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Victoria Bar

Corona Chronicles, Teil 8 – Wie lange könnt ihr noch? Eine Umfrage

Knapp drei Wochen ist es nun schon her, seit in den ersten Städten und Regionen die Bars und Clubs schließen mussten. Sie waren die ersten Betroffenen des mittlerweile umfassenden wirtschaftlichen Shutdowns – und sie werden aller Voraussicht nach die letzten sein, bei denen sich die Leine wieder lockert. Das drängt die unschöne Frage ins Rampenlicht: Wie lange können Bars noch ohne Umsätze durchhalten, bevor sie pleite sind?

Dieser heutige Monatserste, dieser 1. April 2020, er könnte für viele Barbetreiber und sonstige kleine Gastronomen zu einem einprägsamen Datum werden. Allerdings ganz ohne Scherz: Für zahlreiche unabhängige, inhabergeführte Bars dürfte es der letzte Monat sein, bei dessen Anbruch der Inhaber weiß, aus welchen Töpfen er beispielsweise Miete und Löhne bestreitet.

Klar ist: Es gibt viele Barbetreiber, die ihre Teams in Kurzarbeit geschickt haben. Andere haben prophylaktische Kündigungen ausgesprochen. Der eine oder andere Vermieter kann für eine gewissen Zeitraum den Aufschub der Miete gewähren. Und es gibt die sogenannten Corona-Soforthilfen, die je nach Bundesland variieren, aber im Kern immer gleich sind: An der Betriebsgröße orientierte Hilfszahlungen aus öffentlicher Hand, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Noch vollkommen unklar scheint bislang hingegen, ob beispielsweise der § 56 des Infektionsschutzgesetzes für betroffene Bartender oder Barbetreiber in irgendeiner Form zu Entschädigungszahlungen führen könnte – schließlich liegt für Fälle, wie wir ihn jetzt erleben, einfach noch keine Rechtsprechung vor, auf die sich irgendwer beziehen könnte.

Klar ist indes ebenso: Sogar ein fristgemäß entlassener Mitarbeiter steht erstmal noch auf der Payroll. Eine aufgeschobene Miete ist keine aufgehobene Miete. Komplett erlassene Mieten gibt es kaum. Auch alle weiteren Beträge und Zahlungen, die sich stunden lassen, sind eben nur: gestundet. Sie bleiben und wollen später beglichen werden. Die wenigen Betriebe, die über eine Betriebsschließungsversicherung verfügen, beklagen in den allermeisten Fällen eine Verweigerungshaltung ihrer Versicherung. Und die staatlichen Hilfszahlungen sind zwar ein grundsätzlich gutes Signal – sie sind allerdings mit Verlaub in einer Höhe angesiedelt, die für viele Betriebe in guter innenstädtischer Lage gerade mal eine einzige Monatsmiete ausmacht. Wenn überhaupt.

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Constanze Lay, The Rabbithole
The Reason
The Reason Bar, Hamburg

Erste Station: Hamburg

„Ich habe die Hilfsgelder gar nicht erst beantragt. Das liegt aber nicht daran, dass ich das Geld nicht gern bekommen würde“, sagt Constanze Lay, Besitzerin des The Rabbithole auf dem Kiez von St. Pauli. „Es ist vielmehr so, dass wir sozusagen ein wenig zum Opfer unserer eigenen Planung werden: Wir legen jedes Jahr ein finanzielles Polster für das Sommerloch an. Dadurch ist meine Firma derzeit schlicht zu liquide, die Regelung in Hamburg ist sehr streng: Eine Auszahlung der Hilfsleistung steht nur Betrieben zu, die keine finanziellen Mittel mehr haben.“

Im Gegensatz zu Firmen, denen nun quasi sofort das Wasser bis zum Halse steht, scheint diese Sachlage glatt ein wenig schizophren, und „man kann sich darüber ärgern, aber das hilft jetzt auch keinem weiter“, so die 37-jährige Lay. Auch ansonsten wirkt die Barbetreiberin vergleichsweise gelassen: „Was ich bezahlen kann, bezahle ich. Meine Mitarbeiter befinden sich in natürlich in Kurzarbeit und schauen teilweise, ob sie noch irgendwo einen Zusatzverdient finden. Für mich selbst habe ich ALG II beantragt.“ Da das Rabbithole in einer Immobilie mit städtischem Vermieter ist, kann Lay außerdem das Recht in Anspruch nehmen, dass die Miete für bis zu drei Monate gestundet wird. Bei aller vergleichsweisen Lockerheit muss aber auch sie ehrlich einräumen: „Irgendwann ab Juni wird es dann aber auch für meine Bar wirklich ernst, denn dann hätten wir den virtuellen ‚Sommerspeck‘ verbraucht.“ Dann müsste sie beim Vermieter um einen reellen Erlass bitten, oder aber sehen, ob weitere Hilfsleistungen beansprucht werden können – die ihr dann auch zustünden.

Ernste Gedanken im The Reason

Wesentlich ernster betrachtet Stefanie „Stine“ Brach, die seit neun Monaten das The Reason ebenfalls in Hamburg betreibt, die Lage. Für sie kam der Cut besonders hart: „Der Februar war der beste Monat seit der Eröffnung. Aber natürlich haben wir noch keine Rücklagen. Beim Vermieter stoßen wir damit allerdings nicht auf Verständnis”, so die Gastronomin, die ihre Bar gemeinsam mit dem Berliner Dominik Galander betreibt. Sie hat die Hilfsgelder sehr wohl in Anspruch genommen. „Die Formulare wurden gestern Abend online geschaltet. Ich saß um 0 Uhr vor dem Rechner und war wohl auch unter den ersten 100 Antragstellern. Die 14.000 Euro decken gerade mal die Unkosten. Ich verkaufe im Augenblick technisches Equipment, das nicht unbedingt notwendig ist. Diesen Monat zahle ich noch das Gehalt, meine Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Aber wenn wir zum 1.5. nicht aufsperren, dann brennt die Hütte. Dann wird es eng“, so Brach. „Ich gebe zu, ich habe die ersten Tage nur geweint. Jetzt gleichen die Tage einer Achterbahnfahrt. Manchmal denke ich mir: ‚Cool, uns wird geholfen.‘ Im nächsten Moment habe ich Angst, wie das alles werden soll.“

Gleichzeitig bereitet sie sich auf die Zeit danach vor, überlegt, wie sich die veränderte Situation auch auf die Karte auswirken kann: „Manch ausländische Spirituose wird teurer sein, vielleicht auch italienische Oliven oder Limetten. Ich arbeite schon mal an einer Karte, die mehr Produkte aus der Region mit einbezieht.“

Blume von Hawaii, Nürnberg
Blume von Hawaii, Nürnberg
Kawenzmann, Bamberg
Kawenzmann, Bamberg

Weitsicht in Nürnberg

Der Nürnberger Thomas Stingl in seiner Blume von Hawaii kalkuliert pessimistischer: „Ich gehe davon aus, dass die Bars mindestens bis Juni geschlossen bleiben, befürchte aber gar Verlängerungen bis in den September. Die Bars werden die allerletzten Betriebe sein, die wieder aufmachen dürfen“, denkt auch er. Mit den eigenen Rücklagen ist so etwas nicht zu überbrücken. Stingl selbst kann aufgrund seiner langjährigen unternehmerischen Tätigkeit auf ein enges Verhältnis zu seiner Hausbank bauen, überdies kommt ihm entgegen, dass seine Bar im Herbst von einem Standort an einen neuen, größeren umgezogen ist: „Ich habe meine Bank gleich am 15. März wegen eines Überbrückungskredits angeschrieben, weil die Lage absehbar war. Daraufhin wurde mir zunächst sofort ein enormer Dipositionskredit gewährt, den nun aber sogar in ein noch höheres Investitionsdarlehen umgewandelt werden konnte – dieser zweite Schritt war aber ausschließlich aufgrund der Neueröffnung im November möglich.“

Mit diesen Geldern könne er seine Firma rund ein halbes Jahr am Leben erhalten, meint der fränkische Tiki-Experte. Wenn er dann die Türen wieder aufsperrt, tut er das zwar mit einem erheblichen Schuldenberg – aber immerhin kann er wieder aufsperren. Ihm ist klar, dass viele kleine Bars nicht auf derlei Kredithilfen bauen können: „Ich habe in den letzten Tagen schon mehrfach gehört, dass die Banken Probleme machen.“ Und auch für die Zeit nach Corona befürchtet er weitere Schwierigkeiten: „Für viele Leute wird ein Barbesuch in der ersten Zeit nicht vorrangig sein. Und außerdem sind ja viele Gäste auch Gastro-Kollegen. Wenn von denen viele schließen mussten, fallen sie als Gäste auch weg. Auch an einer Art ‚Ausdünnung der Konkurrenz‘ hat hier niemand ein Interesse.“

Bamberg: Hält das Bar-Wunder dem Druck stand?

Konkurrenz gibt es in der kleinen Bar-Wunder-Stadt Bamberg, nah dran an Nürnberg, ebenfalls nicht. Dort können Linda Le sowie die beiden Unternehmer Till Deininger und Lars Baldes momentan noch relativ zuversichtlich in die nächsten Wochen schauen: Le leitet als Geschäftsführerin die beiden Bars Dude und Kawenzmann, Deininger kümmert sich um den dritten Laden, den er und Baldes betreiben: Das Restaurant Zapfhahn mit der angeschlossenen Bar Schluckspecht. „Unsere UG, der Zapfhahn, rutscht Ende nächsten Monats ins Minus, dort haben wir aber aufgrund der Größe des Objekts auch sehr hohe Kosten. Die andere Firma, unter der das Dude und der Kawenzmann laufen, ist auf jeden Fall bis Ende Juni abgesichert“, gibt er zu Protokoll.

Bislang noch ohne Zuschüsse ausgestattet, konnte Deininger just am heutigen Morgen die Soforthilfen des Bundeslandes Bayern beantragen, nachdem die einschlägigen Regeln geändert wurden: „Zuvor war das heikel, wir wollten uns im Himmels Willen nicht des Subventionsbetrugs schuldig machen. Jetzt passt es aber.“

Ohne Einschnitte ging es aber natürlich auch an der Regnitz nicht: „Für die Festangestellten ist Kurzarbeit angemeldet, unsere Aushilfen können wir aktuell nur beurlauben“, bedauert Le. Für den März wurden alle Mitarbeiter noch voll bezahlt, die Kurzarbeit nicht rückwirkend beantragt. Und Baldes und Deininger haben sämtliche Gehälter eingefroren, die sie sich als Geschäftsführer normalerweise zahlen. „Ohne Einschnitte geht es eben nicht, aber für alle Beteiligten“, meint Deininger. „Aber wir sind bislang wirklich positiv gestimmt.“ Und ein kleiner Silberstreif für die drei: Immerhin der Zapfhahn könnte ja als Restaurant vielleicht schon früher wieder die Türen öffnen.

The Kinly Bar Frankfurt
The Kinly Bar, Frankfurt
Victoria Bar, Berlin
Victoria Bar, Berlin

Die beste Bar des Landes hat Reserven

Und wie sieht es in der amtierenden deutschen „Bar des Jahres“ aus? Auch die beiden obersten „Kinly Boys“, Johannes Möhring und René Soffner, müssen sich mit ihren zwei kleinen Bars – dem Kinly in Frankfurt und dem Ménage in München – die Frage nach den Belastungsgrenzen stellen: „Das Kinly wird definitiv überleben“, leitet Soffner ein. „Letztes Jahr hätte uns so ein Ausfall deutlich stärker getroffen. Tatsächlich können wir auf ein extrem gutes Geschäft im Herbst und Winter blicken, teilweise auch durch den Mixology Bar Award. Das hilft uns jetzt, die Schließung zu überbrücken.“

Dennoch sind sich die beiden im Klaren über das Ausmaß: „Wenn wir vorerst davon ausgehen, dass sowohl Kinly als auch Ménage für zwei volle Monate nicht öffnen können, dann sind wir definitiv bei einem Umsatzausfall im deutlichen sechsstelligen Bereich. Klar, das ist die Brutto-Zahl und natürlich fallen z.B. Warenkosten momentan komplett weg, aber es bleibt ein herber Schlag ins Kontor“, so Möhring.

Speziell das Ménage hat aufgrund seines jungen Alters noch keine wirklichen Rücklagen, die zwei Inhaber haben jedoch hinter ihren beiden Betrieben auf privater Ebene einen größeren Schutzschirm, der eine Weile halten würde. „Dazu haben wir Kurzarbeit beantragt, werden diese aber nur im Bedarfsfall wirklich aktivieren, Zahlungen an uns selbst haben wir erstmal eingestellt“, erklären beide.

Wie es bei längerfristigen Schließungen weitergeht, kann Möhring noch nicht final sagen: „Wir haben für das Ménage eine Schließungsversicherung, die sogar zugesagt hat, zu zahlen. Allerdings wissen wir bislang weder, in welcher Höhe oder zu welchem Termin.“ Und Soffner kann sich nicht verkneifen, noch anzufügen: „Ich finde es interessant, dass sich von all den Firmen und Marken, die uns im Herbst nach den Awards kontaktiert haben und durch Kooperationen von unserem guten Ruf profitieren wollten, jetzt so gut wie keiner meldet. Und es wird sogar noch krasser: Eine der Spirituosenfirmen, die sich derzeit öffentlich als Helfer der Barszene darstellt, hat bei uns in beiden Bars noch offene Rechnungen für Events und Rückvergütungen. Sogar schon gemahnte Rechnungen. Diese Doppelmoral ist einfach widerlich. Sowas merkt man sich für die Zeit danach.“

Keine Apokalypse in der Victoria Bar

Zum Abschluss erwischen wir noch einen sehr aufgeräumten Stefan Weber in der Victoria Bar. Der Betreiber des Berliner Bar-Urgesteins, das nächstes Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiert, betrachtet die Lage weder pessimistisch noch optimistisch, sondern das, was dazwischen übrigbleibt: realistisch.

„Wir haben letztes Jahr gut gewirtschaftet, hatten einen Rekordgewinn und auch Januar und Februar 2020 waren extrem stark. Wir haben ein gutes Polster, aber staatliche Unterstützung durch Kurzarbeit hilft auch uns über einen Zeitraum von einem halben Jahr”, so Stefan Weber. „Ich gehe nicht davon aus, dass wir im April oder Mai wieder aufsperren werden. Der Umsatz des Jahres wird sich halbieren. Wir werden die Nachwirkungen über 2020 hinaus zu spüren bekommen. Wir selbst werden von einem superbrummenden Laden zurückgeworfen werden auf die Zeit nach der Eröffnung.”

Es mag seine Natur sein, oder auch sein Weitblick, die ihn die Lage trotzdem ruhig bewerten lässt. „Wir hatten seit 2009, gerade in Deutschland, einen wirtschaftlichen Boom. Berlin hat im Tourismus einen Rekord nach dem nächsten gebrochen. Aktien, Immobilien, alles war überhitzt. Es war absehbar, dass dieser zehnjährige Zyklus endet, wenn auch nicht auf diese Art”, so Stefan Weber. „Kaufmännisch betrachtet, sollte eine Bar – oder generell jedes Unternehmen – im Falle eines unvorhergesehenen Notfalls zwei, drei Monate überbrücken können, ansonsten ist sie wirtschaftlich nicht gut aufgestellt. Aber hätte uns so etwas in der ersten Phase nach der Eröffnung getroffen, hätten wir das zugegeben wohl auch nicht überlebt.”

Eine Spur Optimismus mag er uns aber doch mit auf den Weg geben. „Ich habe auch meinen Mitarbeitern gesagt: Gerade die Gastronomie hat sich in Krisenzeiten immer als Erstes gefangen. Es wird auch danach weiterhin viele gute Bars geben – nur werden wir alle vielleicht halb so viel verdienen. Aber das reicht doch zum Überleben aus. Ich glaube nicht an die gastronomische Apokalypse.”

Und das ist doch ein schönes Schlusswort.

 

Beitragende zu diesem Artikel: Nils Wrage, Stefan Adrian, Robert Schröter

Credits

Foto: Victoria Bar

Comments (1)

  • Macros

    Hi,

    vielleicht etwas ganz anderes, aber für alle Barbetreiber / Gastronomen interessant, die Energieversorger reduzieren ohne Kommentar eure Vorrausszahlungen, nur gehen Sie nicht aktiv auf euch zu… Sie brauchen die Geldmittel ebenfalls.

    Solltet ihr euch sicher sein, dass ihr ein Plus auf der Abrechnung habt, könnt ihr auch eine Zwischenabrechnung einfordern, solltet ihr euch nicht sicher sein, vielleicht besser lassen.

    Gruß von einem ExBartender

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