„Ich möchte die Stereotypen über Shōchū aufbrechen.“
Shōchū ist der „Spirit Made in Japan“, die sogenannte „Nationalspirituose“, die eine unvergleichlich breite Geschmacks- und Aromenpalette aufweist. Erstmalig im 16. Jahrhundert schriftlich erwähnt, reicht seine Geschichte noch weiter zurück. Tatsächlich aber hat Shōchū in seiner Heimat selbst bis vor kurzem unter dem Image gelitten, eher billiger Schnaps zu sein. Erst im Zuge eines Booms Anfang der 2000er Jahre, der die Idee des richtigen, echten Shōchū wiederbelebt hat, haben viele junge Destillateure begonnen, Shōchū mit überraschendem Geschmack und Aroma herzustellen.
Shōchū in sechster Generation
Einer dieser jungen Produzenten ist Yohei Oyama. Sein Familienbetrieb befindet sich in der Präfektur Kagoshima, einem für seine Shōchū-Produktion bekannten Ort. Dort an der Südspitze auf der Satsuma-Halbinsel liegt der Ort Ibusuki, wo die Familie des heute 32-jährigen seit sechs Generation Süßkartoffel-Shōchū herstellt: Bereits seit 1875 ist der Familienbetrieb Oyama Jinhichi Shoten hier ansässig.
„Shōchū ist zwar in Izakayas zu finden, kaum jedoch in den gehobenen, in Japan als ‘Authentic Bar’ bezeichneten Bars, während dort durchaus viele japanische Whiskys im Regal stehen. Das ist ein bisschen frustrierend“, erklärt Yohei Oyama im Gespräch. „Eigentlich ist Shōchū das Nationalgetränk Japans. Insofern müsste Shōchū auch für ausländische Gäste sehr interessant sein. Wir möchten diese Stereotypen aufbrechen, dass Shōchū immer mit Wasser, warmen Wasser oder als Highball mit Soda getrunken werden soll.“
Yohei Oyama möchte Shōchū gerne für ein jüngeres – und auch weibliches Publikum – attraktiver machen, das weniger Alkohol trinkt. Studiert hat er an der Universität für Landwirtschaft in Tokio, genauer an der Fakultät für Fermentationswissenschaft . In Tokio lernte er viele unterschiedliche Spirituosen kennen, was seinen Willen, alles rund um Shōchū zu lernen und besonderen Shōchū herzustellen, nur noch bestärkte.
Damit schl0ß sich für ihn auch ein Kreis in seiner persönlichen Biographie. Denn als er zehn gewesen war, hatte sein Vater eine neue Brennerei errichtet. Aber schon kurz darauf begannen schlechte Zeiten für Shōchū, die Brennerei war einige Jahre still gelegen. „ Ich kann mich daran erinnern, wie ich als Kind immer an der neuen, weißen Brennerei vorbeilief und mich fragte, warum sie nicht benutzt wurde.“
Über den Gin an den Shōchū
Es folgte ein Boom von Premium-Shōchū, bei dem nun besondere Zutaten verwendet wurden und dessen besonderes Aroma und Geschmack durch einfache Destillation erzeugt wurden. Ein „gesundes Image“ als Getränk mit Null Kohlehydraten und „wenigen Kalorien“ sollte den Verkauf unterstützen. 2004 war die Nachfrage dann bereits so groß, dass die Zutaten knapp zu werden drohten. „Aber dieser Boom hat nachgelassen. Jetzt müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Leute ansprechen, die normalerweise keinen Shōchū in die Hand nehmen. Das ist eine Herausforderung. Da kam die Idee auf, dass Gin als Einstieg zu Shōchū dienen könnte.“
2018 hat Oyama mit seinem Gin-Projekt angefangen, im März 2019 erhielt er die Lizenz für die Spirituosenproduktion. Im September hat er seine erste Gin JIN7 Serie 00 auf den Markt gebracht. „Wir packen einzigartige Aromen, die es nur hier gibt, in eine Flasche – das war meine erste Idee. Der älteste Kräutergarten Japans, der Kaimonsanroku Kräutergarten, liegt weniger als 30 Autominuten von uns entfernt. Mit Kräutern von dort und Yuzu aus Ibusuki haben wir den ersten Gin hergestellt. Kaimonsanroku stellt normalerweise ätherische Öle her und hat eine ganz andere Fangemeinde als wir. Deshalb konnten wir darüber andere Kunden und Netzwerke gewinnen. Für die zweite Serie JIN701 haben wir mit einer in Japan Daidai genannten Zitrusfrucht aus Kagoshima destilliert. Normalerweise wird von der Daidai nur der Saft verwendet und die Schalen weggeworfen. Aber für die Gin-Herstellung sind gerade die Schalen, die reich an Aromen sind, der wichtigste Teil. Es ist ein gutes Projekt auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Abfallreduzierung.“
Aber es gibt ein kleines Dilemma. Die Manufaktur liegt an einem Ort, der als das „Hawaii Japans“ bekannt ist, in einer wunderschönen Landschaft mit Bergen, Meer und heißen Quellen. Die Zutaten sind Süßkartoffeln, Quellwasser sowie schwarze und weiße Koji-Pilze. Der Shōchū von Oyama Jinhichi Shoten hat ein starkes und einzigartiges Süßkartoffel-Aroma. Das ist die Besonderheit, aber für die Gin-Herstellung ist dies eher ein Hindernis. „Das war der Punkt, der uns die meisten Sorgen machte: Die Frage, inwieweit wir den Shōchū-Geschmack und das Aroma beibehalten sollten. Wir waren irgendwie frustriert, als wir den Basis-Shōchū für Gin wiederholt destillierten, um den Shōchū-Geschmack loszuwerden. Während Gin das Produkt sein sollte, das die Menschen dazu bringt, Shōchū kennenzulernen, waren wir absurderweise gleichzeitig damit beschäftigt, den Shōchūgeschmack zu reduzieren. Einige finden das Shōchū-Aroma im Gin zu stark, Einheimische finden, dass man es zu wenig schmeckt“, so der Erfinder.
Es gibt außerdem eine weitere spannende Zusammenarbeit mit einem „Cola-Enthusiasten“, der mit verschiedenen Gewürzen seine eigene Cola herstellt, oder Versuche mit Likören – Yohei Oyama hat dieses Jahr die Lizenz zur Herstellung erhalten, das erste Produkt soll ein Likör auf der Basis einer seltenen japanischen Cassis-Beere sein.
Die eigene Shōchū-Philosophie
Yohei Oyama schaut sich die seit langem unveränderte Herstellungsweise genau an, versucht zu verstehen warum etwas auf ein bestimmte Weise gemacht wurde und fragt sich, was man daran verändern kann. Er möchte nicht nur guten Shōchū herstellen, sondern gerne davon erzählen, warum er so gut schmeckt. „Wir verwenden für die Produktion 150 Jahre alte Tonkrüge unserer Vorfahren. Die Tonkrüge sind in die Erde eingegraben und halten so im Inneren eine konstante Temperatur. Im Vergleich zum Edelstahltank hat der Tonkrug feine Poren, die atmungsaktiv sind und dadurch die Fermentation unterstützen. Ich habe zwar an der Uni studiert aber ich glaube, dass es Geheimnisse gibt, das man nicht messen kann oder rein theoretisch verstehen kann. Das möchte ich gerne beibehalten und an die nächste Generation weitergeben.“
So hat er vor zwei Jahren einen ursprünglichen Shōchū wiederaufgelegt, Fukuizumi, ein Shōchū aus der Zeit, in der die Familie Oyama nicht hauptberuflich Shōchū herstellte. Anhand alter Notizen hat er ihn genauso produziert wie dort beschrieben, ganz ohne kontrollierte Temperaturregelung, natürlich im Tonkrug und mit grober Filtration. Der Shōchū ist trüb, hat ein starkes Süßkartoffel-Aroma und kräftiges Umami. Die Reaktionen der Kunden waren gespalten: Die einen fanden, dass er nahezu stinkt, andere waren begeistert und sagten, dass sie auf so etwas lange gewartet haben.
„Und das ist genau das, was ich wollte“, sagt Oyama. Schließlich möchte er ja Stereotypen ändern.
Credits
Foto: Oyama Jinhichi Shoten