Philip Bischoff: Barrels für die Bar-Boomtown
Ein Fässchen Negroni am Tresen? Da lacht man in der Manhattan-Bar in Singapur, wo 105 Fässer mit Drinks und Spirits belegt sind. Willkommen in der Cocktail-Boomtown Singapur, wo Philip Bischoff als der Herr des Rickhouse amtiert. Ein Ortstermin in Fernost.
Drei Dinge prägen die aktuelle Nummer 35 der „The World’s 50 Best Bars“-Liste im ersten Stock des Regent-Hotels in Singapur: Ein erhöhter Tresen, der wie ein DJ-Pult über die Stimmung im Raum hinter den lackschwarzen Türen gebietet, ein „Ingredience Room“ wie eine Alchemisten-Werkstatt und vor allem die im „Rickhouse“ in Reih und Glied geschlichteten 105 Fässer aus Minnesota. Jedes von ihnen fasst 13,3 Liter und der Inhalt degradiert jeden „Barrel Ager“ hierzulande zum Lehrbuben. Denn unter anderem lagern hier Spirituosen in Fässern, die mit Cocktails vorbelegt wurden. Der „House Mezcal“ etwa bekommt so die Aromen des El Presidente ab und wirkt weich und leicht kirschig. Daneben verraten die Unterschriften von Diplomatico-Master Blender Tito Cordero, dass auch der venezolanische Rum Teil einer „Friends of Manhattan“-Edition ist. Und was sagt der Mann, der auf diesen drei Bühnen seine Spielwiese fand? „Ich fühle mich jeden Tag noch wohler“.
Rickhouse: Eine Solera für den Negroni
Philip Bischoff hat dieses einzigartige Set-Up quasi „geerbt“. Denn das Basiskonzept der Manhattan, die Singapur-Veteranen noch als Pianobar mit zwei Ebenen kennen, wurde vor zwei Jahren erstellt. Federführend war mit „Proof&Co.“ jenes Unternehmen, das mit der Eröffnung des 28, Hongkong Street die Initialzündung für den aktuellen Höhenflug der fernöstlichen Hafenstadt (siehe auch MIXOLOGY 2/2016) setzte. Fällt heute der Blick auf einen Negroni im Solera-System oder den Sazerac, der im mit Kaffee „gewaschenen“ Fässchen ruht, kann man über den ursprünglichen Plan, das Rickhouse in den Keller statt hinter eine Glaswand zu verfrachten, nur den Kopf schütteln. Doch zum Glück kam es anders, wovon auch der im Juni 2015 aus Berlin eingeflogene Barchef profitiert.
Philip Bischoff fasst die ersten neun Monate in Singapur in einem einzigen Satz zusammen: „Es ist großartiger Mannschaftssport“. Das gilt für die Mannschaft in der Manhattan, aber auch die gesamte Bar-Community der Stadt. Die international zusammengesetzte Bartender-Gemeinschaft Singapurs sei eine der stärksten überhaupt, so Bischoff. Man kennt sich und respektiert sich nicht nur im Stadtstaat, auch gemeinsame Tools wie der What’sApp-Channel für Jobsuchen unterstreichen diesen Gemeinschaftsgeist. Wenn etwa Bannie Kang aus der Anti:Dote (im Hotel Fairmont) darum ersucht, ihren Drink für die diesjährige „Bacardi Legacy“ auf die Karte zu nehmen, zögert auch die eigentliche Konkurrenz im Regent Hotel nicht, die Kreation anzubieten. Als Branchentreff fungiert nach wie vor die 28, Hongkong Street, einfach nur auf einen Cocktail vorbeizuschauen sei dort nicht möglich. „Hier triffst du immer jemanden aus der Barszene!”
Knickerbocker-Lager beim „Adult Brunch“
Bischoff, vielen noch aus der Amano-Bar Berlin vertraut, mit der er 2013 bei den MIXOLOGY Bar Awards „Hotelbar des Jahres“ wurde, „würde die Entscheidung jederzeit wieder treffen“. Ermöglicht hat das Engagement der Kontakt zu David Cordoba, der im März 2015 das erste Interview vermittelte. Einen Termin in Athen und mehrere Skype-Präsentationen später übersiedelte Bischoff nach Fernost. Dass es im Manhattan keine Signature-Version des namensgebenden Drink gab, stellte eine der ersten Veränderungen dar. Ansonsten „nahm ihn das Team vom ersten Moment an auf“.
Die Monate im Hotelzimmer gehören mittlerweile der Vergangenheit an, er residiert jetzt in einer Wohngemeinschaft im Zentrum Singapurs. Denn die Stadt ist teuer, „vier Drinks heißen automatisch meist 100 Dollar (etwa 70 Euro, Anm.)“. Grund dafür sind die Alkoholpreise, die auch eine Fass-Füllung im Rickhouse schnell auf 700 Euro hochtreiben. Doch die Gäste schätzen derlei Aufwand – zu 70% setzt sich das Publikum der Manhattan aus Nicht-Hotelgästen zusammen. Den Stammgästen wird nicht nur eine in zeitlosem Schwarz-Weiß gehaltene Cocktailkarte, die sich an New Yorks Stadtteilen orientiert, geboten. Auch die Küche sorgt mit vier eigenen Köchen ab fünf Uhr nachmittags für Highlights. Insgesamt sind es 17 Mitarbeiter, die unter Bischoffs Ägide als Gastgeber fungieren. Legendär und entsprechend schnell ausgebucht ist etwa der jeden Sonntag stattfindende „Adult Brunch“ mit Drinks und Kochstationen. Die Verzahnung mit der Küche funktioniert aber nicht nur beim Brunch, das eigens für das Manhattan gebraute „Knickerbocker-Lager“ der lokalen Red Dot Brauerei verwendet man auch beim hausgemachten Senf.
Der Boom reißt nicht ab, er wird lokal
In der Bar-Boomtown erwartet man, „dass jeder etwas hat, wodurch er sich abhebt“. Die Kreativität steigt dadurch, man hebt sich gegenseitig auf ein neues Level. Dass die gerade laufende Vorausscheidung der „World Class“ für den 5,6 Mio. Einwohner-Staat in drei Durchgängen läuft, ist dafür nur ein Indiz. Denn die Szene in Singapur befindet sich nach wie vor massiv in Bewegung. Und zwar weiter nach oben. Der Zuzug internationaler Bartender – Philip nennt als aktuelles Beispiel das Engagement von Joe Schofield aus der American Bar im Londoner Savoy im Tippling Club – spornt mittlerweile auch lokale Talente an. „Mittlerweile sehen das auch die Singapurer als Karrieremöglichkeit an, was nicht immer so war“. Womit wir auch bei der einzigen Schatten-Seite sind, die Neo-Löwenstadt-Fan Bischoff anspricht: Personal ist schwer zu bekommen. Aktuell sind drei Planstellen frei, diese müssen aber zunächst lokalen Bewerbern angeboten werden. Doch solche mit Qualifikation sind schwer zu finden – das dürfte anlässlich des Barbooms auch länger so bleiben.
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House Mezcal El Presidente[/Slideshow]
P.S.: Die von Philip Bischoff so geschätzte Qualität der Kollegen am Tresen macht Singapur aktuell zu einer der spannendsten Bar-Städte weltweit. Nicht von ungefähr darf sich auch der Gewinner der „Made in GSA“-Competition 2016 auf eine Studienreise nach Singapur freuen.