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Liköre in der Bar, Teil Sechs: Amaro aus Norditalien

Liköre in der Bar, Teil 6: Amaro aus Norditalien

Zum Abschluss der sechsteiligen Serie über die wichtigsten Bar-Liköre kommen wir auf den zweiten Bereich der Amari zu sprechen: Jene verschiedenen Spielarten, die ihre Tradition vor allem in Norditalien haben. Ein Füllhorn an Aromen, das einen würdigen Abschluss der Reihe „Liköre in der Bar“ darstellt.

Mit diesem Text endet die Serie über die Must Have-Liköre an der Bar, nun also der zweite Teil des Themenkomplexes Amari und deren Anverwandte. Wie in Teil Fünf dieser Serie bereits angedroht, widmen wir uns heute den Spielarten Alpino, Carciofo, Rabarbaro und Fernet. Nur für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass es im vergangenen Artikel nicht klar geworden sein sollte: Nur ein Bitterlikör reicht in der Bar nicht aus! Zu divers, spannend und abwechslungsreich ist diese Kategorie. Es ist die wunderbare Vielfalt, die dieses Gebiet so spannend macht und die in der Lage ist, dem Konsumenten geschmacklich einen ganzen Kosmos zu eröffnen – auch was Drinks anbetrifft. Wir beginnen mit den alpinen Vertretern der Kategorie.

Ab ins Gebirge! Amaro Alpino

„Als Zarathustra dreißig Jahre alt war, verließ er seine Heimat und den See seiner Heimat und ging in das Gebirge“ So beginnt Friedrich Nietzsches bekanntestes Buch Also sprach Zarathustra. Während Nietzsche Zarathustra dort jedoch lediglich „seines Geistes und seiner Einsamkeit“ gedenken und genießen ließ, interessieren uns heute die Kräuter und Blüten, die der Kategorie der alpinen Amari ihre Einzigkeit angedeihen lassen. Traditionell kommen sie aus den Gebirgsregionen Norditaliens, genauer: aus den italienischen Alpen und dem nördlichen Teil der norditalienischen Tiefebene.

Alpine Amari kommen je nach Hersteller sehr unterschiedlich daher, ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist dabei, dass sie alle (u.a.) mit Alpen-Kräutern aromatisiert sind. In der Regel werden sie typischerweise nach dem Essen getrunken, aber auch als Zutat in Drinks funktionieren Alpinos hervorragend. Es erscheint mir am sinnvollsten, eine kleine Auswahl meiner eigenen Favoriten anzuführen – auch ein paar auf Wein basierende Produkte sind dabei.

Bràulio (Bormio, Lombardei): Eine Benchmark, was diese Unterkategorie anbetrifft, ist Amaro Bràulio. Hergestellt in Bormio, einem Ort in den italienischen Alpen nahe der Grenze zur Schweiz, ist dieser für zwei Jahre in Fässern aus slowenischer Eiche gelagerte Amaro geschmacklich in meinen Augen ein Musterbeispiel für einen Alpino. Unter anderem zählen Enzian, Wacholder, Absinthe und Schafgarbe zu den Zutaten. Pur trinken, glücklich sein! Ein in kleineren Fässern gelagerter, mit etwas mehr Alkohol abgefüllter und noch etwas intensiverer Bràulio Riserva Speciale sei hier ebenfalls genannt!

Amaro Quintessentia Nonino (nahe Udine, Friaul-Julisch Venetien). Hier werden Alpenkräuter kalt in einem Kessel mazeriert, anschließend wird mit einem 12 Monate lang gereiften Traubenbrand angereichert. Anschließend wird mindestens fünf Jahre gelagert. Eine Zutat des von Sam Ross entwickelten, aus dem New Yorker Attaboy stammenden Paper Plane Cocktails, den jeder einmal getrunken haben sollte. Aber auch pur einfach saulecker!

Distilleria Alpina Amaro Alpino von A. Pontillo (Trient, Trentino-Südtirol): Ein Amaro, der bei den meisten etwas unter dem Radar fliegt, die Kategorie aber einfach zum Namen gemacht hat, ist Amaro Alpino. Ich liebe ihn schon allein für sein trashiges Etikett. Davon abgesehen ist er köstlich. Enzianwurzel, Wacholderbeeren, Muskatellersalbei und Holunderblüten werden als Key-Ingredients neben 18 weiteren Kräutern, Wurzeln uns Beeren genannt. Super Digestif.

Elisir Novasalus (Capeletti) (Trient, Trentino-Südtirol): Stammt ebenso wie der Amaro Alpino aus den Dolomiten. Ein ziemlich bitterer Vertreter, sehr medizinal, nichts für Einsteiger und ein Alpino, der geschmacklich auch als Fernet (s.u.) durchgehen könnte. Hergestellt aus Heilkräutern, Blüten und Wurzeln (u.a. Klette, Löwenzahn, Aloe Vera, Enzian und Frangula, auch unter dem weniger attraktiven Namen »Faulbaum« bekannt) auf Marsala-Basis und damit eigentlich ein aromatisierter Wein. Funktioniert für mich persönlich gut in einem trockenen Hanky Panky oder pur als Digestif.
Auch der ebenfalls aus dem Hause Cappelletti stammende Pasubio ist übrigens eine Erwähnung wert, ebenfalls auf Wein basierend, unter anderem aromatisiert mit den jungen Knospen und Zapfen der dort autochthonen Bergkiefer (pinus mugo), dabei aufgrund der Verwendung alpiner Beeren allerdings wesentlich fruchtiger und ein guter Partner für Drinks mit fassgelagerten Spirituosen.

Antico Amaro Noveis, Francoli (Ghemme, Piemont): Erhält seinen Geschmack u.a. durch gelben Enzian, Trompetenenzian, Wermut, Schafgarbe, ährige Edelraute und Gamander von den Hängen des Monte Noveis. Zusätzlich stellen Essenzen von Chinarinde, Rhabarber, Süß- und Bitterorangen, Süßholz weitere Zutaten dar. Aus dem Haus Francoli stammend, das sich ebenso wie Nonino in erster Linie mit der Herstellung von Grappa einen Namen gemacht hat, wird Amaro Noveis anschließend in Eichenfässern gereift.

Artischockenpower. Oder auch: Carciofo

Carciofo ist der italienische Begriff für Artischocke, die zugleich die namensgebende Zutat darstellt. Artischocken stammen ursprünglich aus dem Mittelmeerraum. Eigentlich handelt es sich bei Carciofi um eine sehr kleine Nischenerscheinung, die hauptsächlich von einem Big Player bespielt wird: Der Platzhirsch ist natürlich »Cynar« aus Padua in der Lombardei, der von mir sehr geschätzt wird. Nicht nur, weil simple Cynar & Tonics (oder Sodas) hervorragend dazu geeignet sind, durch den gesamten Abend zu kommen, ohne allzu tipsy zu werden, sondern auch aufgrund seines angenehm vegetalen Geschmacks und seiner verhältnismäßig moderaten Bitterkeit. Verglichen mit anderen Amari sind Carciofi oft relativ leicht, nicht sonderlich dunkel und durchaus auch als Aperitif geeignet. Ein etwas hipsteresk anmutendes Produkt mit dem Namen »Amaru Sabbenerica« des Herstellers Amari Siciliani aus Palermo ist durchaus auch einen Versuch wert, hat allerdings auch etwas mehr Alkohol als Cynar (30%). Zeit für ein Rezept!

Little Italy
Audrey Saunders, New York

50 ml Rye Whiskey (bottled in Bond)
15 ml Cynar
20 ml roter Wermut

Zutaten im Rührglas auf Eiswürfeln gründlich kaltrühren, in eine vorgekühlte Coupette abseihen und mit einer eingelegten Kirsche garnieren.

Nochmal der Name als Programm: Rabarbaro!

Eine ebenfalls nicht von vielen Herstellern produzierte, dennoch gerade für die Bar wichtige Kategorie: Rabarbaro. Seinen Namen hat der Rabarbaro von der ursprünglich in China beheimateten Rhabarberwurzel, die bei der Herstellung neben anderen Botanicals in Neutralalkohol mazeriert wird. Rabarbaro schmeckt nicht in der Form nach Rhabarber, wie wir es aus unseren Breiten kennen. Die Rhabarberwurzel lässt ihm eher ein speckig-rauchiges Aroma angedeihen. Weitere Attribute: bitter (logisch!), erdig, subtil fruchtig, süß, dunkel, medizinisch. Zwei besonderes nennenswerte Rabarbaros wären:

Cappelletti Amaro Sfumato Rabarbaro (Aldeno, Trentino-Südtirol): Der Begriff »Sfumato« verrät es bereits (er leitet sich vom italienischen Wort für Rauch, fumo, ab): Es handelt sich um einen rauchigen Bitter, der durch die Verwendung alpiner Kräuter und süßer Beeren einen vielschichtigen Charakter erhält. Seine Rauchigkeit erhält er durch eine spezielle Rhabarberwurzelart, die in Südtirol und im Veneto heimisch ist. Für mich der Mezcal unter den Amari. Crazy Stoff!

Rabarbaro Zucca Amaro (Mailand): Zucca ist ein Klassiker aus Mailand. In den Wänden, die heute das »Camparino« in der Galerie an der Piazza del Duomo beherbergen, befand sich vormals das Caffè Zucca. Neben chinesischer Rhabarberwurzel finden u.a. Zitronen- und (Bitter-)Orangenschale, Kardamom und mutmaßlich Enzian Verwendung. Ein guter Einstieg in die Welt der Rabarbaros, da er fruchtiger und süßer, dafür etwas weniger rauchig als ein Sfumato ist. Dennoch geht er auch im Rührglas gut mit Mezcal oder Islay Scotch zusammen. Ferner stellt Zucca auch einen »Amaro Rabarbaro Gran Riserva« her, der ebenfalls wenigstens kurz erwähnt werden soll.

Bitter ohne Likör. Fernet.

Selbstredend ist auch die genaue Zusammensetzung eines Fernets in aller Regel geheim. Wer sich irgendwann einmal selbst an einem Ansatz versuchen möchte, hier sind die gängigsten Botanicals, die in den meisten Fernets Verwendung finden (natürlich nicht zwingenderweise alle gleichzeitig): fast immer Minze und/oder Myrrhe, meistens auch Kamille und oftmals Safran, außerdem Angelikawurzel, Anis, Löwenzahn, Aloe (die so gut wie keinen Eigengeschmack aufweist, sondern nur Bitterkeit einbringt), Bitterorange, Kardamom, Enzian, manchmal Rhabarberwurzel, Galgant, Kalumba und Chinarinde. Zudem sind Fernets üblicherweise nicht gesüßt. Sie stellen gewissermaßen das Bindeglied zwischen Amari und (Cocktail-)Bitters dar, sind allerdings durchaus für den Purgenuss gedacht und geeignet. Ja, der aufmerksame Leser wird nun feststellen: Streng genommen dürften sie in dieser Reihe über Liköre also nicht auftauchen, weil es sich nicht um Liköre handelt. Egal, sie gehören hier einfach thematisch mit dazu, ohne sie kann man Amari nicht erzählen.

Optisch sind sie oftmals sehr dunkel, geschmacklich lassen sich häufig deutlich wahrnehmbare Aromen von Pfefferminze wahrnehmen; in der Regel existiert keine nennenswerte Süße, dafür jedoch ein höherer Alkoholanteil als in anderen Amaro-Kategorien. Auch wenn – ähnlich wie bei den Carciofi – vor allem eine Marke den Löwenanteil des Marktes besetzt, ist gerade die Kategorie der Fernets eine besonders spannende. Von mir geschätzte Produkte sind:

• Fernet Branca und Branca Menta
• Fernet Hunter (für einen Fernet ungewöhnlich hell, was sein Erscheinungsbild anbetrifft)
• Fernet Vittone (einer der ersten Fernets)
• Fernet del Frate Angelico (für besondere Anlässe)
• Fernet Vallet (aus Mexiko)
• Fernet Amaro Paolo Lazzaroni E Figli

Ein nicht als Fernet deklarierter Amaro, der aber sehr fernet-like daherkommt, da er mehrere Fernet-typische Botanicals aufweist (Aloe ferox, Myrrhe und Safran), ist »Amaro Santa Maria al Monte« aus Genua (von ihm gibt es auch einen sehr schönen Menta). Wer die Gelegenheit hat, eine Flasche zu kaufen: nicht Nachdenken, sondern das Portemonnaie zücken! Ist in Ligurien, wenn man ihn denn findet, auch überhaupt nicht teuer.

Außerdem (kleiner Aufruf an den Importeur und an Personen, die sich rühmen dürfen, eine Flasche in ihrem Besitz zu haben): Der Martini & Rossi »Amaro Fernet« ist ein Einhorn, das ich gerne einmal probiert hätte! Leider nicht mehr zu bekommen. Wer mich in den Genuss bringen möchte, der melde sich bei mir. Ich verspreche, auch ich werde eine spannende Flasche aus der Kategorie der Amari im Gepäck haben, um mich zu revanchieren! Wenigstens ein zweites Rezept möchte ich noch zum Schluss nennen. Und zwar eines mit Fernet. Es hört sich verrückt an, aber es schmeckt köstlich!

Amaro Float
Keivon Dashtizadeh, Polite Provisions, San Diego

30 ml Fernet Vallet
1 große Kugel Vanilleeis
Top with Chinotto

Eis in ein vorgekühltes Highballglas geben, Fernet dazugeben und mit der Chinotto auffüllen.

Credits

Foto: Editienne

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