Wie ich zum deutschen Verleger von David Wondrich wurde, Reloaded: Geburtswehen
Martin Stein hat sich vor rund zwei Jahren die Rechte für die deutsche Ausgabe von David Wondrichs „Imbibe!“ gesichert. Die Übersetzung des Meisterwerks ist durch sprachliche Eigenheiten herausfordernd genug. Dann kam die Coronakrise und schickt seine gesamte Zielgruppe in die Isolation. Aber allmählich ist Licht am Ende des Tunnels. Ein Kommentar über den Stand der Dinge.
Das chinesische Zeichen für Krise ist mitnichten dasselbe wie für Chance, sondern nur dasselbe wie für Hühnchen à la General Tso. Auf dieser Basis muss man arbeiten.
Dass die Pandemie das öffentliche Leben lahmlegt, ist sattsam und leidvoll bekannt, aber die Entschleunigung bis hin ins Grenzkomatöse schlägt auch privat unerbittlich zu. Man steht auf, irgendwann, ohne Wecker, macht sich einen Kaffee, beginnt damit, die Spülmaschine auszuräumen, und schon ist Mittwoch. Und so verging die Zeit, die auf Erden uns gegeben war. Gerade Zeit sollte man jetzt doch eigentlich genug haben. Endlich mal das Türscharnier ölen, das seit 2014 quietscht. Gut, morgen vielleicht. Also, morgen auf die To-Do-Liste setzen. Hektik bringt jetzt ja auch nichts.
Oder vielleicht endlich die Übersetzung von „Imbibe!“ fertigmachen? Der Gesetzgeber will es ganz offensichtlich so, indem er mir eigentlich eh alles außer dem Schreibtisch verbietet. Und dennoch ist sogar der Impfstoff schneller als ich. Bitter.
Das Virus hat meine gesamte Zielgruppe in die Isolation geschickt
Bei allem Hang zum moralischen Flagellantentum gibt es aber schon noch so zwei, drei gute Gründe, das Projekt nicht mit aller Vehemenz voranzutreiben. Zum einen waren auch bei mir die Turbulenzen des Alltags vielfältig, und das hat es nicht ganz leicht gemacht, fröhlich den Wanderstock zu greifen und die nächste Passhöhe anzugehen. Und zum anderen: In was für Umstände soll ich denn dieses Buch gerade hineingebären? Dieses mein Kind, in gewisser Hinsicht, das doch schöner werden wird als alle Kinder zuvor, und das damit leben müsste, dass sich keiner für seine Schönheit interessiert, weil jeder mit den hässlichen Details des alltäglichen Überlebens beschäftigt ist? Und außerdem würde ich auch gerne mit dem Buch im Gepäck durch ein paar der wunderschönen Bars dieses Landes ziehen und es vorstellen. Nur… nun, Sie wissen ja. Das Virus hat meine gesamte Zielgruppe in die Isolation geschickt. Wer interessiert sich denn jetzt noch für das Buch, angesichts der viel drängenderen Probleme? Und, falls man sich dafür interessiert – könnte man es sich überhaupt noch leisten?
Das ist natürlich alles kein Grund, nicht zumindest mal Übersetzung, Umschlag, Satz und so weiter auf die Reihe zu bekommen. Und, ich wage es kaum zu sagen: Tatsächlich ist Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Der Tunnel eines 385-Seiten-Schinkens ist halt echt lang. Ein Gotthard unter den Übersetzungsprojekten. Aber, wie gesagt: bald, bald, und der Durchstich wird begossen. Vermutlich mit einem Last Word.
Es ist ja schon viel geschehen in den letzten, ach Gott, fast zwei Jahren. Zum Beispiel die Frage nach dem Titel: Wie lässt sich denn „Imbibe“ passend und halbwegs griffig eindeutschen? Nach erheblichem und ausdauerndem Wälzen der Problematik ist das Ergebnis: gar nicht. Nach drei Dutzend Fehlversuchen musste ich einsehen, dass es da nichts Gescheites gibt. „Prösterchen“? „Zum Wohle“? „Nich’ lang schnacken“? Oder gleich einen neuen Weg gehen? Der Schöpfer von so herrlichen Germanisierungen wie „Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle“ war leider nicht aufzutreiben. Also bleibt es bei „Imbibe!“, plus Untertitel.
Aversion gegen den grundlosen Hang zum englischen Lehnwort
Überhaupt, dieses Englisch. In einem Buch über das laut Wondrich vermutlich erste uramerikanische Kulturgut wimmelt es natürlich nur so vor englischen Wörtern, die es sich im hiesigen Sprachraum ziemlich bequem gemacht haben. Und eigentlich verabscheue ich Anglizismen, so prinzipiell. Nun sind Prinzipien dazu da, um von einem gehässigen Schicksal mühelos zwischen den ausladenden Pobacken zerquetscht zu werden. Besonders die, die dem abgebrochenen Deutschlehrer in mir wirklich wichtig sind. Im direkten Gespräch vermag ich den Germanisten zwar geschickt hinter wohlklingendem Bayrisch zu verbergen, aber in der Schrift wächst dann plötzlich ein Präteritum aus dem Schatten des Perfekts heraus, es gibt Genitive und Relativsätze und ein Semikolon und wasweißichnichtalles.
Und wenig geht mir so auf den Senkel wie der grundlose Hang zum englischen Lehnwort. Lockdown muss ich alleine schon aus begrifflichen Gründen ablehnen. Mit diesen Grundsätzen wird es aber im Wesen um die Mischgetränkebereitung, in deren Zentrum der glücklicherweise unübersetzte „Cocktail“ steht, ziemlich hart. Schon mit meiner Initiative, mein Forum hier von Mixology in Mixologie umzubenennen, stieß ich bestenfalls auf taube Ohren.
Im Übersetzungsalltag wird die Problematik dann konkreter. Das geht schon mit dem Grundsätzlichen los, den Basics quasi: Shaken wir oder schütteln wir? Und wenn wir shaken, wie konjugieren wir das? Ich shakte, er shakete, wir shaketen? Sobald man das alles mal gedruckt vor sich sieht, hat man schnell den Eindruck, dass sich diese Begriffe vor allem in der mündlichen Tradition am wohlsten fühlen. Ein wenig tröstlich ist zumindest, dass sich „wir schüttelten“ auch nicht so besonders anhört. Hat James Bond allein das Aussterben der deutschen Variante verhindert? Die frühen Eindeutschungsversuche in der deutschen Barliteratur bleiben ansonsten auch recht erfolglos; selbst Bartender (nächster Anglizismus), die konsequent schütteln, verwenden dazu keinen Schüttelbecher mehr. Also nehmen sie wohl einen Shaker zum Schütteln … Inkonsequenzen, wohin man schaut.
Imbibe und seine Übersetzung: Cocktailkunst? Mixmeisterei?
Und das sind nicht die einzigen Fälle. Mixen oder Mischen? Egal? Nein. Je nach Kontext kann mal das eine, mal das andere angemessen sein. Entsprechend der Adelstitel zum Verb: Im Original ist sehr oft von der Mixology die Rede, und damit ist natürlich nicht unser wundervolles Magazin gemeint. Leider verwendet man im Deutschen nun die hochgestochene Bezeichnung der Mixologie nicht so arg häufig, aber mit Behelfskonstrukten kommt man auch nicht weit. Cocktailkunst? Mixmeisterei? Ach … nun gut, es wird dann eben in der deutschen Ausgabe eine Menge Mixologie geben, samt den zugehörigen Mixologen. Der Mixologist, den Carl A. Seutter nach dem ersten Weltkrieg zur Titelfigur seines Barbuchs gemacht hatte, konnte sich ja auch nicht wirklich durchsetzen. Ob nun die deutsche Ausgabe von Imbibe! etwas am Sprachgebrauch der Szene ändern wird? Wer weiß. Jedenfalls hat die Mixologie so oder so schon eine beeindruckende Karriere hingelegt, wenn man bedenkt, dass das ursprünglich mal eine ironisierende Bezeichnung für den sich arg wichtig nehmenden Barmann war …
Andere Wörter, andere Fallstricke. „Fancy“ zum Beispiel. Auch da steckt das Deutsche noch zu tief in der Lederhose, um Passendes anzubieten, und das englische Original hört sich einfach ganz schlimm nach Shopping Queen an. Allerdings wurde das Wort in der Cocktailhistorie recht bald vom schlichten Adjektiv mit Qualitätsbotschaft zur Gattungsbezeichnung: der „Fancy Cocktail“ ist eben mehr als nur eine modische Variante, sondern vielmehr eine Weiterentwicklung des gewöhnlichen, des „plain“ Cocktails, und insofern bleibt dann auch in der Übersetzung der Begriff. Entsprechendes gilt dann auch für „improved“ und „evolved“.
„Alkoholisches Mischgetränk“ ist nichts, was man einem Mint Julep antun sollte
Und dann gibt es da ja auch noch die verdächtig einfachen Lösungen. Punch? Punsch, ja eh! Oder doch nicht? Tja … doch nicht. Punsch und Punch waren vielleicht einmal deckungsgleich, haben sich mit der Zeit aber voneinander entfernt wie der Keks von den Cakes, bis sie letztlich zu etwas geworden sind, das einen mit dem Absagen sämtlicher Weihnachtsmärkte versöhnt.
Brandy? Weinbrand. Cognac. Ach, was, Brandy kann man lassen. Symbolisiert so schön den legeren Zugang zu den altehrwürdigen Getränken des alten Kontinents. Ja, und überhaupt – was ist denn mit „Drinks“? Da gibt es doch wohl genug Möglichkeiten, oder nicht? Ja, an sich schon. Aber dann auch wieder nicht. Der Drink transportiert in seiner unscheinbaren Einsilbigkeit hier ja auch gleich eine Menge Konnotationen mit sich, für die das Deutsche wieder ein Raumordnungsverfahren und eine Umgehungsstraße benötigt. „Alkoholisches Mischgetränk“ ist nichts, was man einem filigranen Mint Julep antun sollte. Also bleibt auch der Drink. Ist ja quasi auch einer dieser nützlichen Ausländer, für die man schon mal von seinen Grundsätzen abrücken kann.
Zum Glück gibt es einen kompetenten Deutschen, dessen Expertise sich in diesen Belangen heranziehen lässt: „Nachdem es in den romanischen Sprachen mehrfach Wörter giebt, welche sich in deutscher Sprache ohne grössere Umschreibung correct nicht wiedergeben lassen, so hat der Herausgeber auch in diesem Buche einige Worte in englischer Sprache beibehalten…“ Gesagt hat das der legendäre Harry Johnson, dessen großartiges „New and Improved Bartender’s Manual“ ja gleich zweisprachig erschien. Gut, große Berührungsängste vor dem Englischen kann man auch schlecht von einem Mann erwarten, der sich vermutlich mal als Harald Hansen oder so ähnlich als Auswanderer hat einschiffen lassen.
Ja, man sieht, mit welchen übersetzungstechnischen Malaisen da gekämpft werden muss! Und dann ist das Buch halt auch noch elendig lang! Hach… Aber es wird schon. Überhaupt hätte ich ja auch schon lange fertig sein können, wenn mir nicht ständig Mixology mit seinen Artikelwünschen im Nacken sitzen würde. Allein der Text hier, den Sie grade gelesen haben – 20 Seiten hätte ich da stattdessen runterübersetzen könne, aber locker! Wie nix! Konnte ich aber nicht!
Insofern wissen Sie nun, an welche Adresse Klagen und Beschwerden zu richten sind. Vielen Dank.
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Foto: Editienne