Haben Sie Wien schon bei Nacht gesehen? Falls nicht, das Soulmate leuchtet den Weg
Was würde er tun? Nach dem Abschied von der Hammond Bar und ihrer prägenden Chefin Sigi Schot fragten das Dominik Oswald nicht wenige. Dass er einfach auch mal freie Zeit genießen könnte, kam den Bar-Kundigen nicht in den Sinn. Und sie hatten recht. Denn seit dem Jahreswechsel 2023/24 steht der „Oberst“, wie ihn die Szene nennt, schon wieder am Tresen. Die schwarze Barjacke sitzt, an den Schriftzug Soulmate darauf muss man sich noch gewöhnen. So wie ihr 30-jähriger Barchef an die neue Wirkungsstätte: „Es ist wirklich meine erste Tätigkeit außerhalb des Zweiten Bezirks“, so Oswald.
Bar mit permanentem Koch-Pop up
Wie es dazu kam, erläutert dann Ismet „Izi“ Parmaksiz, der mit Yüksel Türkmen den Umbau der ehemaligen Poké-Bowl-Location („Bali-Brunch“, seufzen Wiens Influencer:innen traurig) verantwortete: „Der Name hat viele Gründe, vor allem aber unsere geteilte Leidenschaft.“ Denn auch wenn man immer viel von Österreichs „World Class“-Sieger 2022 hörte, kennen sich die Betreiber und ihr Barchef erst seit wenigen Monaten. Schnell wurde aber klar, dass es nicht beim Drinks-Konzept bleiben würde, das Oswald mit Alexandra Hochegger (Truth and Dare) in seiner vermeintlichen Schaffenspause entwickelte.
Denn das Küchenkonzept der versierten Gastronomen sah eine unkonventionelle, junge Linie vor. Monatlich wechselnde Gastköche versteht man als Angebot an Kreative, die nicht ihre gesamten Ersparnisse in einem Start-up versenken wollen. In der Infrastruktur der Siebensterngasse 60 kann hingegen sofort gekocht werden, wie ein „Profitcenter“, auf eigene Rechnung eben. Den Auftakt machte Julia Ulrich, die sich in Salzburg auf vegetarische Küche spezialisiert hat. Ihr fleischloses, aber enorm würziges, Fake-„Beef Tartar“ empfiehlt sich zum Drink-Duo „Bread ‘n Butter“. Auch dafür, die seelenverwandte Näherung von Bar und Küche, steht Soulmate explizit.
Team-Player mit guten Namen
„Nach acht Jahren war es Zeit für etwas Neues“, griff Dominik Oswald die Steilvorlage auf, eine ebenso ungewöhnliche Cocktailbar zu führen. Im Anschluss sammelte er ein Team um sich, das allein schon neugierig macht. Steven Daevel, der davor im Fitzcarraldo und Roberto’s mixte, gibt hier den „Smoke Gun-Beautragten“. Der einerseits oft gebraucht wird, denn „jeder unserer Cocktails hat ein besonderes Garnish“. Zum anderen stellt das aber klassischen Flachs zwischen Tresen-Buddies dar. Denn in der Tat ist Daevel versierter mit dem Blasen-Werfer als der in halben Zehntellitern rechnende „Oberst“. Mit Selina Zesar kam ein junges Talent aus der Neuen Hoheit ebenfalls in die Siebensterngasse.
Nach dem Klären der Personalia ging alles fix. In drei Monaten war das Soulmate umgebaut, werbewirksam türmen sich in den hohen Fenstern die Spirituosen, direkt hinter der Straßenbahnhaltestelle. Der dunkle Marmortresen steht für die flüssigen Genüsse, während 25 Personen auf der üppig begrünten Empore des Hauses Platz finden. „Ideal für Veranstaltungen oder Dining mit Privatsphäre“, so „Izi“ Parmaksiz zur abgestuften Architektur. Bespielt werden beide Etagen von den Bartendern selbst, die den Gästen auch die Drinks servieren.
Leuchtende Augen und Instagram
Neun Signature Cocktails sind es geworden, die im Halbjahrestakt wechseln werden. „Am Ende soll jedes Team-Mitglied drei, vier Drinks für die Karte entwerfen“, denkt man bereits weiter. Denn bislang hatte man in der neuen Bar „Spaß wie große Kinder, die du auf einen Spielplatz stellst“. Da wurden einfach Wünsche von Besitzer Yüksel Türkmen – „wir brauchen was mit Passionsfrucht“ – wörtlich zum Cocktail: „Something with Passion“ (16 Euro) verbindet Tequila mit Tonkabohne, Pfirsich und natürlich Passionsfrucht.
Auch, „dass unser Mojito leuchten muss“, war schnell klar. Nunmehr heißt er „Blacklight Breeze“ (14 Euro) und gehört mit dem herb-frischen vom Tap gezapften Negroni mit Bitter Fusetti zu den Bestsellern der neuen Bar. Aber nicht nur den Schalk hat man nach den Hammond-Jahren intus, auch Nachhaltigkeit ist Oswald ein Anliegen. Der Paprika-Sirup im Tiki-Twist „Because I Can“ (16 Euro) liefert auch die Rückstände für den Chip, mit dem die Porzellan-Dose garniert wird. Wer da an den Cuisine Style im nahen +43 oder – mehr und näher noch – die instagramablen Kreationen von Sammy Walfisch im Fitzcarraldo denkt, hat recht. Mit dieser Neu-Eröffnung hat sich Wiens „Siebenter“ endgültig als Ort einer neuen Barkultur etabliert, die optisches Feuerwerk mit solidem Drink-Handwerk vereint.
Geht das? Deko-Orgie und Seriosität
Erstaunlicherweise profitiert von diesem Ausflug in den Dekoladen auch der versierte Bar-Besucher. Im Vorhinein zu wissen, wie der Drink aussieht und welche Alkoholstärke er mitbringt, ist etwa Teil des minimalistischen Cocktail Menus. Und mitunter schont es auch Bartender-Nerven, wenn der Gast lieber sein Glas fotografiert, als nach der genauen Abseihkörnung des Fat Wash-Siebs zu fragen. Wobei man auch da noch viel erwarten darf. „Der Prep-Keller samt Kühlhaus gibt uns viele Möglichkeiten“, hält man es noch vage.
Wobei jene beiden Karten-Positionen, die man im Duett („Bread ‘n Butter“) oder Trio („Three Martinis, please“ – 24 Euro) bestellen kann, direkt ins Sonnengeflecht versierter Barfliegen zielen. Den Wassermelonen-Kimchi im „Umami-Martini“ will man schließlich ebenso kosten wie die Dirty Martini-Version mit Salz und Oliven-Destillat. So macht man auch neugierig auf die Solo-Serves (je 12 Euro), bei denen wir einen echten Reverenz-Drink mit ungelagertem Getreidebrand bekamen. „Butter“ basiert auf dem New Make der finnischen Whisky-Brennerei Kyrö und wird mit Kresse, Chartreuse sowie Feigenblättern zu einer herrlich kühlen, getreidigen Mischung. Süffig wie ein Shot, komplex wie ein Vieux Carré, wenngleich aromatisch ganz anders gelagert.
Mit Charity-Mules und Bildungsauftrag
Unter den Klassikern, die man jederzeit auch beim Wettbewerbs-gestählten Barchef ordern kann, wirbt er vor allem für den „Charity Mule“. Dessen Preis inkludiert eine Spende an drei mögliche karitative Einrichtungen. „Wir wollen da niemandem etwas vorgeben“, dreht Oswald im Zweifel gar am elektronischen Glücksrad. Denn elektronische Gimmicks hat man schon auch ganz gern in der Siebensterngasse. Das reicht vom Mixing-Video per QR-Code über den „perfekten“ Leuchtspot für Cocktailbilder bis zum fetten roten Buzzer, auf den auch Günther Jauch neidisch wäre. „Shots für alle“ ordert man mit dem unüberhörbaren Drücken dieses Elements.
Witzig! Und viel gäbe es noch zu erzählen aus dem Soulmate. Denn die Ideen sind so viele, so gute, dass man hofft, sie mögen nicht im Tagesgeschäft verschütt gehen. Fix ist etwa eine Mitgliedskarte ausschließlich für Branchen-Kollegen, die günstigere Cocktails ermöglicht. Überhaupt ist der Austausch und die Weiterbildung der Bar Community ein Anliegen, das über Gastschichten im Soulmate hinausgehen soll. „Ich hatte so viele Mentoren, die in meiner Beginnzeit für mich da waren“, erinnert sich Dominik Oswald, „das scheint aktuell durch das schnelle Wachstum ein wenig in den Hintergrund geraten zu sein.“ Einmal monatlich will man sich mit Kollegen, etwa aus The Chapel oder Truth and Dare, einem Fachthema widmen.
Bei aller Expertise will man aber in einem nicht zu nerdig werden: Beim Zusammenspiel von Food und Drinks, die man um 75 Euro als Drei-Gang-Menü samt Cocktails ordern kann. „Wir machen keine Vorgaben, sondern erarbeiten mit den Köchen, was am besten zu ihren Gerichten passt.“ Denn das Soulmate will ein Möglichkeitsraum sein: In dem man essen kann, wo es bisweilen blinkt und glitzert im Glas. Und wo man Grandioses aus der Ober(st)-Liga trinkt.
Credits
Foto: Soulmate