beerennoten lassen den Champagner perfekt mit dem Gin harmonieren
Der 100% Pinot Noir von André Clouet gibt dem French 75 Kraft, die dezenten Beerennoten lassen den Champagner perfekt mit dem Gin harmonieren

Putting the „french“ in French 75

Unseren French 75 schickten wir mit diversen trockenen und extra-trockenen Abfüllungen ins Rennen. Das Maison Serge Mathieu liegt am südlichsten Rand der Champagne und grenzt schon fast an das Burgund. Die Champagner der inzwischen federführenden Tochter Isabell Mathieu werden ausschließlich im Stahltank ausgebaut. Mit 8g Zucker liegt ihr Brut Select NV nur 2g über der Grenze zu Extra Brut. Die Typizität von 100% Chardonnay besticht in ihrer Klarheit. Im French 75 fehlt dem Champagner hingegen die Präsenz, das Rückgrat.

Ähnlich schlank fällt der 100% Chardonnay Extra Brut Champ Viole des Hauses Pierre Gerbais aus. Besser kommt da schon die Extra Brut Abfüllung des Hauses André Clouet. Dessen 100% Pinot Noir geben dem Drink insgesamt mehr Kraft. Die dezenten Beerennoten lassen hier den Champagner besser zusammenspielen mit dem Gin, geben dem Drink mehr Fruchtigkeit. Fairerweise soll erwähnt werden, dass diese Abfüllung aus der Magnumflasche kam. Immer wieder eine Offenbarung, wie sich unterschiedliche Flaschengrößen im Geschmack niederschlagen!

Diese 1,5l-Flasche kostet für Gastronom:innen im Übrigen via den Vertrieb Lobeberg deutlich unter € 40 netto. Dies ist damit „Schröter’s Kaufbefehl“ –mit Entschuldigung für den Namensdiebstahl an den Kollegen Klimek!

Nicolas Feuillatte ist der verkaufsstärkste Champagner Frankreichs
Nicolas Feuillatte ist der verkaufsstärkste Champagner Frankreichs

Spezialitäten abseits des Mainstreams

Beide kleinen Familienhäuser punkten übrigens hoch mit Spezialitäten: Gerbais bebaut vier Hektar mit der im Champagner höchst seltenen Traube Pinot Blanc und hat mit dem La Loge einen 100%igen Pinot Blanc im Angebot. Sehr spannend zu verkosten! Jedoch schon im Purgenuss zu schlank für einen Champagner-Cocktail. Und, ehrlich gesagt, bringt er sehr viel Säure mit. Man müsste wohl jegliches Cocktailrezept für ihn nochmal anpassen.

Familie Clouet wiederum hat einen „Chalky“ im Programm, welcher das Terroir der sowieso kalkhaltigen Böden der Champagne zusätzlich auf die Spitze treibt. Die Salzigkeit ist wirklich ein Genuss und tut auch unserem French 75 sehr gut. Zusammen mit typischen Briochetöne dieses reinen Chardonnay-Champagners kommt die Zitrone wunderbar zur Geltung! Vielleicht wirkt sich aber auch die Grand Cru-Lage dieses 2013er-Weins vorteilhaft aus?

Generell soll hier kurz eingefügt werden, dass die angebotenen Qualitäten durchaus vortrefflich waren. Abfüllungen mit sehr langer Hefelagerung (teils sieben Jahre), Grand Crus und große Jahrgänge waren vielfach frank und frei zu verkosten. Diese Großzügigkeit der Häuser beflügelte eine ausgelassene und zugleich ruhige Atmosphäre. Fern von Besäufnis schwang eher eine Stimmung der Feierlichkeit und respektvollem Interesse allerorts mit.

Fern von Besäufnis schwang eine Stimmung der Feierlichkeit und des respektvollen Interesses mit
Fern von Besäufnis schwang eine Stimmung der Feierlichkeit und des respektvollen Interesses mit

Die Seele im Seelbach

Holz, Bitters, ganz leichte Süße vom Orange in unserem Seelbach-Premix sind wiederum eine ganz andere Herausforderung an unsere Champagner-Auswahl. Auch hier wird der reine Stahltank-Champagner von Mathieu platt gedrückt. Von den bereits besprochenen Abfüllungen von Gerbais und Clouet punktet auch hier Clouet Extra Brut 100% Pinot Noir am höchsten. Der Charakter des Schaumweins beibt bei dieser Assemblage einfach am präsentesten.

Um unsere Notizen mit Industriegrößen abzugleichen, verkosteten wir auch Bollinger. Groß war die Überraschung, wie blass Rosé und Brut non Vintage ausfielen. Pur, aber auch im Seelbach. Zwar blieb der Körper präsent und die Perlage belebte den Drink wunderbar, aber so richtig zu begeistern wusste uns diese Kombination im Vergleich nicht.

Deutlich spannender war da schlussendlich der auch klar auf Gastronomen ausgerichtete Extra Brut des Hauses Feuillatte. Der Drittelmix der drei gängigen Trauben in deren Premier Cru Non Vintage ist ein schöner Gegenspieler zur Wuchtigkeit von Holz und Wurzel. Blütenaromen des Peychaud’s und Orangennoten kommen gut hervor. Auch die sonst prominente Säure der Abfüllungen dieser gigantischen Winzerkooperative balanciert den Seelbach gut. Als Twist ermöglicht der Rosé des beliebtesten Champagners der Franzosen mit seinen Erd- und Himbeeraromen eine wunderbar spätsommerliche Version des sonst eher herbstlichen Cocktails.

Lagerung, Reife und Traubenwahl

Unter dem Strich bildet sich folgendes Bild: Die Zuckermenge entscheidet weniger über das Ergebnis eines Champagner-Cocktails. Viel wichtiger sind Lagerung, Reifung und Traubenwahl des Schaumweins. Retrospektiv nicht allzu überraschend, wird dem Drink doch deutlich mehr Zucker in Form von Likör oder Sirup beigegeben, als die sonst pro Glas enthaltenen Zehntelgramm des Schaumweins.

Und für Champagner-Cocktails passende, bezahlbare Produkte finden sich mit etwas Recherche ebenso. Besipielsweise die Magnumflasche von Clouet oder via das auf Gastronomen ausgerichtete „by the glass“-Programm von Feuillatte!

Offenlegung: Die Einhundert Prozent Champagne wird vom Meininger Verlag veranstaltet, zu dem auch MIXOLOGY gehört.

Credits

Foto: Christoph Grothgar

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