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Die Bar der Zukunft: Sieben Aspekte, wie wir trinken werden

Die Zeit seit Beginn des Jahrzehnts hat viele Verwerfungen mit sich gebracht, die unsere gesamte Gesellschaft betreffen – aber auch die Bar. Wie werden sich Bars verändern? Was, wie und unter welchen Voraussetzungen werden Gäste in zehn Jahren in eine Bar gehen? Was wird sich ändern und vielleicht sogar ändern müssen. MIXOLOGY-Chefredakteur Nils Wrage mit einem Ausblick auf Themen, die wichtig werden könnten.

Schnell was geraderücken: Wer bei der Überschrift an eine futuristische Bar denkt, liegt leider falsch. Einerseits schade, dass wir hier nun nicht über ein Lokal sprechen, wie es etwa in Raumschiff Orion zu sehen war. Aber eigentlich auch gut, denn in so einer Bar würde man wohl kaum trinken wollen.

Nein, die Bar der Zukunft ist hier anders zu verstehen. Wenn uns die letzten Jahre eine Erkenntnis gebracht haben, dann jene, dass kaum etwas von Dauer ist, so fest und unerschütterlich es auch hat scheinen mögen. Zwei handfeste globale Krisen haben wir in den letzten 25 Monaten erlebt, die eine scheint allmählich abzuebben, während die andere möglicherweise gerade erst am Beginn steht. Denn auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass der russische Krieg in der Ukraine sich zu einer echten militärisch-geopolitischen Bedrohung auch auf Mitteleuropa ausweitet, werden seine wirtschaftlichen und somit alltäglichen Konsequenzen harsch und von sehr, sehr langer Dauer sein. Und dann war da noch dieses andere Thema, über das bis Mitte Februar 2020 viel gesprochen wurde. Wie hieß das noch? Ach ja: Klimawandel. Da war ja was. Der macht übrigens keine Pause, bloß weil irgendwo Bomben fallen oder Inzidenzen steigen.

Krisen verändern, wie wir die Welt sehen

Zwei Jahre voller Krise also, mit Aussicht auf Nachschlag. Dennoch muss man Folgendes konstatieren: Schwere Krisen waren in der Geschichte des Menschen immer wieder immense Innovationsmotoren, und zwar auf unterschiedlichste Art. Niemand meint hier damit das furchtbar dämliche Sprichwort von der Krise als Chance. Vielmehr haben Krisen oder Katastrophen vielfach dazu geführt, dass technologische, wissenschaftliche, humanitäre oder ideengeschichtliche Fortschritte in sehr kurzer Zeit oder großem Umfang gemacht worden sind. Fortschritte als Konsequenz der Krise. Dazu passt, dass das altgriechische Wort katastrophé ursprünglich schlicht „Wendung“ oder „Umwälzung“ bedeutet. Und wenn die Welt sich stark verändert, regt sie dazu an, Dinge neu zu denken. Nicht, weil es sich um Chancen handelt, sondern häufig um blanke Notwendigkeiten.

Wenn wir also heute auf den kulturellen und wirtschaftlichen Raum namens „Bar“ sowie dessen potenzielle Zukunftsaspekte schauen, dann darf mit Recht behauptet werden: Ohne die jüngsten Krisen würden wir das wahrscheinlich nicht in diesem Umfang tun. Ebensowenig soll der Eindruck entstehen, hier würde das Rad neu erfunden oder eine neue Wahrheit verkündet. Dumme Belehrungen braucht schließlich niemand. Und selbstverständlich werden Dinge und Aspekte, die gleich thematisiert werden, in einigen (und immer mehr) Bars bereits praktiziert. Dennoch hat die MIXOLOGY-Redaktion insbesondere in den letzten Monaten viele sehr eingehende Gespräch mit Barbetreibern und Bartender:innen geführt. Gespräche über die Themen, die nun folgen, die oft und viel auf dem Tisch zu liegen scheinen. Viele dieser Themen sind auf die eine oder andere Weise miteinander verbunden, nicht zuletzt durch das Gebiet Personal, das beinahe immer berührt wird und genau deshalb an dieser Stelle ausdrücklich nicht besprochen werden soll (stattdessen aber hier). Wagen wir ihn also, einen Blick auf das, was die Bar der Zukunft ausmachen und beschäftigen könnte.

#1 Mehr Spezifikation

Fangen wir mit einem vergleichsweise „soften“ Bereich an, der deshalb soft ist, weil er längst in Gange ist. Bars diversifizieren und spezifizieren sich von Jahr zu Jahr mehr. Die Art und Weise, wie eine jeweilige Bar in ihrem Kosmos aus Nachbarschaft, Gästen, Mitarbeiter:innen und ihrem Angebot funktioniert, wird von immer mehr Gastronomen bewusst mitgedacht und instrumentalisiert. Das liegt daran, dass die Gesellschaft – also letztlich die Gäste – inzwischen nicht mehr nur die tradierten zwei oder drei Features von „Bar“ im Kopf haben, sondern einen eher abstrakten Begriff: Nicht mehr nur Hotelbar, Dive Bar und die wie auch immer geartete American Bar, sondern einen Raum, der zu einem großen Teile soziale Funktionen trägt und sich primär dadurch finanziert, dass er Getränke serviert, die über Bier und Longdrinks hinausgehen. Das bedeutet viele Möglichkeiten.

Im Zuge dessen ist es gut und wichtig, dass dieser Weg von Spezifikation und Diversifikation weiter gegangen wird. Denn letztlich stärkt er die gesamte Barkultur, weil eine diverse Landschaft hochwertiger (nicht automatisch teurer!) Bars dazu führt, dass diese Landschaft von Jahr zu Jahr mehr als eigenständige Disziplin wahrgenommen wird. Und wie bitter das nötig ist, war eine der unschönsten Erkenntnisse von Corona.

#2 genauer Kuratieren

Mit der Spezifikation geht auch die Möglichkeit einher, stärker zu kuratieren, was angeboten werden soll. Natürlich ist hier Vorsicht geboten, denn vielfach scheitern Bars, die zu starr an ihrem anfänglichen Dogma festhalten und nicht mit ihren Gästen mitwachsen. Dennoch trägt auch der Umstand, dass immer mehr Bars ihr Angebot – sowohl beim Wareneinkauf als auch bei den ausgeschenkten Drinks – stärker zu kuratieren beginnen, zu einer Erweiterung und Aufwertung des Bar-Begriffs bei.

Das bedeutet im besten Fall, dass eine Bar direkt beim Einkauf damit beginnt, eher wie eine Küche zu denken – und somit exakt das einkauft, was man auch verarbeiten will. Das hilft automatisch bei der Profilschärfe und bringt einen gar nicht erst in die Verlegenheit, bestimmte Dinge nur ausschenken zu müssen, weil man alle Produkte dafür vorrätig hat. Besonders in den USA scheint die Barszene in diesem Bereich schon gefestigter, das Schlagwort vom oft sehr präzise definierten drinks program einer Bar ist auf der anderen Seite des Atlantiks sehr häufig anzutreffen. Und dahinter verbirgt sich, wie man vielleicht befürchten könnte, kein elitär-snobbiger Gedanke, sondern eine Herangehensweise, die ganz klar ans Restaurant angelehnt ist: Ein klar kuratiertes und definiertes Angebot an Drinks. Selbstverständlich sorgt das auch dafür, dass manche Gäste diese eine Bar nicht für sich ins Herz schließen. Aber bei vielen anderen Gästen wiederum wird sie mit einer klaren Definition im Kopf hängenbleiben.

#3 Öffnungszeiten

Eine klare Konsequenz aus den beiden ersten Punkten ist die Neukonzeption von Öffnungszeiten. Denn wer sich spezialisiert, kann eventuell auch präziser ausformulieren, zu welchen Zeiten sein Angebot gefragt ist. Gerade diesen Umstand haben uns in den letzten Monaten sehr viele Barbetreiber:innen in fast identischer Weise geschildert, oftmals auch als Learning aus den Zeiten den pandemiebedingten Einschränkungen.

Denn wo steht eigentlich geschrieben, dass so etwas wie eine Bar von 18 Uhr bis mehr oder weniger in die späte Nacht geöffnet sein muss? Genau: Das steht höchstens in den Regeln eines nicht mehr zeitgemäßen Bar-Knigges. Viele Wirte haben uns berichtet, dass sie im Lauf von Pandemie und Reboot ihre Öffnungszeiten zwar deutlich gestrafft haben, häufig aber mit nur sehr geringen Einbußen beim Umsatz – in drastischen Fällen war dabei die Rede von mehr als halbierten Öffnungszeiten, aber 90% des früheren Umsatzes. Die bewusste Vermeidung der oft vertrauten ruhigen Stunden schont am Ende vor allem das Personal. Wer statt um 18 Uhr erst um 19 oder 20 Uhr öffnet und vielleicht auch am Samstag schon um 1 Uhr nachts schließt, der ermöglicht seinen Mitarbeitenden einen erträglicheren Arbeitsrhythmus und ausreichend Erholung. Und der entstehende Umsatzrückgang wird – so berichten es die Gastronomen, mit denen wir gesprochen haben, einhellig – mehr als nivelliert durch den Rückgang der Personalkosten und weiterer Betriebskosten. Sogar von zwei Unternehmern, die sehr aktiv im Bereich Catering sind, gab es das Statement, inzwischen nicht mehr jeden Auftrag anzunehmen. Sondern nur noch solche, die sich wirklich lohnen, ohne das Personal aufzureiben und die überdies inhaltlich interessant sind. Vor wenigen Jahren wäre so etwas wohl undenkbar gewesen.

Das bedeutet nicht, dass es keine Bars mehr für die späte Nacht geben soll oder wird. Es bedeutet aber, dass Bars und ihre Macher:innen sich künftig wahrscheinlich immer mehr überlegen werden, wann sie ihr Angebot feilbieten: Von der Aperitifbar, die schon um 16 Uhr die ersten After-Work-Negronis serviert und um 23 Uhr schließt – bis hin zur echten Nachtbar, in der auch viele Gastronomen auf ein Nichtcap kommen. Aber die öffnet vielleicht auch erst um 21 Uhr. Oder sogar noch später. Stört es jemanden? Eigentlich nicht.

#4 mehr Wirtschaftlichkeit

Die vielleicht wertvollste Konsequenz der Corona-Pandemie: Gastronomen und Barleute aller Couleur sprechen wesentlich selbstverständlicher über Geld, Umsätze und die Wirtschaftlichkeit ihrer Betriebe, und zwar sowohl branchenintern als auch öffentlich. Und das ist ein zentraler Fortschritt. Denn noch nie wurde der Gesellschaft vor 2020 so deutlich und klar vor Augen geführt, wie gastronomische Betriebe wirtschaften. Bis dieser Lerneffekt wirklich in der Bevölkerung ankommt, wird es noch lange dauern, aber ein Anfang ist gemacht.

Vor allem aber hat das viele Reden über Finanzen und Wirtschaftlichkeit auch innerhalb der Szene viel bewegt. Insbesondere die aktuell jüngere Gründergeneration der Barszene, also jene Leute, die gerade ihren ersten Laden aufmachen, scheinen nüchterner und erwachsener an ihre Unternehmung heranzugehen als dies noch vor einigen Jahren war. Denn so traurig es ist, am Ende geht es auch bei jeder noch so geliebten Herzensangelegenheit um Geld, und zwar um genug Geld zum Leben. Das führt offenbar dazu, dass auch junge, vergleichsweise unerfahrene Wirt:innen heute anders und selbstbewusster mit Themen wie Kalkulation umgehen. Das ist in vielen Fällen und besonders abseits der kosmopolitischen Großstädte natürlich auch etwas, was viel Erklärungsarbeit beim Gast erfordert. Denn noch immer muss vielen Menschen erklärt werden, warum 12 Euro (oder mehr) ein angemessener Preis für einen Cocktail ist. Diese Kampfansage an den Kampfpreis ist ein entscheidender Faktor dahin, für mehr Wirtschaftlichkeit zu sorgen. Und die Bar oder sogar die gesamte Gastronomie auch in Sachen ihres Rufes endlich auf eine angemessene Ebene zu holen. Damit in der nächsten Krise nicht wieder in der Politik Formulierungen zu hören sind wie „die Wirtschaft und die Gastronomie“.

#5 anders Einkaufen

Dieser Punkt, dem wir uns an dieser Stelle demnächst auch in einem ausgiebigen eigenen Text widmen werden, vereint Aspekte aus einigen der schon genannten Themen. Er betrifft aber auch in hohem Maße den Bereich der Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit. Denn seien wir ehrlich: Gastronomie in ihrer traditionellen, gewohnten Form erzeugt gewaltige Mengen Müll.

Die Bar hat es sich in den letzten Jahren bequem damit gemacht, dieses Problem primär mittels einer aufgeblähten Trinkhalmdebatte zu behandeln. Was dabei unter den Tisch fällt, sind Abfallmengen, Energieverbrauch und Emissionen, die durch Einwegglas sowie dessen Transport und Herstellung erzeugt werden. Hier wird sich viel tun müssen und sicherlich auch tatsächlich tun, denn im Zuge eines steigenden Bewusstseins für die Lage und einer immer schärferen öffentlich geführten Diagnostik dafür, wo nicht nachhaltig gearbeitet wird, dürfte die Debatte ohnehin irgendwann beim Gastgewerbe ankommen. Erste Modelle wie EcoSpirits zeigen bereits, dass es funktionieren kann, Spirituosen in größeren Gebinden abzunehmen und in Gebrauchsflaschen umzufüllen. Einige der besten Bars kommen sowieso schon seit Jahren ohne gebrandete Flaschen aus.

Eine weitere Konsequenz einer anderen Einkaufspolitik ist zudem die inzwischen gegebene Möglichkeit, auch als Bar regionaler einzukaufen. Natürlich bedeutet „regional“ für eine Bar etwas anderes als für ein Restaurant. Aber diese Möglichkeiten gibt es. Zumal noch lange nicht absehbar ist, welche Probleme massiv eingeschränkter Rohstoffverfügbarkeiten in den kommenden Monaten und Jahren noch durch die Ukraine-Krise entstehen werden. In jedem Fall gilt es, dass man sich als Barbetreiber:in auf diese Thematik einlassen und die gewohnten Routinen hinterfragen muss. Zumal durchaus oft die Erkenntnis wartet, dass ein moderner gestaltetes, nachhaltiges und regionales Portfolio nicht zwangsläufig teurer sein muss. Wie gesagt: Dazu demnächst mehr auf MIXOLOGY Online.

#6 Dinge weglassen

Die schon beschriebene, wachsende Profilschärfe geht meist einher mit dem Abbau von Überkomplexität. Dieser Abbau wird vielen Bars in Zukunft gut tun. So universell viele Aspekte von „Bar“ international als eine Art Kodex auch sein mögen, ist es oft Zeit, sie zu hinterfragen. Und das betrifft verschiedene Bereiche.

Reduktion wurde schon beim drinks program erwähnt. Sie geht aber weiter in Form des gesamten Sortiments. Die Auswahl von fünf Tonics, 20 Rums, 40 Gins und fünf Champagnern mag aus Prestige-Sicht toll sein. Aus Sicht eines sinnvollen Sortiments ist sie das (in vielen Fällen) nicht. Viele Barbertreiber:innen berichten besonders in der letzten Zeit, dass die Verkleinerung ihrer Produktauswahl ihrer Bar viel Positives gebracht hat. Es läuft dem alten Ideal des riesigen Rückbüffets zwar zuwider – doch eine kleine, sorgfältig zusammengestellte Liste an Produkten macht oft mehr Sinn und ist überdies tatsächlich glaubhafter. Auch hier möglicher Kritik vorweggreifend: Das heißt nicht, dass eine Bar in der Zukunft keine 150 Single Malts mehr haben sollte. So eine Spezialisierung ist klasse. Aber vielleicht hat sie dann auch nur noch eine Sorte Bier und Champagner. Und gar keinen Cognac.

Das Weglassen betrifft aber auch eine weitere Sphäre, nämlich die handwerkliche Bescheidenheit und das bewusste Mindern unnötiger Komplexität in der Zubereitung von Drinks und Zutaten. 2010 konnte ein Cocktail kaum kompliziert genug sein. 2025 wird in hervorragenden Bars beinahe das Gegenteil der Fall sein: Drinks werden zwar komplex und aromatisch, aber weniger kompliziert sein. Der Grund liegt im bewussten Weglassen und Vereinfachen. So merkte Barbetreiber Andreas Schöler vor einiger Zeit im MIXOLOGY Podcast an. In seiner Bar One Trick Pony, eine der progressivsten Bars des Landes, spielt das Weglassen eine zentrale Rolle auf zwei Ebenen: Erstens bei der Frage, ob ein Cocktail eine bestimmte Zutat überhaupt braucht, zweitens bei der Suche nach der einfachsten Zubereitungsmöglichkeit. Denn nicht immer ist es der Rotationsverdampfer, der das beste Ergebnis liefert.

Am Ende ermöglicht eine fokussierte, effiziente Vorbereitungsarbeit mit guten Zutaten ein Mise-en-place, das abermals dafür sorgt, dass herausragende Drinks in kürzester Zeit geschickt werden können. Auch daran, dass zu einem Cocktail nicht immer vier, fünf oder sechs verschiedene bunte Flaschen in die Hand genommen werden müssen, werden Gäste sich gewöhnen. Bis es irgendwann normal ist.

#7 weniger Schema, mehr Zutat

Keine Angst, wir sind bald am Ende angelangt. Vorher müssen wir aber noch einmal über den Umgang mit Zutaten sprechen. Und ganz klar sagen: Die Cocktailkultur hat in ihrer Breite ein großes Problem mit einer zu schematischen Herangehensweise. Ein Beispiel?

Vor ein paar Monaten sah ich die erste Seite der Karte einer Hotelbar am Chiemsee. Darauf waren selbstbewusst mehrere „Signatures“ verzeichnet. Das Problem daran war allerdings, dass es überhaupt keine Signatures waren, man es aber in der Bar so sah. Dabei hatte man im Wesentlichen bei Drinks wie Mojito, Whiskey Sour oder Moscow Mule schlicht bayerische Spirituosen verwendet. Abgesehen davon, dass die Drinks sicherlich schmecken mögen, drängten sich jedoch zwei Vermutungen auf, die die Barszene schon lange anstellen lässt: Mit dem Begriff „Signature Cocktail“ wird viel zu inflationär umgegangen. Und es wird viel zu viel nach Schema gemixt.

Denn tatsächlich ist es so: Hätte sich das Team der erwähnten Bar wirklich Gedanken über die heimischen bayerischen Spirituosen gemacht, über deren Aroma, Geschmack und Textur, dann hätten sie sie anschließend nicht völlig unreflektiert in Drinks gekippt, die einst mit Spirituosentypen völlig anderer Stilistik entwickelt und vor allem etabliert worden sind. Stattdessen wurde mit Worthülsen und Schemata operiert, wobei ein Horizont nach dem Motto „weißer Rum = weißer Rum, egal von wo“ nicht wesentlich überschritten wurde.

Die Bar der Zukunft aber muss genau diesen Schritt weg vom Schema tun, wenn sie ihrem Anspruch genügen will. Die Kenntnis der klassischen Drinks und ihrer Gattungen ist für jede:n Bartender:in zentral, fundamental und muss im Kopf stets mitschwingen. Doch die Kenntnis darf nicht in eine Schema münden, sondern vielmehr ins Verständnis einer Funktionsweise bestimmter Drink-Architekturen.

Der Schritt weg vom Schema und hin zur Charakteristik wird – zumindest für Spitzenbars – der wichtigste next step der kommenden Jahre sein. Hin zur wirklichen Auseinandersetzung mit jeder einzelnen Zutat, mit einem Produkt, das man nicht primär als zugehörig zu einer bestimmten Kategorie begreifen darf. Ein Whisky darf Whisky sein, aber man muss ihn trotzdem als eigenständiges Produkt begreifen, bevor man ihn verarbeitet. Im Prinzip so, wie sich auch die gehobene Küche in den letzten Jahren von immer mehr einengenden Traditionen zu lösen beginnt und neue Kochphilosophien entstehen lässt – so muss auch die Bar den Weg hin zur Auseinandersetzung mit der Zutat gehen. In der Zukunft. Ab jetzt.

Credits

Foto: Nattapol Sritongcom – stock.adobe.com; Bearbeitung: Editienne

Comments (1)

  • Jonathan Keßeler

    Großartiger Artikel. Freue mich auf viele Details in den kommenden Wochen.

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