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Bars in Österreich nach dem Reboot: Hoffnungsvoll, aber alles andere als euphorisch

Seit dem 15. Mai kehren Bars in Österreich in eine „neue Normalität“ zurück. Strenge Hygiene- und Abstandsregeln sowie verkürzte Öffnungszeiten vereiteln gewohnte Bar-Atmosphäre. MIXOLOGY mit einem ersten Rundblick und einer Einschätzung der Stimmungslage nach dem Reboot.

Tirol mit dem bekannten Skiort Ischgl als Corona-Epizentrum wurde als erstes österreichisches Bundesland unter Quarantäne gestellt, Mitte März in ganz Österreich eine Ausgangssperre verhängt. Systemrelevante Einrichtungen blieben geöffnet, alles andere geschlossen. Um ihre Wohnung zu verlassen zu können, brauchten Herr und Frau Österreicher einen gar triftigen Grund.

Nach den Osterferien kamen die ersten Lockerungsmaßnahmen, beispielsweise mit der Öffnung der Baumärkte, gefolgt von Friseuren und Einkaufsläden. Seither versucht die Alpenrepublik, einem normalen Leben beizukommen. Restaurants und Lokale sind seit 15. Mai geöffnet, die Hotellerie darf ab 29. Mai ihre Pforten öffnen. Allerdings und wie vielerorts vorerst nur für nationale Gäste, bis eine gänzliche Grenzöffnung am 15. Juni eintreten soll.

Das österreichische Wirtshauspaket

Um der krisengebeutelten Gastronomie unter die Arme zu greifen, hat die österreichische Regierung ein Wirtshauspaket in Höhe von 500 Millionen Euro geschnürt. Inbegriffen darin sind der Wegfall der umstrittenen Schaumweinsteuer, die Senkung der Steuer auf antialkoholische Getränke auf zehn Prozent, oder Gastro-Gutscheine mit 25 Euro für einen Single bzw. 50 Euro für einen Mehrpersonen-Haushalt. Die beliebten Wiener Buschenschanken dürfen, anders als bisher, bis Jahresende täglich geöffnet haben. Ein Hilfspaket, das der vielgelobten österreichischen Wirtshaus-, Kaffee- und Winzerkultur zu Gute kommen soll.

Anders als in Deutschland dürfen sich in Österreich auch Bars glücklich schätzen und seit dem 15. Mai wieder Gäste empfangen; anders etwa als im Gastro- und Barkultur-Hotspot Berlin, wo Barbetreiber vergebens auf Mitsprache, Anerkennung, Mitwirkung und grünes Licht warten. Doch wie ist die Stimmung unter österreichischen Barbetreibern angesichts strenger Hygiene- und Abstandsregeln, einer durch die Abstandsregeln minimierten Gästeanzahl und Maskenpflicht? Und wie wirkt sich diese neue Normalität auf die Bar-Atmosphäre oder den Umsatz aus?

Das Team der Tür 7, Wien

Um jeden Gast intensiv kümmern

„Wir sind motiviert und froh, wieder offen zu haben“, so der grundsätzliche Tenor, den die Wiener Community in einem Video-Clip auch zum Ausdruck brachte. Doch ganz so rosig ist es nicht.

„Die Zeit, die wir verloren haben, können wir nicht mehr aufholen“, ist Gerald Tsai von der Wiener Bar Tür 7 sicher. Angesichts des nahenden Sommers „fallen wir von einem Loch ins andere“, sagt Tsai, der seit 15. Mai mit seiner bisherigen Öffnungszeit von 21 Uhr nur noch zwei Stunden pro Nacht geöffnet hat, eindeutig weniger Umsatz erzielt, in diesem Sommer Urlaub in der Bar machen und auf größere Anschaffungen verzichten wird. „Wir müssen alle einsparen, vielleicht brauchen wir das Geld noch.“ Klagen möchte er aber nicht und sich um jeden Gast weiterhin intensiv kümmern. „Wir sind gut besucht, müssen an unserem Konzept nichts ändern und freuen uns über viele Stammgäste“, sagt der erfahrende Barbetreiber, der mit einem Konvolut an weiteren, zukünftigen Lockerungen auf die verlängerte Sperrstunde hofft.

Seine im Rahmen der Vienna Bar Community aufgrund unser der Isolation initiierten Montags-Zoom-Meetings mit Mitstreitern aus dem In- und Ausland erfahren derzeit gerade Lockerungen. „Der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen war immens wichtig und hilfreich, aber jetzt haben die Bars wieder geöffnet.“

Stammkunden helfen Bars in Österreich

„Über großes Glück mit Stammkunden“ freut sich auch Le Cru, ein Hybrid aus Handel, Verkostung und Champagner-Bar im Herzen der Wiener Innenstadt. Als Champagner-Händler wie Verkostungstreffpunkt ist das Haus indirekt vom Wirtshauspaket tangiert, weil sich der Wegfall der Sektsteuer positiv auf den Konsumenten auswirkt. Während des Lockdowns wurde virtuell in Produkt-reduzierten Tasting-Workshops fachgesimpelt und genossen.

Jetzt dürfen maximal sechs Personen Winzer-Champagner-Stile im Le Cru verkosten oder beraten werden. „Die Genuss-Atmosphäre fällt weg, aber die Gäste haben keine Lust, den Kopf in den Sand zu stecken und wollen raus“, findet Geschäftsleiter Julian Dittmann und bleibt optimistisch wie hoffnungsvoll auf weitere Lockerungen.

Kan Zuo wird weiter einen Cocktail-Lieferdienst betreiben

The Sign Lounge: Gäste handeln verantwortlich

Die im Rahmen des Wirtshauspakets veranlasste Senkung der Steuern auf antialkoholische Getränke bezieht sich sinngemäß nicht auf Wein, Bier und Spirituosen und greift infolgedessen gerade in kleinen Betrieben und Bars nicht. „Das wirkt sich bei kleinen Betrieben nicht aus. Genauso wenig die Schaumweinsteuer, die schon längst hätte fallen können. Die Gewinnspanne liegt bei alkoholischen Getränken“, sagt Kan Zuo von der Wiener Bar The Sign Lounge.

Die Reduzierung der Lohnnebenkosten wie des Krankenversicherungsbeitrages im 13. und 14. Monatsgehalt wäre für ihn grundsätzlich eine hilfreichere Maßnahme. Zu Shutdown-Beginn hat Zuo nach Voraus-Finanzierung zwei Mitarbeiter auf Kurzarbeit geschickt und mit der Zustellung von Cocktails den Betrieb gehalten. „Es war mir wichtig, die Mitarbeiter zu halten, um dann mit dem gleichen Team weiterzuarbeiten, damit niemand den Faden verliert“.

Nun geht es weiter, mit Mundschutz, Abstand, Platzanweisung, Instruktionen zum Corona-Knigge, folierten Karten oder Barkarten mit QR-Code, jeden Tag von 17 Uhr bis zur österreichweiten Sperrstunde um 23 Uhr. Mit ihrer Größe kann The Sign Lounge erforderliche Abstände besser als kleinere Bars regeln. „Aber die Atmosphäre ist nicht die gleiche wie vorher, und auch die Umsätze sind unvergleichbar. Die Gäst zeigen sich jedoch sehr dankbar, spendabel und haben sich selbstverantwortlich an die Auflagen gehalten“, berichtet Kan Zuo, der trotz allem seine positive, motivierte Grundeinstellung behalten hat. „Ich bin zufrieden, wie wir mit dieser herausfordernden Veränderung umgehen und kreativ sind. Kreativität und jahrelange Erfahrung sind unser unsichtbares Vermögen“, sagt der mehrfach prämierte Barbetreiber, der auch eine Veränderung im Konsumentenverhalten sieht.

Er glaubt an den Markt der Cocktail-Zulieferung und wird diese zukünftig mit anderen Drinks als in der Bar weiterführen: „Um nicht als Zusteller-Lokal abgestempelt zu werden“. Zudem biete sich diese Methode gerade an, weil Bars direkt Richtung Sommer manövrieren und niemand in die Glaskugel blicken kann.

Sommer ohne Außenbereich wird lange

Kleine Bars leiden immens unter Corona bedingten Auflagen. „Wir sind ein kleines, Winter- und kein Sommerlokal, dessen Herzstück die Bar ist. Nun müssen wir uns neu erfinden“, beschreibt Gilles Reuter die Wiener Bar Die Parfümerie. Die Bar lebt von guter Stimmung, Andrang, Ausgiebigkeit und viel Zwischenmenschlichkeit, Flirts und einzigartigen Drinks – wie eine Bar eben sein soll. „Derzeit ist das Bar-Feeling sehr verzerrt“, sagt der Bartender, der seine Gäste neben regelmäßigen Desinfektionsmaßnahmen und Abstandshinweisen ehrlich motiviert bei Laune halten will.

Rund 50 Sitzplätze sind es normalerweise, die belegt sind und von weiteren Stehgästen umringt werden. Nun darf niemand mehr stehen, und der Abstand verpflichtet zu einer minimierten Gästeschar. „Wir verlieren derzeit rund 50 Prozent der Sitzplätze“, sagt Gilles, der als Barbetreiber auch für die Einhaltung der Maßnahmen im sowie vor dem Lokal verantwortlich zeichnet. Die Umsätze seien wohl okay, aber nur, weil die Parfümerie an drei und vielleicht bald vier geöffneten Tagen weniger Personal hat. „Aber wie lange hält das an?“, fragt er und fürchtet einen sehr langen Sommer – und ein Sommer ohne Außenbereich fühlt sich ewig an.

Für seine neu geplante Bar auf dem Vorplatz zum nahe gelegenen Wolfgang Coffee warten Reuter und sein Kollege auf die Magistrats-Begehung, die freundlicherweise von 27. Juni auf 24. Juni verlegt worden ist. „Dann wartet man 14 Tage auf den Bescheid und so weiter. Wenn alles blöd kommt, kann ich erst im August aufmachen. Es heißt, es werde den Gastronomen leichter gemacht, aber so?“ Nach Dienstschluss werden noch Cocktails ausgeliefert, um über die Runden zu kommen, viele Produkte selbst hergestellt und alternative, kleine Destillerien an Bord geholt.

Das umgebaute Liquid Diary in Innsbruck

Liquid Diary: Motorradfahrer hinter dem Visier

Weil niemand sicher weiß, wie es weitergeht, wird allerorts auch im Einkauf gespart, mit Geld und Investitionen vorsichtig umgegangen. „Wir können die Lager nicht vollmagazinieren und dann vieles wegschmeißen, wir warten mit der Waren-Bestellung“, sagt Damir Bušić, Besitzer des Liquid Diary in Innsbruck. Während des Lockdowns hat er die Bar restauriert, ausgemistet, repariert und die handgeschriebene Barkarte „Unser Tagebuch“ coronatauglich reduziert und laminiert.

In der Hoffnung, annähernd einen ähnlichen Umsatz wie vorher zu erzielen, ist die Bar nun von 16 bis 23 Uhr anstatt von 17 bis circa 1 Uhr nachts geöffnet. „Das ist jedoch definitiv nicht so“, schildert der Cocktail-Barbetreiber, der die Hälfte der Gäste nicht platzieren kann. Die Pacht für die 32 Quadratmeter große Terrasse ist zwar nun kostenfrei gestellt, kann aber nicht vollends besetzt werden. Plexiglas-Scheiben grenzen die Gäste seitlich von der Bar ab, der Umsatz reduziert sich auf die Hälfte, und durch die Platzanweisung ist mehr zu tun. Rücklagen konnten die Bušićs während der letzten zwei Jahre nicht anhäufen. Die beiden Bar-Mitarbeiter mussten wegen fehlender Vorauszahlungsmittel einvernehmlich gekündigt werden. „Wir müssen die Wiedereinstellung abwarten“, so Damir Bušić, dessen Mimik hinter der Gesichtsmaske versteckt bleibt. Wie ein Motorradfahrer hinter dem Visier fühle er sich. Derzeit tüftelt der Barbetreiber auch an einem Cocktail-Liefer-Konzept: „Drinks at home, die mit einem unserer Jungs gemixt werden sollen.“

Bar in Österreich nach dem Reboot: Mehr heimische Frucht

Durch den Shutdown habe es an karibischen Früchten wie Ananas gemangelt. Heimische Früchte gab es aber. Mit dem Fokus auf regionale und saisonale Früchte wie Kirschen, Tiroler Gebirgskräuter und Pflanzen sieht Damir Bušić diesen Gesichtspunkt positiv: „Jetzt muss ich mir den Mund nicht mehr fusselig reden, wenn es bei uns im Winter keinen Frozen Strawberry Daiquiri gibt“.

Credits

Foto: Gilles Reuter / Die Parfümerie

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