TOP

„Cocktails und Naturweine nehmen sich gegenseitig nichts weg.“

Das sagt zumindest Hubert Peter von der „Bruder Bar“ in Wien. Das Thema Naturwein wächst. Und man hat den Eindruck, auch das Publikum in Cocktailbars weiß das Thema Wein zunehmend zu schätzen. Aber handelt es sich tatsächlich um Symbiose, oder schneidet man sich ins eigene Fleisch? Wir haben uns in Wien, Berlin, Frankfurt und Mannheim umgehört und eine Bestandsaufnahme gemacht.

Dreiseitige Cocktailkarten, aber nur exakt ein Hausriesling; ein fassgelagerter Negroni auf dem Tresen, aber die Weinauswahl begnügt sich mit zwei Zeilen. Oft dreht sich auf den Barkarten – naturgemäß natürlich – fast alles um Cocktails. Begleiter wie Wein oder Bier werden dabei fast stiefmütterlich behandelt, man sieht der Karte quasi an, dass da ein Wein steht, weil er halt da stehen muss. Aber warum ist das so? Und ist das eigentlich noch so?

„Mich hat schon immer gewundert, wenn gute Bars schlechte Weine und miserable Biere auf der Karte haben“, kommentiert Hubert Peter aus der Bruder Bar in Wien die Lage der Dinge. Natürlich hat der Wein in seiner verstärkten Form als Wermut oder Sherry seinen Auftritt in vielen Drinks, in seiner ursprünglichen Form jedoch wird ihm oft nicht besonders viel Aufmerksamkeit gezollt. Das mag eine Prinzipien-Entscheidung sein – wer in eine Cocktailbar kommt, trinkt eben Cocktails – oder vielleicht auch einfach kein gesteigertes Interesse der Barbetreiber selbst. Dabei pirscht sich seit geraumer Zeit jedoch der Naturwein an die geneigten Trinker mit all seinen Facetten – dabei oft kein Easy Drinking, sondern durchaus fordernd im Glas. Und damit doch eigentlich näher am Cocktail.

Naturwein bahnt sich seinen Weg in die Bars

Naturwein – biodynamisch, unfiltriert und in vieler Munde – hat sich in den letzten Jahren in einer Vielzahl an Weinbars, Restaurants und Weinläden seinen Platz geschaffen. Mit der Naturweinmesse RAW aus London, die vor einigen Jahren nach Berlin kam, strömten auch die Winzer, Weinliebhaber, Gastronomen und alles dazwischen in die Hauptstadt und befeuerten ein dazumal noch langsam wachsendes Bewusstsein für die Naturweine.

Seitdem hat sich einiges getan, beginnen wir also auch gleich direkt in Berlin: Von Weinläden, angefangen bei der Naturwein-Institution Viniculture in Charlottenburg über jüngere Shops wie Rocket Wine in Mitte bis hin zu 8greenbottles, das die Prenzlauer Berger mit Naturweinen versorgt, bahnt sich das Thema Naturwein durch die Hauptstadt seinen Weg. In den Bars sieht es da allerdings wieder etwas anders aus. Nicht immer findet der Wein (ob nun Natur oder nicht) seinen gleichberechtigten Platz auf der Karte. Wenn er das tut, dann aber ernst gemeint. Wie zum Beispiel im St. Bart im Gräfekiez. Da ist der Wein Protagonist, nicht zuletzt wegen des riesigen Weinkellers unter der Bar, und die Weinauswahl wird begleitet von einer wechselnden Cocktailkarte, die sich mehr als sehen lassen kann. Deshalb hat sich die Bar von Victor Hausladen auch zu einem der Wein-Hotspots Berlins entwickelt. Etwas weiter in südlich in Neukölln hat auch die deutsch-französische JaJa unweit der Sonnenallee für viele Jahre eine Begeisterung für Unfiltriertes nach Berlin gebracht, im Norden vereint das Weddinger Baldon im Brutalismus-Galore-Look Cocktails sowie Naturwein, flankiert von Speisen und Kaffee.

Ähnlich wie das Deli & Wine Bistro Hinterland, 2020 eröffnet, das mit einer Aperitivo-Karte aufwartet, sich aber deutlich dem Wein verschrieben hat. Madeleine McLean, Betreiberin des Hinterland: „Von den Speisen bis zu den Getränken, mit der Cocktail- und Weinkarte, reflektierten wir im Hinterland die Essenz des Berliner Umlands und der Produzenten, die sich ebenso behutsam darum bemühen, lokale Produkte zu kultivieren. Die Weinkarte ist eine Erweiterung dessen: Sie besteht aus natürlichen, bio-dynamischen, low-intervention-Weinen, um die Schönheit der Trauben und der Methoden zur Weinherstellung hervorzuheben.“ Allerdings sieht sie ihre Cocktailauswahl durchaus als wichtig an – trotz besagter, mehrseitiger Weinkarte. „Wir sind auch ziemlich stolz auf unsere kräuter-zentrierte Craft-Annäherung an unsere Aperitif-Cocktails. Wir ernten selbst und machen viele unserer Cocktailbitters selbst, dabei fermentieren und arbeiten wir auch an unseren eigenen Shrubs aus übrig gebliebenen Kräutern der Küche. Wir arbeiten viel mit Kräuterlikören wie Amari und Wermuts, zum Beispiel ist unser Signature Spritz auf Amaro-Basis.“

Hubert Peter (l.) und Lucas Steindorfer setzen ihr ihrer „Bruder Bar“ von Anfang an auf Wein …
… beispielsweise vom Weingut Schmelzer, mit dem sie eng kooperieren

Zurück nach Wien: Wein und Cocktails nehmen sich nichts weg

Raus aus Berlin, zurück zur Bruder Bar nach Wien. Dort halten sich Weine und Cocktails die Waage, es gibt sogar einen eigenen „Bruder Shop“. Dort wird eingelegtes, fermentiertes Essen verkauft, aber auch selbstgemachte Liköre, Wermuts und Weine; um genau zu sein, exklusiv importierte Wein aus Tschechien, Kroatien, Ungarn und vielen anderen Ländern.

„Wir haben immer schon den Fokus auf Naturweine gelegt. Wir haben von Anfang an gesagt, wir wollen eine Getränkekarte, die in die Tiefe geht. Wein und Bier, das muss Sinn haben. Dadurch, dass wir sehr naturnah arbeiten, lag es nahe, auch viele Naturweine mit auf die Karte zu nehmen. Nicht nur, weil wir die selbst gerne trinken“, kommentiert Hubert Peter seine Auswahl. „Wir haben auch einen selbst gemachten Hauswein mit dem Weingut Schmelzer aus Gols im Burgenland, einen Pet Nat in Weiß und Rosé. Unsere Gäste bestellen alles und recht wild. Zu uns kommen viele aus der Weinszene, um einen Wein zu trinken, und gehen dann irgendwann nach ein paar Flaschen zum Cocktail über – oder andersherum. Es nimmt sich gegenseitig nichts weg. Wir sehen, dass unser Zielpublikum zwischen 25 und 35 heiß auf das Thema Wein ist. Es wird andauernd nach etwas Neuem gelechzt. Mittlerweile findet man fast in jedem Café in bestimmten Bezirken mindestens eine Naturweinalternative auf der Weinkarte.“

Bruder Bar

Windmühlgasse 20
1060 Wien

Mittwoch bis Samstag ab 17 Uhr

Odeon Mannheim: Naturweine ja, aber nicht aus Prinzip

Weiter geht es zurück über die deutsche Grenze, wo es nicht weniger vinophil zugeht als im Osten Österreichs. Paul Sieferle, Mit-Betreiber der Bars Sieferle & Kø Bar oder des Odeon in Mannheim, bewertet die Trinkkultur seiner Heimatstadt so: „Ich komme aus dem Badischen, einer Weingutfamilie. Deswegen war das Thema schon sehr früh präsent. In Mannheim merkt man die Nähe zur Pfalz, man merkt es in der Ausgeh-, Essens-und Trinkkultur ist. Es gibt einfach viel Wein.“

Dem widmet sich Paul Sieferle nun auch etwas exklusiver: „Unser neues Projekt, das Odeon, ist eine Weinbar mit Cocktails. Wir machen aber auch viel in Cocktails mit Weinen, von fortified bis Riesling, das ist sehr spannend.“ Dem Thema Naturwein nähert er sich allerdings etwas vorsichtiger an: „Man bekommt mittlerweile von so vielen jungen Winzern Demeter-Weine, und ob die jetzt unfiltriert sind… Wir haben immer Naturweine, auch offen auf der Karte. Aber die trüben, sauren Weine sind etwas, das wir hier nicht machen. Ich sehe das immer wie die Craft-Beer-Welle von vor einigen Jahren. Ich trinke sowohl Craft-Beer als auch Naturweine gerne, aber eher im Privaten. Beides sollte man meiner Meinung nach allerdings frisch und jung genießen.“

Man erahnt es schon am Glas in der Hand: Paul Sieferle setzt in seinen Bars auch auf das Thema Wein
Das Odeon ist in einem ehemaligen Kino einquartiert

Kein Naturwein, der nach Essig schmeckt

Der letzte Abstecher führt nach Frankfurt in die Yaldy Bar, dem jungen Projekt von Michele Heinrich und Andrei Lipan, das mitten in der Krise öffnen musste. „Ich hasse Naturwein, der schlecht gemacht ist“ – deutlich, deutlicher, Andrei Lipan. Der Co-Betreiber des Yaldy spricht aus, was er denkt. Er und Michele Heinrich nähern sich dem Thema dennoch Schritt für Schritt an, denn die Barkarte im Yaldy fokussiert sich neben Cocktails durchaus auf Weine, und da kommt man um das Thema Naturwein nicht mehr herum.

Andrei führt weiter aus: „Das Weinthema ist für uns wichtig, denn wir wollen jedes Publikum ansprechen. Auch ich habe in den letzten Jahren angefangen, mehr Wein als Cocktails zu trinken. Deshalb dachten wir: ‚Lass uns kleine, unabhängige Winzer bis maximal 10 Hektar auf die Karte holen.‘ Denn wir haben auch klein angefangen und wir wollen zurückgeben. Es macht keinen Sinn für uns, von riesigen Weingütern zu kaufen, wir wollen einen Bezug zum Winzer behalten. Es geht uns um Sustainability.“ Grundsätzlich gäbe es zwar gute Naturweine, aber eben auch viel Müll auf dem Markt: „Ich will mit Naturweinen arbeiten, aber die müssen in unser Konzept passen. Ich will nicht einen Wein anbieten, der nach Essig schmeckt, nur weil er ein Naturwein und trendy ist. Es gibt sehr viele gute Naturweine, man muss sie nur finden.“ Wohl wahr.

Ausflug beendet, Flasche leer. Fakt ist: Es wird sich weiterhin etwas tun in der Dynamik des (Natur)Weins in Bars. Nicht zuletzt, da eine kühle Flasche Wein schnell serviert ist und zu dem To-go-Ambiente der Krise passt, das wohl auch noch in diesem Sommer vorherrschen wird …

Odeon Bar

Quadrat G7, 10
68159 Mannheim

Di - Do 19 - 0 Uhr, Fr - Sa 19 - 2 Uhr, So - Mo geschlossen

Yaldy

Moselstraße 15
60329 Frankfurt am Main

Di-Do 18-1 Uhr, Fr-Sa 18-2 Uhr, So&Mo geschlosssen

Credits

Foto: Aufmacher: Sophie Kirchner; Porträt Hubert Peter & Lucas Steindorfer: Marius Mammerler; Paul Sieferle

Kommentieren