Rebekka Anna Salzmann im Interview über die Schließung des Angels’ Share: „Ich möchte mich weiterentwickeln.“
Was vor acht Jahren mit Christoph „Chutz“ Stamms und Roger Grüters Idee, eine Whiskybar in Basel zu etablieren, begonnen hat, entwickelte sich zu einer der angesehensten American Cocktail Bars mit bis dato rund 500 Signature Drinks – und natürlich viel Whisky. Chloé Merz und Rebekka Anna Salzmann komplettierten die beiden Angels‘ Share-Betreiber im Laufe der Jahre zu jenem bekannten Quartett, das zum Beispiel bei den MIXOLOGY BAR AWARDS 2020 den Award in der Kategorie „Bar des Jahres Schweiz“ für sich verbuchen konnte.
Bereits vor der Coronapandemie ist Chloé Merz nach Hamburg aufgebrochen und betreibt dort seit kurzem ihre erste eigene Bar, die Collab Bar. Christoph Stamm hat sich vor zwei Jahren aus familiären Gründen aus dem operativen Bar-Geschäft zurückgezogen und den Betrieb an Grüter und Salzmann übertragen. Im Frühjahr dieses Jahres ist nun Roger Grüter mit der Erklärung an Salzmann herangetreten, neue Wege gehen zu wollen.
So stand Rebekka Anna Salzmann allein vor der Entscheidung, was mit der Bar und mit ihr passieren würde. Nach monatelanger und reiflicher Überlegung hat sie beschlossen, die Basler Institution ab Frühjahr nächsten Jahres zu schließen und dies bereits im Spätsommer kommuniziert. „Wir werden bestimmt eine Lücke hinterlassen, aber lieber eine Lücke hinterlassen, als erst abzutreten, wenn alle froh sind, dass man geht. Das klingt zwar hart, aber wir gehen in Frieden, sind nicht pleite und können mit unseren Gästen noch einen schönen Abschluss erleben“, sagt Salzmann und erklärt im Folgenden die Beweggründe dafür.
MIXOLOGY: Rebekka, welche Überlegungen haben dazu geführt, das Angels‘ Share zu schließen? Und steht dieser Entschluss?
Rebekka Anna Salzmann: Dass wir schließen werden, ist fix. Es hat diverse Gründe. Der Stein des Anstoßes war, dass Roger Grüter, der mit mir nach Christophs Rückzug aus dem operativen Bereich vor zwei Jahren gemeinsam die Bar betreibt, beschlossen hat, per Ende Jahr auszusteigen. Er hat bereits die Weinsommelier-Ausbildung in der Schweiz absolviert und möchte sich im Bereich Bier und Wein weiterentwickeln. Zudem arbeitet er bereits seit Anfang des Jahres im Basler Restaurant Matt und Elly Brewery & Kitchen. Sein Ziel ist, nächstes Jahr beim Brauen einzusteigen. So stand ich vor der Entscheidung, ob ich das Angels‘ Share alleine weiterbetreiben will. Es haben viele Sachen mitgespielt, aber als Geschäftsführerin sind die unternehmerischen Gedanken anders gelagert als das Bauchgefühl. Roger ist zu 20 Prozent plus-minus vor Ort. Den Rest schaffe ich ohne Angestellte bis zum Saisonstart im Oktober komplett alleine. Dass wir keine Außensitzplätze haben, ist schwierig und war auch Thema. Es gab viele Puzzleteile, die zu der Entscheidung geführt haben.
MIXOLOGY: Der Gedanke, das Angels‘ Share alleine weiterzuführen, war also da?
Rebekka Anna Salzmann: Damit habe ich mich sogar sehr stark auseinandergesetzt. Mein erster Gedanke war, dass ich das Angels‘ Share weiterführen werde. Ganz aufzuhören war anfangs keine Option. Dann aber habe ich Musterarbeitspläne erstellt, überlegt, die Öffnungszeiten zu ändern, das schwierige Sommerloch einkalkuliert, um jemandem im besten Fall eine Vollzeit-Stelle anbieten zu können. Doch egal, wie ich es gedreht und gewendet habe, es ist mir nicht geglückt, eine Lösung für eine Ganzjahresstelle zu schaffen. Ich wäre somit weiterhin die meiste Zeit allein in der Bar gewesen, da es nur am Wochenende einer weiteren Person bedarf. Ich habe es probiert, bin aber auf keinen grünen Zweig gekommen.
»Ich habe Bock, mich weiterzuentwickeln, für ein halbes Jahr nach Berlin zu gehen, wo Sake im Gegensatz zur Schweiz nicht mehr schläft, und dann vielleicht nach Wien.«
— Rebekka Anna Salzmann
MIXOLOGY: Welche persönlichen Gründe spielten neben den unternehmerischen eine Rolle?
Rebekka Anna Salzmann: Einerseits liebe ich den Laden und habe in den vergangenen vier Jahren viel Arbeit und Herzblut hineingesteckt. Andererseits merke ich, und das war auch einer der Hauptgründe für meine Entscheidung, dass ich nach vier Jahren gemerkt habe, stehenzubleiben. Chutz, Roger und Chloé sind nicht mehr hier, ich bin die Letzte aus dem Team, und es gibt niemanden mehr, von dem ich lernen könnte. Als ich nach Basel gekommen bin, hatte ich gerade mal eine Anstellung für fünf Monate. Jetzt musste ich als Überbleibende überlegen, wie es weitergeht. Es waren wunderschöne, auch schwierige Jahre, eine interessante Reise, bei der ich mehr lerne konnte, als ich angenommen habe. Ich bin ein wissbegieriger Mensch, lerne gerne und will mich weiterentwickeln. Das war ein wichtiger Punkt. Buchhaltung und Personalmanagement gehören nun mal dazu, und ich konnte in diesem Bereich sehr viel lernen. Aber das, was ich gerne und gut mache, das bleibt auf der Strecke. Ich habe Bock, mich weiterzuentwickeln, für ein halbes Jahr nach Berlin zu gehen, wo Sake im Gegensatz zur Schweiz nicht mehr schläft, und dann vielleicht nach Wien. Ich bin nicht verheiratet und habe keine Kinder. Einfacher als jetzt geht’s nicht.
MIXOLOGY: Warum gab es diese frühe Ankündigung über das Ende des Angels‘ Share?
Rebekka Anna Salzmann: Mir ist Transparenz sehr wichtig. Ich mag es nicht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, wenn man es so sehen will. Ich fand es den Gästen und Freunden gegenüber wichtig, transparent zu sein. Wir haben Anfang Juli entschieden, dann ging es noch rund einen Monat bis zur Veröffentlichung. Ich habe im Gespräch mit Gästen gemerkt, wie unangenehm es ist, die Wahrheit zu verbergen, weil es noch nicht offiziell war. Es war eine unangenehme Situation und nicht fair.
MIXOLOGY: Warum hast du das Frühjahr als Schlusspunkt gewählt?
Rebekka Anna Salzmann: Ein Gastronom gibt bekanntlich erst auf, wenn keine Kohle mehr da ist. Wenn eine renommierte Bar schließt, dann hat es seine Gründe, anders ist es nicht normal. Da wir uns aber nicht in einer finanziellen Notlage befinden, haben wir genügend Zeit für einen gebührenden Abschied. Das Frühjahr ist nicht in Stein gemeißelt. Wir haben das kommuniziert, um einen Zeitraum zu nennen. Ich würde gerne noch bis dahin weitermachen, um eine volle Saison zu gestalten. Ich muss so oder so noch jemanden einstellen, und damit ich dem- oder derjenigen wenigstens für ein halbes Jahr noch eine Anstellung ermöglichen kann und nicht nur drei-vier Monate, ist dieser Zeitraum entstanden. Sollten wir aber einen passenden Käufer finden, der beispielsweise im Januar übernehmen will, dann kann es auch sein, dass wir früher schließen. Das Datum ist also flexibel zu betrachten. Wir haben es zudem so früh schon kommuniziert, um mit unseren Gästen einen schönen Abschluss zu erleben. Es war mir wichtig, Zeit für den Abschied zu nehmen, in der noch eine Sake-Woche, die achte Geburtstagsfeier im November oder einige Gastschichten stattfinden werden. Auch damit wollen wir unseren lieben, treuen Gästen, die uns so lange unterstützt und begleitet haben, etwas zurückgeben. So haben die Gäste und ich die Möglichkeit, uns voneinander zu verabschieden und müssen das nicht von heute auf morgen tun.
»Gerade an den Abenden, wo die Bar voll ist und man eine gute Zeit mit seinen Gästen hat, gibt es Momente, in denen ich mich frage: Was habe ich nur gemacht? Doch es war die richtige Entscheidung, und ich stehe voll und ganz dazu, so schwer sie mir auch gefallen ist.«
— Rebekka Anna Salzmann
MIXOLOGY: Ist euch oder dir daran gelegen, dass die Bar als solche übernommen wird?
Rebekka Anna Salzmann: Nicht unbedingt. Ich glaube nicht einmal, dass jemand die Bar als Angels‘ Share übernehmen würde, aber wir haben nie darüber diskutiert. Für mich ist das Angels’s Share ein Ort, der meistens auch unseretwegen besucht worden ist. Viele Gäste fragen nach Roger, Chutz und Chloé, die die Bar geprägt haben. Rein theoretisch kann alles passieren, aber das darf nicht mehr mein Problem sein. Vom Herzen her würde ich mir wünschen, wenn jemand hier auch eine Bar machen will, dass wir ihn persönlich kennen, und derjenige das Angels‘ Share kennt. Aber das ist Wunschdenken, damit darf ich mich nicht beschäftigen.
MIXOLOGY: Wie haben die Gäste auf die Ankündigung reagiert?
Rebekka Anna Salzmann: Einerseits sehr schön mit vielen lieben Nachrichten, Reaktionen und einfach positiv gemeinten Rückmeldungen. Andererseits waren viele auch schockiert, das war für uns selber auch unerwartet. Marketingtechnisch habe ich gemerkt, dass ein solches Statement sich ziemlich gut auf das Geschäft auswirkt. Trotz der Hitze und 30 Grad in der Bar war diese plötzlich voll, was mich natürlich sehr freute, aber worüber ich auch ein wenig schmunzeln musste.
MIXOLOGY: Entfacht dieses Gästebindung nicht ein wenig Wehmut?
Rebekka Anna Salzmann: Schon, es ist definitiv nicht ohne und lässt mich nicht unberührt. Als Roger mich Ende März darüber informiert hat, aufhören zu wollen, konnte ich mich bis Anfang Juli nicht entscheiden. Ich hatte jeden Tag ein anderes Empfinden, mir die Zeit auch genommen, für mich herauszufinden, wie ich mich dabei fühle. Gerade an den Abenden, wo die Bar voll ist und man eine gute Zeit mit seinen Gästen hat, gibt es Momente, in denen ich mich frage: Was habe ich nur gemacht? Doch es war die richtige Entscheidung, und ich stehe voll und ganz dazu, so schwer sie mir auch gefallen ist. Ich darf nicht mit dem Herzen entscheiden, sondern muss unternehmerisch handeln. Im November gibt es uns acht Jahre, und das ist eine ziemlich lange Zeit, wovon ich die Hälfte der Zeit hier war. Nun habe ich Lust, weiterzuziehen und mich weiterzubilden. Fest steht, dass ich in der Bar-Branche bleiben werde, gerne andere Konzepte, Menschen und Techniken kennenlernen will. Vor dem Angels‘ Share war ich bei Ivan Urech in der Thuner Atelier Classic Bar. Bei ihm habe ich alles über klassische Drinks und Spirituosen gelernt. Im Angels‘ Share hingegen sind alle Drinks Signatures. Ein megacooler Kontrast, aber es gibt noch so viel mehr und Verschiedenes in der Szene zu entdecken. Ich habe auch ein wenig das Gefühl, hinterherzuhinken. Darum muss ich das auch als Chance sehen und diese nutzen, es zu ändern.
»Nicht nur in Basel geht eine Institution verloren, sondern in der Schweizer Barwelt. Wir wurden zwar mittlerweile von anderen Bars überholt, was ich nicht schlimm finde, aber ich glaube, wir werden dennoch eine Lücke hinterlassen.«
— Rebekka Anna Salzmann
MIXOLOGY: Hältst du bereits jetzt konkret Ausschau nach einer neuen Position? Was hast du vor?
Rebekka Anna Salzmann: Nicht direkt, weil noch nicht klar ist, wann wir genau schließen werden. Ich habe nicht zu wenige Ideen. Wir werden mit dem Konomi-Festival vier Tage während des Bar Convent Berlin vor Ort sein und in der Goldfisch Bar unsere Kickoff-Veranstaltung haben. Dabei werde ich sich auch die Zeit nutzen, mich umzusehen, Menschen kennenzulernen und Verbindungen aufzubauen. Ich bin um jeden Kontakt froh. Unsere Branche leidet unter enormem Personalmangel, und erfahrene, motivierte Leute werden gebraucht. Meine Wunschvorstellung ist nicht, zu lange am gleichen Ort zu verweilen, sondern wie beispielsweise Pia Köfler mal ein halbes Jahr wo arbeiten und dann weiterziehen, um viel Verschiedenes in kurzer Zeit kennenzulernen. Das wäre meine Grundidee für die nächsten zwei, drei Jahre, aber vielleicht kommt es auch anders. Ich hätte auch Bock, einmal in einer Brennerei zu arbeiten. Es ist das einzige, was ich mir neben der Bar-Gastronomie vorstellen könnte. Ich habe also viele Ideen im Kopf, und doch ist es manchmal beängstigend, hier alles aufzugeben. Andererseits überwiegen die Vorfreude und Freude, eine gewisse Aufbruchsstimmung. Ich habe wirklich Bock darauf, meine Komfortzone zu verlassen, in eine fremde Stadt zu ziehen, in der mich in den ersten drei Monaten ständig verlaufen werde.
MIXOLOGY: Wie hat Christoph Stamm auf die Entscheidung reagiert, war er einbezogen?
Rebekka Anna Salzmann: Nicht direkt, aber klarerweise haben wir viel mit ihm darüber gesprochen. Er kann die Entscheidung gut verstehen. Wir alle haben gekämpft und viel erreicht. Es war mir sehr wichtig, dass wir alle Drei damit einverstanden sind. Ich glaube, auch er ist froh, wenn es einen für alle glücklichen Schlussstrich gibt. Er ist immer noch der Lokalmieter, während Roger und ich die Bar seit zwei Jahren betreiben und als Untermieter fungieren, somit läuft der Verkauf über Chutz.
MIXOLOGY: Mit der Schließung des Angels‘ Shares geht eine Ära zu Ende. Ihr werdet bestimmt eine große Lücke in Basel hinterlassen.
Rebekka Anna Salzmann: Nicht nur in Basel geht eine Institution verloren, sondern in der Schweizer Barwelt. Wir wurden zwar mittlerweile von anderen Bars überholt, was ich nicht schlimm finde, aber ich glaube, wir werden dennoch eine Lücke hinterlassen. Somit ist es eine schöne wie tragische Entscheidung, aber manchmal ist es Zeit für Neues. Basel hat ja zum Glück noch das Herz und viele weitere gute Bars, da dürfen wir getrost abtreten. Norbu Tsering besucht uns öfters, und ich bin gerne bei ihnen, gehe ihretwegen gerne hin. Wie bereits gesagt ist es allgemein so, dass man Bars vor allem auch wegen der Menschen besucht. Eine Institution hängt mit den Charakteren zusammen.
MIXOLOGY: Was wird dir am meisten fehlen oder gar nicht?
Rebekka Anna Salzmann: Was mir bestimmt fehlen wird, sind alle Stammgäste und jene, die öfters bei uns vorbeigekommen sind und viel Zeit mit uns verbracht haben. Es sind viele Beziehungen entstanden, die ich vermissen werde. Was mir sicher und einzig nicht fehlen wird, ist die enorme Sommerhitze im Angels‘ Share, das macht keinen Spaß. Ansonsten gibt es nichts, was ich an dieser Bar nicht mag.
MIXOLOGY: Liebe Rebekka, danke für das Interview und alles Gute weiterhin.
Credits
Foto: Nicolas Gysin