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Die Collab Bar ist ein starker Neuzugang für Hamburg

Die Collab Bar in Hamburg schwört auf die Zusammenarbeit

Chloé Merz hat mit der Collab Bar in Hamburg ihr erstes Barprojekt realisiert. Gemeinsam mit André Lembcke hat die Schweizerin eine anspruchsvolle Neighborhood Bar im ruhigeren Teil von St. Pauli eröffnet. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen unter anderem Drinks mit wenig oder ohne Alkohol. Und auch der Name der Bar ist Programm.

„Ich nenne mich jetzt nach den ersten Tagen einfach mal ›Barback‹ des Jahres“, schmunzelt André Lembcke. In der Tat hat sich der 45-Jährige auf neues berufliches Terrain begeben. Und als Barback steigt man eben meistens ein in den Bar-Beruf. Wobei die Nähe freilich schon lange gegeben ist: Seit 2019 ist er Mitgeschäftsführer des neu belebten Hamburger Import- und Vertriebshauses Charles Hosie und kann auch sonst auf eine sozusagen „spirituelle“ Vergangenheit zurückblicken. In über 20 Jahren Berufsleben ist Lembcke zu einem großen Teil in der Spirituosenbranche heimisch gewesen – vornehmlich in den Bereichen Sales und Marketing. Aber: Wirklich in der Gastronomie hat er nie gearbeitet. Seit Juni 2023 hat er eine eigene Bar.

„Ich kann aktuell gar nicht einschätzen, ob ich künftig nochmal aktiv als Bartenderin arbeiten werde.“ Diesen Satz sagte Chloé Merz in einem Gespräch vor rund zweieinhalb Jahren. Vornehmlich die Entwicklungen rund um die Pandemie hatten zur Neu-Orientierung beigetragen. Dabei war die Schweizerin mit amerikanischen Wurzeln in den Jahren zuvor einer der Shooting Stars der deutschsprachigen Szene gewesen: Sie gewann 2017 als erste Frau und erste:r schweizer Teilnehmer:in überhaupt die Made in GSA Competition, im gleichen Jahr folgte der MIXOLOGY Bar Award als „Newcomerin des Jahres“. Fortan war Merz allgegenwärtig in der Szene, prägte als Bartenderin unter anderem die Wege der beiden damals noch jungen und heute höchst einflussreichen Bars Angels‘ Share (Basel; die Bar hat für das kommende Jahr ihre Schließung bekannt gegeben, Anm. d. Red.) und One Trick Pony (Freiburg) mit. Letztes Jahr war sie gar als Rednerin bei den Tales Of The Cocktail in New Orleans zu Gast. Doch die Einwirkungen von Corona-Lockdowns in Paarung mit einem Umzug nach Hamburg trieben Merz dazu, die beruflichen Grenzen neu auszuloten. Sie ist Mitenwicklerin und Mitbesitzerin des alkoholfreien Produkts kiukiu, überdies gründete sie zusammen mit Anne Linden die Plattform ice&tasty. Die Wege führten also eher in andere Bereiche, ins Kreative, zu Design, Fotografie, Entwicklung und auch Beratung. Seit Juni 2023 hat sie eine eigene Bar.

In der Collab Bar halten sich alkoholische und alkoholfreie Drinks die Waage
In der Collab Bar halten sich alkoholische und alkoholfreie Drinks die Waage

Collab Bar

Hein-Hoyer-Straße 63
20359 Hamburg

Eine Bar, zwei Personen, eine Zusammenarbeit

Diese beiden eigenen Bars sind natürlich in Wirklichkeit ein und dieselbe Bar. Doch man muss mit den unterschiedlichen Werdegängen von Merz und Lembcke anfangen, wenn man diese Bar beschreiben will. Allein schon, weil dann der erste Aspekt des Namens dann besser verständlich ist – Collab Bar. Denn hier kommen zwei Menschen mit einem Projekt um die Ecke, die ganz unterschiedliche Herkünfte und Erfahrungen mitbringen, um ihr jeweils erstes eigenes gastronomischen Projekt zu realisieren. „Es begann aber tatsächlich als klassische Schnapsidee“, blickt Chloé Merz heute zurück, während sie vor dem kleinen, hellen Tresen im Souterrain der Collab Bar steht. „Irgendwann sagte André zu mir: ‘Sag mal, wir sollten eigentlich zusammen eine Bar aufmachen’“. Analog zum hemingwayschen Diktum, dass man das betrunken Geschriebene am Folgetag nüchtern auf seine Qualität überprüfen müsse, kamen mit der Zeit Leben und Ernsthaftigkeit in die Idee, wie Lembcke erzählt: „Irgendwann hat sich abgezeichnet, dass wir darauf wirklich Lust haben. Ich habe dann mehr oder weniger ‘klassisch’ angefangen, nach Locations zu suchen, wie man das heute so macht: Also per Kleinanzeigen.“

Collab Bar statt Craft Beer

Fündig wurden beide schließlich in der Hein-Hoyer-Straße auf St. Pauli. „Das war dann auch ein Glücksfall. Hier war vorher eine Craft-Beer-Kneipe, also so eine richtige Craft-Beer-Bar mit acht Zapfhähnen und super aufwendiger Kühltechnik“, berichtet Lembcke. „Der Familie der damaligen Beitreiberin gehört das Haus auch. So ist unsere Vorbetreiberin nun unsere Vermieterin, und sogar eine ganz tolle und hilfreiche.“ Mit dem Objekt und der Lage dürfen Merz und Lembcke hochzufrieden sein. Die Größe bietet gute Voraussetzungen für eine Bar mit Anspruch, ist aber mit rund 40 Sitzplätzen nicht zu klein. Und die Lage im nordwestlichen Teil von St. Pauli bietet exakt jene nötige Distanz, um nicht mittendrin im Reeperbahn-Gebretter zu sein, aber dennoch in Laufweite des berühmten nächtlichen Surrens dieses Stadtteils. Und auch barkulturell befindet man sich in bester lokaler Gesellschaft: Mit dem Pelican, dem The Standard, der Walrus Bar und der Institution The Rabbithole liegt gleich ein ganzes Bündel mehr als guter, anderer Trinkstätten jeweils in nur ein paar Minuten Fußweg entfernt. Ein anständiger Pub Crawl im Viertel wird also immer vielfältiger.

Die Räume wurden komplett entkernt – „nur der Fußboden ist geblieben“, wie Lembcke anmerkt – und neu gestaltet. Angesichts von Formensprache und Farbkonzept lässt sich eine klare Chloé-Merz-Handschrift erkennen: Es dominieren helle, pastellige Noten sowie schlichte, minimalistische Holzelemente und sehr prägnante, klare Linien und Farbflächen, beinahe könnte man von grafischer Einrichtung sprechen – optische Verweise und Ähnlichkeiten zur Stilisitik von Merz‘ erwähntem Projekt ice&tasty inklusive. Der ebenso helle, kleine Tresen wiederum ist das Werk alter Bekannter: Das hochfunktionale Element stammt aus der Berliner Interior-Schmiede Hidden Fortress, die sich durch die Gestaltung anderer progressiver Bars – wie etwa das Berliner Buck & Breck, das Kink oder das The Tiny Cup in Frankfurt – längst einen Namen gemacht hat.

Der geschwungene, hochfunktionale Tresen stammt aus der Interior-Schmiede Hidden Fortress
Der geschwungene, hochfunktionale Tresen stammt aus der Interior-Schmiede Hidden Fortress
In der Collab Bar, die etwa 40 Sitzplätze bietet, dominieren helle, pastellige Noten sowie minimalistische Holzelemente
In der Collab Bar, die etwa 40 Sitzplätze bietet, dominieren helle, pastellige Noten sowie minimalistische Holzelemente

Noch eine Heimkehrerin

Hinter dem Tresen der Collab Bar steht außerdem direkt seit dem ersten Tag eine zweite prominente Bar-Wahlhamburgerin: Frederike „Fredi“ Behrens, bis vor Kurzem noch Teil der Crew im jüngst geschlossenen Münchener Ménage, hat es nach vier Jahren an der Isar zurück in ihre norddeutsche Heimat gezogen. Gemeinsam mit Merz hat Behrens die Eröffnungskarte entwickelt und trägt auch die hauptsächliche Verantwortung fürs Tagesgeschäft. Das Menü, das Behrens und Merz entworfen haben, legt einen klaren Fokus auf einen bewussten Alkoholgenuss: Von den zehn Signatures sind fünf alkoholfrei – was auch langfristig als Profil der Bar so bleiben soll. Und auch die restlichen Cocktails sind teils sehr leicht, für den Gast gibt ein Piktogramm-System in der Karte Aufschluss darüber, wie spirituosenlastig ein Drink ungefähr ist. Besonders für Chloé Merz ist die Auseinandersetzung mit Low & No im Lauf der letzten Jahre immer wichtiger geworden, nicht nur durch die kiukiu-Produktentwicklung: „Das ist auch ein ganz persönlicher Antrieb von mir. Ich merke, dass ich Alkohol weniger gut vertrage als früher, daher befasse ich mich sehr ausgiebig damit, wie man zeitgemäße Drinks ohne Alkohl entwickelt“.

Die Collab Bar setzt auf souverän ohne

Wie souverän man im Collab mit dieser Materie umgeht, demonstrieren diese alkoholfreien Cocktails eindrucksvoll: Der Midnight Oasis u.a. aus Kombucha, Rosmarin, Lavendel, Heidelbeere und Undone Mexican Smoked Agave ist wuchtig-fruchtig und erzeugt erstaunliche Tiefe und Komplexität. Ganz anders, aber ebenso eindrucksvoll präsentiert sich der auf der Karte simpel wirkende Peaches & Dreams mit Wasserkefir, Pfirsich und Soda. Besonders für die aktuellen heißen Sommertage empfiehlt sich außerdem der Hallo Palo Berry, der Erdbeere, Palo Santo, Penja-Pfeffer und Soda zu einer intensiven, ätherischen Erfrischung mit eleganter Fruchtsäure und Grüntee-Noten macht. Preislich bewegen sich sämtliche Drinks in einem Bereich zwischen € 11,50 und € 13, für aktuelle Metropolenverhältnisse also vergleichsweise günstig – und so gönnt man sich noch schnell eine würzige, geradezu fleischig-fruchtige Paloma 5.0, diesmal mit Alkohol.

Zwischen Zukunft und Crazy Horst

Wer – siehe oben – „erstens“ sagt, muss auch „zweitens“ sagen: Denn der Begriff Collab trifft nicht nur auf das Team Merz-Lembcke zu, sondern auch auf einen geplanten festen Bestandteil der Karte: „Es gibt immer eine Sonderseite, auf der zwei Drinks von einer anderen Bar stehen“, sagt Merz und führt den Kollaborations-Gedanken weiter aus: „Ich finde es schön, wenn Bars sich gegenseitig ihre Rezepte zur Verfügung stellen. Anstatt bei einer Gastschicht, die nur einen Abend dauert, kann man so über einen längeren Zeitraum mit seiner Bar auch an einem anderen Ort präsent sein“, findet die frischgebackene Barbetreiberin. Dreimal im Jahr soll dieser Gast-Bereich auf der Karte erneuert werden, den Anfang machten zwei Drinks aus dem Trisoux in München – auch hier gilt übrigens: je einmal mit und einmal ohne Alkohol.

Wie die Collab Bar in ihrem Kiez ankommen wird, kann wahrscheinlich so richtig erst der Herbst zeigen. Für Merz und Lembcke gilt es dann auch, die Bar mit dem Team wachsen zu lassen, denn beide sind nach wie vor in ihren anderen, anfangs beschriebenen Bereichen tätig. Vielleicht ist ihre ganz persönliche Collab deshalb auch eine ganz gute Idee. Denn alleine hätte sich jeder von beiden vielleicht nicht an die eigene Bar gewagt. Und jetzt kann man die Dinge sich ja auch erstmal entwickeln lassen. Unwägbarkeiten gibt es sowieso immer: „Am Eröffnungsabend hatten wir kaputte Toiletten«, sagt Lembcke. »Aber das war dann gar nicht so schlimm. Ich hab‘ im Crazy Horst auf der anderen Straßenseite gefragt. Da konnten unsere Gäste dann die Toiletten benutzen. Den ganzen Abend.“

In der Nachbarschaft ist die Collab Bar also schonmal angekommen. Und wie wichtig das für eine Bar ist, unterschätzen viele Menschen noch immer. Merz und Lembcke offensichtlich nicht.

Dieser Text erschien ursprünglich in der Print-Ausgabe 4-2023 von MIXOLOGY. Für diese Wiederveröffentlichung wurde er formal angepasst und minimal adaptiert. Weitere Informationen zu Bestellung einer Einzelausgabe oder Abonnement findet sich hier.

Credits

Foto: Georges Pauly / Collab Bar

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