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A Bar with Shapes for a Name: Rémy Savage, Bauhaus und die besten Drinks des Universums

Mit einem ambitionierten, ganzheitlichen Ansatz startet Rémy Savage in das Unternehmen Selbstständigkeit: Die neue Bar des Franzosen in London hat (eigentlich) keinen Namen, sondern orientiert sich an der Farben- und Formensymbolik der Bauhaus-Bewegung. Und hat dazu noch eine Lizenz bis fünf Uhr morgens. Willkommen in der „A Bar with Shapes for a Name“.

In den Zeiten der globalen Belagerung durch die Pandemie eröffnet das unbeugsame gallische Dorf eine Dependance in London. Ausgerechnet in der britischen Cocktailmetropole, die momentan kurz davor scheint, die Berechtigung für beide Bestandteile dieser Bezeichnung zu verlieren, in der eine Weltklassebar neben der anderen um ihre Existenz bangt, eröffnet Rémy Savage im Dezember seinen ersten eigenen Laden.

Öffnung bis fünf Uhr morgens

Wie soll man das nehmen? Optimistisch? Verblendet? Pflanzt Savage da grade ein Apfelbäumchen? Die Garde stirbt, doch sie ergibt sich nicht? Nun, wenn man sich mit ihm unterhält, dann wird schnell klar, dass man da einen extrem fokussierten Menschen vor sich hat – dessen Traum von der eigenen Bar zwar, wie bei vielen, immer vorhanden war, der aber dennoch seine Lebensentscheidungen nicht zwischen Absinth und Pastis trifft. Jedes Projekt hat ja auch so seine Vorlaufzeit, und, auch wenn das im Nachhinein klares Wunschdenken war, so haben doch die meisten Menschen gedacht, dass sich dieses Corona spätestens nach ein paar Monaten irgendwie wieder erledigt hat. Bloß: irgendwie war dann eben nicht.

Dieses kölsche „et hätt noch immer jot jejange“ als Grundgefühl scheint Gastronomen mit dem Gewerbeschein ausgehändigt zu werden, aber Savage hatte auch gute Gründe, genau jetzt und an dieser Stelle zuzuschlagen: Seine Örtlichkeit in East London, in der sich mal einer der ersten Dönerläden Londons befand, verfügt über etwas, das in Großbritannien seltener ist als dreiköpfige Hühner, die Fabergé-Eier legen: nämlich ein Sperrzeit von fünf Uhr morgens.

Da muss man dann eben zugreifen, Pandemie hin oder her. Die emotionale Achterbahnfahrt seither mag man sich nicht vorstellen. Eröffnung im November? Gastro geschlossen. Im Dezember? Kann sein. Mal abwarten. Bestimmt. Großbritannien impft und ist zuversichtlich, aber so schnell wird Rémy Savage seine Sperrstunde nicht ausreizen können.

Eine Bar nach den Prinzipien des Bauhaus

Wobei das dem Gast die Gelegenheit eröffnen könnte, das spektakuläre Konzept noch vor der spektakulären Öffnungszeit zu bemerken: Rémy Savage eröffnet seine Bar nach den Ideen, Vorstellungen und Prinzipien des Bauhaus. Holla. Das muss man erst mal setzen lassen. Selbst wenn man die legendäre Leidenschaft der Franzosen für alles Deutsche außer acht lässt, scheint es nicht besonders naheliegend, eine Bauhaus-Bar aufzuziehen. Was hat man denn in Weimar nach dem ersten Weltkrieg überhaupt getrunken? Welchen Rum tat sich Walter Gropius in den Tee?

Savage geht es natürlich um mehr. Minimalismus und eine klare Formensprache waren auch schon im Artesian sein Markenzeichen: unvergessen ist seine Karte der zwei-Komponenten-Drinks. Ähnliches steht auch jetzt wieder bevor: Die Spirituosenauswahl wird sich aus nur 20 Flaschen speisen. Ganz klar ist Rémy Savage weiterhin seiner Ästhetik des Weglassens verhaftet.

Und so lässt er bei seinem Laden auch gleich noch den Namen weg; beziehungsweise verpasst ihm einen unaussprechlichen: Die Bar benennt sich nach den auf Kandinsky zurückgeführten Primärformen und -farben und bezeichnet sich infolgedessen als gelbes Dreieck, rotes Quadrat und blauer Kreis. Gut, man kann sich sicher sein, dass das ausgeprägte englische Talent für Spitznamen („Gürkchen“ für das eine Hochhaus, „Käsereibe“ für ein anderes) auch hierfür bald eine ausreichend despektierliche Bezeichnung finden wird.

Club Bauhaus oder: „Namen sind für Journalisten.“

Andererseits findet hier nun auch nicht viel anderes als die Übertragung des Speakeasy-Gedankens auf ein künstlerisches Ambiente statt. In einer Stadt wie London mit all seiner hochklassigen Konkurrenz kann es ja auch ganz interessant sein, wenn man nicht auf Anhieb gefunden werden kann. Mit den zweiten Anlauf klappt es dann schon. Und 69 Colebrooke Row hat ja eindrucksvoll bewiesen, dass man keinen Namen braucht. Bloß für Google, Yelp, TripAdvisor undsoweiter könnte es schwierig werden, aber auch diesbezüglich hat sich Savage vom Flehen seiner Geschäftspartner nicht erweichen lassen. „Namen sind für Journalisten,“ meint er trocken. Jaja, schon recht. Viel wichtiger ist ihm, dass es ein Gelbes-Dreieck-Emoji gibt. Man arbeitet daran. Bis es soweit ist, wird sich wohl die naheliegende Formulierung durchsetzen, die Rémy Savage seiner namenlosen Bar bereits auf Instagram geben musste: Club Bauhaus.

All das Gewese über den Namen soll natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Ansatz ungemein spannend ist. Die Vereinigung von Kunst und Handwerk, der Funktionalismus, die Zuordnung von Formen, Farben und Materialien wird nun von Rémy Savage eben noch um den Bereich Geschmack erweitert. Ja, wieso auch nicht, möchte man fragen? Und, bei näherem Nachdenken, wieso überhaupt erst jetzt?

Rémy Savage will in seinem Club Bauhaus die Grenzen des Minimalismus ausloten

A Bar with Shapes for a Name

232 Kingsland Road
E2 8AX London

Dreimonatiges „studentisches Austauschprogramm“

Natürlich ist Savage ein Tüftler und Perfektionist, der sogar im Wohnzimmer einen Rotovap herumstehen hat. Sein Anspruch ist aber viel mehr als nur technisch: „Die Kenntnisse sind ein Werkzeug, aber nicht mehr. Es geht darum, sich wieder miteinander in Einklang zu bringen.“ Was sich aus dem Munde Savages ganz prosaisch und überhaupt nicht vergeistigt anhört, weshalb man ihm auch sofort abnehmen mag, dass er seine flüssig-ästhetische Botschaft auch so vermitteln kann, dass seine Bar viel mehr als nur der Schuppen sein wird, in den man gehen kann, wenn alles andere zu hat.

Das aktuelle Team besteht neben Rémy Savage aus Paul Lougrat (mit dem er bereits im Artesian zusammen gearbeitet hat) sowie Maria Rravdis. Man kann natürlich davon ausgehen, dass gerade viele Kollegen nach ihren Schichten vorbeischauen werden; London ist ansonsten ja nicht gerade Afterhour-freundlich. Gerade das mit den Kollegen hat Rémy Savage aber auch mit ins Konzept implementiert: Gastschichten und ein dreimonatiges „studentisches Austauschprogramm“ werden ein konstanter Bestandteil des Ablaufs sein, Lehren und Lernen sind gleichbedeutend mit Bereiten und Bedienen, die Rezepte der Drinks werden veröffentlicht, und es wird in diesem Artikel immer schwieriger, den Begriff „ganzheitlich“ zu vermeiden.

Der Club Bauhaus wird kein Kunstunterricht mit Getränkeausgabe

Aber schon die Personalauswahl bei so einer Bar gestaltet sich schwierig, müssen die Bewerber doch mehr können als nur Drinks. Sie müssen das Konzept nicht nur verstehen, sie müssen es verinnerlichen. Sie müssen Bauhaus leben und umsetzen. Und von 80 Bewerbern konnte erst mal keiner damit etwas anfangen. Gut, Savage hat fünf Jahre Philosophie studiert und hebt sich schon in dieser Beziehung vom klassisch-abgebrochenen Germanisten hinter dem Tresen ab. Auch wenn seine Pläne weder verkopft noch abgehoben wirken – intellektuell ist die Sache schon. Und so sehen die Personalschulungen, Monate vor der geplanten Eröffnung, auch etwas anders aus als in anderen Bars: „Wir reden nicht über Cocktails. Wir reden über Bauhaus.“

Die Gäste müssen natürlich dann nicht über Bauhaus reden, die dürfen ganz kenntnisfrei die Atmosphäre genießen, ohne im Detail wissen zu müssen, was ihnen denn da eigentlich genau so gefällt, und warum. Es soll ja schließlich kein Kunstunterricht mit Getränkeausgabe werden. Aber was genau soll es denn werden? Ganz einfach: „Ein Nachtclub mit den besten Drinks des Universums.“ Rémy Savage grinst spitzbübisch.

Na dann. Klare Ziele braucht der Mensch.

Credits

Foto: Rémy Savage

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