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Warum sich Bars weiter neu erfinden müssen

Die ersten Lockerungen für die Gastronomie betreffen Restaurants. Wer nur Alkohol ausschenkt, schaut weiter durch die Finger. Bars müssen sich weiter adaptieren und neu erfinden. Sei es durch neue Konzepte und Winkelzüge auf dem Corona-Schachbrett. Denn: Es gibt kein „vor“ und „nach“ Corona, sondern nur ein „mit“ Corona.

Allmählich kommt wieder Leben in die Gastronomie. Oder vielmehr: In das platte Schlauchboot wird zaghaft Luft gepumpt. Die gelockerten Auflagen betreffen jedoch ausschließlich Restaurants und Speiselokale. Also Orte, in denen Speisen angeboten werden. Bars (sowie Clubs) bleiben weiterhin geschlossen. Das bedeutet: Wer Essen anbietet, hat bessere Karten. Und: Wer eine Außengastronomie sein Eigen nennt, hat ein Ass im Ärmel.

Im Umkehrschluss heißt das auch: Bars sind nicht das Ass, sondern das Aas. Sie müssen sich weiterhin neu aufstellen, sich transformieren und anpassen. Und sie tun es. Mit Lieferdiensten und To-Go-Verkaufsfenstern haben viele ohnehin rasch auf die Schließungen reagiert. Die Entwicklungen zeigen jedoch: Für Bars wird es umso wichtiger sein, sich auf ein Spiel auf Zeit einzurichten. Denn dieses Match wird noch eine Weile dauern.

Außerdem werden die Tresen nicht gestürmt werden, sollten irgendwann die Bestimmungen auch für Bars gelockert werden. Abstandsregeln werden einzuhalten sein. Gastronomie mit Mundschutzregeln wird sich anfühlen wie ein Laborbesuch. Nicht jeder will seine Kontaktdaten bei Reservierungspflicht gespeichert wissen. Covid-19 wird den Menschen in den Knochen und im Unterbewusstsein stecken, ob sie wollen oder nicht. Hat der in der hinteren Ecke des Ladens soeben genießt? Vielleicht gehen wir doch lieber. Die Brieftaschen sitzen nicht mehr so locker. Und: Auf Bars wartet direkt das Sommerloch.

Bars neu erfinden: Ein Blick ins Gaststättenrecht

Bar-Restaurants haben dabei einen Vorteil: Sie sind jetzt Restaurants, die Drinks verkaufen. Bars wie das Little Link oder die Fabelei verkünden, dass sie in Kürze wieder öffnen werden. Volker Seibert zitiert erleichtert auf Instagram ein Schreiben der Stadt Köln: „Da es sich bei Ihrer Gaststätten um eine Schank- und Speisewirtschaft ohne besondere Betriebseigentümlichkeiten [handelt], fallen Sie unter § 14 der CoronaSchVO.“

Was aber machen Bars, die bis auf eine Schale Erdnüsse nichts zu beißen da haben? Joerg Meyer hat seinen Gin Basil Smash öffentlichkeitswirksam an der Seite von Tim Mälzer zur Cocktailspeise bzw. Kaltschale erklärt; es war eine Reaktion auf die Tatsache, dass die staatliche Reduzierung der Umsatzsteuer für die Gastronomie von 19% auf 7% nur für Speisen gilt, nicht jedoch für Getränke.

Das hatte einen parodistischen Faktor, kann es aber auch Teil der Lösung sein? Wie rasch können – und sollten – ­sich Bars in Restaurants verwandeln? „Im Gaststättenrecht wird nicht unterschieden zwischen Bar und Restaurant“, gibt zumindest die IHK Berlin bei einem Anruf Auskunft. „Unternehmer können die Änderung bei ihrer Gewerbeanzeige nachmelden, ob online oder schriftlich. Möglicherweise muss das Lebensmittelaufsichtsamt noch die Küche abnehmen.“

Wie man aber hinzufügt, wird im Moment alles mit heißer Nadel gestrickt, die sprichwörtliche Tinte unter den Verordnungen ist noch nicht trocken. Was aber stimmt: „Es gelten die jeweiligen Verordnungen der einzelnen Bundesländer, was Restaurants erfüllen müssen im Zuge der Lockerungen. Vielleicht heißt es dann beispielsweise: Als Restaurant gilt, wer ein Angebot von zehn warmen Speisen hat.“

Speisen: kalt, warm, selbst zubereitet

In Brandenburg fällt unter die Definition eines selbstgemachten Essens beispielsweise bereits eine „aufgewärmte (!) Bockwurst“, wie am Montag zu aller Überraschung verkündet wurde. Susanne Baró Fernández, Betreiberin des Timber Doodle in Berlin, sieht trotzdem grundsätzliche Risiken, wenn sich eine Bar zu rasch zum Restaurant wandelt: „Die Idee einer Transformation zur Küche ist generell gut. Es gibt aber Hürden. Das Gewerbeamt und auch die Vermieter müssen mitspielen, letztere müssen den Businessplan absegnen. Es gibt einige bauliche Voraussetzungen, wie beispielsweise einen gefliesten Boden in der Küche“, so die Betreiberin des Timber Doodle, die selbst ein Hygienekonzept für Lockerungen für Bars an den Berliner Senat geschickt hatte.

Aber grundsätzlich könnte man als Bar schon in die Liga der „selbst zubereiteten“ Speisen vordringen, in der die Restaurants bereits spielen. Wer nur Kaltspeisen wie Tapas anbietet, muss sich auch um Geruchsbelästigung keinen Kopf zerbrechen. Wenn man Wurst und Käse anbietet, kann man daraus fünf verschiedene Platten machen. Kurzum: Alles ein bisschen Speise-lastiger aussehen lassen als es ist. Aber wie so vieles im Augenblick, liegt das Ganze im Graubereich sowie im eigenen Ermessen.

„Nur das Recht zu biegen, hilft uns aber nicht. Bei einer Strafanzeige durch das Ordnungsamt kann man bis zu 25.000 Euro aufgebrummt bekommen. Und vielleicht verbaut man sich durch das neue Speiseangebot sogar künftige Entschädigungszahlungen“, meint zumindest Baró Fernández weiter.

Außenbereich als Lebensader

Wer Glück hat, gräbt sogar eine alte, verstaubte Speisekonzession aus, wie es die Newton Bar in Berlin gemacht hat. Man sollte jedenfalls bedenken: Niemand weiß, was kommt in einer Zeit, in der täglich Neues vermeldet wird. Zumindest die Stadt Berlin denkt darüber nach, den Zugang sowie den Platz zur Außenbestuhlung etwas zu lockern und Straßen und Parkplätze für die Gastronomie mit einzubiehen. Auch das könnte ein Anreiz für Bars sein, das Konzept anzupassen. Denn eines ist ebenfalls klar: Der Sommer wird draußen stattfinden. Dort, wo das geringste Infektionsrisiko besteht. Erst recht nach einem Frühling, den viele Menschen gezwungenermaßen großteils in ihrer Wohnung verbringen mussten. Eine schlangestehende, mundschutzerprobte Öffentlichkeit ist auch bereit, sich in der Gastronomie anders zu verhalten. Anders zu konsumieren.

Und sie muss es auch.

„Unsere Außenbestuhlung wird unsere Lebensader sein, zumindest zu Beginn“, sagt auch Craig Judkins vom Electric Eel in Karlsruhe. „Vielleicht müssen wir Geld für die Plätze verlangen, etwa in Form einer Mindestsumme, die man konsumiert. Vielleicht erlauben wir erstmals seit unserem Bestehen auch Reservierungen. Es wird eine stärkerer Wettbewerb unter den Gästen geben, einen Platz zu bekommen, da insgesamt weniger Belegung erlaubt ist.“

Die Bar muss zum Gast kommen

Und wenn der Gast nicht zu einem kommen kann, weil das Angebot eingeschränkt ist und er nicht bei jedem Gang zur Toilette die Maske hochschieben oder nicht wieder mit der Nase gegen eine Plexiglasscheibe laufen will – dann muss man selbst zum Gast kommen.

In Stuttgart hat das Le Petit Coq eine Traveling Bar eingerichtet. Es ist eine mobile Bar, die sich im Handumdrehen überall aufbauen lässt. Vor allem ist sie nicht als reines Übergangsvehikel gedacht: Sie soll auch in der Zeit nach Corona in Einsatz bleiben – wann auch immer das ist. Und wie auch immer das aussehen wird. „Die Lockerungen bedeuten, dass wir nur über sehr wenige Plätze verfügen, wir haben aber ein hohes Maß an Kosten und Aufwand. Das wollen wir abfangen“, so Le-Petit-Coq-Geschäftsführer Ferro F. Ceylan. „Dieses neue Konzept wird auch in Zukunft weiter fortgeführt, unabhängig wie es mit Corona weitergeht.“

Den Ort neu denken, Bars neu erfinden

Was Bars in jedem Fall sollten: Sich von der Vorstellung lösen, dass ihr Geschäft am Tresen, den sie so lieben, in absehbarer Zukunft so laufen wird wie zuvor. Die geliebte Cocktailstube muss also auch als Raum mit anderen Augen begriffen werden. Vielleicht gibt es Dinge, von denen man nicht weiß, wie sie aussehen oder was daraus entstehen kann. Im US-amerikanischen Portland hat mit dem Clyde Common etwa ein prominenter Name verkündet, dass man sich verwandeln wird. Das Bar-Restaurant ist Pionier der US-amerikanischen Craft-Cocktailszene und wurde durch das Wirken von Barchef Jeffrey Morgenthaler ein internationaler Vorzeigewagen. Gezwungenermaßen werden die Felgen aber jetzt abgeschraubt.

„Wir verwandeln den Ort in einen Lebensmittelmarkt und verkaufen Textil- und Kurzwaren, sowie Sandwiches zum Mitnehmen. Es ist ein Übergang: Clyde Common, das 100-Platz-Restaurant, wird auch nicht in der gleichen Weise zurückkommen“, gibt Betreiber Nate Tilden, der mehrere Gastronomien in der Westküstenmetropole unterhält, zu Protokoll. Irgendwann würde er zwar gerne wieder die Clyde Common Bar aufmachen, „aber es wird dann kein großes Restaurant mit komplettem Service sein. Sondern eher eine Kneipe. Und wann das sein wird, weiß ich nicht.“

Kurz vor Textschluss haben wir auch noch Jeffrey Morgenthaler selbst erreicht, der um sein Clyde Common kämpfen wil: „Es stimmt, wir dürfen momentan keinen Alkohol verkaufen. Wenn wir das dürfen, werden wir definitiv vorgefertige Cocktails-to-go produzieren. Momentan plane ich, mich freiwillig für die Küchenarbeit zur Verfügung zu stellen und was auch immer zu tun, damit wir nicht scheitern. Einige von uns werden helfen, wir lieben unser Clyde Common so sehr, es wäre ein immenser Verlust, und wir werden nicht ohne einen ordentlichen Kampf untergehen.“

Der Traum vom erlaubnisfreien Raum

Lebensmittelmarkt, mobile Bar, Eisverkauf im Wabi Sabi Shibui –  niemand hätte vor zwei Monaten gedacht, mit solchen Methoden ums wirtschaftliche Überleben zu kämpfen. Niemand weiß im Moment aber genau, was wann wie geschehen wird. Es gibt kein vor und nach Corona, sondern im sichtbaren Kontext lediglich ein „mit Corona“. Wirtschaftlichkeit ist nun etwas sehr Relatives, sie entsteht im Corona-Resonanzraum aus Reaktion und Antizipation.

Das Problem ist laut Susanne Baró Fernandez auch weniger die Umstellung als die mangelnde Perspektive: „Ich könnte auch Bücher verkaufen in der Zwischenzeit, aber das Problem ist: Man sagt uns nichts“, so die Barbetreiberin. „Die Politik hat den Fahrplan bereits in der Schublade, aber man verrät ihn uns nicht. Wenn ich wüsste, dass die Schließung tatsächlich bis Ende des Jahres dauert, könnte ich mich darauf einstellen und eine Küche umsetzen. Aber ohne Information kann man keine Investition machen, wenn uns das Wasser ohnehin bis zum Hals steht.“

Zumindest behördlich wäre Weg in eine – speisefreie – Transformation weniger stark verstellt. Angenommen, man will in der Bar tatsächlich sonstige Waren verkaufen, dann ließe sich diese Seite zumindest schnell aufschlagen: „Man meldet sein Gewerbe ab oder ein anderes zusätzlich an. In diesem Falle dann eben Einzelhandel“, sagt die IHK dazu. „Das ist online zu machen, man kann sofort loslegen und es ist erlaubnisfrei.“

Erlaubnisfrei – selten hat ein bürokratisches Wort derart romantische Sehnsüchte ausgelöst. Und selten klang es so weit weg …

Credits

Foto: Artem Stepanov / shutterstock.com

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