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Das Miss Saigon in Wien zelebriert fantasievolle Cocktails ohne Asia-Kitsch

Das Miss Saigon in Wien zelebriert fantasievolle Cocktails ohne Asia-Kitsch

Pandan, Zitronengras oder Sriacha-Sauce – was in einem legendären Hochhaus verkocht wird, darf auch in den Shaker. Christian Wu und Daniel Levai haben mit dem Miss Saigon in Wien ein vietnamesisch geprägtes Bar-Restaurant eröffnet, das einen breiten aromatischen Spagat wagt – und schafft.

Die Hegelgasse war bisher das Experimentierfeld von Stefan Tarn. Als er in das von seiner Familie aufgebaute Pho Saigon einstieg, folgte bald Christian Wu und damit eine eigenständige Bar nach. Sie nahm einen Großteil des ersten Raums des vietnamesischen Restaurants in Wien ein. Und Wu, vielen Bartendern für seine Baijiu-Pionierarbeit mit Ming River bekannt, legte ambitioniert los. Denn das beliebte Mittagslokal, zu dem die umliegenden Rechtsanwälte und mehr als nur ein Connaisseur aus der nahen Industriellenvereinigung gerne kamen, liegt nicht unbedingt an einer abendlichen Ausgehmeile.

Das Miss Saigon bringt ein zeitgemäßes, vietnamesisches Bar-Restaurant-Konzept in ein legendäres Wiener Hochhaus
Das Miss Saigon bringt ein zeitgemäßes, vietnamesisches Bar-Restaurant-Konzept in ein legendäres Wiener Hochhaus

Miss Saigon

Herrengasse 6-8
1010 Wien

Das Haus der Oscar-Nominierungen

Doch immerhin entstand hier auch der Kontakt zu einem Stammgast, der zu den Eigentümern des Hochhauses Herrengasse gehört. Es reicht eigentlich, in Wiens Erstem Bezirk „das Hochhaus“ zu sagen. Denn der legendäre Bau aus dem Jahre 1932 blieb ein Solitär. Baulich, aber auch mit seiner prominenten Bewohner-Liste, die u. a. die Welt-Stars Oskar Werner, Curd Jürgens und Christoph Waltz, nebst weiteren Schauspielern wie Albin Skoda oder Paula Wessely verzeichnete. Heute gibt sich eher die Gourmandisen-Welt unter der Adresse Herrengasse 6-8 ein Stelldichein: Beinschinken vom Thum, Schweizer „Schoggi“, Jamón Ibérico de Bellota, Berliner Espresso von Andraschko-Kaffee oder die wiederbelebte „Zuckerlwerkstatt“ bekommen nun Zuwachs durch Miss Saigon. So nennt sich das zweite Outlet von Tarn und Wu. Fünf Monate dauerte der Umbau des veganen Imbiss, der zuvor hier residierte. „Und als erstes haben uns am 2. Januar die Touristen entdeckt, obwohl noch alles verhängt war“, lacht Tarn. Nachsatz: „Sie haben uns ziemlich ins Schwitzen gebracht.“

Bitte eine Paloma zum Quallensalat!

Die Frequenz unweit der Hofburg ist eben hoch. Nur der freizuhaltenden Querstraße ist es zu verdanken, dass die Touristen-Warteschlange vorm Café Central nicht bis zur neuen “Eatery & Bar“ reicht. Entsprechend wurden einige der Optionen auf der Barkarte der Miss Saigon als leicht verständliche Blockbuster gedacht. Selbstgemachte Limonaden und Tees sind aber nur der Einstieg in den Cocktail-Kosmos. Dort darf dann Zitronengras-Vodka mit Calamansi die üblichen Spritz-Varianten um eine betont asiatische Note ergänzen.

In Sachen Mixologie hat Christian Wu mit Daniel Levai einen versierten Kollegen gewonnen, der zuletzt schon das koreanische Halmi um eine Drink-Tangente erweitert hat. Schon der erste der Miss Saigon-Highballs darf ordentlich Rabatz machen: Die Sriacha Paloma ist genau das, was der Name verspricht. Man sollte den mitgelieferten Glashalm also nicht zu tief in die Würzsauce versenken, denn die ist beim Schärfegrad eindeutig nicht mehr „europäisch angepasst“. Als forsch aus dem Glas getrunkener Wachmacher harmoniert der Drink (14 Euro) aber bestens mit dem hauseigenen Quallensalat, den der Authentizitätsgarant in der Küche, Stefans Mama Tuyet Phoung Tarn, abgeschmeckt hat.

Der intensive Lotus Blossom Negroni ist ein erster Signature Drink des Miss Saigon
Der intensive Lotus Blossom Negroni ist ein erster Signature Drink des Miss Saigon
Die Wände im Miss Saigon wurden mittels „Sculptural Painting“ von Giap Thi Van Khanh kreiert
Die Wände im Miss Saigon wurden mittels „Sculptural Painting“ von Giap Thi Van Khanh kreiert

Der Lotus des Vergessens? Nicht hier!

Im Idealfall soll die „in Tapas-Form servierte Hausmannskost“, so Stefan Tarn, auch zu Drinks konsumiert werden. Aromatisch geht das problemlos, denn selbst den Shots (6-7 Euro/Stück) hat man Partner aus der Küche zugesellt. Der Pineapple Tequila etwa bekommt von Kirschtomaten ein aufregenderes Gepräge, als der Name vermuten ließ. Lemongrass Shochu stellt dabei die Variante für Fortgeschrittene dar.

Die Anwesenheit von Feng Liu (The Birdyard) und Kan Zuo (The Sign Lounge) bei der Eröffnung zeigte auch, dass die wenigen übrigen Asia-Bargranden den Neuzugang begrüßten. Immerhin erlernte Daniel Levai einst sein Handwerk bei Kan, während beide Bars auch zu den ersten mit Baijiu – Christian Wus erster Spirituosen-Liebe – gehörten. Und der gewaltig intensive Lotus Blossom Negroni (14 Euro) hätte in der Tat auch aus der The Sign stammen können. Kommentar eines Premierengastes: „Ich fühle mich, als würde ich starkes Parfüm trinken.“ Tatsächlich gibt der aus Vietnam eingeflogene Lotus einen Eindruck von Süße, wobei der zugleich täuscht. Denn die Tiefe dieses herben White Negroni hat mit der herkömmlichen Bittersüße der üblichen Campari-Wermut-Mischung wenig zu tun. Medizinaler Tiefgang wie Artischocke trifft es schon besser. Wenn so der neue Cuisine Style schmeckt, soll es uns recht sein!

„Pandan Queen“ versus „Ronin Sour”

Wobei nicht jeder Drink in dieser Liga spielt. Das würde den Zufallsgast entlang der Begegnungszone zwischen Hofburg und Burgtheater – dem verpflichtenden urbanen Trail für Touristen – auch überfordern. Für sie gibt es bewusst auf der süßeren Kante genähte Kreationen des Duos Wu/Levai wie den Pandan Queen (14 Euro). „Dafür wird der Whiskey mit Cornflakes infundiert, das funktioniert gut mit dem sanften Pandan-Geschmack“, erläutert Daniel Levai. Ebenfalls ein Ersatz fürs Dessert liefert der Ultra Coffee, der im Grunde eine Reversed-Variante des berühmten Vietnam-Kaffees mit Kondensmilch („Cà phê sữa nóng“) darstellt. Hier muss sich durch eine Espuma aus Kondensmilch gelöffelt bzw. getrunken werden, um zum Kern des mit Rum und Bananen-Shochu gepimpten Kaffees zu gelangen.

Kante unter einem neuen Aromenhimmel darf dafür der Ronin Sour (14 Euro) zeigen, der dem Bourbon Whisky mit Yuzu und Matcha ein nachgerade frisches Gewand überzieht. Und dann wäre da noch der Holy Phở (14 Euro), der die Nationalsuppe in einen Tiki-Drink übersetzt. Weltreisende Barfliegen werden sofort an Pham Tien Tiep und seine Version in der Bar Nê in Hanoi denken. Dort ist der alkoholische Phở ein Ritual, in Wien verkürzt man die Wartezeit – mit durchaus köstlichem Ergebnis: Auf Basis eines Gewürzsirups wird das Gericht mit Rum und Orangenlikör zu einem intensiven, aber dank Soda auch zart erfrischenden Cocktail, der auch die Linie der neuen Innenstadt-Bar erkennen lässt.

„Crispy Rolls“ gehen auch als Barfood

Denn Dekoration, wie sie unweit des „Goldenen Quartier“ eines aktuell sehr oft erwähnten, gewissen Herrn Benko naheliegend wäre, nützt man sparsam. Dort ein Speckchip, da ein Minzezweig – doch der immer noch überraschende Geschmack der asiatischen Zutaten soll im Mittelpunkt stehen. Und man will neben den Cocktail-Nerds auch bewusst dem (ohnehin weitaus zahlreicheren) Laufpublikum im belebten Viertel etwas bieten. „Du kannst auch gerne nur auf einen Kaffee kommen“, formuliert es Stefan Tarn. Wobei man immer nach den Crispy Rolls fragen sollte!

Sie sind eine der Spezialitäten der entspannten Küche, die vorerst 65 Sitzplätze bespielt. Der Gartenbereich ist aber bereits in Vorbereitung. Und so blüht derzeit nicht nur die Cocktail-Kreativität in den zwei Räumen der Miss Saigon: Mittels „Sculptural Painting“ hat Giap Thi Van Khanh die Wände mit drei-dimensionalen Blüten überzogen.

Credits

Foto: Miss Saigon

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