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Der Rusty Nail: Scotch, Drambuie – und sonst nichts

Zwei Zutaten aus dem gleichen Herkunftsland, die außerdem praktisch miteinander verwandt sind – reduzierter und simpler als der Rusty Nail kann ein Cocktail kaum sein. Dennoch steckt in dem potenten kleinen Drink ein kleiner Kosmos an Aromen, Ideen und Assoziationen. Hauptsache: ohne diese merkwürdige Zitronenzeste.

Einer der größten Nachteile der sogenannten „Cocktail-Renaissance“, die seit den späten 1990er Jahren geschieht: Es ist kaum noch möglich, in einer Bar einen Rusty Nail zu bestellen, ohne dass der Bartender oder die Bartenderin da eine Zitronenzeste hineinwirft. Nun könnte man einwenden, dass es wiederum ein Vorteil der Cocktail-Renaissance sei, dass man überhaupt in vielen Bars einen Rusty Nail bestellen kann und das Barpersonal – so jung es auch sein mag – sogar ohne Googeln weiß, was das überhaupt ist.

Rusty Nail

Zutaten

4,5 cl Scotch
1,5 cl Drambuie

Rusty Nail: ein Cocktail-Scheintoter mit Mini-Fangemeinde

Denn dem Rusty Nail, mit dieser Diagnose muss man ehrlich sein, war nach kurzem Heyday in der Nachkriegszeit eigentlich über mehrere Jahrzehnte ein Dasein als Scheintoter beschieden. Einer dieser klassischen Cocktails, die von der völlig anachronistischen International Bartenders Association als einer der „Unforgettables“ gelistet werden, nur um daher weltweit auf abertausenden Getränkekarten von Hotelbars irgendwo auf Seite dreizehn zu versauern und von Jahr zu Jahr immer seltener bestellt zu werden. Da kann auch eine kleine, eiserne Fangemeinde, wie jeder Cocktail sie hat, nichts dran ändern.

Eng mit diesem Schicksal verbunden war und ist auch die stilbildende Zutat des Rusty Nail: Drambuie, jener bekannteste und eigentlich eine alleinige Kategorie darstellende Likör aus Scotch, Heidehonig und Kräutern. Es gibt sie eben, diese Zutaten (oft Liköre), die sich neben ihrer Eigenschaft als Purprodukt vor allem als praktisch unverzichtbare Zutat in diesem einen Cocktail einen Platz in der Bar-Historie gesichert haben. Beim Drambuie ist das der Rusty Nail.

The Drambuie does the trick

Da muss man ehrlich sein, ohne dass man „Unterstützt durch Produktplatzierungen“ über diese nun folgende Behauptung zu schreiben braucht: Ohne Drambuie geht das einfach nicht. Kein Drambuie, kein Rusty Nail. Klar, es gibt andere Liköre aus Whisky oder Honig oder Kräutern, und viele von ihnen ergeben zusammen mit einem guten Scotch einen stattlichen „Zweiteiler“. Aber eben keinen Rusty Nail. Das funktioniert nicht. Man kann ja zum Haggis statt Kartoffelbrei und Rübenmus auch Süßkartoffelfritten und blanchierten Mangold reichen, das schmeckt sicherlich gut. Aber es ist dann eben kein schottisches Nationalgericht mehr. So ungefähr ist das mit dem Rusty Nail und dem Drambuie.

Und so ist das natürlich ebenfalls mit der weggelassenen Zeste, da kamen wir ja eigentlich her. Denn der Rusty Nail ist tatsächlich kein Drink, dem man übermäßige, feingliedrige, anspruchsvollste Komplexität attestieren müsste. Er ist, je nach Mengenverhältnis der Zutaten, entweder eine krautige, nicht bittere, süßlich-süffige, schmelzige Angelegenheit mit etwas Whiskygeschmack oder aber, mit wenig Drambuie, lediglich so etwas wie ein Instant-Old-Fashioned mit Scotch: ein bisschen Süße, ein bisschen Kräutertönung, aber eigentlich nur vorhanden, um den Whisky selbst zu untermalen. Eine Zeste gehört da einfach nicht hin. Der Drambuie ist die Zeste, er gibt dem Scotch die Richtung.

Obacht, der Rusty Nail hat durchaus Kraft

Was der Rusty Nail hingegen niemals ist, und das gilt es durchaus im Hinterkopf zu behalten, ist: leicht. Damit ist sein Alkoholgehalt gemeint. Gerade mit einem milden Scotch als Drink-Basis gerät das auf der Zunge schnell in Vergessenheit, aber auch Drambuie selbst kommt mit saftigen 40% Vol. daher.

Ein Rusty Nail, der mit den heute gängigen 5 bis 6 cl Scotch und der gewünschten Menge Likör gerührt wird, mag daher easy und leicht trinkbar sein – aber er schlägt auch stattlich ins Kontor. Auch deshalb hat die Zeste darin nichts zu suchen: Drambuie und Scotch genügen sich, und sie glätten sich auch gegenseitig ausreichend. Eine Zeste würde dieses Gebilde nur entstellen.

Wenn ein Drink sein eigener Twist sein kann

Dass der um 1937 erstmals erwähnte Rusty Nail (ein wirklich zitierbarer Urheber oder Ursprung findet sich bis heute nicht) zu einem Bestandteil des wirklichen klassischen Cocktailkanons geworden ist, sieht man an dem Umstand, dass er sozusagen als Ausgangspunkt für fortgedachte Twists dient. Die darf und soll es geben, doch eigentlich ist das gar nicht nötig, denn der Rusty Nail bietet durch die Einfachheit und Unbedingtheit seiner Rezeptur ja eigentlich schon das Potential mit, jedes Mal wieder selbst sein eigener Twist zu sein. Zwei Zutaten, von denen eine quasi unaustauschbar, die andere dafür aber unsagbar vielfältig ist, das bedeutet schließlich auch: Mit jedem Scotch ist das ein anderer Drink, denn außer der Konstante namens Drambuie ist da nichts, was vom Scotch ablenkt.

Klassisch: milder, leicht würziger Blended Scotch

In diesem Umstand liegt vielleicht die große Kraft des Rusty Nail – er kann eigentlich fast alles sein, was Scotch sein kann. Von der dezenten Eleganz eines leichten Blends oder Lowland-Malt bis hin zur jodig-rauchigen Wucht eines Hebridenwhisky. Klassischerweise wurde und wird er mit den etablierten Blends zubereitet, die vor allem durch Highland- und Speyside charakterisiert sind: etwa Johnnie Walker, Chivas Regal, Grant’s oder der besonders in den USA extrem populäre J&B.

Auf Basis dieser milden und gut mixbaren Blends dürfte der Drink dann auch seine Blütezeit in den 1950er und 60er Jahren aufgebaut haben. Milder Scotch war nach dem Krieg in den USA noch immer die Spirituose für elegante Herren. Hinzu kam die Tatsache, dass auch die Mitglieder des legendären Rat Pack – also primär die trinkfesten Frank Sinatra, Sammy Davis Jr. und Dean Martin – große, ausdrückliche Freunde des Rusty Nail gewesen sein sollen. Im legendären P.J. Clarke’s, einer von Sinatras Lieblingsorten in New York, war der Drink laut Dale DeGroff damals einer der absoluten Topseller.

Einen anderen Namensgeber findet man übrigens jenseits der inneramerikanischen Grenze: Ersetzt man den Scotch durch Canadian Whisky, so wird aus dem Rusty Nail ein „Donald Sutherland“, benannt nach dem legendären kanadischen Schauspieler, der allerdings eher aussieht, als würde er einen kräftigen Scotch den milden Whiskys seiner Heimat vorziehen.

Unendliche Möglichkeiten für den Rusty Nail

Verlässt man indes aber das Terrain der typischen Blends, tut sich ein weites Feld an Möglichkeiten für den Rusty Nail auf. Heutzutage ist einerseits das Angebot an charakterstarkem Blended Scotch extrem gewachsen, so dass sich allein in diesem Segment schon fast jeder Drink-Typ bedienen lässt. Nimmt man dann noch den Kosmos der Single Malts hinzu, dann dürfte es kaum möglich sein, den Rusty Nail auch nur annähernd zu erschöpfen. Freilich wird man keine Raritäten vermischen, aber es spricht nichts dagegen, ihn einmal mit den gängigen Standardqualitäten der unterschiedlichen Regionen zu testen – von milden Brands wie Glenlivet, Auchentoshan und Knockando über die charakteristischen Scapa, Oban und Highland Park bis hin zu würzigen Kompagnons à la Talisker, Laphroaig oder Ardbeg.

Auf diese Weise ist beim Rusty Nail vom halbwegs leichten Appetithäppchen für den frühen Abend bis zum ledrig-torfigen Nightcap eigentlich jedes Register möglich. Und das können tatsächlich nicht viele Drinks. Erst recht nicht ohne Zeste. Donald Sutherland würde jetzt zustimmen.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

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