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Steins steter Tropfen: Warum der Garibaldi so viel mehr ist als ein Campari-O

Unser Autor Martin Stein ist ein Cocktailreisender, der seine Zeit am liebsten in Bars verbringt. In seiner Serie „Steins steter Tropfen“ geht es um gute Getränke und Gedanken, die sie verbinden. Es geht um Beobachtungen von unterwegs und Betrachtungen von der anderen Seite des Tresens. Diesmal: eine Hommage an das einfache Wunder des Garibaldi.

Ach, manchmal packt mich diese Fadesse, dieser Ennui, und es interessiert mich ums Verrecken nicht mehr, was mir der Vizenachwuchsbartender der Pfeffi-Challenge 2019 für ein ausgestorbenes Tier über den Espuma hobelt. Wird schon nicht so viel anders schmecken als die letzten acht Mal, wo ich das hatte.

Gewiss, ein Luxusproblem. Meine Fresse, schon wieder Wachteln, sprach Caligula und ließ den Koch enthaupten. Aber, Gott, manchmal wird es mir halt alles ein bisschen zu viel, und der Thoreau in mir bricht durch. Dann will ich nur noch raus aus Neuschwanstein und zurück in meine Blockhütte. Wände und Dach, das reicht. Zwei Komponenten. Wie in einem Garibaldi.

Garibaldi

Zutaten

5-6 cl Campari
12 cl frisch gepresster Orangensaft

So einfach und doch so gut: der Garibaldi

Der Garibaldi ist ein Campari O. Nicht.

Ach, der Garibaldi. Mein flüssiger Volksheld, mein unerschrockener Kämpfer für die Einheit unter den Getränken! Dein rötlicher Schein, der dem von der Brutalität des Morgens Unterdrückten Hoffnung gibt, als einzig erträgliche Form der Morgensonne

Da sagt nun meine Mutter, Bub, geh mal ein bisserl runter vom Gas, das ist ein Campari O, und den hab ich schon getrunken, da hast du noch nicht mal alleine den Strohhalm in die Capri-Sonne gesteckt. Nun gut, meine Mutter neigt als gute Katholikin hin und wieder zum Sarkasmus, seit sie miterleben muss, wie ich mit Getränkekonsum Geld verdiene, ohne mehrmals am Tag von einem strafenden Blitz getroffen zu werden. Weshalb ich mir selbstverständlich die Freude nicht nehmen lasse, sie zu belehren.

Denn natürlich hat ein Garibaldi mit einem Campari Orange so viel gemein wie ein Wagyu-Rind mit einem Tönnies-Kalb, wie ein Champagner mit einem Söhnlein Brillant, wie der FC Bayern mit dem TSV 1860 München. Gut – die Basisspirituose des einen ist Campari. Die des anderen auch. Und dazu kommt bei beiden dann Orangensaft. Also, ok, ich sehe schon ein, weshalb sich der Amateur da verwirren lässt, aber dafür macht unsereins das ja auch beruflich (an dieser Stelle das Augenrollen meiner Mutter vorstellen).

Es geht um den Orangensaft

Das Geheimnis des Garibaldi? It’s the Orangensaft, Baby. Also, der Garibaldi, den ich meine, stammt in seiner Form ja aus dem Dante in New York. Da war ich aber noch nie, was im Grunde unentschuldbar ist. Jedenfalls wurde dort die evolutionäre Endstufe dieses scheinbar einfachen Drinks erfunden, indem man den Orangensaft durch einen Hochgeschwindigkeitsentsafter jagt. Der Saft benimmt sich dann wie Popeye, nachdem er seinen Spinat gegessen hat: kraftvoll, voluminös, eine echte Power-Zutat.

Wo ich allerdings schon war und auch immer immer wieder gerne sein will, ist das Camparino in Mailand, und natürlich pflegen die Expats in New York beste Verhältnisse zum Betlehem des bitteren Klassikers. Wenn man nun einige Tage italienischer Gastfreundschaft hinter sich hat (von den Bars ganz zu schweigen: ach, Mailand, du Helikopter-Mom unter den Städten, die du einen mit guten Bars im Übermaße beschenkst, dem liebenswerten Nik’s, dem herrlichen Moebius, dem verrückten Doping Club, dem stylischen BV-Club, der edlen Officina, dem grandiosen 1930 …), sich dann morgens aus dem Bett wuchtet, Unterwäsche und Gehirnzellen sucht und sich tapfer den Aufgaben des Tages stellen will, sobald man denn herausgefunden hat, welcher Tag es denn ist – wenn man dann über die Piazza del Duomo schreitet, das Seelenheil zur Rechten ignoriert, um sich ketzerisch dem Seelenheil zur Linken zuzuwenden, gleich am Eingang zur Mutter aller Shopping Malls, der Galleria Vittorio Emanuele, weil man weiß, dass dort die Erlösung instantan harrt und nicht erst vielleicht und irgendwann im nächsten Leben…

Dann trifft man dort das Glück. In Form eines Garibaldi.

Man weiß, man hat gesündigt. Man weiß, man verdient Strafe. Und man ist zutiefst dankbar über die Gnade dieses Getränks, das sich verzeihend über die Abgründe des Abends legt, einem liebevoll die Wange tätschelt und sagt: „Eiei, mein Kleiner, nicht weinen, alles wird gut.“ Man trocknet die Tränchen und kuschelt sich in die tröstende Flauschigkeit des Drinks.

15 Minutes of Dapperness

Im Camparino verwendet man zwei Sorten Orangen, und ansonsten ist der Drink auch ein Sinnbild dessen, was man im Camparino vorzüglich beherrscht: diese italienische Eleganz im Schlichten. Man beginnt zu verstehen, warum Italiener schon kurz nach dem Aufstehen stilsicherer durch den Morgen flanieren als die meisten Deutschen nach einem halben Jahr Outfittery-Versorgung.

Ich schwöre, ein Garibaldi macht schöner. Und besser gekleidet. Das Haar wird voller. Man spricht mehrere Sprachen und kann plötzlich tanzen. Es ist so wichtig für einen Deutschen, regelmäßig nach Italien zu fahren, einfach, um sich mittels dieser ästhetischen Arznei ein wenig gegen die volksstamminhärente Klobigkeit zu wehren. 15 Minutes of Fame, ach, das geht mir am Allerwertesten vorbei, aber die 15 Minutes of Dapperness, die sind unbedingt erstrebenswert.

Ich bin mir recht sicher, dass sich dieser Effekt auch im Dante einstellt, auch wenn New York ansonsten vielleicht ein wenig zu hektisch ist für diese edle Entspanntheit. Aber Mailand ist ja gar nicht so weit weg. Es ist so nah, dass man sich nicht wirklich erklären kann, warum man nicht viel öfter da ist. Und natürlich ist die Anzahl besuchenswerter Lokale, in denen es einen großartigen Garibaldi gibt, schier endlos, aber ein Meilenstein in der Perfektion der Schlichtheit ist und bleibt das Camparino, und deshalb sollte man sich auch immer, wenn man dort ist, diese Göttin im Glas gönnen.

Saluti, Aurora!

Schauen Sie sich mal einen der silbernen Rührbecher da an! Hach. Bartender-Porno.

Edle Einfalt und stille Größe! Das Motto der deutschen Klassik hat Winckelmann ja angeblich beim Betrachten der Laokoon-Gruppe ersonnen, aber auch, wenn das zeitlich nicht so ganz hinhaut, könnte man sich gut vorstellen, dass ihn ein Garibaldi beim Ersinnen unterstützte. In jedem Fall ist der Garibaldi ein Beispiel für die manchmal segensreiche erzieherische Wirkung eines Getränks und sollte täglich von jedem Bar-Azubi gefertigt werden, damit er was lernt und damit man selber was Gutes zu trinken hat.

Vielleicht liegt es ja an der Nähe zum Mailänder Dom, aber der Verzehr hat dann beinahe etwas Sakrales. Flüssigkommunion für die Göttin der Morgenröte. Saluti, Aurora!

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

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