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Owen Martin, Master Distiller von Angel's Envy, im Interview

„Wir kommen gerade erst in Fahrt.“ Owen Martin, Master Distiller von Angel’s Envy, im Interview

Owen Martin ist erst seit einem halben Jahr Master Distiller von Angel’s Envy. Dafür ist der gelernte Maschinenbau-Ingenieur und ehemalige Craft Beer-Macher von den Rocky Mountains in Colorado nach Louisville in Kentucky gezogen. Mit im Gepäck: eine Menge Ideen, wie Owen Martin im Interview verrät.

Der Whiskey-Hersteller Angel’s Envy mit Sitz in Louisville, Kentucky, wurde von Lincoln Henderson und seinem Sohn Wes im Oktober 2010 gegründet. Das Gründungsdatum ist in allen Verschlusskorken der verschiedenen Releases eingeprägt. Das Portfolio besteht aus einem Kentucky Straight Bourbon im Portweinfass-Finish, einem in Rumfässern nachgereiftem Rye Whiskey, einem Cask Strength Bourbon mit einem vollendenden Reifeprozess in Portwein-Casks und wechselnden Limited Releases. Seit 2015 gehört Angel’s Envy zum Portfolio von Bacardi.

Mit dem Launch des Kentucky Straight Bourbons, dem einzigen bis dato auf dem europäischen Markt erhältlichen Release, sorgten die Hendersons für frischen Wind in der traditionellen Welt von Kentucky, dessen Bourbons rund 95 Prozent des weltweiten Konsums ausmachen. Mit dem neuen Master Distiller Owen Martin, der seit dem Tod von Lincoln Henderson erstmals jene Position besetzt, soll es auch nicht windstill bleiben. Seit vergangenem Oktober schickt der studierte Maschinenbau-Ingenieur sowie Brauer und Brenner anstelle von American Single Malt Whiskey bei Stranahan’s in Colorado nun Bourbon und Rye bei Angel’s Envy durch weitere Reifeprozesse. Neben wissenschaftlicher wie praktischer Erfahrungsvielfalt ist es die Craft-Mentalität, die er hier vertiefen will.

Auf dieser „Spielfläche“ darf neben dem Enthusiasmus für ungezwungene Innovation auch der Spaß nicht zu kurz kommen. Das beweist Owen Martin bei unserem Treffen in Berlin: „Whiskey ist so ernst, wie man ihn betrachtet“, erwähnt der Master Distiller bei einem eingeschobenen Tasting. Von vordefiniertem Geschmack- und Aromavokabular sieht er ab: „Die Assoziationen sollen frei und subjektiv sein. Für mich als Whiskeyhersteller ist es einer der schönsten Momente, wenn jemandem das Licht aufgeht und vielleicht nicht an Karamell oder Vanille, sondern an Crème Brûlée denkt. Das macht Spaß und zeigt, dass es bei der Verkostung von Whiskey – wie bei vielem – darum geht, sich ein eigenes Bild zu machen.“

MIXOLOGY: Owen, Sind Sie zum ersten Mal in Europa und in Deutschland? Warum sind Sie hier, und wie gefällt es Ihnen?

Owen Martin: Wir waren gerade in London, Paris, Rotterdam und Amsterdam. In Deutschland und Berlin bin ich zum ersten Mal, es ist großartig. Nach Berlin geht es wieder nach Hause. Bis vor zwei Tagen war Angel’s Envy in den Niederlanden zum Beispiel noch nicht verfügbar. In den anderen Städten ging es nicht um einen Relaunch, sondern für mich als neuer Brand Distiller darum, vor die Öffentlichkeit zu treten, ein Bewusstsein für unsere Marke zu schaffen und den Bekanntheitsgrad zu steigern, um deren Wachstum auch in Europa fortzusetzen.

MIXOLOGY: Wie kam es zum Einstieg in die Brennkunst und zu Ihrer neuen Funktion als Master Distiller bei Angel’s Envy?

Owen Martin: Ich war kurzzeitig Ingenieur, wollte meinen Schreibtischjob aber aufgeben. Dann hat das Bierbrauen mein Interesse zu einem Zeitpunkt geweckt, als die Craft Bier-Szene ihren Höhepunkt erreicht hatte. Ich habe zuerst nach Brau-Ausbildungen in den Staaten und folglich im Ausland gesucht. In Edinburgh entdeckte ich den Masterstudiengang in Brau- und Destillationswissenschaft an der Heriot-Watt University und dachte, ich würde danach Brauer werden. Doch Schottland, Scotch und Pubs ließen mich schnell auf Whisky umschwenken. Nach der Zusammenarbeit mit einer kleinen Lowland Single Malt Destillerie für meine Abschlussarbeit kam ich in die Staaten zurück und arbeitete einige Jahre in der Bourbon-Industrie. 2016 fing ich bei Stranahan’s in Colorado an, arbeitete mich bis zum Head Distiller und Produktionsmanager hoch und legte in Forschung und Entwicklung dieses Single Malt Whiskey-Brand einen Fokus auf Cask Finishing. Als sich dann die Position bei Angel’s Envy ergab, sah ich darin für mich eine einmalige Gelegenheit.

»Cask Finishing ist eine europäische, vor allem schottische Praxis, die in den USA, wo sich alles um das erste und neue Fass dreht, bis dahin unbekannt und nicht gängig war. Somit war die Herangehensweise eine neue für Hersteller:innen und Konsument:innen.«

— Owen Martin

Da werden selbst die Engel neidisch: Angel's Envy erlebt laut eigenen Aussagen seit seiner Gründung 2010 ein Wachstum mit einer durchschnittlichen Rate von 40 Prozent pro Jahr
Da werden selbst die Engel neidisch: Angel's Envy erlebt laut eigenen Aussagen seit seiner Gründung 2010 ein Wachstum mit einer durchschnittlichen Rate von 40 Prozent pro Jahr

MIXOLOGY: Welche Gelegenheit, und warum haben Sie sie beim Schopf gepackt? Weil Angel’s Envy Bourbon Innovation einhaucht?

Owen Martin: Absolut. In meiner bisherigen Arbeit habe ich in der Anwendung von Cask Finishing mit Tequila-, Calvados-, Moscatel-Sherry- oder Portweinfässern gearbeitet und dazu eine Art Bibliothek verfasst. Vorher konnte ich das nur auf Malt, Single Malt oder Rye Whiskey anwenden. Bei Angel’s Envy öffnen sich nun Türen, um Cask Finishing auch auf Bourbon zu übertragen und damit in einem größeren Ausmaß als bisher zu experimentieren. Die Entscheidung für diese einmalige Gelegenheit war eine natürliche Weiterentwicklung für mich und meine Karriere.

MIXOLOGY: Gab es nicht zu Beginn Kritik und Aufschrei von der Kentucky Whiskey-Szene wegen dieses neuen Zugangs zu Bourbon?

Owen Martin: Die gibt es immer noch, und gerade zu Entstehungsbeginn hatte unsere Brand Ambassadorin einige Kritik zu schultern. Es ist aber mehr eine Frage des Verständnisses, denn mittlerweile gibt es einige Marken, die das auch einsetzen. Bourbon unterliegt – ähnlich, aber anders als Scotch – sehr traditionellen und strengen Regeln. Cask Finishing ist eine europäische, vor allem schottische Praxis, die in den USA, wo sich alles um das erste und neue Fass dreht, bis dahin unbekannt und nicht gängig war. Somit war die Herangehensweise eine neue für Hersteller:innen und Konsument:innen. Den Gründern von Angel’s Envy ging es darum, Cask Finishing bei Bourbon anzuwenden, wie es zuvor noch nie geschehen war. Doch alles und auch amerikanischer Whiskey entwickelt sich stets weiter. Es wird immer einen Kampf zwischen Tradition und Neuem geben, wie man gerade an der derzeitigen Diskussion um die Definition von American Single Malt Whiskey vor allem bezüglich der Destillationstechnik sieht, die in Kürze per Gesetz bestimmt werden soll.

MIXOLOGY: Sie treten ein sehr junges Erbe an, das Sie wie fortführen und weiterentwickeln möchten?

Owen Martin: Angel’s Envy ist eine jüngere Marke. Im Gegensatz zu etablierten Bourbon-Herstellern haben wir also kein hundertjähriges Erbe, wodurch mir die Hände in der Herstellung gebunden wären. Das spornt an, innovativer aufzutreten, neue Konsumenten, die bisher beispielsweise nur Jim Beam oder Jack Daniel’s getrunken haben, zu gewinnen und ihnen das zusätzliche Level an Craftmanship in dieser Kategorie zu eröffnen. Kennern von schottischen, irischen oder europäischen Whiskys im Ausland zum Beispiel könnte man Parallelen aufzeigen und sie auf diese neue Weise an amerikanische Whiskeys heranführen. An der Wand unserer Destillerie in Louisville steht ,Revere tradition, embrace progress‘ geschrieben. Das ist, was die Marke auch für mich bedeutet. Wir produzieren ein traditionelles Produkt, verleihen diesem durch eine weitere Fasslagerung aber unseren eigenen Twist. Es ist ein Prozess, der europäischen Konsument:innen bekannt ist, Amerikaner:innen jedoch weniger.

»Ich möchte neue Dinge ausprobieren, über den Tellerrand blicken, andere als gängige Getreidesorten wie Mais oder Roggen für kleinere Chargen in Erwägung ziehen, aus meinem Brau-Hintergrund schöpfen und vielleicht über das Hinzuziehen verschiedener Malzsorten nachdenken.«

— Owen Martin

MIXOLOGY: Wenn Sie in die Zukunft blicken …

Owen Martin: Dann geht es darum, welche Methoden, Techniken oder Prozesse man von europäischer oder amerikanischer Industrie noch übernehmen und bewirken kann, was es noch nicht gegeben hat. Das versuche ich auf authentische, natürliche Weise zu erreichen, und nicht innovativ zu sein, um einfach innovativ zu sein. Aber die Whiskey-Produktion braucht Zeit. Ich hoffe, dass ich meine ersten Abfüllungen am Ende dieses Jahres herausbringen kann, kann aber jetzt noch nichts dazu sagen. Ich habe auch schon Projekte in Planung, die in den nächsten zehn Jahren realisiert werden sollen. Man darf aber nicht reaktiv sein, wenn man die lange Entstehungsphase eines Whiskeys ins Auge fasst. Natürlich könnte man die Zeit verkürzen, indem man einen bereits gealterten Whiskey in ein neues Fass gibt oder Whiskeys zu blenden versucht, aber auch Versuche mit neuen Fermentationsmethoden, Hefen oder Getreidesorten brauchen Zeit, die man auf alle Positionen gleichzeitig fokussieren muss. Ich bin erst seit sechs Monaten bei Angel’s Envy, und wir kommen gerade erst in Fahrt.

MIXOLOGY: Das klingt nach vielen Ideen auf einer weiten Spielfläche, die wie bespielt wird?

Owen Martin: Zum einen geht es darum, die Qualität unserer Standard-Range zu halten und auszubauen. Zudem sollte eine exklusive Brennerei vor allem eine Spielwiese für Destillateure sein, und das fügt sich bei Angel’s Envy und ergibt den Spaß und Enthusiasmus für die Arbeit. Ich möchte neue Dinge ausprobieren, über den Tellerrand blicken, andere als gängige Getreidesorten wie Mais oder Roggen für kleinere Chargen in Erwägung ziehen, aus meinem Brau-Hintergrund schöpfen und vielleicht über das Hinzuziehen verschiedener Malzsorten nachdenken. Oder Limited Editions kreieren, die es nur in unserer Destillerie vor Ort zu kaufen gibt. Das wäre etwas Besonderes für die vielen Kentucky Whiskey-Touristen, die uns während des ganzen Jahres besuchen. Gerade in den vergangenen zwei Monaten – und das vor den Touristenschwärmen in jedem Herbst – verzeichneten wir den größten Besucherstrom. Auch spezielle Abfüllungen für den europäischen oder asiatischen Markt mit Nachreifungen in Fässern aus diesen Regionen wären vorstellbar. Ich habe viele Ideen im Kopf und freue mich, sie umsetzen zu können. Bei Angel’s Envy verschmelzen Tradition und Handwerk. Ich kann hier nicht nur meine Erfahrungen aus dem Brau- und Brennhandwerk, sondern auch meine Craft-Mentalität auf diese Marke projizieren. Ich denke, das ist auch der Grund, warum sie mich eingestellt haben, denn um innovativ zu sein und den ‘Playground’ zu bedienen, bedarf es in gewisser Weise einer handwerklichen Denkweise.

»Wir sind keine Heritage-Brand und positionieren die Marke nicht bei oder richten uns nicht gezielt an jene Zielgruppe, die traditionell mit Bourbon angesprochen wird.«

— Owen Martin

MIXOLOGY: Wie groß ist Angel’s Envy, und wie fügt es sich in die Welt von Bluegrass, Pferderennen und eben Bourbon ein?

Owen Martin: Angel’s Envy besteht aus rund 140 Mitarbeiter:innen, wovon fast die Hälfte Frauen sind. Wir sind keine Heritage-Brand und positionieren die Marke nicht bei oder richten uns nicht gezielt an jene Zielgruppe, die traditionell mit Bourbon angesprochen wird. Auch unser Flaschendesign bricht mit Traditionen und vermittelt Eleganz. Hinzu kommt, dass wir uns auch in der Cocktailwelt mit Hilfe unserer ‘Whiskey Guardians’ – wie Yukon Isik für Deutschland – positionieren. Denn letztendlich geht es darum, Menschen anzusprechen und zusammenzubringen, und das ist nicht nur auf die Männerwelt zugeschnitten. Im Moment beschäftigen wir uns mit der Frage, wie eine Erweiterung der Brennerei in den nächsten Jahren aussehen könnte. Wir produzieren derzeit etwa 125 Bourbon-Fässer pro Tag. Für amerikanische Verhältnisse ist das viel, aber kein Vergleich zu den großen Herstellern wie Buffalo Trace, Heaven Hill oder Jim Beam, die tausend Fässer pro Tag produzieren. Wir bewegen uns im Mittelfeld, wo Zeit für den Craft-Gedanken bleibt und ich nicht das Gefühl habe, in einer Fabrik zu sein. Allerdings erleben wir seit der Gründung ein unglaubliches Wachstum mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 40 Prozent pro Jahr.

MIXOLOGY: Wie empfehlen Sie, Angel’s Envy zu trinken?

Owen Martin: Ich bin in erster Linie Destillateur und genieße ihn daher am liebsten pur oder vielleicht auf Eis. Ich habe keinen allzu großen Cocktail-Hintergrund, aber gerade durch das Portweinfass-Finishing harmoniert unser Bourbon zum Beispiel sehr gut mit Wermut. In unserem Fokus auf Cocktailkultur stützen wir uns auf unsere Whiskey Guardians in nationalen wie internationalen Städten, die wie Yukon tagtäglich mit der Barszene, der Industrie und dem Land zu tun und ihre Finger am Puls dieser unterschiedlichen Städte und Märkte haben.

MIXOLOGY: Lieber Owen Martin, vielen Dank für das Interview.

Credits

Foto: Angel's Envy

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