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Die Geschichte des Pousse Café, Teil 9: der Knickebein

Die Geschichte des Pousse Café, Teil 9: Der Knickebein

Pousse Cafés sind heute weitestgehend vergessen und spielen in der zeitgenössischen Barkultur keine Rolle. Trotzdem sind sie für die Drinks-Historie ebenso wichtig wie der Punch. In unserer zehnteiligen Serie „Die Geschichte des Pousse Café“ widmet sich Armin Zimmermann allumfassend den bunten Schichtgetränken. In Teil 9: die deutsche Variante, der Knickebein.

In Frankreich trank man überall Chasse Café und Pousse Café, also eine Spirituose mit oder nach dem Kaffee. Wie war es in Deutschland? Auch dort hatte man landestypische Getränke, allen voran der Knickebein.

Der Knickebein

Das Wort „Knickebein“ stammt aus Norddeutschland. Ein 1775 erschienenes Wörterbuch klärt uns über dessen Bedeutung auf. Zum Eintrag „Knicken“ steht geschrieben: „Im Gehen knicken, die Knie tiefer einbiegen, als zum ordentlichen Gange nöthig ist. … Auf solche Art gehen, heißt im Nieders. knickbeinen, und welcher diesen Gang hat, ein Knickebein.“ Unter einem Knickebein versteht man eine Kniefehlstellung, auch Genu valgum genannt, umgangssprachlich auch als X-Beine bezeichnet. Es gibt auch den Familiennamen „Knickebein.“

Auch ein Getränk heißt Knickebein. Es gibt verschiedene Erzählungen darüber, woher der Name stammen soll. Man sagt, dass Getränk sei 1845 in Jena aufgekommen und solle sich auf einen Studenten mit dem Spitznamen Knickebein beziehen. Andere halten den Tiroler Freiheitskämpfer Andreas Hofer für den Schöpfer. Zuverlässige Quellen hierfür fehlen jedoch.
Glaubwürdiger ist es, dass sich im Volksmund diese Bezeichnung gebildet hat. In solchen Dingen war man kreativ. Ein 1867 erschienenes Buch klärt uns beispielsweise auf, unter dem Stichwort „Gotteswort“: „Andere Benennungen für Branntwein oder gewisse Sorten desselben, wie sie namentlich in der Provinz Preussen vorkommen, sind: Bindfaden, Krumpholz, Rachenputzer, Raschwalzer, Reissnieder, Sturak, Vidibum, Wupptich, Krolscholke-Dollwasser (von dem polnischen grozolka = Branntwein); für besondere Sorten: Knickebein (= Maraschino mit Eidotter), Kornus mit Gewehrüber (= Korn mit Bitter), Lerchentriller, Sanfter Heinrich für süsse Branntweine, in Danzig Machandel mit dem Knüppel (= Kaddig oder Wachholderbeerbranntwein mit Zucker, wozu ein hölzernes, löffelartiges Stäbchen zum Umrühren beigegeben wird).“

Der Name mag wohl aus der Assoziation heraus entstanden sein, dass im betrunkenen Zustand die Beine wegknicken. Die Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft schreibt dazu im Jahr 1863: „Starkes Getränk nennt man Knickebein (Breaky-leg); und: „He’s been to Bungay fait, and broke both his legs“, er ist auf dem B.-Markte gewesen und hat beide Beine gebrochen, steht für: Er ist betrunken, wie man in Aegyptischer Hieroglyphenschrift dem Verbum „betrunken sein“ als Determinativum ein durchschnittenes Menschen-Bein beigab.“

Leo's Knickebein

Zutaten

1/3 Curaçao
1/3 Noyeau (in diesem Fall alternativ Tempus Fugit Spirits Crème de Noyaux)
1/3 Maraschino
Eigelb
Eiweiß

Angostura Bitters

Die ältesten Quellen

Die ältesten Quellen für dieses Getränk verweisen auf Deutschland als Ursprung. Es steht sicherlich im Zusammenhang mit der aus Frankreich stammenden Kaffeehauskultur und dem damit verbundenen Genuss von Spirituosen und Likören, Chasse Café oder Pousse Café genannt. Man kann den Knickebein als eine deutsche Weiterentwicklung des Pousse Cafés betrachten. Er kam wohl um 1840 oder 1850 auf. Das älteste Dokument, das ich finden konnte, stammt aus dem Jahr 1854 und beschreibt den Knickebein mit den Worten: „Knickebein, ist ein kaltes Getränk. Man thut in ein Liquerglas etwas feinsten Caracaoliquer, schlägt ein ganzes Eidotter darauf, einige Tropfen feinsten Vanilleliquer oder Maraschino darüber und trinkt es mit einem Schluck.“

Was ist ein Knickebein?

Allgemein kann man den Knickebein als ein Getränk definieren, das aus übereinandergeschichteten Spirituosen mit einem rohen Eidotter besteht. In späteren Jahren erweiterte man die Rezeptur und fand weitere Abwandlungen. Leo Engel beispielsweise publiziert in seinem 1878 erschienenen Buch „American & Other Drinks“ Leo’s Knickebein. Dieser wird mit einer Haube aus geschlagenem Eiweiß gekrönt, und darauf gibt man noch Angostura Bitters. Er gab auch genaue Angaben darüber, wie sein Knickebein zu genießen sei: „Führe das Glas unter die Nasenlöcher und rieche das Aroma. – Pausiere. 2. Halte das Glas senkrecht dicht unter den Mund, öffne ihn weit und sauge den Schaum mit einem tiefen Atemzug ein. – Halte erneut inne. 3. Spitze die Lippen und nimm ein Drittel des flüssigen Inhalts ohne das Eigelb zu berühren. Pausiere erneut. 4. Richte den Körper auf, wirf den Kopf nach hinten, schlucke den im Glas verbliebenen Inhalt auf einmal und zerbrich dabei das Eigelb im Mund.“

Die Beliebtheit des Knickebeins

Der Knickebein war in Deutschland außerordentlich beliebt. Spätestens in den 1850er Jahren wurden eigens dafür gefertigte Knickebein-Gläser verkauft. So ist es noch Anfang des 20. Jahrhunderts – was für eine durchgängige Beliebtheit spricht. Er war typisch deutsch. Man erhielt ihn praktisch überall, beispielsweise in Weinwirtschaften, in Restaurants, in Konditoreien, in „Punschzimmern“, in „Erfrischungshallen“.

Der Knickebein war in Deutschland so verbreitet wie in Frankreich der Pousse Café, und er ist in denselben soziokulturellen Hintergrund eingebettet. Man ging ursprünglich ins Kaffeehaus als Ort der Neuigkeiten, um sich zu unterhalten und um Zeitungen zu lesen. Man verweilte dort über einen langen Zeitraum und dazu trank man Kaffee und Likör – als Pousse Café – oder Knickebein.

Ein Zeitungsbericht aus dem Jahres 1874 verdeutlicht dies: „Neujahr in Berlin. Berlin, 2. Januar 1874. … In den Conditoreien und Café’s, die in Berlin bekanntlich vereint sind, verdrängt ein plappernder genäschiger Menschenschwarm die andächtige Lese-Gemeinde der Wochentage. Während der Stammgast es unter seiner Würde hält, von den Süßigkeiten auf den Verkaufstischen zu kosten – er nimmt tagtäglich seinen Café, seinen Cacao, seinen Knickebein u. dgl. – vertilgt heut männiglich zum Café oder zur Chocolade Berge von Kuchen. Und nach einer Viertelstunde räumt der fleißige Consument schon wieder seinen Platz, denn der Feiertag muß ausgenutzt werden. Messieurs Fripponi, Spargnapani, Stehley und wie die kuchenbackenden Engaddiner Berlin’s alle heißen, lächeln in ihr olivfarbnes Italiener-Antlitz still hinein und denken: „Ach, wenn es doch alle Tag‘ Sonntag wär’“ – dann brauchte ich keine theuren Zeitungen zu halten und die langweiligen Café-Gäste könnten bleiben, wo der Pfeffer wächst!““

Militär, Knickebein und Regimentsmischung

Beim Militär war der Knickebein beliebt. Man trank ihn auch im Manöver. So wundert es nicht, dass auch das 1890 erschienene Buch „Bowlen und Pünsche zum Manöver- und Feldgebrauch“ ausführlich darüber berichtet: „Der Knickebein ist ein wunderbares Getränk, das sich in allen Lebenslagen vorzüglich bewährt hat: im Sommer wie im Winter, bei Frost und Hitze, nach des Tages Last und Arbeit, früh nüchtern, wie spät abends nach feuchtfröhlichem Gelage; auch kann man Knickebein für jede Geschmacksrichtung herstellen: fein und lieblich für die Damen, stark und kräftig für die Jünger der St. Barbara.“ Die heilige Barbara ist die Schutzpatronin der Artillerie.

In diesem Buch befindet sich auch eine Abbildung. Sie zeigt den Knickebein des 1. Sächsischen Feldartillerie-Regiments Nr. 12., zubereitet mit „Cherry Brandy, Eigelb und grüner Pomeranze.“ Wir dürfen deshalb vermuten, dass jedes Regiment ein eigenes Knickebein-Rezept besaß, so wie auch jedes Regiment eine eigene Regimentsmischung besaß, in diesem Fall: „12. Feldartl. – Regt. (1. Sächs.), Dresden. 1/3 Curacao w., 1/3 Marasquin, 1/3 Bols-Cherry-Brandy.“

Diese Regimentsmischungen wurden aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls geschichtet. Als Kuriosität am Rande sei erwähnt, dass der B&B, also eine Mischung aus Brandy und Bénédictine, ursprünglich ebenfalls geschichtet wurde und sich als Regimentsmischung bis um 1870 zurückverfolgen lässt, denn diese Mischung entstand wohl nach dem Deutsch-Französischen Krieg und gehörte zum in Hamburg-Altona ansässigen Infanterie-Regiment „Graf Bose“.

Der Knickebein in den USA

Als sie auswanderten, nahmen die Deutschen ihren Knickebein mit in die USA. Doch außerhalb der deutschen Gemeinschaft war er wohl eher unbekannt. William Boothby schreibt deshalb im Jahr 1908 in seinem Buch „The World’s Drinks and How to Mix Them“: „Dieses berühmte teutonische Getränk ist in Amerika wenig bekannt, und nur wenige Bartender haben je die Kunst erlernt, es zu mixen. Es ist ein Getränk nach dem Essen, und um es voll zu schätzen, muss es nach den folgenden Anweisungen getrunken werden, da der Trinker vier verschiedene Empfindungen erlebt. Daher ist es die Pflicht des vorsitzenden Mixologen, dem Uneingeweihten die Vorgehensweise usw. genau zu erklären.“ Gefolgt von den Anweisungen, die bereits Leo Engel gab.

Der Pousse Café in Deutschland

Doch es sei auch noch darauf hingewiesen, dass man in Deutschland natürlich nicht nur Knickebein trank, sondern auch Pousse Cafés, denen ich die Regimentsmischungen zuordne. Die Beliebtheit auch der Pousse Cafés mag man daran erkennen, dass im 1913 erschienenen „Lexikon der Getränke“ unter der Überschrift „Pousse Café“ zahlreiche Varianten im Inhaltsverzeichnis aufgeführt werden. Sie heißen: Achenbach, American Pousse-Cafe, Angels Dream, Angels Tit, Angels Wing, Baron v. Reeden favorit, Brandy Champarelle, Brandy Scaffa, Charlies Knickebein, Corps Reviver, Dänischer Pousse-Café, English Tit, Faivres Pousse-Café, Gin Scaffa, Happy Moment, Helgoländer, Jersey Pousse-Café, Kerkau Sylvester-Pousse-Café, Kirsche, Knickebein, Kossak, Kuss mit Liebe, Loie fuller, Maidens Kiss, My sweet Mary, Naval float, Non plus ultra, Pariser Pousse-Café, Pousse-Café, Pousse l’amour, Princess Juliana, Rainbow Buff, Riche, Rum Scaffa, Santinas Pousse-Café, Saratoga Pousse-Café, Sheffield’s Pousse-Café, Stars and Stripes, Stifferine Brace, The flag, Union Pousse-Café, Widows Riss.

Fazit

Für einen Knickebein werden Spirituosen und ein rohes Eigelb geschichtet. Er entstand wohl zwischen 1840 und 1850 in Deutschland. Sein Name stammt aus dem Niederdeutschen. Man kann in ihm eine deutsche Weiterentwicklung des französischen Pousse Cafés sehen.

In Deutschland war der Knickebein außerordentlich beliebt, man trank ihn überall. Es gab zahlreiche Varianten, und anscheinend hatte jedes Regiment sein eigenes Rezept, und außerdem auch eine eigene Regimentsmischung, wohl aus geschichteten Spirituosen bestehend, denn Likörmischungen – also so etwas wie Pousse Cafés – trank man in Deutschland auch.

Die nach Amerika auswandernden Deutschen nahmen den Knickebein und ihre Likörkultur mit dorthin.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

Comments (3)

  • Peter

    Persönlich finde ich diese Serie nicht uninteressant, jedoch möglicherweise etwas langatmig. Der Umstand, dass die Folgen nicht kontinuierlich erscheinen und hier für Folge acht und neun mit mit demselben Photo beworben werden, mag geneigten Leser*innen scheinbar lieblos redaktionell betreut vorkommen und tut ein übriges. Wie auch immer, Barwisssen ist immer gut, insofern Dank an Armin Zimmermann!

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    • Mixology

      Lieber Peter,
      „langatmig“ ist natürlich immer Ermessenssache, es handelt sich um die Aufarbeitung eines komplexen Themas, in dem Fakten und historische O-Töne im Vordergrund stehen. Die Folgen erscheinen kontinuierlich, und Folge acht und neun haben unterschiedliche Bilder – so wie jeder Beitrag der Serie.
      Mit freundlichen Grüßen,
      Die Redaktion

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      • Peter

        Unbedingt eine Ermessenssache, liebe Redaktion, und daher auch als meine persönliche und somit subjektive Meinung explizit gekennzeichnet. Mit “möglicherweise etwas langatmig” meinte ich zuvorderst die für meinen Geschmack oft zu langen Zitate und zu zahlreichen Aufzählungen, doch möglicherweise ist wirklich der inhaltlichen und zeitlichen Komplexität des Themas geschuldet.
        Die Artikel werden in der Tat mit jeweils unterschiedlichen und auch sehr schönen Photos eingeleitet. Doch ist es nicht so, dass hier im Newsletter 03-23 selbst der “Knickebein” mit dem “Golden Slipper” bebildert ist?
        Wie auch immer… nehmt es, wenn ihr wollt, als kleinen Hinweis eines geneigten Lesers, der sich auf Folge 10 freut.

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