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Wie Bars in der Schweiz mit den Corona-Lockerungen umgehen

Seit dem 11. Mai dürfen Schweizer Bars wieder öffnen. Ohne Mundschutzpflicht, aber mit einer Zwei-Meter-Abstandsregelung. Wir haben uns zwischen Basel und Zürich umgehört und erste Eindrücke gesammelt. Manche begrüßen die Lockerungen, für andere bleiben die Bedingungen ein wirtschaftlicher „Selbstmord auf Raten“.

Das Schutzkonzept der Gastro Suisse, Sprachrohr eidgenössischer Anbieter gastronomischer Dienstleistungen, sieht neben Hygienemaßnahmen, verbotenen Stehplätzen, keiner Vermischung der Gäste, Sperrstunde um Mitternacht und der Platzierung auf Vierer-Tischen das Einhalten eines Zwei-Meter-Abstandes als oberstes Gebot.

„Zu diesen Bedingungen könnten wir drei Tische à vier Personen anbieten und müssten zu zweit arbeiten. Das ist Selbstmord auf Raten“, sagt Roger Grüter von der Basler Bar Angels’ Share. Die kleine Bar, die bei den letzten MIXOLOGY Bar Awards zur Bar des Jahres 2020 gekürt wurde, bleibt weiterhin geschlossen, ihre Zukunft ungewiss. „Wir haben bisher in jedem Jahr zugelegt, durch die Auszeichnung zur Bar des Jahres sind die Umsätze sogar noch gestiegen. Es wäre schade, wenn wir gerade jetzt die Bar schließen müssten“, bedauert Roger.

Mit einer Pop-Up-Bar in einem benachbarten Restaurant und dem Sommerlokal Quarterdeck am Hafen versucht die Bar, sich über Wasser zu halten. Denn die normalerweise in der Frühlingssaison angelegten Reserven fallen diesen Sommer aus. Wenn es zukünftig weitergeht, steuert das Angels’ Share auf triste Jahre zu: Kreditraten müssen zurückgezahlt werden, Investitionen bleiben daher aus. Trübsal blasen aber ist in der Feldbergstraße nicht angesagt. Während der Krisenzeit hat das Team in Zusammenarbeit mit zwei befreundeten, ebenfalls krisengebeutelten Unternehmen einen Cocktail-Bildband über hauseigene Drinks und Geschichten kreiert, der via Crowdfunding finanziert werden soll. Der Erlös wird gedrittelt und soll die nächsten Mieten für die Bar sichern.

Das Angels' Share in Basel: Crowdfunding statt Cocktails

Solo in Solothurn

In Solothurn nordwestlich von Zürich haben sich angesichts der auferlegten Hygienemaßnahmen und ihrer Umsetzung einige Bars am Landhausquai zu einer späteren Wiedereröffnung erst am 18. Mai entschlossen. Für das The Dock bedeutet das: Es ist noch immer zu.

„Ich würde viel lieber aufmachen, aber abgesehen davon, dass eine Bar mit Vierer-Tischen, ohne Gäste-Vermischung und ohne Stehplätze keinen Spaß macht, rentiert sie sich in keiner Weise“, sagt Markus Moerler, dessen Bar „zu normalen Zeiten mit prallem Leben gefüllt ist“. Durch die Platzanweisung, Instruktionen über den Corona-Knigge, laufende Desinfektionsaktionen wie das Reinigen der Barkarte und durch den Mindestabstand längere Wege würden zudem die Arbeitsabläufe intensiviert.

„Im Normalfall stehen bis zu 100 Leute und durchmischen sich. Jetzt könnten wir nur 24 Sitzplätze anbieten“, so Bar-Mitbesitzer Moerler, der lieber auf den Fall der Zwei-Meter-Regelung wartet. „Weil es kurzfristig keinen Sinn macht, die bisherige Bar-Philosophie über den Haufen zu werfen.“ Eine Mitglieder-Online-Befragung der Gastro Suisse in der ersten Woche der gastronomischen Wiederöffnung habe ergeben, dass rund 90 Prozent der Betriebe einen Verlust und weitaus mehr als die Hälfte weniger an Umsätzen als im Vergleichszeitraum des Vorjahres erwarteten. Dies bestätigt Moerlers Beschluss.

Auch die Kronenhalle in Zürich bleibt zu

„Durch die Auflagen könnten wir nur zwölf Gäste platzieren und mit zwei Mitarbeitern unseren gewohnten Service gewährleisten. Das rentiert sich nicht“, vermeldet der Bar-Manager der Kronenhalle Bar, Christian Heiss, aus Südtirol, der nun so viel gemeinsame Zeit mit meiner Frau verbringe „wie in den letzten 18 Jahren nicht“.

Erst bei weiteren Lockerungen wird sich der Beschluss der Kronenhalle ändern. Die Generalreinigung der kleinen Kunsthalle mit Rauschenberg, Picasso oder Miró und deckenhoher Mahagoni-Vertäfelung wurde vorgezogen, die neue Barkarte befindet sich bereits in Produktion. In der Zwischenzeit kreiert ein Bar-Mitarbeiter von Donnerstag bis Samstag die Cocktails für Restaurant-Gäste. „Wann werden wir es wieder erleben, knackevoll und im Stress zu sein?“, sehnt Heiss sich nach Berufsleidenschaft: die Lebendigkeit in der Bar, das Wohlwollen, Lachen und Spüren des Gastes: „Die menschlichen Werte, für die wir stehen“.

Die Tales Bar hadert mit den Öffnungszeiten

Auch in der Tales Bar wurde während der Schließung gepinselt, erneuert, repariert und eine neue Barkarte verfasst. Seit 11. Mai stehen aber nur 22 Stühle zur Verfügung. Die jetzt im Vergleich zum gewohnten, interaktiven und dynamischen Bar-Geschehen sowie einem Umsatzhoch nach Mitternacht gesetzte Bar-Atmosphäre betrachtet Wolfgang Bogner so: „Eigentlich ist es schön so zu arbeiten. Wenn ich nur so auch Geld verdienen könnte“.

Die Öffnungszeiten von 18 bis 24 Uhr seien das Schlimmste, was passieren konnte, weil gerade im Sommer der meiste Umsatz zwischen 24 und 3 Uhr morgens generiert werde. Trübsal blasen hat auch hier keine Chance. Die Tales Bar will das Beste aus der Situation machen, abwarten und vor allem realistisch bleiben. „Die letzten fünf Jahre, in denen auch die Bar-Szene explodiert ist, waren fette Jahre und wir haben viel Glück zur Seite gepackt. Jetzt fangen wir bei Null wieder an. Damals habe ich Schulden gemacht, weil ich wusste, sie zurückzahlen zu können. Doch in dieser Situation fehlt mir die Überzeugung, und es gibt kein einschätzbares Risiko.“ In ein Schuldenverderben will er daher nicht rennen. „Lieber zusperren ohne Schulden“, sagt Wolfgang Bogner, der bald wieder Nachwuchs erwartet. „Es gibt auch gute Nachrichten“, freut er sich.

Wolfgang Mayer und sein Team der Widder Bar
Martin Bornemann mit hauseigenem Werk-8-Mundschutz

Widder Bar: Voll, aber nicht so voll, wie sie sein könnte

Gemeinsam mit Wolfgang Bogner und zwei weiteren Kollegen hat Wolfgang Mayer, Bar-Manager der Zürcher Widder Bar, auch über ein zukünftiges, Corona geschuldetes Reservierungstool nachgedacht. Dieses soll Gästen einen freien Platz in einer Bar vermitteln. Durch die reduzierte Bestuhlung sei jede Bar gleich voll, weil Gäste-Vermischung an den Vierer-Tischen nicht erlaubt ist.

„Gäste und auch Stammgäste mussten Wartezeit am Eingang mitbringen, viele auch weggeschickt werden“, erzählt Wolfgang Mayer, der erholt und wie sein Team höchst motiviert an den aus Abstandsgründen von den Barhockern befreiten Tresen ohne Live-Piano-Musik zurückgekehrt ist. „Die Bar ist voll, aber nicht so voll wie sie sein könnte. Das tut weh und lässt unsere typische Bar-Atmosphäre nicht aufkommen“, sagt Mayer. Erfreulich sei die Bestehen gebliebene Trink-, und Champagnerlaune vieler Gäste, deren Garderobe nicht angefasst werden darf und die über alle Maßnahmen instruiert werden müssen. „Wir dürfen auch nichts annehmen, nicht mal ein Handy, das aufgeladen werden will“, beschreibt Mayer die klinische Situation.

Mit Mundschutz im Werk 8

Das Tragen von Mundschutz ist in der Schweiz nicht verpflichtend, nur angeraten. Das Werk-8-Team trägt sie jedoch zum Sicherheitsgefühl der Gäste. „Das Ergebnis unserer Gästebefragung, ob wir Masken tragen sollen oder nicht, hat 50-50 ergeben. Eigentlich wäre uns das Contra lieber gewesen“, gesteht Bar-Manager Martin Bornemann.

Nun bleiben die Mundschutze auf, mit dem eigenen Bar-Logo versehen. Bei einer Größe von 800 Quadratmetern lässt sich die Zwei-Meter-Regelung leichter umsetzen, aufgrund fehlender Rentabilität ist das Modell aber auch hier keine langfristige Lösung. Schließlich ist man auf die Hälfte der Sitzgelegenheiten reduziert. Die in der Schweiz gesicherte Kurzarbeit bietet eine gute Absicherung der Mitarbeiter, die einkommensstarken, dieses Mal verlorenen Frühlingsmonate spürt aber auch das große Werk 8. Betriebsferien fallen in diesem Sommer aus. „Weil viele Menschen Ferien im eigenen Land machen und so die Gastronomie beleben“, schildert Bornemann, der derzeit zumindest glückliche Gäste empfängt. „Ich dachte, es wäre verhaltener, aber man merkt das starke Grundbedürfnis auszugehen, sich zu amüsieren und den Wunsch nach der Rückkehr zu einem normalen, sozialen Leben“.

Die fehlenden Barhocker am langen Tresen und die Rahmenbedingungen verzerrten zwar die angestammte Bar-Atmosphäre. „Aber die Stimmung war durchaus gut“, freut sich Bornemann, der die Bar-Agenden im August an Georg Häussler abtreten wird. Bornemann und sein Kollege Norbu Tsering wagen mit der gerade entstehenden „Herz“-Bar den Schritt in die gemeinsame Selbstständigkeit, aber das steht auf einem anderen Blatt.

Les Trois Rois: Einfach aufsperren reicht nicht

Das Fernbleiben internationaler Business-Gäste, der Pharmadelegationen in Basel, der Ausfall von Messen und Kongressen oder fehlende Gäste aus Amerika oder Asien haben tragische Auswirkungen auf die Städte-Hotellerie, die nicht von nationalen, lokalen Gästen lebt. Das spürt auch das Basler Fünfsterne-Haus Les Trois Rois am Rhein, das erst am 3. Juni den Hotel- und Barbetrieb wieder aufnimmt. Die Brasserie hat bereits geöffnet. „Es reicht nicht, die Türen einfach nur aufzumachen“, sagt Hotelbar-Manager Thomas Huhn.

Eine hohe Mitarbeiter-Verantwortung und viele Überlegungen fließen in die Wiedereröffnungsphase. Überlegungen zu effizienteren Arbeits- und Kommunikationsstrukturen auf vielen Ebenen und in allen Bereichen, zu neuen Meeting- oder Schulungsabläufen, einer engeren Zusammenarbeit zwischen F&B, Restaurant und Bar, aber auch zu digitalen Tasting-Optionen.

Tendenz wie überall: der lokale Markt ist wichtig

Für den Hotelbetrieb werde es zudem noch wichtiger, den lokalen Markt zu fokussieren, attraktiv für Gäste aus dem Dreiländereck und für Kurzurlaube zu sein. Am 3. Juni startet das Barteam mit kompletter Mannschaft von 11 bis 24 Uhr, drei Stunden weniger als zuvor. Wie gewohnt mit Day Drinking, Apéros, Afternoon Teatime oder Signature Cocktails, die alle ein großes ganzes Stück Barkultur ergeben, von Hotelgästen neben 80 Prozent lokaler Gäste trotz der Zwei-Meter-Regelung geschätzt werden können.

„Wir bleiben positiv, auch wenn die Situation alles andere als positiv ist“, sagt Thomas Huhn. Die nächste Ansage des Schweizer Bundesrates über mögliche weitere Lockerungen steht kurz bevor – ein Hoffnungsschimmer für die (Eid-)Genossen der liquiden Handwerkskunst.

Credits

Foto: Editienne

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