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Die Enzyklopädie alkoholischer Heißgetränke, Teil 6: Der Negus

Mit Wasser verdünnten Wein trank man schon im antiken Griechenland. Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts bekam das Getränk die Bezeichnung Negus. Diese geht zurück auf Sir Francis Negus. Auch in Niederbayern trank man seit dem 18. Jahrhundert eine Mischung aus Wein und Selterswasser und nannte diese „Schurlemurle“ oder auch „Schurlemorle“. Man sieht: auch Negus und Schorle sind verwandt.

1849 beantwortet die Zeitschrift Notes and Queries eine Frage nach der Etymologie des Wortes Negus wie folgt: „Wein und Wasser, so heißt es, erhielten den Namen Negus zum ersten Mal von Colonel Francis Negus, der während der Herrschaft von Georg I. kommissarischer Master of Horses war.

Der Master of Horses war einer der dritthöchsten Beamten im Dienste der Monarchie und für alles zuständig, was Pferde, Stallung, Kutschhäuser und Gestüte betraf. Als solcher war er Mitglied des Ministeriums, Peer und Geheimrat. Francis Negus hatte dieses Amt von 1715 bis 1727 inne. Des weiteren wird berichtet: „Neben anderen Anekdoten, die sich um ihn ranken, ist eine davon die, dass der Parteigeist in jener Zeit zwischen den Whigs und den Tories hochkochte, und daß das Weintrinken als Mittel zur Anregung genutzt wurde. Bei einer Gelegenheit, als einige führende Whigs und Tories zufällig zusammen ihre Becher kippten und Mr. Negus anwesend war, und große Worte folgten, empfahl er ihnen, in Zukunft ihren Wein zu verdünnen, wie er es tat, was ihre Aufmerksamkeit glücklicherweise von einem Streit, der wahrscheinlich ernsthaft geendet hätte, auf einen der Vorzüge von Wein und Wasser lenkte, was damit endete, dass sie dieser Mischung den Spitznamen Negus gaben.“

Eine zweite Geschichte des Negus

Im Gentleman’s Magazine des Jahres 1799 wird die Geschichte des Getränks anders erzählt, denn ein Leserbrief berichtet, „dass Negus ein Familienname ist; und dass die besagte Spirituose ihren Namen von einem Individuum dieser Familie erhalten hat; was der folgende Bericht (auf dessen Wahrhaftigkeit Sie sich verlassen können) meiner Meinung nach bestätigen wird. Es ist nun fast 30 Jahre her, dass ich während eines Besuchs bei einem Freund in Frome, in Somersetshire, meinen besagten Freund zum Haus eines Geistlichen namens Potter begleitete […]. Das Haus war mit vielen Gemälden geschmückt, vor allem mit Familienporträts; unter ihnen gefiel mir besonders das eines Herrn in Militärkleidung […]. In Beantwortung meiner Anfragen bezüglich des Originals des Porträts teilte mir Frau Potter mit, dass es sich um einen Colonel Negus, einen Onkel ihres Mannes, handelte; dass von diesem Herrn die üblicherweise so genannte Spirituose ihren Namen hatte, da es sein übliches Getränk war. Wenn er mit seinen jüngeren Offizieren zusammen war, lud er sie immer ein, sich ihm anzuschließen, indem er sagte: “Kommt, Jungs, schließt euch mir an, kostet von meiner Spirituose”. Daher wurde es im Regiment bald Mode, und die Offiziere nannten es Negus, als Kompliment an ihren Oberst.“

Francis Negus verstarb im Jahr 1732, Parlamentarier war er ab 1717. Somit muß die Namensgebung für das Mischgetränk irgendwann zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstanden sein. In den 1740er Jahren wird der Begriff oft erwähnt, ohne zu erklären, was darunter zu verstehen ist. Man darf also daraus schließen, dass der Negus allgemein bekannt war.

Es wird klar gesagt, dass Francis Negus seinen Wein nur mit Wasser mischte. Jüngere Rezepte hingegen setzten Zucker zu, verwenden auch Zitrusfrüchte oder Gewürze, woraus aus dem Negus aber ein Sangaree wurde. Bezüglich des Weines wurde immer ein roter Wein verwendet, darunter auch Madeirawein oder Portwein.

Die Frage der Muskatnuß

Muskat gehört eigentlich nicht in einen Negus, es gibt jedoch zahlreiche Angaben, dass man dies zusätzlich trotzdem hinzu gab, so wie auch alle anderen Arten von Heißgetränken damit verfeinert wurden. Andere Gewürze spielen nur eine untergeordnete Rolle.

Die Verwendung von Muskat war eine individuelle Vorliebe. Einen interessanten Einblick in die Gewohnheiten vergangener Zeiten bietet beispielsweise eine Anfrage an das Magazin Notes and Queries aus dem Jahr 1897. Darin möchte der Leser wissen, was es mit einer Taschen-Muskatnußreibe auf sich habe, die aus dem Nachlaß einer bekannten Schauspielerin angeboten wurde. Er fragt sich, „zu welchem Zweck die Damen diesen Artikel getragen haben“. Darauf gibt es von anderen Lesern zahlreiche Antworten: „Wahrscheinlich, um ihren abendlichen Becher mit heißem Negus nach ihrem eigenen Geschmack zu würzen; was zu Mrs. Siddons Zeiten häufiger vorkam als heute. Falls noch eine dritte Frage aufkommt: Warum hatten die Herren dann nicht auch Muskatnüsse und Reiben? – haben Sie die Wahl zwischen drei Antworten: (1) Vielleicht hatten sie welche; (2) Vielleicht liehen sie diese von den Damen; (3, und höchstwahrscheinlich) Vielleicht bevorzugten sie Toddy und Grog, die Zitrone und Zucker, aber keine Muskatnuss wollen.“ – „Muskatnußreiben wurden früher in kleinen modischen Etuis für die Taschen hergestellt. Ich erinnere mich deutlich daran, dass meine Großmutter (1757-1830) eine solche bei sich trug.“
Man kann diesen Rückmeldungen entnehmen, dass es Anfang des 19. Jahrhunderts wohl Standard war, seine eigene Muskatnüsse und Muskatnußreiben mit sich zu führen, um damit seine Getränke nach Belieben zu würzen. Vermutlich wurden Muskatnüsse erst zu dieser Zeit so populär, weil das niederländische Muskatnußmonopol erst Ende des 18. Jahrhunderts von den Briten gebrochen wurde und Muskatnüsse dadurch in deren Gebieten leichter und preiswerter erhältlich wurden?

Zucker war ursprünglich nicht im Negus

Es stellt sich auch die Frage, warum der Negus in so vielen Fällen mit Zucker versehen wurde, obwohl doch Francis Negus keinen verwendete. Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung: Francis Negus wird sich stets guten Wein geleistet haben, die breite Masse jedoch nicht, so dass diese ihrem Negus Zucker zufügen mußte.

An dieser Stelle soll als Beleg dafür ein Gespräch des Jahres 1813 zitiert werden. Der Autor desselben unternahm zu jener Zeit eine Reise nach Portugal und informierte sich im Vorfeld, wie man guten von schlechtem Wein unterscheiden könne. Sein Gesprächspartner antwortete ihm: „”Nun, Sir”, sagte er, “mischen Sie mit Wasser – zwei Drittel Wasser zu einem Drittel Wein. Dann probieren Sie ihn.” ” Und?” “Wenn im Wein irgendein schlechter Geschmack vorhanden ist, kommt er durch das Mischen zum Vorschein. Ist Ihnen in London nie aufgefallen, selbst wenn der Portwein oder Sherry pur passabel erscheint, dass, wenn man ihn wässert, die Mischung wirklich grauenvoll ist, zu ekelhaft, um sie zu trinken? […] Wenn Sie zurückkehren, nachdem Sie Wein in den Weinländern verkostet haben, werden Sie meiner Meinung sein. Vieles, was man bekommt, ist nur schlechter Wein der minderwertigen Gewächse, gefärbt, aromatisiert und mit schlechtem Brandy für den Londoner Markt zurechtgemacht. […] Und vieles, was man bekommt, ist gar kein Wein, sondern ein Absud; ein abscheulicher Absud, Sir; kein Tropfen Wein in seiner Zusammensetzung. Diese Sorte ist die Londoner Besonderheit. […] Nun, Sir”, sagte Gingham, “mein Kaltwassertest weist dies nach. Wenn das, was man für Wein erhält, ein Absud ist, eine Mischung, und nichts als eine Mischung, kein Wein darin, dann deckt das Wasser – etwa zwei Drittel bis ein Drittel – die schmutzige Realität auf. Fügen Sie ein oder zwei Stück Zucker hinzu, und Sie erhalten eine so scheußliche Dosis an Arznei, wie sie noch nie in einer Arztpraxis zusammengestellt wurde.” “Ich erinnere mich”, erwiderte ich, “dass ich eine solche Dosis erhielt, jetzt, wo Sie es erwähnen, als ich mit der Schnellkutsche hierher kam, in einem Gasthaus beim Umsteigen, als ein Glas kalter Weißwein-Negus. Die Zitronenscheibe war eine Verbesserung, nachdem sie zuvor in einem Glas Gin-Punch ihren Dienst getan hatte.”“

Man machte also den schlechten Wein halbwegs genießbar, indem man Zucker und Zitrusfrüchte hinzugab, wodurch der ursprüngliche Negus zu einem Punch wurde.

Der Negus – nur mit Wein zubereitet?

Gelegentlich wurde ein Negus nicht aus Wein zubereitet, sondern es kamen Branntweine ins Spiel. In einem Brief des Jahres 1775 wird ein Gin-Negus, 1828 ein Rum-Negus erwähnt, und 1840 spricht man vom Whiskey-Negus, 1849 ebenso vom Brandy-Negus. Leider wurde in diesen Berichten keine Rezeptur angegeben. Auch in den nach 1862 erschienenen Büchern ist ein mit Branntwein hergestellter Negus äußerst rar. Doch diese Rezepte entsprechen entweder einem klassischen gewürzten, heißen Grog oder einem modernen gewürzten, heißen Punch. Wie dem auch sei, wenn ein Branntwein anstelle des Weines verwendet wird, handelt es sich bei dem Getränk nicht mehr um einen Negus.

Neu ist der Begriff des Negus, nicht jedoch das Getränk

Der Negus ist jedoch keine Neuheit gewesen, lediglich sein Name. Mit Wasser verdünnten Wein trank man schon im achten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung im antiken Griechenland. Später verwendete man nicht nur stilles Wasser zur Verdünnung. Seit dem 18. Jahrhundert trank man in Niederbayern eine Mischung aus Wein und Selterswasser und nannte diese Schurlemurle oder auch Schurlemorle. In einer Novelle des Jahres 1809 trinkt man „wine and soda water“, und in Lord Byrons’ Don Juan, 1819 erschienen, gibt es „hock and soda-water“, also Rheinwein mit Sodawasser.

Die Enzyklopädie alkoholischer Heißgetränke

Teil 1: Einleitung

Teil 2: Der Punch

Teil 3: Der Toddy

Teil 4: Der Grog

Teil 5: Der Skin

Teil 6: Der Negus

Teil 7: Der Sangaree

Teil 8: Hot Buttered Rum & Co.

Teil 9: Der Sling

Teil 10: Der Bumbo

Credits

Foto: Editienne

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