Die Geschichte des Cocktails, Teil 12: Boulevardier Cocktail (1927)
Erst seit etwa zehn Jahren zählt man den Boulevardier Cocktail zu den Klassikern aus Prohibitionszeiten, und er kann als dem Negroni ebenbürtig gelten. Bei ihm zeigt sich, wie das Verständnis, wie ein Cocktail aufgebaut ist, weiterentwickelt wurde.
4 cl Bourbon
2 cl Campari
2 cl roter (italienischer) Wermut
Zubereitung: auf Eis kalt rühren, abseihen und mit Orangenzeste abspritzen.
Der Ursprung des Boulevardier Cocktail
Erstmals wird er im Anhang von Harry McElhones Buch „Barflies and Cocktails“ erwähnt. Man hört anschließend lange nichts mehr von ihm. In der Folgezeit erschienen hin und wieder andere Drinks unter gleichem Namen. Bekannt gemacht wurde er sicherlich durch Ted Haigh und andere Bartender im Zuge der Cocktail-Renaissance, als man begann, in alten Büchern zu stöbern und dabei so manches vergessene Juwel fand.
Der Boulevardier Cocktail war der Signature-Drink von Erskine Gwynne. Er war Neffe des Eisenbahn-Tycoons Alfred Gwynne Vanderbilt und lebte als amerikanischer Schriftsteller in Paris. Zwischen 1927 und 1932 gab er dort das monatlich erscheinende literarische Magazin „The Boulevardier“ heraus.
Wer war zuerst da, der Boulevardier oder der Negroni?
Oft hört man, der Boulevardier Cocktail sei eine Abwandlung des Negroni, bei dem Bourbon anstatt Gin verwendet wird. Doch das stimmt nur bedingt. Eigentlich ist es genau umgekehrt. Die ersten Negroni-Rezepte werden erst lange nach dem Boulevardier Cocktail veröffentlicht. Auch wurde der ursprüngliche Negroni nicht aus gleichen Teilen Gin, Wermut und Campari hergestellt. Er war vielmehr einem Americano sehr ähnlich.
Campari als Mixzutat
Campari zeichnet den Boulevardier Cocktail aus. Bereits 1904 war Campari in den USA verfügbar, doch lange Zeit wurde er dort in Mischgetränken nicht verwendet. Erstmals wird er als Zutat in einem amerikanischen Buch im Jahr 1932 aufgeführt.
Man muss feststellen, dass die Verwendung von Campari als Mixzutat eindeutig eine europäische Erfindung ist. Dort erschienen die ersten Rezepte 1921. Darunter viele, die Campari und Wermut kombinieren, oder zusätzlich noch Gin oder Cognac verwenden. Anfang der 1920er Jahre lag Campari quasi in der Luft und viele Bartender ersannen damit neue Rezepturen.
Das italienische Cocktail-Verständnis
Vielleicht ging die Verwendung auch auf ein älteres Verständnis zurück, das in einem italienischen Buch beschrieben wird. In seiner Abhandlung „Il vermouth di Torino“ aus dem Jahr 1909 schreibt Arnaldo Strucchi, dass es in den Vereinigten Staaten Brauch sei, Wermut gemischt mit Bitterlikören und Gin (oder Whiskey) zu trinken, und dass man dieses Getränk Cocktail nenne.
Weiter heißt es, viele dieser Cocktails unterschieden sich sehr voneinander, abhängig von den verwendeten Bitterlikören, da letztere in unzähligen Qualitäten und in verschiedenen Geschmacksrichtungen vorhanden seien, jedoch immer auf der Basis eines Amaro hergestellt wären. Man verstand also unter einem Bitter etwas anderes als die amerikanischen Cocktailbitters, nämlich einen italienischen Amaro, den man als Aperitif trank – und setzte die Cocktailbitters so den Bitterlikören gleich.
Auch Campari zählt zu den Amari. Legt man nun Arnaldo Strucchis Cocktaildefinition zugrunde, so ist ein Boulevardier Cocktail prinzipiell nichts anderes als ein italienischer Manhattan Cocktail, der mit Bourbon zubereitet wird.
Die Rezeptur des Boulevardier Cocktail
Heute wird der Boulevardier Cocktail (wie auch der Negroni) oftmals nicht aus drei gleichen Teilen Spirituose, Wermut und Campari zubereitet. Das mag damit zusammenhängen, dass sich die Eigenschaften des Camparis verändert haben, so wie es manche postulieren. Daran erkennt man, dass man alte Rezepte nicht immer unverändert übernehmen kann. Immer wieder kommt es zu Veränderungen bei Spirituosen, sowohl in ihrer Verfügbarkeit oder in ihrer Qualität, oder aber die Geschmacksvorlieben können sich im Laufe der Zeit verändern.
Nicht zu vergessen ist, dass jeder einzelne Gast ein unterschiedliches Geschmacksempfinden haben kann. Daran zeigt sich nun, dass jeder Bartender basierend auf den ihm vorliegenden Zutaten die Rezepte anpassen muss, um einen ausgewogenen Drink zu erhalten.
Mit oder ohne Eis?
Abschließend sei noch auf die Frage eingegangen, ob man einen Boulevardier Cocktail mit oder ohne Eis servieren sollte. Ich bevorzuge ihn ohne Eis, oft wird er aber auch mit Eis serviert. Beides ist zunächst einmal eine Frage der persönlichen Vorlieben. Im Original wird auf Eis verzichtet, und man sollte sich bewußt sein, dass ein Drink oft auf Eis serviert wird, um leichte Unstimmigkeiten zu überdecken. Mit den richtigen Zutaten bedarf ein Boulevardier Cocktail des Eises also nicht.
Die Geschichte des Cocktails
Teil 1: Der Ursprung des Cocktails
Teil 3: Der Brandy Crusta (1862)
Teil 4: Der Japanese Cocktail (1862)
Teil 5: Der East India Cocktail (1882)
Teil 6: Der Manhattan Cocktail (1882)
Teil 7: Der Bamboo Cocktail (1886)
Teil 8: Der Princeton Cocktail (1895)
Teil 10: Der Deshler Cocktail (1916)
Teil 11: Der Aviation Cocktail (1916)
Credits
Foto: Sarah Swantje Fischer