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Das Kinly ist tot – lang lebe das Kinly!

Eine Ära ging zu Ende: Das Kinly, eine der renommiertesten Bars des Landes, ist zu. Die gute Nachricht: Betreiber René Soffner hat mit seinem neuen Kinly direkt gegenüber das Ganze nicht nur räumlich auf eine höhere Ebene gehoben. Es war aber alles andere als einfach. Wir haben zur Eröffnung mit einem Gastgeber gesprochen, dem der Kampfgeist nicht abhanden gekommen ist.

Es gibt diese prägnante Szene im Intro der TV-Serie Eine schrecklich nette Familie, in der Al Bundy auf der Couch sitzt und auf Betteln von Kindern und Ehefrau Geldscheine verteilt, bis Buck Bundy, der Familienhund, schließlich den letzten frisst. Dass ihm ausgerechnet diese Szene einfällt, wenn er an den letzten Lockdown denkt, scheint René Soffner selbst zu amüsieren. „Aber ich habe mich gefühlt wie Al Bundy“, sagt das Kinly-Mastermind und lacht. Immerhin kann er wieder lachen.

Heute. Hier, im neuen Kinly, das vor wenigen Tagen Eröffnung feierte, sitzt er, ganz in schwarz, seine Iqos zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt. Die Luftreiniger wirbeln den Rauch unter die Decke, die wesentlich höher ist als die im alten Kinly. Überhaupt ist hier mehr Raum, die Theke ist gewachsen, Sitzplätze wurden vervielfacht. Die alten Barhocker tarnen sich als Tische und Bänke sind in Samt geschlüpft.

The Kinly neu: elegante Intimität trifft auf bewährte Bomberjacken

Die Vergangenheit vor der Tür, die Zukunft dahinter

Und doch sitzt René Soffner gewissermaßen auch in dem Kinly, das wir kennen. In dem es düster ist und heimelig. Die Wände sind in Dunkelgrün gehalten, in jeder Ecke steckt eine Kuriosität, etwa ein ausgestopfter Spatz mit Hut. In dem Spirituosen stehen ohne Vertragsbindung und Brands ohne Deals. In dem der Rotationsverdampfer rotiert, diesmal sogar für Gäste sichtbar, in dem nahezu ausschließlich Cocktails über den Tresen gehen und eine Klingel zum Einlass läutet. Als sie ertönt, ruft René Soffner „Coole Klingel!“ in Richtung Bartender Harri, der voll bepackt eintritt, mit Snacks fürs Team, das außerdem aus Mira und Erwin besteht. René Soffners Lebensgefährtin Lydia ist auch da.

Die neue Bar hat jetzt auch ein Schaufenster, in der Bowle-Schalen neben Kinly-Jacke und Eminem-Album neben Cocktailbüchern platziert sind. Die Glasscheibe spiegelt dermaßen stark, dass der Eingang zum alten Kinly, das sich direkt gegenüber auf der anderen Seite der Straße befindet, immer Teil der Vorschau bleiben wird. „Die Vergangenheit spiegelt sich in der Fassade, die Zukunft liegt hinter der Tür“, dichtet René Soffner, der eigentlich andere Pläne für das Erdgeschoss hatte, in dem er heute sitzt.

Es sollte eine Erweiterung seiner Cocktailbar werden. Die 39 Plätze im alten Kinly waren begrenzt, und in der Regel gab es deutlich mehr Nachfrage als Angebot. Nun weist René Soffner auch nicht gerne Gäste ab. Darum sollte mehr Platz her, und vor allem mehr Raum für Kreativität: „Japanische Ecke hier, Katsu-Sandwiches da.“ Mit Freund und Interior-Experte Mario Grünenfelder, der in Barcelona ein Architekturbüro betreibt, konnte er nach der Anmietung Ende Februar 2020 noch herumspinnen. All das, was nicht ins spitze Kinly-Konzept passte, sollte hier stattfinden dürfen.

Damals war überhaupt noch viel mehr geplant. In einem Instagram-Post im April 2020, der mit „Challenge accepted“ betitelt ist, posieren vier der damaligen „Kinly Boys“ vor dünn bepflanzten Beeten. Es entstand nach dem ersten Lockdown, als das Kinly nur noch zehn Prozent Auslastung hatte. Ziel war es, Zutaten selbst anzubauen, um die Qualität der Drinks und die Besinnung auf Regionalität zu erhöhen.

The Kinly Bar (neu)

Elbestraße 29
60329 Frankfurt am Main

Wut schwebt mit im Raum

Mit dem zweiten Lockdown war dann allerdings nicht mehr viel mit Idylle. „Es ging ums Überleben“, konstatiert René Soffner und erklärt, dass eine Gastronomie wie die seine einfach verloren hatte, so ganz ohne Küche und Terrasse. Finanzielle Hilfe kam spät, Umsatz gar nicht. „In diesen Weiße-Männer-Augen in der Politik bist du nicht systemrelevant. Alles ist da Ischgl, alles immer unprofessionell“, raunt er jetzt, und die Wut schwebt im Raum wie der Dampf seiner Iqos.

Er fühlte sich alleingelassen vom Staat, gelinde gesagt: verarscht. Ihn verletzt es, in den Nachrichten sehen zu müssen, „wie ein großer Teil der Gesellschaft alles dafür tut, damit du auch nie wieder aufmachen kannst“. René Soffner richtet sich auf, zieht lange an seinem erhitzten Tabak. Und dann regt er sich auf über Querdenker und „Beschlüsse-Beschließer“, vergleicht sich mit Al Bundy, weil er wie dieser Geld verteile in alle Richtungen, an Steuerberater, Vermieter, an Anwälte. Dabei sei es auch ohne Krise angesichts von Steuern und Belastungen nie leicht gewesen: „Wenn du in einem Land wie Deutschland so eine Bar wie das Kinly führst, ist das im internationalen Vergleich in etwa so, als würdest du Super Mario auf Schwierigkeitsstufe Extrem spielen.“

Und dann kam auch noch das Wasser, Vermieter, die sich nicht kooperativ zeigten und schließlich die Entscheidung, die Kellerräume zu verlassen und damit die kreative Spielwiese aufzubrechen, die parallel entstand. Immerhin ging es jetzt um Existenzsicherung.

Baustopp. Nachdenken.
Entscheidung:
The Kinly is dead.
Long live the Kinly – dann eben hier!

Wegen eigener Notlagen der Planer baute René Soffner dann eigenhändig, strich die Wände selbst, wie schon 2015, als er mit 26 und trotz Erfahrungen in Läden mit ganz anderen Investitionssummen den Mut zur Selbstständigkeit fasste. Und vor allem den zur Unabhängigkeit.

Auch Geweihe und Punch-Bowle haben den Umzug über die Straße mitgemacht

Das neue Kinly bleibt sich treu

Seine Unabhängigkeit sieht er als Versprechen, und das galt auch in der Not. Einfach, weil die Gäste ihm vertrauten. „Ich bin Handwerker mit hohem Anspruch. Wenn mir jemand eine Beere für zehn Euro anbietet, diese Beere aber der Shit ist, wenn du sie destillierst und als Longdrink verarbeitest, dann kaufe ich zehn davon“, sagt er und erklärt, dass so etwas nur möglich sei, weil er selbst die volle Verantwortung trage. Investoren hätten andere Ansprüche als die beste Aronia-Beere der Welt im Drink.

Seine Devise von damals klingt auch nach fünf Jahren noch aktuell: Er will in die Drinks investieren und in die Mitarbeiter. Drumherum: Egal. „Wir sind beim ersten Kinly in den Baumarkt gegangen und haben die Theke hingeballert. Licht dunkel, alles klar!“, erinnert er sich und lacht ein gelöstes Lachen. Preise und Auszeichnungen hat es für seine Bar trotzdem gegeben. Oder gerade deswegen? Mit der Symbiose aus Drinks und Gästen sei die Bar wertig geworden. René Soffner nennt das „wahre Inhalte“.

Nun könnte die zweite Geburt vielleicht noch schwerer werden. Denn diesmal gibt es vermutlich Erwartungen. „So banal es auch klingen mag, ein neues Kinly zu machen und die Leute nicht zu enttäuschen, ist natürlich schwer.“ Aber: Es gehe im Kern immer darum, gute Cocktails zu mixen, hier wie dort. Es gehe um Service, demokratischen Einlass, um einen Raum für die Gesellschaft. „In der Mitte Europas, in Frankfurt, im Bahnhofsviertel, in der Elbestraße,“ definiert René Soffner.

Der Barbetreiber möchte Menschen aus der Mitte der Gesellschaft in jene Straße locken, die viele „nur aus RTL-2-Elends-Dokus und Haftbefehl-Videos“ kennen. Sie ist von Rotlicht beleuchtet, Spritzen und Uringeruch gehören zum Bild wie Chihuahuas und Rosenbouquets zur Atmosphäre 300 Meter weiter gen Westen. „Meine Bar lockt die Leute, wie Trüffelschweine, die sich erst durch den Dreck kämpfen müssen“, sagt er, „wobei Dreck immer auch ein Klischee ist!“ Damit niemand, auch nicht die Stadt und ihre Minister, wegsehen kann.

Das neue Kinly nie wieder schließen – um jeden Preis

René Soffner jedenfalls freut sich darauf, Konjunktive nun beiseitezulassen und seine Türen ganz real wieder öffnen zu können. Dabei hatte er bis gestern mit allem gerechnet: „Heuschreckenplage um 19.30 Uhr, Fledermausgrippe um 19.45 Uhr.“ Stattdessen kamen Gäste, Stammgäste und Freunde, die ihre Bar vermissten und sich nach sieben Monaten ohne Butterfly Mojito und Readhead Punch endlich wieder das „Kinly best of“ einverleiben konnten. Es sei großartig gewesen. „Einen Moment wie den Eröffnungsabend haben wir gebraucht, vor allem als Antwort auf die Frage, warum wir so gekämpft haben!“

Erst einmal gilt es nun zu heilen, ganz in Ruhe. Dann möchten sie mit etwas Großem kommen, im Herbst, aber das wird eine eigene Geschichte. Nachdem er 16 Monate für den gesundheitlichen Schutz der Gesellschaft auf sein Recht der Gewerbefreiheit verzichtet habe, ist er sich heute sicher: „Ich werde meine Bar nie wieder schließen. Und dafür gehe ich dann auch aus Prinzip in den Knast!“

Und nun könnte man fast meinen, die Rauchschwaden wabern gezielt zum ulkigen Porzellanhund gegenüber, der ihn schon eine ganze Weile gierig anstiert.

Credits

Foto: Nonot Studio / Ilayda Dagli

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