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Timber Doodle Berlin

Timber Doodle: eine Waldschnepfe für Friedrichshain

Der Berliner Bezirk Friedrichshain befindet sich in einem Wandlungsprozess. Erfreulich, dass auch die Barkultur dazu beiträgt, wie das Timber Doodle beweist. Die Bar von Susanne Baró Fernández fungiert nicht als Hipster-Bespaßungsanstalt, sondern als ein Ort, der seine Wurzeln im 19. Jahrhundert sucht, um in die Moderne zu twisten. 

„Der Timber Doodle ist natürlich unser Signature-Drink, aber das Rezept kennt niemand außer mir und dabei bleibt es!“ Susanne Baró Fernández ist die Eigentümerin und Betreiberin der Bar Timber Doodle in Berlin-Friedrichshain, hat klare Vorstellungen davon, wie eine Bar funktionieren sollte, und pflegt eine besondere Beziehung zu einem der größten Romanciers des 19. Jahrhunderts.

Der eigentümliche Name ihrer Bar geht auf Charles Dickens, den Autor von Oliver Twist und David Copperfield, zurück. In seinem Buch „Aufzeichnungen aus Amerika“, einer Lesereise durch die USA und Kanada, beschreibt er Brauchtum und Lebensweise der Menschen im Jahre 1842. Neben Blindenschulen, Sanatorien für Geisteskranke, Gefängnissen und Besserungsanstalten, führt es ihn in Boston folgerichtig auch in eine Bar.

Hier taucht ein geheimnisvoller Drink auf. Amerika ist zu dieser Zeit im Cocktail-Fieber und so beschreibt Dickens die Szenerie: „In keinem Hotel gibt es ein Rauchzimmer, mithin war auch keines in dem unsrigen; allein die Schenkstube ist ein großer Raum mit steinernem Fußboden, und hier rauchen die Gäste den ganzen Abend, sitzend, umherschlendernd, auf- und abgehend, wie sie die Laune ankommt. Hier wird auch der Fremde in die Geheimnisse des Gin-sling, Cocktail, Sangaree, Mint Julep, Sherrycobbler, Timber Doodle und anderer seltener Getränke eingeweiht.“

Kontraste und ein Mentor

Auch eine zweite Koinzidenz führt Fernández und Dickens zusammen. Nach seinen Reisen brachte der Schriftsteller einen Havana-Spaniel mit nach Hause. Der Hund erhielt den Namen Timber Doodle, und sein wildes Haar stand dem seines Herrchens nach dem Genuss einiger hochexplosiver Timber Doodle Cocktails in nichts nach. Susanne Baró Fernández hat wiederum eine Weile auf Kuba gelebt und hat sich dabei eine Fähigkeit erworben, die sich im Laufe der Umbauarbeiten ihrer Bar als segensreich erwiesen hat. „Schwierigkeiten im Kleinen wie im Großen zu überwinden – und zwar mit einer gewissen Selbstverständlichkeit -, das habe ich auf Kuba gelernt.“

Selbst ein ruinöser Wasserschaden während der Bauphase hat Fernández und ihre Unterstützer nicht aufgeben lassen. „Ich finanziere das Timber Doodle rein privat. Ich habe noch einen stillen Teilhaber, und mein Freund Benedikt Scholz, Bartender in der Bar am Steinplatz, hat mir geholfen, alle Klippen zu umschiffen und nicht aufzugeben.“

Fernández, die sehr fokussiert wirkt und durchdacht formuliert, ist der klassische Quereinsteiger. Sie studierte Jura, als sie über einen Barjob in der berüchtigten Großraumdisko „Kontrast“ am Stadtrand von Berlin lernt, was Turbogastronomie bedeutet. Der wahre Kontrast folgt dann in der Bar im Melia Hotel Berlin und besonders im The Ritz-Carlton unter der Ägide von Arnd Henning Heißen im Curtain Club.

„Arnd ist sicherlich mein wichtigster Mentor, bei ihm habe ich viel gelernt. Überhaupt ist die Hotellerie eine gute Schule. Man lernt Standards einzuhalten. Das ermöglicht es einem auch, bei Stress den Überblick zu wahren“, erklärt sie. Auch ihr Auge für den Service schult sie dabei. Ihren Job in der Personalabteilung bei Siemens hatte sie da schon an den Nagel gehängt: „Ich wollte mehr mit Menschen arbeiten, mehr interagieren.“

Das Timber Doodle als Gentlemen’s Club für Friedrichshain

Nach der formalen Strenge der Hotelbar entdeckt Fernández die Ästhetik der freien Bar für sich, engagiert sich in der inzwischen geschlossenen Kreuzberger Brügge Bar und wird Trainerin beim „Learning for Life Professional Bartender Program“ des Spirituosen-Multis Diageo, in dem talentierte Bartender ausgebildet werden.

Es ist Zeit für die erste eigene Bar. Alles wird selbst entworfen, von Tresentechnik bis zum Design. Flohmärkte und Antiquariate durchstöbert, um einen Trinkraum im Stile des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zu schaffen, „einen Gentlemen’s Club, zu dessen Inspiration auch die Bar Le Fleur in Prag beigetragen hat“, wie Fernández präzisiert.

Der Tresen ist zu beiden Seiten hin geöffnet, das Rückbuffet und der Bartender durch die Fensterfront von außen sichtbar. Im Inneren des Timber Doodle dominieren Chesterfield-Sofas und Sessel, Kristallleuchter, dunkle Vertäfelungen und petrolfarbene Wände. Auf dem Weg in den Gästewaschraum passiert man eine antiquarische Bibliothek mit Schätzen aus der Barliteratur.

Sirups und Essenzen

Etwa 25 Sitzplätze warten auf die Gäste und im Sommer schlürft man seinen Drink an Tischen auf dem Bürgersteig vor der Bar. Ihren gustatorischen Input bezieht Fernández durch den Austausch mit Freunden und Kollegen, aber auch ganz explizit durch das Kochen, ihrem großen Hobby, angereichert durch Reisereminiszenzen und Literatur. Es gibt seltene Whisky-Abfüllungen, eine Karte mit 20 Eigenkreationen und Twists geben dem umfassenden Repertoire die Linie vor.

Eigene Sirups und Essenzen aus Kräutern und Blüten verraten die Schule von Arnd Henning Heißen. „Als leidenschaftliche Köchin arbeite ich natürlich auch mit Sous Vide, Selbstgeräuchertem und Fasslagerungen. Mir macht es einfach Spaß, in meiner Bar zu köcheln“, freut sich Fernández.

Für Bierliebhaber ist Craft Beer Standard und beim Pouring ist sie an keinem Industrievertrag gebunden. Für Friedrichshain hat das seinen Preis. Neun bis zwölf Euro hat das Publikum zu erwarten. „Ich denke, das funktioniert. Die Leute hier werden immer aufgeschlossener und neugieriger. Die Booze Bar und das Chapel haben ja auch schon Pionierarbeit geleistet“, ist sie sich sicher.

Das Mantra des Timber Doodle

Auf die Frage, welche Bars sie privat bevorzugt, hat sie präzise Vorstellungen. Den Curtain Club wegen der Organisation, Becketts Kopf wegen des Intellekts im Glas und den Lebensstern wegen der riesigen Spirituosenauswahl, „aber alle wegen des freundlichen und herzlichen Service“. Dort sieht sie Menschen am Werk, die eine Händchen und Leidenschaft für ihren Beruf haben, „etwas, das man nicht beibringen kann und das auch auf keinem Wettbewerb vermittelt wird“.

Ein Bartender brauche Persönlichkeit und Lebensbildung, sonst nütze ihm all sein Können wenig. Dann kommt das Credo, das Mantra aller Bartender. „Das Allerwichtigste ist die Arbeit am Gast. Der Service, das kurzweilige Gespräch, die nette Geste, das Gefühl des Aufgehoben-seins.“ Den Einwand, dass dies leider oft im alltäglichen Betrieb, vor allem zu Stoßzeiten, zu einem leeren Versprechen verkomme, lässt Fernández nicht gelten. „Dann läuft was schief. Der Bartender muss verstehen, dass der Gast in erster Linie für die verbrachte Zeit in der Bar bezahlt, erst danach kommt der Drink“, antwortet sie energisch.

Wappentier mit 360-Grad-Blick

Das führt wieder zu Charles Dickens. Ob als Name für einen Hund oder für einen Drink, dessen Originalrezeptur als verschollen gilt, ist Timberdoodle in jedem Fall die englische Bezeichnung für die kanadische Waldschnepfe, die in dessen „Aufzeichnungen aus Amerika“ ebenfalls Erwähnung findet. Der Vogel ist prädestiniert als Wappentier für eine Bar. Sein Schnabel erinnert an Form und Dimension an einen Spundlochheber, seine Augen liegen seitlich am Kopf, was ihm einen 360-Grad-Blick ermöglicht. Ideal für den Umgang mit dem Gast.

Credits

Foto: Foto via Timber Doodle.

Comments (2)

  • Max

    Hi,

    mir ist aufgefallen, dass der Link unter dem Artikel leider falsch ist und nicht auf die Website von Timber Doodle, der Bar, verweist.

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    • Stefan Adrian

      Hallo Max, danke für den Hinweis, ist ausgebessert. Beste Grüße aus der Redaktion!

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