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Warum gesalzenes Popcorn in Bars ausgedient haben sollte

Steins steter Tropfen: Schluss damit, gesalzenes Popcorn ist kein Barfood!

Unser Autor Martin Stein ist ein Cocktailreisender, der seine Zeit am liebsten in Bars verbringt. In seiner Serie „Steins steter Tropfen“ geht es um gute Getränke und Gedanken, die sie verbinden. Es geht um Beobachtungen von unterwegs und Betrachtungen von der anderen Seite des Tresens. Diesmal: Warum Popcorn in Bars ausgedient haben sollte.

„Alles zerfällt, die Mitte hält nicht mehr – und losgelassen nackte Anarchie.“

Dieser Vers wurde von William Butler Yeats 1919 verfasst, entstammt dem Gedicht „The Second Coming“, auf Deutsch „Die Wiederkunft“, und beschreibt im Kern die bereits damals erkennbare Entwicklung im Bereich Barfood.

Jedenfalls nach meiner Interpretation.

Aufgetrüffelt, Garçon!

Ein Graben tut sich auf, tiefer und weiter mit jedem Tag und unüberbrückbar wie einst die Kluft zwischen der Volksfront von Judäa und der judäischen Volksfront. Auf der einen Seite gibt es immer mehr Bars, die Häppchen in gehobener Restaurant-Qualität reichen. Auf der anderen Seite gibt es gesalzenes Popcorn. Oder die Knabbermischung aus der Metro.

Im Grunde natürlich eine ungerechte Verteufelung der Popcorn-Fraktion; schließlich hat nicht jede Bar eine voll ausgestattete Küche zur Verfügung, um auch den elitärsten Gästegaumen kulinarisch zu befriedigen; darüber hinaus ist es natürlich so, dass der Fushion-Taco im Drink Kong auch was kostet, und auch die Brotzeitplatte im Savoy ist nicht „complimentary“. Der Gastronom hat da einen Spagat zu vollziehen; was der Gast umsonst bekommt, muss natürlich vorher gekauft, bereitet und in die Kalkulation mit einbezogen werden. Vor allem in Deutschland scheint es dann wieder gästeseitig das Freeloader-Phänomen zu geben, und der arrivierte Martini-Connaisseur mutiert fix zum All-You-Can-Eat-Barbaren. Aufgetrüffelt, Garçon! Insofern muss man da schon aufpassen, wie man das für seine Bar handhabt.

Aber nichtsdestominder: gesalzenes Popcorn?

Ich will da gar nicht auf Menschen eingehen, die tatsächlich der Meinung sind, gesalzenes Popcorn sei der süßen Variante überlegen; das sind vermutlich Protestanten oder Scientologen oder sowas. Wenn ich einen Nahrungsersatz mit der Konsistenz und der Aromatik von Verpackungsflocken habe, dann kann ich das nicht durch Salz retten. Zucker und Karamell sind zumindest Zucker und Karamell, und wenn man das auf eine Trägersubstanz gibt (sprich das gepoppte Korn), dann kann man zumindest ein bisschen länger an der Süßigkeit kauen. Aber Salz? Das Ergebnis ist wie eine kulinarische Seifenkiste mit Heckspoiler. Schneller macht es das Ding nicht. Der Zweck der Knabberei ist ja beiderseitig von Nutzen: Der Gast kriegt ein bisschen was nebenbei in den Magen, und möglicherweise macht ihn das auch noch ein wenig durstig. Deshalb das Salz.

Wenn der Gast weg ist, ist er weg

Kunden-Verweildauer nennt sich die entsprechende Kennzahl im Fachjargon, aber die lässt sich auch ein bisschen eleganter erhöhen. Kann man sonst auch gleich so einen Paarhufer-Salz-Leckstein in die Bar stellen; zehn Kilo gibt’s da schon für etwa acht Euro.
Ich kann’s halt nicht mehr sehen. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass ich, beruflich gesehen, oft mehrere Bars am Abend besuche, und beim dritten Mal Salzpappe sinkt meine Stimmung. Macht sich denn niemand Gedanken um meine Ernährung? Es reicht doch wirklich, wenn ich das nicht tue; meine Gastgeber sollten da mehr Sorgfalt an den Tag legen.

„Du musst wieder eine Bar aufmachen, aber wenn, dann auf jeden Fall mit Essen”, hat mir Charles Schumann immer gesagt. Ich altere aber anders als dieser Mensch, der möglicherweise in 20 Jahren noch fitter sein wird als ich vor zehn. Ich fühle mich nicht mehr belastbar genug für einen eigenen gastronomischen Betrieb, und die Schuld daran gebe ich dem gesalzenen Popcorn, das ich in meinem Leben essen musste. Zumindest großteils.

Natürlich verbirgt der Ruhm der Bar des Schumann’s allzu oft den Umstand, wie unglaublich gut man da essen kann – Bratkartoffeln, Roastbeef, dickes Brot, am liebsten würde ich jetzt gleich nach München fahren. Der Grundgedanke von Don Charles ist aber nicht von der Hand zu weisen: Die besten Abende in einer Bar entstehen ungeplant, und dazu gehört es, dass sie länger verlaufen als gedacht – genau das macht ihre Brillanz aus. Nun will man natürlich nicht auf ein Knoppers zurückgreifen müssen, wenn der kleine Hunger kommt; andererseits, wenn der Gast weg muss, weil er noch kein Abendessen hatte, dann ist er halt weg, und in 90% der Fälle kommt er auch nicht wieder.

Und wenn die spätalkoholische Gefräßigkeit einsetzt? Idealerweise könnten Bars mit Spätöffnung so ab 24:00 Uhr einen Dönergrill anwerfen, aber das macht vermutlich auch konzeptionelle Probleme. Das Fleischkarussell zwischen Rotovap und Sous Vide sieht wohl ein bisschen seltsam aus. Gut wär’s trotzdem, und vielleicht liegt es ja sogar im Umami-Trend dieser Tage, wenn der Vieux Carré ein bisschen knofelt.

Brot zu den Spielen – nur kein gesalzenes Popcorn mehr!

Wie gesagt: Nicht jede Bar kann auf eine Küche zurückgreifen. Man muss sich auch kein Beispiel an Italien nehmen, wo man trotz 30 Kilo Übergewicht gefüttert wird wie von La Mamma, die Angst hat, dass der Bub gleich verhungert. Bisschen Fantasie walten lassen ist die Prämisse!

Also erst mal weg mit dem gesalzenen Popcorn. Das Gibson in London hatte immer Parmigiano zum Knabbern. Lecker, schärft den Gaumen, und man will dennoch kein Pfund davon hineinspachteln, zum Schaden des Wirtes. Viele Londoner Bars bieten dieses Triumvirat aus Oliven, Knabberzeug und Trockengebäck an, das seinen Zweck vortrefflich erfüllt. Allerdings sind die Oliven da auch nicht aus dem Kanister und das Knabberzeug aus dem Metro-Sack, weswegen der Snack vermutlich doch einen Kostenfaktor darstellt und meist in Lokalitäten der oberen Preiskategorie angeboten wird.

Warum eigentlich nicht mal was selbst würzen? Sack-Erdnüsse, was weiß ich, und eine persönliche Mischung kredenzen. Geschmack in irgendwas reinbringen ist doch Hauptbestandteil des Berufs, das geht bestimmt auch bei Feststoffen. André Pintz macht das im Leipziger Imperii; die Hausmischung gibt es allerdings auch nicht aufs Haus, die will bezahlt werden.

In Beirut biss ich mal in etwas hinein, das sich als Karottenstäbchen entpuppte … gut, fremde Kulturen. Man muss es auch nicht übertreiben. Seid kreativ! Wasserservice kann nicht das Ende der Fahnenstange der Hospitality sein! Gebt der Menge Brot zu den Spielen! Hauptsache kein gesalzenes Popcorn mehr!

You hear me, Thomas Schackmann?

Credits

Foto: Asfet Media UK - stock.adobe.com

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