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Die Kraft der unreifen Trauben: 14 Verjus in der Blindverkostung

Verjus ist der neue Säureliebling. Ob in Cocktails oder in der Küche, der Saft unreifer Trauben – früher auch bekannt als „Agrest“ – ist vielseitig einsetzbar und legt an Popularität zu. Wir haben vierzehn Verjus in der Blindverkostung getestet und eine erstaunliche Vielfalt gefunden. Sowie einen Testsieger.

Dieser Text handelt von der Anwendung und der Aromatik von Verjus in Drinks. Deshalb bringen wir die Historie im Eilverfahren hinter uns: Verjus wurde bereits im 16. Jahrhundert im ersten, auf deutsch gedruckten Kochbuch als Agrest erwähnt. Der Saft unreifer Trauben war ein beliebtes Säuerungsmittel, bis ihn die Zitrusfrüchte mit ihrer spitzen Säure ablösten. Danach war es in unseren Breiten mehr oder weniger sehr ruhig um Verjus.

Verjus wird immer beliebter

Sein historischer Name Agrest ist auch ein guter Ansatz, sich dem Produkt in der Gegenwart zu nähern. Wenn man will, ist Verjus – überwiegend zumindest – ein „Rest“. Ein Wegwerfprodukt, oder vielmehr ein Wegschneidprodukt. Denn Verjus wird aus jenen unreifen Trauben gewonnen, die ausgelesen werden. Er wird also aus jenen Trauben gepresst, die den anderen weichen müssen, die sich am Platz in der Sonne räkeln und als Wein wiederfinden dürfen.

„Früher hat man die Trauben bei der Auslese auch einfach auf den Boden fallen lassen”, stellt Johannes Schellhorn (Bar Freundschaft) salopp fest. Jetzt tut man das immer weniger. Immer mehr Winzer produzieren Verjus, denn Verjus wird immer beliebter. Seine Renaissance begann in der Küche, wo er wegen seines Aromas und auch aufgrund seiner Histaminfreiheit als Zutat geschätzt wird; heute ist er auch als Basis von alkoholfreien Drinks wie Weinschorlen oder, natürlich, in Cocktails geschätzt. Wir haben auf MIXOLOGY Online das Thema bereits vor einiger Zeit aufgegriffen. Die Faustformel: Der Saft saurer, unreifer Trauben fungiert als Ersatz für saure Zitrusfrüchte.

Das ist einerseits richtig – greift aber andererseits viel zu kurz, wie wir beim Tasting feststellen.

Was macht Verjus aus?

Aber vorneweg die Frage an die Tester:innen. Das sind neben Wirt und Sommelier Johannes Schellhorn die Hausherrin der Green Door Bar, Maria Gorbatschova, Emmanouil Syntychakis (ebenfalls Green Door), Ruben Neideck (Velvet) und MIXOLOGY-Redakteur Stefan Adrian. Was macht Verjus aus? Was sind die Erwartungen an den sauren Frühgepressten? „Mir ist wichtig, dass das Produkt als solches erkennbar ist. Es muss traubig sein. Komplexität muss gegeben sein, der Verjus darf nicht nur eintönig sauer schmecken“, definiert Johannes Schellhorn.

Ruben Neideck ergänzt: „Für mich muss Säure da sein, Süße nicht unbedingt. Der Verjus darf keine Fehlnoten haben. Er sollte mehr bieten als bloß eine starke Zitrusspitze zu Beginn, sondern auch ein interessantes Aromenkonstrukt drumherum. Dann ist das Produkt für mich barrelevant.”

Rein in das Verjus-Tasting

Und dann geht es auch schon rein in das Tasting. Die Verjus werden pur und leicht gekühlt verkostet. Vierzehn Produkte später schnalzt das Zahnfleisch. Aber – und das ist das erste Fazit – auch die Phantasie. Denn die Vielseitigkeit des Verjus ist augenscheinlich. Verwundern sollte das eigentlich nicht: Der Saft wird aus Trauben gewonnen, und es gibt eben sehr viele Traubensorten. Diese kann man noch dazu verblenden, was bei Verjus auch häufig der Fall ist. Man kann sich leicht ausrechnen, dass sich hier unendliche Geschmacksmöglichkeiten ergeben. „Deswegen lässt sich ein Sour nicht einfach mit Verjus als Zitrusersatz übersetzen. Das Süße-Säure-Spiel im Verjus ist sehr unterschiedlich. Die aromatische Palette ist sehr groß. Das trifft auch auf Zitrus zu, aber nicht so stark wie im Fall von Verjus“, stellt Maria Gorbatschova fest.

Eine genauere Auswertung ergibt auch einen Testsieger: Relativ klar die Nase vorne hat Koegler Verjus mit 469 von 500 möglichen Punkten. Ferdinand Koegler produziert seinen Verjus bereits seit 2003. Die Tester:innen attestieren dem Verjus aus dem Rheingau eine hohe Balance, einen Duft nach Quitte und Muskateller sowie eine vollmundige, angenehme Säure. „Viel Frucht, Apfelsäure und vollmundig“, beschreibt Maria Gorbatschova.

An zweiter Stelle mit 444 Punkten landet mit dem Tement Apero ein Vertreter aus der Steiermark in Österreich. Der Verjus des Weinguts Tement besticht durch eine florale Nase, in dem das Süß-Säure Spiel sehr gut eingebunden ist, und eine klare Frucht. „Ein sehr guter Solo-Verjus“, so Johannes Schellhorn.

Dritter wird mit 422 Punkten Avaa Verjus des Organic Food Studio. Hier überzeugen leicht oxidative Noten von Sherry und Mastika in der Nase. „Eine starke Säure, eingebettet in eine vollmundige Aromenstruktur”, bewertet Ruben Neideck den Verjus des jungen Start-ups aus Berlin, das auf biologisch angebaute Trauben aus der Pfalz setzt.

Der Koegler Verjus vom gleichnamigen Weingut aus Hessen überzeugte im Blind-Tasting am stärksten
Auf Platz zwei landete der Verjus Apero des Familienweinguts Tement aus der Südsteiermark
Auch der Avaa Verjus auf Platz drei überzeugte mit einer starken Aromenstruktur

Auch ein starkes Mittelfeld

Letztlich hat aber auch die knapp dahinter liegende Gruppe allesamt Fürsprecher und zeigt die Vielfalt der Kategorie. Dazu zählen die Viniberg-Produkte des Verjus-Shop International, dessen drei Verjus-Sorten – „fruchtig“ (408 Punkte), „sauer“ (410) und „extra-sauer“ (416) – allesamt überzeugen. Auch der Verjus des Freimeisterkollektivs (412), der von Lisa Bauer in der Südsteiermark hergestellt wird, wird hoch gerankt.

Weitere Verjus in der Verkostung waren Lachinger (298 Punkte), Gsellmann (396), Heinrich (392), Umathum (379), Weninger (314) sowie zwei weitere Tement Produkte Tement rosso (413) und Tement Profumo (394).

Erwähnenswert ist, dass beim Testsieger Koegler Verjus beispielsweise auch Ascorbinsäure als Antioxidationsmittel zugesetzt wird. Denn Haltbarkeit ist bei einem Produkt wie Verjus natürlich ein wichtiges Thema. Ruben Neideck sieht daher auch kein Foulplay: „Da wir selbst in vielen Zutaten Vitamin C hinzugeben und ich dessen Wirkung schätze, stört mich das nicht. Bei Verjus kann nach dem Öffnen durch Oxidation eine starke Bräunung entstehen”, erklärt er. „Wenn die Ascorbinsäure tatsächlich in einem Maße zugesetzt worden wäre, dass sie signifikant zur eigentlichen Säurekraft beiträgt, hätten wir das erkannt. Sie ist nämlich nicht gerade das feinste Säuerungsmittel und schmeckt etwas metallisch.“

Produktspezifische Vorschriften existieren bislang nicht für Verjus, nach Lebensmittelrecht ist es ein „Produkt eigener Art“, für das die allgemeinen lebensmittelrechtlichen Vorschriften gelten. In der Herstellung wird unterschieden zwischen pasteurisierten Produkten und jenen, die durch kaltsterile Abfüllung entstehen. Der Koegler Verjus etwa ist ein Verjus der letzteren Gattung.

Den Verjus des Freimeisterkollektivs kann mal als Preis-Leistungs-Sieger des Tastings bezeichnen
Auch der „Vinberg Extra Sauer“ mit nur 3gr Zucker/100 ml wurde hoch bewertet

Weninger Verjus spaltet die Gemüter

„Ich mochte vor allem die Produkte mit leichter Oxitation. Sie hatten mehr Komplexität, da sie über diesen leichten Touch Oxidation Tiefe bekommen haben. Das spricht für dickschalige Rebsorten“, so Johannes Schellhorn. Am ehesten zeigt der Verjus des renommierten Weingut Weninger aus dem Burgenland, wie auch die Einsatzmöglichkeiten die Ansicht über Verjus prägen. In diesem unfiltrierten Verjus dominiert ein starkes Jalapeño-Aroma, mit 314 Punkten landet das Produkt auf dem vorletzten Platz. Für Schellhorn ist das Produkt schlichtweg „nicht verkehrsfähig“, Ruden Neideck findet es „sehr interessant und gar nicht unharmonisch.”

Als Mixpartner ergeben sich erste Assoziationen zu Mezcal, aber auch Holunderblüte. Preislich liegt der biodynamisch zertifizierte Demeter-Verjus jedoch bei ca. 20 Euro pro Liter. Das wirft die Frage auf: Was darf ein Verjus eigentlich für die Gastronomie kosten? Man ist sich relativ einig: maximal 12 – 15 Euro pro Liter. Hier wiederum darf man den Verjus des Freimeisterkollektivs als Preis-Leistungssieger betrachten: Er schlägt mit ca. € 5 pro Liter für die Gastronomie zu Buche.

Verjus in Cocktails auch als aromatischer Träger

„Die Tendenz geht zu balancierten Drinks mit einer feinen Aromatik. Das passt hervorragend zu Verjus. Wir haben in der Green Door Bar mehr Drinks mit Verjus als mit Zitrussäften. Man kann 4 cl davon beispielsweise mit Likör vermixen. So hat man bereits eine ausbalancierte Säure, ohne viel Zucker oder zu viel Alkohol in den Drink geben zu müssen. Trotzdem hat man viel Aroma“, so Maria Gorbatschova.

Damit wirft sie auch einen interessanten Punkt auf: Mildere Verjus eignen sich gewissermaßen auch als „Trägersubstanz“ eines Drinks; das richtige Süß-Sauer-Verhältnis eines Verjus erlaubt, ihn als Basis oder zumindest gleichberechtigt zu verwenden. Das kann Zitrus nicht unbedingt, oder kennt jemand einen Drink, in dem purer Zitronensaft den höchsten Anteil darstellt?

Gleichzeitig spielen die sehr sauren Verjus der Verkostung wieder auf der Klaviatur, auf der seine Wiederentdeckung den Anfang genommen hat: als Ersatz für Zitrusfrüchte. „Auch für uns als Bar würde es Sinn machen, komplett auf Zitrusfrüchte zu verzichten“, so Ruben Neideck über die regionale Philosophie des Velvet. „Verjus konnte diese Frage bisher nicht komplett beantworten. Nach diesem Tasting muss ich sagen: Es waren sehr saure Produkte dabei. Ich könnte mir jetzt schon eher vorstellen, dass man diese starke Zitrussäure auch komplett mit Verjus ersetzen kann.“

Vielleicht dreht Verjus den historischen Spieß zur Zitrone ja wieder um. Fakt ist: Man muss genau austarieren, welchen Verjus man für welchen Drink verwendet. Ein spannendes Feld, auf dem sich sicher noch vieles bewegen wird.

Offenlegung: Die Verjus wurden uns von den jeweiligen Herstellern bzw. Vertrieben für die Verkostung kostenlos zur Verfügung gestellt. Es wurde kein Einfluss auf die redaktionelle Bewertung genommen.

Credits

Foto: Editienne

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