Tobias Lindner ist angekommen, um vorerst zu bleiben
Tobias Lindner ist eine fixe Größe in der deutschen Bar-Landschaft. Im Vorjahr hat der Bonner die Made in GSA Competition gewonnen, zuvor auch bereits die Deutschland-Ausgabe der „Patrón Perfectionists“. Sein Geheimnis? Nur nicht aus der Ruhe bringen lassen. Zeit für ein Porträt des Barchefs des Stuttgarter Jigger & Spoon.
Das Finale der Made in GSA Competition 2021 fand am 15. September auf Schloss Elmau in den Bayerischen Alpen statt. Pandemiebedingt war der Wettbewerb erneut in den Herbst geschoben worden, der Vortag des Finales allerdings präsentierte sich als ein herrlicher, sonniger Tag, den die Finalist:innen entspannt bei Gin & Tonic auf der Terrasse oder im Rooftop-Pool verbrachten. Auszeit vom Dauerthema Corona mit Blick auf die Berge: Auch das war Konzept der Made in GSA 2021.
Nur einer war noch nicht dabei: Tobias Lindner. Er war im Stau stecken geblieben, irgendwo auf der Strecke zwischen Stuttgart und Klais, der nächstgelegenen Ortschaft von Schloss Elmau. Das Edel-Retreat ist eben auch nicht so einfach ausgeschildert wie jeder zweite Flughafen, aber irgendwann am Abend, kurz vor der letzten Runde in der Hotelbar, stieß Tobias Lindner doch noch dazu.
In der Ruhe liegt die Kraft
Er wirkte dabei auch nicht gehetzt; nicht etwa wie jemand, der entnervt im Stau vor sich hingeflucht hat, nach der Ankunft im Hotel auf sein Zimmer gehechtet und schnell seinen Koffer in die Ecke gerollt hat, um ein etwaiges Zuspätkommen zu kompensieren. Nein, ruhig und gelassen stand er da, orderte noch einen Drink und machte nicht den Anschein, als könne ihn etwas aus der Ruhe bringen.
Diese Ruhe, könnte man sagen, zeichnet ihn auch aus; zumindest war seine gelassene und souveräne Performance ein Grund, weswegen er am Tag darauf mit dem 1. Platz des Wettbewerbes nach Hause ging. „Meine Eltern haben bei einem späteren Besuch das Video meiner Performance gesehen. Sie hatten auch Vergleiche zu früher, und meinten, ich wirke wesentlich entspannter und ruhiger. Die Aufregung war weg. Ich denke schon, man lernt das mit der Zeit. Man weiß, dass man sich auf seine Fertigkeiten verlassen kann, sich auf sein Tempo verlassen kann. Dadurch genießt man den Augenblick mehr.“
Diese Erfahrung hatte er auch schon beim Sieg der Deutschland-Ausgabe des renommierten Wettbewerbs Patrón Perfectionists bewiesen. 2019 war das, und 2020 hätte somit für ihn im Zeichen der Aufgaben dieses Gewinns sein sollen. Aber diese Pläne wurden von Corona durchkreuzt. Statt im Banne der prominenten Tequila-Biene auf ausgedehnten Reisen durch die Gegend zu brummen, hieß es Zuhause bleiben. „Das war schwierig“, gesteht Tobias Lindner, „aber wir sind von der Patrón-Familie hervorragend unterstützt worden. Es gab jeden Sonntag ein Zoom-Meeting, ein Coaching oder eine Challenge. Man hatte das Gefühl, international mit einem Pool von Menschen vernetzt zu sein und hat sich über die jeweiligen Umstände ausgetauscht, etwa wenn Bars in Asien schon wieder aufsperren konnten, während die Lage in Südamerika noch schwierig war. Da hat man viel mitbekommen und sich auch aufgehoben gefühlt.“
Lernen kommt vom Lernen
Aufgehoben fühlt er sich ansonsten an dem Ort, an dem er seit einigen Jahren tätig ist: dem Jigger & Spoon in Stuttgart. „Ganz klassisch habe ich meine ersten Erfahrungen in einem großen Biergarten in Bonn gemacht”, so Lindner, der einen Master in Geografie sein Eigen nennt und sich somit einreiht in den langen Reigen von Bartenderinnen mit abgeschlossenem Studium, die die Arbeit hinter dem Tresen einer anderen Laufbahn vorgezogen haben. Das erste, tiefere Eintauchen in Barkultur gab es bei Sembo Amirpour im The Old Jacob, dann ging es zu Dominik Falger in die Embury Bar nach Frankfurt. „Man geht zu jemanden, der mehr kann als man selbst“, beschreibt er seine Philospohie. „Die Zeit bei Dominik war lehrreich, auch wenn sie kurz war.“
Im Jigger & Spoon, der wohl bekanntesten Bar Stuttgarts, ist er heute Barchef. „Die Hierarchien bei uns sind flach, weil wir mit Uwe Heine und Eric Bergmann zwei Geschäftsführer haben, die selbst auch im operativen Geschäft mitwirken” beschreibt Tobias Lindner. Einige neue Leute seien mittlerweile ins Team gestoßen, auf seiner Agenda stehen daher Coaching des neuen Personals oder das Implementieren von Serviceabläufen. Und natürlich auch Drinks. „Ich schreibe alles zu den neuen Signature Drinks: Woher sie kommen, woher sie ihre Namen haben, wie sie schmecken und wer die Zielgruppe sein könnte. Ich bin jemand, der Dinge gerne visualisiert und verschriftlicht.“
Dass man in der geölten Maschine Jigger & Spoon wenig dem Zufall überlässt, ist wohl bekannt. Auch Tobias Lindner tut das nicht gerne. So kam er auch zum Finale der Made in GSA mit eigenem Barwerkzeug und eigenem Lichtlein, das, unten an das Coupette-Glas geklebt, seinen Drink, den Goldenen Apfel, nochmal illumierte. Aber eben: dezent. Nicht auf dicke Hose gemacht. Sondern mit Ruhe und Gelassenheit. Und mit einer klaren Botschaft in diesen fordernden Pandemiezeiten, in der die Gastronomie und Barkultur schwer zu leiden haben: „Egal ob vor oder hinter dem Tresen, Bar ist elementar.“
In Stuttgart angekommen. Vorerst.
Bar wird bei ihm auch auf absehbare Zeit elementar bleiben – und das für den Vollblut-Bartender weiterhin ganz klar hinter dem Tresen. „Internationale Metropolen wie London oder Mexico City würden mich noch reizen, aber auch aus den Erfahrungen der letzten beiden Jahre sage ich: lieber kurzfristige Ziele setzen, bei denen man sicher sein kann, dass man sie auch schafft. Dann kann man immer noch weiterdenken und träumen“, so der 34-Jährige, der aber eines ganz klar feststellt: „Erstmal bin ich hier in Stuttgart gut aufgehoben.“
Eben. Bloß keine Hektik. Immer mit der Ruhe.
Credits
Foto: Leo Dörfler (Aufmacher und Porträtbild 1)